Über den Autor:

Dino Reisner arbeitet bundesweit als Sportjournalist und Buchautor mit den Schwerpunkten Basketball, Eishockey, Tennis und Fußball. Er schrieb u. a. bereits Biografien über Dirk Nowitzki, Marco Sturm, Michael Ballack und Pep Guardiola.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Copress Verlag

erschienenen Printausgabe (ISBN 978-3-7679-1263-2).

Redaktionsschluss: 5. März 2020

Bildnachweis

Cover und Innenteil: imago images (www.imago-images.de),

außer (Seitenangaben aus der Printausgabe): S. 4 (D. Reisner; privat),

24 (J. Dittwar; 1. FC Nürnberg), 37 (J. Bitter; MSV Duisburg), 53 (D. Müller; privat),

65 (Witters), 81 (J. Behle; privat), 128 (A. Wagner; privat),

139 (Manchester City; mancity.com), 159 (R. Hettich; privat)

© 2020 der deutschen Ausgabe:

Copress Verlag in der

Stiebner Verlag GmbH

Hirtenweg 8 b

82031 Grünwald

www.copress.de

Covergestaltung, Layout und Lektorat: Pierre Sick

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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ISBN 978-3-7679-2089-7

»Nur weil er Fußballprofi ist, braucht er nicht zu denken, er sei intelligenter als ein Koch oder Straßenfeger. Das ist ein Beruf – mehr nicht.«

Souleyman Sané über seinen Sohn Leroy

INHALTSVERZEICHNIS

Vorspiel. Vom Reservespieler zum Weltstar

I.Gute Gene

Militär statt Fußball

Wechsel in die Bundesliga

Neue Heimat Wattenscheid

Kampf gegen Rassismus

Interview mit Jörg Dittwar

II.Anpfiff

Anfänge auf dem Aschenplatz

Schlüsselspieler waren andere

Große Schritte

Interview mit Joshua Bitter

III,Das Talent

Lektionen durch Trainer Elgert

Erfolge in der Youth League

Bundesligadebüt am Ostersonntag

Zwischen den Welten

Interview mit Detlef Müller

IV.Der Durchbruch

Ein Abend im Bernabéu

Höhen und Tiefen

Ein Spieler für die besonderen Momente

Im Rampenlicht

Interview mit Jochen Behle

V.Der Wechsel

Interesse von der Insel

Der erste Durchhänger

Abschied von Schalke

Schwieriger Start in Manchester

Interview mit Matthias Seidel

VI.Der Star

Trautmanns Erben

Leroy Sané startet durch

Eine Klasse für sich

Triple mit Man City

Kontakt zum FC Bayern

Interview mit Andreas Wagner

VII.Der Umstrittene

Debüt im Schatten des Terrors

Als Joker zur EM

Ein Schritt zurück

Glücklich mit Rio Stella

Interview mit Robert Hettich

Nachspiel

Steckbrief Leroy Sané

Literatur- und Quellenverzeichnis

VORSPIEL

VOM RESERVESPIELER ZUM WELTSTAR

20. Mai 2012: Ein angenehmer Frühlingssonntag in Gelsenkirchen. Knapp über 100 Zuschauer, nach offizieller Zählung sind es 111, verfolgen am späten Vormittag auf dem Sportplatz des Schulzentrums Ückendorf im Süden der Stadt die Partie der U17-Bundesliga West zwischen dem FC Schalke 04 und Rot-Weiss Essen. Wieder einmal drückt Leroy Sané bei Schalke nur die Reservebank, wie fast immer in dieser zu Ende gehenden Saison. Die Hauptrollen in der Mannschaft spielen andere. Eine Viertelstunde vor Schluss kommt der 16-Jährige ins Spiel, Schalke rettet die 2:1-Führung über die Zeit.

10. März 2015: Ein frischer Dienstagabend in Madrid. Leroy Sané wirbelt vor knapp 70.000 Zuschauern, offiziell sind es 69.986, über den Rasen des Estadio Santiago Bernabéu. In der 59. Minute des Champions-League-Achtelfinales bei Real Madrid trifft der 19-Jährige mit einem frechen Schuss vom Strafraumrand an Weltmeister-Torhüter Iker Casillas vorbei ins lange Eck zum 3:3. Schalke gewinnt 4:3, die Medien feiern den Angreifer als Ausnahmetalent.

13. November 2015: Ein nasskalter Novemberabend in Paris. Nach gerade einmal 24 Bundesliga-Einsätzen streift Leroy Sané vor 60.000 Zuschauern im Stade de France erstmals das Trikot der deutschen A-Nationalmannschaft über. Sein Debüt wird jedoch überschattet von den Terroranschlägen an diesem Tag in der französischen Hauptstadt.

2. August 2016: Leroy Sané, 20 Jahre alt, wechselt nach nur 47 Bundesliga-Einsätzen und vier A-Länderspielen für 50 Millionen Euro Ablöse zuzüglich Bonuszahlungen zum englischen Spitzenclub Manchester City. Eine derart hohe Summe wurde niemals zuvor für einen deutschen Profi bezahlt. Bisheriger Rekord waren 47 Millionen Euro, die der FC Arsenal aus London 2013 für die Verpflichtung von Mesut Özil an Real Madrid überwiesen hatte.

19. Dezember 2018: Nach zweieinhalb Spielzeiten in der Premier League erreicht der Marktwert von Leroy Sané nach Berechnungen des renommierten Portals Transfermarkt.de den neuen Rekordwert von 100 Millionen Euro. Der 22-Jährige ist damit der wertvollste Spieler der deutschen Fußballgeschichte, weltweit ist er zu diesem Zeitpunkt die Nummer elf.

Es gibt wohl keinen anderen deutschen Fußballer, der sich innerhalb so kurzer Zeit vom Reservespieler bei der U17-Mannschaft seines Vereins zum Weltstar entwickelt und bereits in jungen Jahren einen ähnlichen Hype ausgelöst hat wie Leroy Sané. In seinen nur 57 Pflichtspielen für den FC Schalke 04 in Bundesliga, DFB-Pokal und Europapokal galt der pfeilschnelle und technisch versierte Flügelspieler als Ausnahmetalent, in seinen ersten drei Spielzeiten bei Manchester City avancierte er zum Weltstar.

Doch selbst im heutigen digitalen Zeitalter bleibt Deutschlands teuerster Fußballer vielen Fans und den allermeisten seiner 4,8 Millionen Instagram-Abonnenten ein Rätsel. Vom FC Schalke 04 wurde der junge Spieler bewusst aus der Öffentlichkeit gehalten, auch nach seinem Wechsel auf die Insel blocken er bzw. sein Management Interviewanfragen kategorisch ab. Er möge es nicht so gerne, über sich selbst zu reden, sagte Leroy Sané einmal, deshalb mache er auch in der Mixed Zone nach den Spielen selten bis gar nicht halt. In Manchester lebt er in einer abgeschirmten Welt. Einladungen ins Aktuelle Sportstudio des ZDF lehnte er bisher regelmäßig ab, sogar die Bild-Zeitung, der viele andere Sportler ansonsten alle Türen öffnen, bleibt außen vor.

Dieses Buch möchte dem »Phänomen Leroy Sané« auf den Grund kommen. Es ist als dokumentarische Langzeitbeobachtung angelegt. Sein Inhalt stützt sich auf intensive Recherchen in Zeitungsarchiven, auf authentische Quellen und zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen. Befragt wurden Personen, die Leroy Sané kennen und ihn ein Stück seines Weges begleitet haben – manche für Jahre, andere nur für ein paar Wochen oder Tage. Nicht alle angefragten Interviewpartner wollten über ihn reden, einige wollten nicht namentlich genannt werden. Der Band über Leroy Sané entstand in der langen Tradition der Sportlerbiografien im Copress Verlag und dem internationalen Trend auf dem Buchmarkt folgend unabhängig vom Sportler und dessen Management. Das versetzte mich als Autor in die Lage, seine Geschichte völlig unvoreingenommen zu ergründen, ohne mich von gewissen Rücksichten und Einflüssen behindern zu lassen. Wer dieses Buch liest, wird verstehen, was damit gemeint ist.

Dino Reisner im März 2020

I.

GUTE GENE

Wer die Geschichte von Leroy Sané erzählt, muss zunächst die Geschichte seines Vaters erzählen. Zwischen 1984 und 1999 war Souleyman Sané selbst als Fußball-Profi in Erster und Zweiter Bundesliga aktiv. Der gebürtige Senegalese machte damals vor allem durch seine Schnelligkeit von sich reden. Heute steht Souleyman Sané seinem Sohn als wichtiger Ratgeber zur Seite.

Militär statt Fußball

Rückblende, Paris 1982: Souleyman Sané erinnert sich noch genau an den Tag, der sein Leben veränderte. Der 21-Jährige kehrte gerade heim von einem Urlaub mit Freunden an der Côte d’Azur, als ihn seine Eltern mit einem behördlichen Bescheid in den Händen empfingen: Er habe seinen Militärdienst abzuleisten in der Fremde, am französischen Stützpunkt in Donaueschingen, im Schwarzwald, in Deutschland. Tagelang hatten die Eltern zuvor versucht, ihren Sohn telefonisch zu erreichen – vergeblich, Handys gab es damals noch nicht. Doch nun war sie verstrichen, die Einspruchsfrist, die ihn vielleicht vor dem Umzug ins kalte Deutschland hätte bewahren können. »Ich habe mich sofort informiert und sah: Im Winter sind es dort minus zehn Grad. Ich sagte: Leck mich am Arsch! Das halte ich nicht aus«, berichtete Sané viele Jahre später in einem Interview mit dem Magazin 11 Freunde.

Für den jungen, talentierten Fußballer, den seine Mitspieler Samy riefen, brach damals eine Welt zusammen. Beim Drittligisten ES Viry-Chatillon hatte er gerade seinen ersten großen Vertrag unterschrieben, der ihm ein Monatsgehalt von 6.000 Franc garantierte, umgerechnet 2.000 D-Mark, viel Geld zur damaligen Zeit. Es war ein erster Schritt hin zu seinem Traum, einer Karriere als Fußballprofi, vor der ihn seine Eltern jedoch stets abgeraten hatten. »Souleyman, was für ein Quatsch! Fußball ist kein Beruf!«, bekam er von seinem Vater des Öfteren zu hören. Die Eltern hatten Wert auf eine bodenständige Ausbildung gelegt, deshalb absolvierte der junge Souleyman nach seiner Schulzeit auch eine Lehre als Konditor. Sein Vater und seine Mutter waren bemüht, sich rasch zu integrieren in das Land, in das sie 1965 als Gastarbeiter aus dem Senegal gekommen waren.

Souleyman war vier Jahre alt, als die neunköpfige Familie von Dakar nach Toulouse übergesiedelt war. Seine Eltern erhofften in Frankreich eine bessere berufliche und soziale Perspektive für sich und ihre Kinder. Als der Vater einen Posten an der senegalesischen Botschaft annahm, zog die Familie von Südfrankreich nach Paris. Souleyman, inzwischen französischer Staatsbürger, schloss sich mit 17 Jahren dem Vorortverein ES Viry-Chatillon an. Rasch schaffte er es in die Erste Mannschaft, war in der Saison 1981/82 deren bester Torschütze. Doch nun auf einmal Militär statt Fußball, Donaueschingen statt Paris. Souleyman Sané konnte aber auch dort nicht vom Leder lassen. Er spielte zunächst in der Auswahlmannschaft der Fürstenberg-Kaserne. Ein Leutnant nahm ihn dann einmal mit zum Training des örtlichen Verbandsligisten FV Donaueschingen. Und der pfeilschnelle Angreifer – seine Bestzeit über 100 Meter lag bei 10,7 Sekunden – wusste den Trainer und die Vereinsverantwortlichen sofort zu überzeugen. Schon kurze Zeit später nahm er an den Pflichtspielen teil. Bei seinen Mitspielern erlernte er die wichtigsten Begriffe der deutschen Sprache. Mit seinen Toren bewahrte er den FVD vor dem Abstieg.

Nicht mehr als ein Jahr hatte Souleyman Sané im Schwarzwald geplant. Doch es kam anders. Der Vereinspräsident und die Mitspieler baten ihn, nach Ende seines Militärdienstes zu bleiben. Ein Sponsor schuf dafür die Voraussetzungen: Sané erhielt das gleiche Gehalt, das er auch bei Viry-Chatillon hätte verdienen können. Von Profitum war er jedoch weit entfernt. Tagsüber musste er für den Hauptsponsor, einen Schuhhersteller, arbeiten. Das Training fand erst in den Abendstunden statt.

24 Tore erzielte er in der Saison 1984/85, die auch den benachbarten Zweitligisten SC Freiburg aufmerksam werden ließen. Im Sommer 1985 schloss sich der Senegalese mit französischen Pass dem Sport-Club an, den ein massives Sturmproblem plagte. Die Vorsaison hatte die Mannschaft von Trainer Anton Rudinsky zwar mit ausgeglichenem Punktekonto (38:38) auf dem achten Platz abgeschlossen. Die 45 erzielten Tore waren jedoch die schwächste Ausbeute der Liga neben Absteiger Kickers Offenbach (43). Zusammen mit einer anderen Neuverpflichtung sollte Sané der Offensivschwäche abhelfen: Von Bundesliga-Absteiger Karlsruher SC kehrte der damals 25-jährige Joachim Löw zurück in den Breisgau, nachdem er sich im Oberhaus weder beim KSC noch zuvor beim VfB Stuttgart und bei Eintracht Frankfurt hatte durchsetzen können.

»Leroy hat die guten Gene seines Vaters geerbt, ein Glücksfall für uns.«

Schalke-Manager Horst Heldt im Frühjahr 2015 über Leroy Sané

Souleyman Sanés Zweitliga-Debüt verlief enttäuschend. Beim 1:1 im heimischen Dreisamstadion gegen die Stuttgarter Kickers wurde er nach 57 Spielminuten ausgewechselt. Das Fachblatt Kicker berichtete danach wie folgt: »Souleyman Sané ist bestimmt ein großes Talent, schnell und technisch gut wie fast alle Afrikaner, die sich als Fußballer betätigen. Aber er ist kein Mann für den harten Zweikampf und keiner, der nachsetzt, wenn er einen Ball verloren hat.« Ein Makel, der viele Jahre später auch seinem Sohn Leroy nachgesagt werden sollte. Doch Souleyman Sané biss sich durch. Am fünften Spieltag bei der 2:4-Heimniederlage gegen Arminia Bielefeld erzielte er seinen ersten Zweitliga-Treffer. Bis zur Winterpause standen bereits neun Tore in 19 Spielen zu Buche, zu Saisonende waren es gar 18 – damit belegte er in der Torschützenliste der Zweiten Bundesliga den fünften Platz. Für die Saison 1986/87 unterschrieb Souleyman Sané zunächst einen Vertrag beim Ligakonkurrenten Fortuna Köln, überlegte es sich dann aber doch anders. 100.000 Mark Entschädigung an die Fortuna ließen sich die Freiburger den Verbleib ihres Torjägers kosten – Sané bedankte sich für das Vertrauen mit 17 Saisontoren (genauso viele erzielte Joachim Löw). Bundesligist FC Homburg bot nun 600.000 D-Mark Ablöse für den Torjäger, Zweitligist Kickers Offenbach war sogar bereit, noch tiefer in die Tasche zu greifen. Freiburgs Zweiter Vorsitzender Wolfram Haspel (»Unter einer Million geht gar nichts mehr«) wischte aber sämtliche Angebote vom Tisch, Sané blieb eine weitere Saison im Breisgau.

Wechsel in die Bundesliga

Ab der Saison 1987/88 kümmerte sich Versicherungsvertreter Heinz Gruler aus Tuttlingen um die Interessen des Torjägers. Gruler war ein Spielerberater der ersten Stunde, zu seinen Klienten gehörten unter anderem Bayern-Torhüter Jean-Marie Pfaff, 1980-Europameister Karlheinz Förster und der spätere Weltmeister Guido Buchwald vom VfB Stuttgart. Gruler sondierte Anfragen aus Sanés Heimat von den Erstligisten Girondins Bordeaux, FC Toulouse und AS Monaco. Interesse bekundeten auch Eintracht Frankfurt, der VfL Bochum und FC Schalke 04. »Dass ich aus Freiburg weggehe, ist inzwischen sicher«, verkündete Sané in der Winterpause 1987/88. »Drei Jahre sind genug.« Das Rennen machte schließlich der 1. FC Nürnberg. Bereits im Februar unterschrieb er einen ab der Saison 1988/89 gültigen Zweijahresvertrag beim fränkischen Traditionsverein, der sich am Saisonende als Bundesliga-Fünfter erstmals seit 20 Jahren wieder für einen Europapokal-Wettbewerb qualifizieren konnte. Freiburg kassierte eine Ablöse von 650.000 D-Mark. Mit 21 Treffern verabschiedete sich der inzwischen 27-Jährige als Zweitliga-Torschützenkönig.

Für seinen neuen Arbeitgeber traf Sané gleich im ersten Pflichtspiel doppelt: Beim 4:1-Sieg im DFB-Pokal beim Oberligisten SSV 1846 Ulm steuerte er das 2:0 und 4:0 bei. In der Bundesliga gelang ihm sein erstes Tor am dritten Spieltag, damit konnte er jedoch die 2:3-Niederlage bei Bayer 05 Uerdingen nicht verhindern. Zwei Wochen später erzielte er beim 3:1-Heimsieg gegen den VfL Bochum einen Treffer selbst und bereitete einen weiteren durch seinen Sturmpartner Dieter Eckstein vor. Nach dem Spiel konstatierte er: »Langsam aber sicher schaffe ich die Umstellung vor der Zweiten in die Erste Liga.« Im Frankenstadion avancierte der Neuzugang rasch zum Publikumsliebling, Club-Präsident Gerd Schmelzer freute sich: »Mit Samy Sané und Dieter Eckstein haben wir den schnellsten Sturm der Bundesliga!«

Die Tore ließen auch Michel Platini, den Teamchef der französischen Nationalmannschaft, aufhorchen. »Er ist sogar nach Nürnberg gekommen. Ich war mit ihm essen, und er hat versucht, mich zu überreden, für Frankreich zu spielen«, erinnerte sich Sané im 11 Freunde-Interview. Zu einem Einsatz in der Equipe tricolore kam es allerdings nicht. Auf Drängen seines Vaters (»Es war ihm sehr wichtig, dass ich für unser Heimatland spiele«) entschied er sich für die Nationalmannschaft Senegals. »Dabei war ich seit über 20 Jahren nicht dort gewesen.« Seine erste Reise zu einem Länderspiel ist ihm unvergessen geblieben: »Ich lebte schon lange in Deutschland und kannte ganz andere Maßstäbe. Ich kam damals im Mannschaftshotel an und dachte, ich sei auf einem Flohmarkt gelandet. Da gingen neben den Spielern hunderte von wildfremden Menschen ein und aus. Plötzlich saßen Verwandte, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, bis tief in die Nacht bei mir auf dem Zimmer – vor einem wichtigen Spiel.« Dreimal nahm Souleyman Sané in den folgenden Jahren für sein Geburtsland am Afrika-Cup teil, die Angaben über seine absolvierten Länderspiele schwanken zwischen 32 (Kicker) und 55 (Transfermarkt.de). Auch wenn es niemals zur Qualifikation für eine Weltmeisterschaft reichte, hat er die Entscheidung für den Senegal »nicht bereut«.

»Die Hallen sind für mich zu klein. Wenn ich richtig loslaufe, bin ich ja schon aus der Halle draußen.«

Souleyman Sané über den in den 1980er Jahren populären Hallenfußball

Seine wohl beste Leistung während seiner zwei Jahre im Club-Dress bot Souleyman Sané bei seinem Debüt auf europäischer Bühne, der Erstrundenpartie im UEFA-Pokal 1988 gegen AS Rom. Beim überraschenden 2:1-Auswärtssieg im Stadio Flaminio – das Olympiastadion wurde damals für die WM 1990 umgebaut – war er an beiden Treffern beteiligt. Unmittelbar vor der Pause köpfte er zur Führung ein, in der 57. Minute bereitete er mit der Hacke den Siegtreffer von Dieter Eckstein vor. Die FCN-Vereinszeitschrift Der Club schrieb damals: »Zum Schrecken der römischen Verteidigungs-Experten mauserte sich die schwarze Perle Souleymane Sané. Wie er beim Club-Führungstor den Ball in die Maschen köpfte, stimmte die fußballverrückten Tifosi teilweise ehrfurchtsvoll, ließ sie aber auch ihre eigenen Top-Stars verdammen.« In Reihen der Römer stand damals unter anderem Rudi Völler. Die italienische Tageszeitung Il Messagero bemühte ein abgedroschenes Wortspiel: »Es war beschämend, wie der 600.000-Mark-Stürmer Sané fast alleine eine 80-Millionen-Mark-Mannschaft lächerlich spielte und den mitgereisten deutschen Fans Sahne für die Seele servierte.« Im Rückspiel in Nürnberg revanchierten sich die Italiener und warfen den Club aus dem Wettbewerb – der Brasilianer Renato erzielte den entscheidenden Treffer zum 3:1 in der dritten Minute der Nachspielzeit.

Nach zwei Jahren trennten sich die Wege von Sané und dem Club. Sechs Tore erzielte er in seiner ersten Saison, ebenfalls sechs waren es in der zweiten. Trainer Hermann Gerland und seinen Teamkollegen trieb er jedoch mit seiner mangelhaften Chancenverwertung so manches Mal die Sorgenfalten auf die Stirn. Im Frühjahr 1990 plante der neue Club-Sportdirektor Arie Haan nicht mehr mit dem Senegalesen.

Neue Heimat Wattenscheid

Nach einem kurzen Flirt mit Fenerbahce Istanbul – die Vorstände Aziz Yilmaz und Yusuf Duru weilten zu Verhandlungen in Nürnberg – wechselte Sané gemeinsam mit Verteidiger Stefan Kuhn für eine Ablöse von 950.000 D-Mark zur SG Wattenscheid. Beim Bundesliga-Aufsteiger sollte er den nach Köln abgewanderten Torjäger Maurice Banach ersetzen – und er ließ diesen rasch in Vergessenheit geraten. Die vier Jahre im Lohrheidestadion wurden zur erfolgreichsten Zeit seiner Karriere.

»Ich habe den Namen meines Vaters öfter auf Youtube eingegeben, mir seine Tore angeschaut. Ich bin stolz auf meinen Vater und seine Karriere. Er ist ein Vorbild für mich, auch als Fußballer.«

Leroy Sané über seinen Vater Souleyman

Sané genoss das Vertrauen von Trainer Hannes Bongartz, mit seinen Sturmkollegen Uwe Tschiskale, Ali Ibrahim und später Marek Lesniak sorgte er dafür, dass sich die »graue Maus« in der Bundesliga etablierte. Im westlichen Bochumer Stadtteil lernte er auch seine spätere Frau Regina Weber kennen, eine ehemals äußerst erfolgreiche Sportgymnastin, die in den 1980er Jahren mehrmals Deutsche Meisterin wurde und 1984 in Los Angeles die bis heute einzige olympische Medaille (Bronze) in dieser Sportart für Deutschland holte. In Wattenscheid wurde er auch nach seiner aktiven Karriere sesshaft. »Hier ist meine Familie, hier zahle ich meine Steuern, hier fühle ich mich wohl«, gab er in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung zu Protokoll. Zu den Höhepunkte in seinen vier Bundesliga-Jahren im SG-Dress zählten sein Dreierpack 1990 zum 3:1-Sieg beim Karlsruher SC, der 3:2-Erfolg 1991 gegen Bayern München vor 35.000 Zuschauern im Bochumer Ruhrstadion, bei dem er in der 89. Spielminute den Siegtreffer durch Thorsten Fink vorbereitete. Und sein Doppelpack zum 2:0-Sieg 1992 im Bochumer Stadtduell gegen den VfL. In 117 Bundesliga-Spielen für die SG gelangen ihm 39 Tore – so viele wie keinem anderen in der Wattenscheider Bundesliga-Historie. Später wurde er von den Fans zum Jahrhundertspieler des Vereins gewählt.

Nach dem Bundesliga-Abstieg 1994 suchte Sané eine neue sportliche Herausforderung. »In Wattenscheid wollte ich nicht bleiben, weil ich keine Lust habe, in der Zweiten Liga zu spielen. Das kann ich noch, wenn ich 40 bin«, sagte er. Ein Wechsel zu Schalke 04, wo Trainer Jörg Berger seinen ehemaligen Schützling aus gemeinsamen Freiburger Tagen gerne gesehen hätte, scheiterte am Geld. »Wattenscheid forderte eine Million Ablöse für mich, ein bisschen viel für einen 33-Jährigen«, so Sané. Stattdessen verschlug es ihn nach Österreich. In Innsbruck hatte gerade Finanzmakler Klaus Mair das Präsidentenamt beim FC Wacker angetreten. Mit Stars wie Österreichs Fußball-Idol Hans Krankl als neuem Trainer, den ehemaligen Bayern-München-Profis Manfred Schwabl (vom 1. FC Nürnberg) und Harald Cerny (vom FC Admira/Wacker Mödling), Nationalspieler Peter Stöger (vom FK Austria Wien) und eben Sané wollte er den Traditionsverein, der ab sofort unter der Bezeichnung FC Tirol firmierte, zurück zu alten Erfolgen führen. »Doch das Tiroler Dream-Team glänzte nur wenige Wochen. Dann wurde das Finanzgenie Mair als Betrüger entlarvt und in Untersuchungshaft gesteckt«, berichtete der Kicker. Im Etat klaffte auf einmal ein Millionenloch, Spielmacher Schwabl suchte sofort das Weite und wechselte zum TSV 1860 München. Die Verwaltungen der Stadt Innsbruck und des Bundeslandes Tirol sprangen als Retter ein, das Krankl-Team schloss die Saison 1994/95 als Fünfter ab, Souleyman Sané holte sich mit 20 Treffern die Torjägerkanone. In Innsbruck wurde sein erster Sohn Kim geboren.

»Die Älteren erkennen mich noch auf der Straße und schwärmen von den alten Zeiten.«

Souleyman Sané über seine Heimat Wattenscheid

Eineinhalb Jahre spielte er in Tirol. Während der Winterpause 1995/96 peilte er eine Rückkehr zur SG Wattenscheid an – sein zweiter Sohn Leroy hatte inzwischen in Essen das Licht der Welt erblickt. Der Transfer scheiterte jedoch an der Ablöseforderung von 150.000 D-Mark. Stattdessen unterschrieb Sané beim FC Lausanne-Sport der Schweiz. 44 Spiele absolvierte er für den Erstligisten aus der Romandie, in denen ihm 18 Tore gelangen. Erst im Oktober 1997 klappte es mit der Heimkehr nach Wattenscheid. Beim seinem Comeback, einem 4:2 gegen Fortuna Köln, erzielte der inzwischen 36-Jährige einen Treffer selbst und holte den Freistoß heraus, der zum 1:0 führte. Den Sieg widmete er hinterher seinen Söhnen Kim und Leroy. In 45 Zweitliga-Spielen trug er bis zum Abstieg 1999 noch das schwarz-weiße Trikot (neun Tore). Danach ließ er seine Profikarriere jeweils eine halbe Saison beim Linzer ASK in Österreich und beim FC Schaffhausen in der Schweiz ausklingen. Im Anschluss trat er noch als Freizeitfußballer für mehrere unterklassige Vereine gegen den Ball und versuchte sich im Trainerbereich, unter anderem betreute er die Nationalmannschaft Sansibars.

2011 stieg Souleyman Sané als Scout in die Sportmanagementagentur T21+ der ehemaligen Bundesliga-Profis Jürgen Milewski und Jens Jeremies ein, die lange Zeit auch die Interessen seines Sohnes Leroy vertrat. Noch heute steht er diesem als wichtiger Karriere-Ratgeber zur Seite. Überliefert sind unter anderem diese klugen Sätze: »Nur weil er Fußballprofi ist, braucht er nicht zu denken, er sei intelligenter als ein Koch oder Straßenfeger. Das ist ein Beruf – mehr nicht.« Leroy Sané beschrieb das Vater-Sohn-Verhältnis im Ratgeber Dein Weg zum Fußballprofi wie folgt: »Mein Vater Souleyman macht mir, obwohl er selbst Profifußballer war, überhaupt keinen Druck, dass ich etwas Bestimmtes schaffen muss. Im Gegenteil, er hilft mir, wenn ich Fragen habe. Manchmal kritisiert er mich, was auch gut ist. Wir haben einen sehr guten Draht zueinander.« So weit zur sportlichen Vita von Souleyman Sané.

Kampf gegen Rassismus

Neben dem Fußballer gab es auch den jungen Menschen, der sich zurechtfinden musste im rauen Deutschland der 1980er Jahre. »Es gab seinerzeit sehr wenige Schwarze in Deutschland. In manchen Dörfern kannten die Bewohner dunkelhäutige Menschen nur aus dem Fernsehen – sie hatten Afrikaner noch nie zuvor in Natura gesehen«, erzählte Souleyman Sané viele Jahre später im Magazin 11 Freunde. Manch einer hätte sich bei seinem Anblick sogar regelrecht gefürchtet. »Für diese Leute war das ein richtiger Schock, als sie das erste Mal einen Afrikaner an der Ampel sahen.«

Daheim in Frankreich war dies anders, in der einstigen Kolonialmacht gehören Migranten aus Nord-, West- und Zentralafrika seit jeher zum Alltag – und zum Fußball. »Da war es vollkommen normal, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Kultur zusammenspielen«, berichtete Sané. In Deutschland war er hingegen einer der ersten dunkelhäutigen Spieler überhaupt. Rassismus schlug ihm im Alltag, von den Zuschauerrängen und von den Gegenspielern entgegen. Negative Erfahrungen machte Sané bereits auf den schwäbischen Dorfplätzen, über die er mit dem FV Donaueschingen tingelte. »Ich sprach zu der Zeit ja überhaupt kein Deutsch, konnte mich also nicht gegen die rassistischen Beleidigungen der Zuschauer wehren. Meine Mannschaftskollegen sagten stets: Hör nicht auf diese Leute! Die wissen, dass du gut bist und wollen dich deshalb verunsichern. Mach dein Spiel, und wenn wir gewinnen, dann hast du gewonnen!«, erinnerte er sich zurück. Im Kicker berichtete er auch über alltägliche Episoden: Wenn er mit seinem BMW Cabrio an einer Ampel stehe, dann »glotzen mich die anderen Autofahrer schon mal ganz verstört an. Die fragen sich wohl, wie ein Asylant zu so einem Auto kommt.« Eine andere Geschichte erlebte er mit der Tochter eines Mannschaftskameraden. »Sie wollte mir auf keinen Fall die Hand geben, sie hatte Angst, dass ich abfärbe.«

Nicht besser wurde es später auf der großen Bühne Bundesliga. Schon der Empfang in Nürnberg verlief im Sommer 1988 alles andere als wohlwollend. Noch bevor er sein erstes Spiel im Trikot des Clubs absolviert hatte, startete die AbendzeitungAbendzeitung