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Silvia Aeschbach | Sind denn alle guten Männer schon vergeben? – Meine Lieblingskolumnen aus der »Coopzeitung« | WÖRTERSEH

 

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2020 Wörterseh, Lachen

Lektorat: Andrea Leuthold
Korrektorat: Brigitte Matern
Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina
Foto Umschlag vorn: Heiner H. Schmitt
Layout, Satz: Beate Simson
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel

Print ISBN 978-3-03763-117-1
E-Book ISBN 978-3-03763-790-6

www.woerterseh.ch

 

Für Brigitte

 

»Hinterm Horizont gehts weiter.«

Udo Lindenberg

 

Inhalt

Über das Buch

Über die Autorin

Vorwort

Keine Anleitung zum Erwachsensein

Feiert das Leben, nicht die Feste!

Die Qual der Wahl

Leben von A bis Z

In erster Linie Mensch

Gebratener Cervelat auf zwei Beinen

Große Momente

Die Doppelgängerin aus Neuseeland

Dicke Kisten und pupsende Götter

Listige Listen

Die Schnäppchenjägerin

Kuscheln und kämpfen

Mehr Zeit fürs stille Örtchen

Die Kunst des Schenkens

The Man in Black

Trostpreis oder Hauptgewinn

Thirsty Dancing

Liebe macht dick

So glücklich ist eine launische Diva

Cry Baby

Alterslose Freundschaft

Die geheime Macht der Gedanken

Zeigen Sie die Zähne!

Hypochonder lassen grüßen

Ein himmlisches Butterbrot

Öffentliche Schönheitspflege

Lieder fürs Leben

Mein Verhältnis mit Macklemore

Stärker, als man denkt

Alte Geschichten aufwärmen

Frauen reden anders. Männer auch.

Time to Say Goodbye?

Nein danke!

Prinzessin auf der Erbse

Mein Weg zur Dancing Queen (1)

Mein Weg zur Dancing Queen (2)

Genieße den Genuss

Die Gefühle meines Lebens

Es lebe die Vorfreude

Morgen, morgen, nur nicht heute

Hörst du schon Klassik?

Augen auf und Ohren zu!

»Irgendeinisch fingt ds Glück eim«

Die letzte Chance

Fantastische Traumwelt

Ferienfreuden, Ferienleiden (1)

Ferienfreuden, Ferienleiden (2)

Warum das Einfachste oft das Beste ist

Stress, lass nach!

Vater in Finken

Von Schnittlauch und anderen Locken

Sind denn alle guten Männer schon vergeben?

Warum Geiz nicht geil ist

Wie sag ichs bloß meiner Mutter?

Jungsein ist keine Auszeichnung

Oskar – das Tier in mir

Wie sag ichs meinem Nächsten? (1)

Wie sag ichs meinem Nächsten? (2)

Kompensieren mit Shaqiri

Die Kraft der Sehnsucht

Ein Finne namens Samu

Fifty Shades of Grey

Verletzlichkeit macht stark

Rate Your Date!

Der nüchterne Blick

Blick hinter die Fassade

Geliebte Langeweile

Späte Liebe

Warum verzeihen guttut

Das stille Glück

Was für ein Hundeleben (1)

Was für ein Hundeleben (2)

Johnny Kontrolletti

Magische Momente

Ein Quantum Trost (1)

Ein Quantum Trost (2)

Beziehungsblüten (1)

Beziehungsblüten (2)

Zauberhaftes erstes Mal

Das Prinzip Hoffnung

Warum nicht alles für etwas gut ist

Freundschaft in Zeiten von Corona

Brigitte – eine wie keine

Nachwort

 

Über das Buch

»Sie sind doch Frau Aeschbach! Richtig?« So und ähnlich wird Silvia Aeschbach praktisch täglich angesprochen. Und wenn sie dann nickt, hört die Autorin Folgendes: »Ich finde Ihre Kolumne in der ›Coopzeitung‹ super. Sie bringen alles immer so gut auf den Punkt.« Angesprochen wird sie beim Café-Besuch, beim Spaziergang mit ihren Hunden oder beim Shopping in der City. Die Journalistin und Buchautorin ist seit dreißig Jahren in den Medien tätig, sie hat unzählige Artikel für Zeitschriften, Zeitungen und Onlineportale geschrieben, Radio- und TV-Sendungen moderiert und seit 2014 fünf Sachbuch-Bestseller publiziert. Doch noch nie zuvor erlebte sie so viele Reaktionen auf ihre Arbeit wie auf ihre Kolumne in der »Coopzeitung«. Eigentlich kein Wunder: Mit einer Auflage von mehr als 1,8 Millionen Exemplaren liegt das Blatt wöchentlich in jedem zweiten Haushalt der Deutschschweiz. Und darin schreibt Silvia Aeschbach – meistens auf Seite 13 – über ihre Beobachtungen im Alltag, über die großen und kleinen Ereignisse des Lebens oder über Beziehungsfragen. Wie etwa jene, die diesem Buch den Titel gegeben hat: »Sind denn alle guten Männer schon vergeben?«. Andere Kolumnen tragen Titel wie: »Von Schnittlauch und anderen Locken«, »Warum das Einfachste oft das Beste ist« oder »Das stille Glück«.

Silvia Aeschbach schreibt auf eine ganz spezielle, differenzierte, humorvolle, vor allem aber auch erfrischend selbstironische Art. Darum macht es Sinn, eine Auswahl ihrer Kolumnen jetzt als Sammlung aufzulegen. Denn über sich selbst und die Ironie des Alltags schmunzeln zu können, ist das, was uns menschlich macht. Und im Kleinen glücklich.

 

Über die Autorin

Silvia Aeschbach ist Journalistin. Sie arbeitete bei einem Lokalradio, beim Schweizer Fernsehen und bei verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen. Unter anderem war sie in leitenden Positionen beim Nachrichtenmagazin »Facts«, beim Frauenmagazin »Meyer’s«, beim »Blick« und bei der »SonntagsZeitung« tätig. Heute schreibt sie unter anderem für das Onlineportal des »Tages-Anzeigers« den erfolgreichen Blog »Von Kopf bis Fuss« sowie Kolumnen für die »Coopzeitung«.

Bei Wörterseh erschienen von ihr nach ihrem ersten Buch »Leonardo DiCaprio trifft keine Schuld – Panikattacken mit Happy End« die weiteren Bestseller »Älterwerden für Anfängerinnen«, »Älterwerden für Anfänger« und »Bye-bye, Traumfigur«. Silvia Aeschbach lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden in Zürich.

 

Vorwort

Zwei Dinge beschäftigen die Leserinnen und Leser der »Coopzeitung« nachhaltig: erstens die Frage nach der echten Haarfarbe von Silvia Aeschbach und zweitens, ob das, was sie in ihren Kolumnen schreibt, auch tatsächlich wahr sei. Meine Antworten darauf lauten dann jeweils:

Erstens: Woher soll ich das wissen?

Zweitens: Ich befürchte, ja.

Seit 2016 erscheint die Kolumne von Silvia Aeschbach wöchentlich in der »Coopzeitung«, dem größten Printmedium der Schweiz. Gut eingebettet zwischen Schminktipps, Vegi-Burger-Rezepten und Wanderreportagen. Wäre die »Coopzeitung« ein freundliches Wohnhaus in einer schönen Straße, dann wäre Silvia Aeschbachs Kolumne jene Wohnung, aus der es immer lärmt und scheppert und dröhnt. Darin wird gelacht, geweint, gekocht, geschlemmt, getrunken, diskutiert, geträumt, gehofft, gezweifelt, geliebt, gelitten. Und draußen vor der Tür stehen kunterbunt High Heels, Wander- und Turnschuhe, Flip-Flops und Gummistiefel. Silvia Aeschbachs Kolumnen sind der ganz normale Wahnsinn. Eine Mischung aus dem Leben, das wir leben, und dem Leben, das wir vielleicht gerne führen würden.

Sollten Sie jetzt doch noch wissen wollen, warum ich annehme, dass alles wahr ist, was Silvia Aeschbach in der »Coopzeitung« schreibt: Weil uns eine jahrzehntelange berufliche und private Freundschaft verbindet. Ich weiß also, was sich in ihrem Leben zugetragen hat und was sich heute so tut. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass es noch jede Menge Schreib- und Lesestoff für die nächsten Jahre gibt.

Ich freue mich darauf! Auch, wenn ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung habe, ob Silvias Hellblond hundert Prozent Natur ist.

Silvan Grütter,
Chefredaktor der »Coopzeitung«, im Juli 2020

 

Keine Anleitung zum Erwachsensein

Erinnern Sie sich noch daran, wann Sie das erste Mal das Gefühl hatten: »Jetzt bin ich wirklich erwachsen!«? Passierte es nach dem ersten nicht jugendfreien Kuss? Nachdem der erste Rausch dazu geführt hatte, dass Sie am Morgen danach über der Kloschüssel hingen? Nach dem ersten verzehrenden Liebeskummer, den Sie nicht zu überleben glaubten? Oder nachdem Sie mit dem ersten Lohn auf den Putz gehauen hatten? Oder brauchte es länger, bis sich dieses ersehnte Gefühl einstellte? Nachdem Sie Ihrer/Ihrem Liebsten das Jawort gegeben hatten? Nachdem Sie zum ersten Mal Eltern geworden sind und Ihnen schlagartig klar wurde, dass Sie jetzt nicht mehr nur für sich selber verantwortlich sind? Oder nach dem Tod eines Elternteils, als Ihnen klar wurde, dass Sie jetzt vielleicht der/die Nächste sind?

Seit ich mich erinnern kann, wollte ich erwachsen sein. Denn ich dachte, Erwachsensein sei gleichbedeutend mit der Freiheit, das tun und lassen zu können, was ich wollte. Und nicht, was Eltern, Lehrer oder sonstige Autoritätspersonen von mir verlangten. Wenn ich nur das Wort Autorität hörte, bekam ich Gänsehaut. Und, ehrlich gesagt, geht es mir noch immer hin und wieder so. Was beweist, dass ich auch heute durchaus noch unerwachsene Momente habe.

In guten Zeiten spüre ich dies, wenn mich Gefühle überwältigen und ich die ganze Welt umarmen oder vor Sehnsucht platzen könnte. Dann, wenn ich mich mit jeder Faser meines Körpers und meiner Seele lebendig fühle. Und ich, trotz meinem Alter, überzeugt bin, mein Leben und meine Zukunft würden wie ein weißes Blatt vor mir liegen.

Schmerzhafter sind die Augenblicke, in denen ich an frühere schwierige Zeiten erinnert werde. Dieses »Triggern« macht, dass man ein altes Erlebnis oder Gefühl so spürt, als handle es sich um ein aktuelles Ereignis. Wenn ich mich etwa in einer fremden Umgebung verlaufe, kann es sein, dass ich mich plötzlich genauso elend fühle wie damals, als ich als kleines Mädchen meine Mutter beim Einkaufen verloren hatte. Eine ungerechte Kritik kann die Überzeugung auslösen, ich sei »dumm«, so wie mich mein Mathelehrer genannt hatte, als ich es an der Tafel nicht schaffte, eine schwierige Gleichung zu lösen. Und der Geruch von frischer Leber dreht mir noch heute den Magen um, weil ich diese früher wegen meiner Blutarmut essen musste.

Ja, ich bin heute erwachsen. Jedenfalls für mein Umfeld. Ich erledige meine Pflichten, übernehme Verantwortung für mich und andere, zahle meine Steuern und fühle mich nicht jedes Mal, wenn ich einen Polizisten sehe, als ob ich etwas ausgefressen hätte. Aber ich freue mich darüber, dass es immer noch viele Momente in meinem Leben gibt, in denen ich mich nicht erwachsen fühle. Auch wenn es ein bisschen wehtut, wenn ich mich dann manchmal nicht nur wunderbar, verrückt oder kindisch, sondern auch verlassen, ungeliebt oder dumm fühle.

Aber hey, das ist doch Leben!

 

Feiert das Leben, nicht die Feste!

Vielleicht finden Sie es etwas seltsam, dass ich gleich zum Jahresanfang übers Feiern schreibe. Schließlich haben viele von uns die Festtage noch nicht ganz verdaut. Und dies in verschiedener Hinsicht: Vielleicht klebt ja noch, bildlich gesehen, der Rest der Weihnachtsgans und der Crème brûlée an den Hüften, während im Portemonnaie gähnende Leere herrscht. Vielleicht sind Sie auch froh, dass jetzt wieder der Alltag eingekehrt ist. Denn seien wir ehrlich: Festtage sind doch immer auch etwas anstrengend, dies vor allem für uns Frauen, weil wir uns für alles und alle verantwortlich fühlen.

Nun ist der Januar nicht unbedingt der Wonnemonat, sondern ein echt nüchterner Geselle. Statt zu schlemmen, üben wir uns im Intervallfasten. Statt zu faulenzen, ist Fitness angesagt. Und statt die Abende faul neben dem Lieblingsmenschen und in Gesellschaft von Netflix auf der Couch zu verbringen, machen wir Budgetplanung mit dem Vorsatz, nach den Dezemberausgaben die Finanzen irgendwie wieder ins Lot zu bringen.

Doch Genuss braucht eine gewisse Askese. Denn ohne diesen Unterschied zu spüren, könnte man den Genuss ja nicht wirklich genießen. Oder etwa doch? Schließlich wissen wir ja bereits, wann das nächste Familienfest gefeiert wird. Nächster Halt: O wie Olten – nein: Ostern!

In unserer Kultur sind Feste und das Feiern Fixpunkte im Jahreslauf. Wir brauchen einen Grund, um zu feiern, sonst ist es uns nicht ganz wohl. Wobei mir bei der Aufforderung »Das muss jetzt gefeiert werden!« immer etwas seltsam zumute ist. Ich mag es nämlich nicht, auf Knopfdruck fröhlich sein zu müssen. Darum mag ich auch Silvester nicht. Okay, vielleicht spielt hier auch ein klein wenig mit, dass ich zweimal in meinem Leben an einem 31. Dezember verlassen wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ja, es mag unvernünftig sein, an einem kommunen Montagabend spontan ein Fläschchen Champagner zu köpfen; eben nicht, weil Neujahr gefeiert werden muss, sondern nur, weil der Wochenstart gelungen ist. Und warum warten wir eigentlich darauf, dass der Liebste am Hochzeitstag die üblichen langstieligen Rosen heimbringt, wenn man viel lieber himmelblaue Hortensien hätte? Doch wir sagen ihm das nicht, um ihn nicht zu verletzen und seine feierliche Stimmung zu dämpfen.

In diesem Zusammenhang denke ich an meine verstorbene Mutter, die sich an Beerdigungen immer darüber ärgerte, welche Blumenpracht aufgefahren wurde: »Ein Fünftel davon hätte den Verstorbenen zu Lebzeiten gefreut. Jetzt hat er nichts mehr davon.«

Man sollte das Leben feiern und nicht die Feste. Leistungen und Erfolge sind etwas Tolles. Aber sind es nicht die ganz persönlichen Erlebnisse, die uns mehr berühren und die es verdienen, dass man ihnen mehr Aufmerksamkeit schenkt? Auch ohne dass wir sie auf Facebook, Instagram und Twitter teilen. Besondere Momente warten nicht auf einen Termin in der Agenda. Man muss sie erkennen, festhalten und hochleben lassen.

 

Die Qual der Wahl

Kürzlich beschwerte sich eine Kollegin beim Mittagessen, dass sie es »sooo anstrengend« finde, sich ständig entscheiden zu müssen. »Wenn ich am Morgen im Restaurant einen Kaffee bestelle, überfordert mich das. Das Angebot ist einfach zu groß. Soll ich jetzt einen Latte nehmen, einen Cappuccino oder besser einen Espresso mit Milch?« Wenn sie sich bereits so früh anstrengen müsse, um das richtige Getränk auszusuchen, bleibe ihr »womöglich keine Energie mehr für die wirklich wichtigen Entscheidungen im weiteren Verlauf des Tages«. »Recht hast du«, mischte sich eine andere Kollegin ein, »ich habe das Problem, beim Einkaufen unter den zwanzig verschiedenen Müesli zu wählen. ›Hätte es nicht noch ein Besseres gegeben?‹, frage ich mich jeweils nach dem Bezahlen.«

»Genau«, seufzte die Dritte, »für die Frühlingsferien muss ich mich wieder entscheiden, ob ich lieber in die Karibik oder auf die Seychellen reisen will. Das ist so anstrengend.«

Ich musste laut herauslachen und mich zusammennehmen, um keinen zynischen Kommentar abzugeben. Merkten die drei denn nicht, welches Luxusproblem es ist, aus so vielen Varianten aussuchen zu dürfen? Mindestens die Hälfte der Menschheit würde Luftsprünge vor Freude machen, hätte sie überhaupt eine Wahlmöglichkeit. Und nein, nicht nur die Menschen in Syrien und anderen Kriegsgebieten haben keine Wahlmöglichkeiten, auch in der Schweiz gibt es viele, die sich die Frage nach dem »richtigen« Kaffee nicht stellen können, weil sie schlicht nicht das Geld haben, einen zu kaufen. Natürlich kann ein Überangebot verwirren und unsere Überflussgesellschaft kann stressen, aber eine große Auswahl ist doch besser, als keine Auswahl zu haben.

Unsere Welt ist in den vergangenen Jahren immer komplizierter geworden. Wie lerne ich, unter zwanzig Augencremen jene herauszufinden, die für mich am besten ist? Aus hundert Büchern jenes zu wählen, das mich am meisten fesselt? Beim riesigen Fernsehprogramm jenen Film zu schauen, der die Zeit auch wert ist?

Sicher ist: Das Ziel kann nicht sein, die Vielfalt zu verringern, wie radikale Kritiker der Konsumgesellschaft dies fordern. Menschen müssen lernen, wie man die richtige Wahl trifft, indem sie sich vermehrt informieren, abwägen und lernen, auf ihre Bedürfnisse zu hören. Fragen wie »Was brauche ich?«, »Was macht mich glücklich?« und »Auf was kann ich verzichten?« werden immer wichtiger. Eine solche Innenschau kann helfen, das Selbstbewusstsein zu stärken, denn wenn ich weiß, was mir guttut, bin ich auch besser gegen die vielfältigen Verführungen gefeit. »Wo fühlst du dich denn am glücklichsten?«, fragte ich meine Kollegin, die nicht wusste, wo sie ihre Ferien verbringen möchte. »Am liebsten würde ich mal zu Hause bleiben und richtig faulenzen«, meinte sie nachdenklich. Manchmal ist es so einfach, die richtige Entscheidung zu treffen.

 

Leben von A bis Z

Manchmal habe ich das Gefühl, ich stehe im Wald, oder konkreter gesagt, ich lebe manchmal etwas antizyklisch. Zum Beispiel, wenn in Mode und Design grad mal wieder schwarz-weißer Minimalismus angesagt ist, während ich von üppigen Hüllen in Samt und Seide träume, natürlich in Regenbogenfarben. Oder wenn ich auf dem Teller beim Sternekoch die Erbsen und Zwiebelchen zählen muss, während vor meinem geistigen Auge eine richtig schön verbrannte Bratwurst und ein Bürli (Achtung: Weißbrot!) vorbeiziehen. Und vielleicht noch eine klitzekleine Mousse au Chocolat. Und ja, ich weiß, die japanische Aufräumfee Marie Kondo predigt in ihren Büchern äußerst erfolgreich den minimalen Besitz: »Behalte nur, was dir Freude macht. Besitze nur, was du brauchst.« Und das dürfen, ihrer Philosophie nach, etwas zugespitzt gesagt, höchstens hundert Dinge sein. Ich bewundere Menschen, die sich so beschränken können. Mir fällt das Spartanische schwer, ich schöpfe lieber aus der Fülle. Nicht zu verwechseln übrigens mit dem sinnlosen Überfluss, der ein schlechtes Lebensgefühl kompensieren muss.

»Zu viel von einer guten Sache kann wunderbar sein«, sagte einst Mae West. 1893 geboren, war Mae ein ziemlich patentes Mädchen, das im Hollywood der 1930er-Jahre zu den bestbezahlten Filmstars zählte, aber auch als Drehbuchautorin arbeitete; eine Seltenheit in der damaligen Zeit. Heute könnte man West vielleicht mit Madonna vergleichen. Jedenfalls bevor diese zur knallharten Geschäftsfrau mutierte. Als Mae West mit siebenundachtzig Jahren starb, konnte sie auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Eine Frau, die aus dem Vollen geschöpft und selten etwas bereut hatte. Und die, im Gegensatz zu anderen berühmten Hollywood-Film-Blondinen wie Marilyn Monroe nie das Opfer war, sondern ihr Leben stets selber in der Hand hatte.

»Wer nicht genießt, wird ungenießbar«, wusste übrigens ein paar Jahrhunderte zuvor schon der Dichter Friedrich von Schiller. Man muss es ja nicht dem Sänger Konstantin Wecker nachmachen, der den Genuss mit fast den gleichen Worten pries, bei dem der zügellose Genuss allerdings in reine Maßlosigkeit und eine schwere Drogensucht mündete.

»Mit zunehmendem Alter sollte man sich beschränken«, höre ich immer wieder. Ich frage: Warum bloß? Sollte man, wenn die verbleibende Lebenszeit kürzer wird, nicht noch einmal aus dem Vollen schöpfen? Etwas Außergewöhnliches wagen und darauf pfeifen, was die Leute sagen? Sich über Konventionen hinwegsetzen und nur den eigenen Gefühlen folgen? Einfach mal unvernünftig sein und in den Tag hineinleben? Der Spruch »Man bereut im Leben nur die Dinge, die man nicht gemacht hat« stammt zwar nicht von Mae West, aber er passt perfekt zu ihrer Persönlichkeit. Und manchmal, so hoffe ich jedenfalls, auch zu meiner.

 

In erster Linie Mensch

Manchmal erfahre ich aus der Zeitung Erstaunliches, und ich frage mich: Spinnen eigentlich alle? Neulich passierte das an einem Tag, der mies gelaufen war und an dem mein Kopf trotz Tablette schmerzte. Also beschloss ich, eine Nacht darüber zu schlafen, bevor ich mein endgültiges Urteil fällte. Acht Stunden später ging es mir wieder gut. Und nach weiteren acht Minuten, die ich brauchte, um den Text über die sogenannte Genderisierung bei deutschen Primarschülern noch einmal zu lesen, fiel meine Reaktion wieder gleich aus: Die Welt spinnt! Laut diesem Artikel fällt es Kindern heute zunehmend schwer, zu beurteilen, ob sie sich als Mädchen oder Bub fühlen. Und dies könne im konkreten Fall dazu führen, dass manches Kind verunsichert sei, welche Toilette es nun benutzen solle. Als Lösung sah der Autor »genderfluide« WCs, die von allen benutzt werden könnten.

Die Gender-Politik geht davon aus, dass es naturgemäß keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt. Und dass wir aufgrund unserer Erziehung in unsere Rolle gedrängt werden. Dass mich also die rosa Kleider, die ich als Kind geliebt habe, und die Tatsache, dass ich in meiner Mini-Kinderküche begeistert Kuchen buk, zu der machten, die ich heute bin: eine Frau, die nie gut in Mathematik war (Klischee erfüllt), immer noch viel Freude an schönen Kleidern hat (Klischee erfüllt) und – aber, hallo! – trotz früheren Backfreuden heute nicht mehr gern in der Küche steht. Also war der Versuch meiner Eltern, mich als Mädchen zu prägen, doch nicht hundertprozentig erfolgreich. Denn trotz meinen Vorlieben für »Mädchensachen« war ich ein ausgesprochener Wildfang. Hätten Sie mich als Kind gefragt, ob ich mich als Mädchen oder Bub fühle, ich hätte wohl laut aufgelacht und geantwortet: »Ich bin doch einfach Silvia!« Und die Tatsache, dass meine energische Mutter zu Hause das Sagen hatte und mein Vater eher weich und verträumt war, hat auch nie dazu geführt, dass ich punkto Geschlechter verwirrt gewesen wäre. Meine Eltern waren einfach Mami und Papi.

Dass ich mich über diesen Artikel aufgeregt habe, hat nichts damit zu tun, dass ich Menschen, die sich in ihrer Identität nicht wohlfühlen, verurteilen würde. Im Gegenteil, ich stelle es mir als schrecklich vor, im falschen Körper zu leben. Auch die stereotypen Vorstellungen, wie sich Männer und Frauen in unserer Gesellschaft zu fühlen oder zu verhalten haben, finde ich völlig veraltet. Aber die Diskussionen, wo jetzt die Grenze zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit zu ziehen sei, wenn es diese denn überhaupt gebe, halte ich für absurd. Und nebenbei: Genderfluide Menschen gab es schon immer. Denken Sie an Künstler wie David Bowie oder Mick Jagger, die sich gerade in dieser Hinsicht erfolgreich inszenierten. Und sich sicher nie gefragt haben, welche Identität nun die richtige sei.

Ich habe im letzten Dezember die Eltern meines Großneffen gefragt, was sich der Kleine, der noch nicht sprechen kann, wohl auf Weihnachten wünsche. Sie meinten, entweder einen kleinen Baukran oder ein Bäbi. Er bekam beides und spielt jetzt abwechselnd damit. Und wie er sich auch immer entwickeln wird, ich bin sicher, er wird von seinem Umfeld in seinen Neigungen und Interessen unterstützt werden. Denn wie für ihn, so gilt für uns alle: In erster Linie sind wir doch Menschen.

 

Gebratener Cervelat auf zwei Beinen

Wenn ich in der kalten Jahreszeit um die Mittagszeit aus einem überfüllten Tram aussteige, kann ich anhand der Ausdünstung meiner Kleider sagen, was die Menschen neben, vor und hinter mir gegessen haben. Selbst wenn es nur eine kurze Fahrt war: Mein Wollschal riecht eindeutig nach Curry. Dem Mantel haftet mehr als ein Hauch Kebab (mit einer großen Portion Zwiebeln) an. Und wenn mich meine Hunde bei der Begrüßung am liebsten auffressen würden, weil sie mich ein paar Stunden nicht gesehen haben, passiert dies nicht aus reiner Freude, sondern weil mich eine verführerische Gebratene-Wurst-Aura umgibt. Von jener Wurst, die wenige Minuten zuvor der Nachbar auf dem Nebensitz im Tram verschlungen hat.

Ich kann Millie und Louis gut verstehen. Der köstliche Duft eines knusprig gebratenen Cervelats kann auch mich entzücken. Besonders dann, wenn ich ihn draußen an einem Lagerfeuer genieße. Aber wenn sich dieser markante Geruch auf engstem Raum mit jenem von anderen »Köstlichkeiten to go« vermischt – vielleicht noch von leisen Schmatzern, dem einen oder anderen Rülpser oder gar einer anderen menschlichen Ausdünstung untermalt wird –, kann es sein, dass mir übel wird. Selbst wenn ich hungrig ins Tram gestiegen bin.

Und noch mühsamer wird es, wenn mein Magen schon vorher etwas angeschlagen war. Dann hilft nur noch das Aussteigen an der nächsten Haltestelle. Wenn Sie jetzt denken, es würde mir sowieso guttun, wenn ich mich etwas mehr bewegen würde, statt immer zu fahren, gebe ich Ihnen recht. Aber manchmal muss es im Alltag halt zügig gehen. Und die Termine nehmen keine Rücksicht auf Döner und Fritten.

Vielleicht bin ich pingelig, aber ich mag es einfach nicht, wenn meine Kleider und Haare nach Essen riechen. Das ist nicht nur nach dem Tramfahren so, sondern auch, wenn ich nach einem Nachtessen mit Freunden nach Hause komme und mich mein Mann mit der Feststellung begrüßt: »Ah, heute Abend gab es Fondue mit ein paar Gläschen Weißem«, oder schlicht mit: »Spaghetti aglio e olio«. Etwas mulmig wird mir, wenn er fragt: »Bist du sicher, dass der Fisch frisch war?«

Lustigerweise scheinen ihn Essensgerüche an mir weniger zu stören als mich selber. Das kann aber auch daran liegen, dass er momentan am Abend weniger isst, um etwas Gewicht zu verlieren. Da ist so ein gebratenes Güggeli – auch wenn es nur als Duftnote daherfliegt – durchaus willkommen.

Immer mehr Menschen essen am Bürotisch ihre Mahlzeiten, die sie vorher in der Mikrowelle aufgewärmt haben. Oder sie essen eben im Tram, im Bus, im Zug oder auf der Straße. Das wäre nichts für mich, weil für mich so der Genuss flöten geht. Aber auch bei mir kommt es vor, dass ich aus Zeitnot unterwegs eine Frucht oder ein Sandwich esse. Aber nie eine warme Mahlzeit in einem öffentlichen Verkehrsmittel!

Ich will vermeiden, dass der erste Eindruck, den ich auf andere mache, der eines gut gebratenen Cervelats auf zwei Beinen ist.