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Wissenschaftliche Beiträge
aus dem Tectum Verlag

Reihe Germanistik

Wissenschaftliche Beiträge
aus dem Tectum Verlag

Reihe Germanistik
Band 15

Kay Nagel

Georg Spalatin als Übersetzer

Studien zu Paratext und Netzwerk

Tectum Verlag

Diese Dissertation wurde durch ein Begabtenstipendium der Hanns-Seidel-Stiftung aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Kay Nagel

Georg Spalatin als Übersetzer

Studien zu Paratext und Netzwerk

Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag,

Reihe: Germanistik; Bd. 15

© Tectum Verlag – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022

ePub: 978-3-8288-7764-1

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4681-4 im Tectum Verlag erschienen.)

ISSN: 1861-5945

Zugl.: Dissertation Technische Universität Chemnitz, 2020

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung der Abbildung

M Georgius Spalatinus, Druck von Franz Hanfstängl nach Lucas Cranach dem Älteren,

1819–1877, © The Trustees of the British Museum, CC BY-NC-SA 4.0

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet

www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben

sind im Internet über http://www.dnb.d-nb.de abrufbar.

Kein Buch ohne Vorwort, kein Buch über Widmungen ohne eine Widmung:

Für Else, die noch im hohen Alter an mich geglaubt hat Für meine Eltern, Jutta und Dieter Nagel, wegen wertvoller Spritzen Für meinen Bruder Falk mit Familie, wegen unENDLICHer Geduld

Allen in ewiger Dankbarkeit!

Inhalt

TEILBAND 1

Abkürzungsverzeichnis

1 Introductio – Einleitung und Präliminarien

1.1 Zur Person Georg Burkhardt, genannt Spalatin

1.1.1 Georg Spalatin als Humanist

1.1.2 Georg Spalatin als Geistlicher

1.1.3 Georg Spalatin als Historiograf

1.2 Spalatin in seiner Zeit: Personalia – Strömungen – Schriftlichkeit

1.2.1 Personalia und Einflüsse: Der Hof als Wirkungsstätte

1.2.2 Strömungen: Humanismus und Reformation

1.2.3 Schriftlichkeit: Übersetzen, Intendieren, Widmen und Drucken

1.3 Zur Forschung an der Spalatin-Übersetzung: Status quo und Interesse

1.3.1 Status quo

1.3.2 Forschungsinteresse

1.4 Forschungsfragen

1.5 Vorgehensweise

1.5.1 Textkorpus und Paratext

1.5.2 Aufstellungssystematik nach Autor und Jahr84

1.5.3 Übersetzungsstrategie durch Sprachvergleich

1.5.4 Informative Aussagen aus den Briefwechseln

1.5.5 Anwendung des Netzwerkbegriffes auf Humanisten- und Reformatorenkreise

1.5.6 Thesen

2 Die Übersetzungsgruppen

2.1 Theologen des Mittelalters

2.1.1 Gersons Christliches Leben [Gotha FB, Chart. B 169, 145r–161r]

2.1.2 Bernhards Christliches Leben [Gotha FB, Chart. B 169, 161v–162v]

2.1.3 Gersons Christliches Sterben [Gotha FB, Chart. B 169, 163r–176v]

2.2 Augustiniana und Kirchenväter

2.2.1 Die Meditationes des Augustinus [Manuskript: Cod. Georg 147.4°]

2.2.2 Der 45. (46.) Psalm [A 4206]

2.2.3 Der 126. (127.) Psalm [ZV 881]

2.2.4 Die 12 Stufen/Grade des Missbrauchs [A 4261]

2.2.5 Die zehn Gebote [A 4194]

2.2.6 Athanasius von Alexandrien: Über das heilige Buch der Psalter [A 3992]

2.2.7 Gregorius von Nazianz: Über die Nächstenliebe zu den Armen [G 3031]

2.2.8 Zusammenfassung zu den Augustiniana und zu den Kirchenvätern

2.3 Erasmiana

2.3.1 König oder Narr [E 1972]120

2.3.2 Sileni Alcibiades [E 1993]

2.3.3 Die Vorrede zum Handbüchlein vom christlichen Ritter [E 2794]

2.3.4 Klage des Frieds – Querela pacis [E 3508]

2.3.5 Christenliche Erinnerung – Paraclesis [E 3315]

2.3.6 Zur Unterweisung eines frommen Fürsten – Institutio principis christiani [E 3140]

2.3.7 Zusammenfassendes zu den Erasmus-Übersetzungen

2.4 Schriften Luthers und der evangelischen Bewegung

2.4.1 Martin Luther: Ein Trostbüchlein [L 6744]

2.4.2 Martin Luther: Vom Beichten [L 5402 und L 4242]

2.4.3 Martin Luther: Predigt von zweierlei Gerechtigkeit [L 6003]

2.4.4 Papst Leo X.: Exsurge Domine – Die Bannandrohungsbulle

2.4.5 Martin Luther: Der Reichstag zu Worms 1521

2.4.6 Philipp Melanchthon: Die Loci communes deutsch [M 3602]

2.4.7 Philipp Melanchthon: Predigt von den Engeln [M 3633]

2.4.8 Martin Luther: Jesaja, Kapitel 36 [L 4988]

2.4.9 Robert Estienne: Christliche Vorrede zur Bibel [E 4025]

2.4.10 Martin Luther: Tröstliche Sprüche [L 4446]

2.4.11 Caspar Creutziger: Wie Eheweiber selig werden [C 5853]

2.4.12 Martin Luther: Sehr tröstliche Sprüche [L 4982]

2.4.13 Georg Spalatin: Abendmahlstraktat [S 7403]

2.4.14 Zusammenfassendes zu Martin Luther und der evangelischen Bewegung223

2.5 Antike und Humanistica

2.5.1 Die Institutiones des Justinian et aliens [Hs. Chart A 496]

2.5.2 Freund und Feind [P 3720]

2.5.3 Wider die trunkenheit und sechs sätze über das reine gold [S 9712]

2.5.4 Petrarcas Glücksbuch [P 1725]

2.5.5 Urbanus Rhegius: Christiani principis et magistratus enchiridion [R 1788]

2.5.6 Zusammenfassendes zu Antike und Humanistica

2.6 Historiografische Arbeiten

2.6.1 vom teuern deudschen Fürsten Arminio

2.6.2 Die Gothengeschichte – Ex Jornanden historico Gothorum 1517.

2.6.3 Über die Langobarden – Aus Paulo Warnfrid von den Langobarden oder Lombardern.

2.6.4 Frankengeschichte – Aus des abts zu Spanheym von den Francken

2.6.5 Fuldische Chronik

2.6.6 Türkenchronik – Aus der Turckischen cronick Johannes Adelfi

2.6.7 Zusammenfassendes zu den historiografischen Arbeiten

3 Georg Spalatin als Übersetzer in der Analyse

3.1 Georg Spalatin als Übersetzer? – Umstrittene Texte

3.1.1 Sileni Alcibiades (Erasmus von Rotterdam, 1520, VD 16 E 1993)

3.1.2 Schutzrede des Alters (Heinrich Stromer, 1537, VD 16 S 9707)

3.2 Der Übersetzer als Herausgeber – eine Grauzone

3.2.1 Die Auslegung des 109. Psalms (Martin Luther, 1518, VD L 4036)

3.2.2 Die Schöne Magelone (Veit Warbeck, H 3878)

3.3 Übersetzungsstil

3.4 Anlass

3.4.1 Anreger/Auftraggeber

3.4.2 Übersetzungen ohne Anreger/Auftraggeber

3.5 Widmungsvorreden als Indiz für Netzwerke

3.5.1 Die Humanistenkreise als Beginn des Netzwerkens

3.5.2 Der Nutzen des Netzwerks

3.5.3 Schnittmengen von höfischem und reformatorischen Netzwerk

3.6 Thesen

3.6.1 Mikroebene

3.6.2 Makroebene

4 Conclusio

TEILBAND 2

5 Anhang

5.1 Tabellarische Übersicht der Drucke

5.2 Übersicht: Widmungsdatum und Druckdatum

5.3 Grafische Darstellung des Netzwerks Spalatins

5.4 Übersetzungsvergleich

5.4.1 Kirchenväter

5.4.2 Luther und Evangelische Bewegung

5.4.3 Humanismus

5.5 Transkript FB Gotha B169

5.6 Transkript FB Gotha Chart A 496: Institutiones Iustiniani (Vorrede)

5.7 Transkript der Widmungsvorreden

5.7.1 Erasmiana401

5.7.2 Antike und Humanistica

5.7.3 Augustiniana und Kirchenväter

5.7.4 Theologen des Mittelalters

5.7.5 Schriften Luthers und der evangelischen Bewegung

5.7.6 Historiografische Schriften

5.7.7 Herausgeberschaften

5.8 Personenverzeichnis

5.8.1 Verzeichnis der als Autor der Originalschriften wirksamen Personen

5.8.2 Verzeichnis der Übersetzer ins Lateinische

5.8.3 Verzeichnis der in den Widmungsvorreden genannten Personen

5.8.4 Personenverzeichnis Widmungsempfänger 1. Ordnung

5.8.5 Sonstige genannte Personen:

6 Literaturverzeichnis

Teilband 1

Abkürzungsverzeichnis

ABKG Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen

ADB Allgemeine Deutsche Biographie

ARG Archiv für Reformationsgeschichte

BBKL Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon

CR Corpus Reformatorum

DLL Deutsches Literaturlexikon

DNP Der Neue Pauly

DSB Deutsches Städtebuch

GJb Gutenberg-Jahrbuch

GJdA Genealogisches Jahrbuch des Adels

HdB Handbuch der Bibliothekswissenschaften

KlP Der Kleine Pauly

LLex Das Luther-Lexikon

MLA Metzler Lexikon Antike

MLL Metzler Lexikon Literatur

MLlS Metzer Lexikon literarischer Symbole

NDB Neue Deutsche Biographie

RLW Reallexikon der Literaturwissenschaft

TRE Theologisches Reallexikon

WA Weimarer Ausgabe (der Schriften Luthers)

ZKG Zeitschrift für Kirchengeschichte

ZNW Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft

1 Introductio – Einleitung und Präliminarien

Als am 17. Mai 2014 im thüringischen Altenburg die Ausstellung mit dem Titel „Georg Spalatin. Steuermann der Reformation“ eröffnet wurde, feierte man Georg Spalatins 530. Geburtstag gewiss mit, denn am 17. Januar 1484, also exakt 530 Jahre und vier Monate vor der Ausstellungseröffnung wurde Georg Burkhardt geboren. Die Ausstellung fokussierte sich, eingepasst in die Reformationsdekade, auf Spalatins Bemühen um und sein Vorantreiben der Reformation, blieb aber nicht darauf begrenzt, sondern sie wurde eine Ausstellung über sein gesamtes Leben.

Wollte man die Allegorie des Steuermannes weiterführen, dann stünde Spalatin am Steuerruder des reformatorischen Schiffes, das von Philipp Melanchthon konstruiert und erbaut wurde und die widerspenstige altgläubige See durchfährt. Martin Luther ist die Galionsfigur. Obwohl nur im Hintergrund wirkend, hat Spalatin seinen Platz in der Reformationsgeschichte gekannt: Sein oft zitiertes Diktum, das seine in die Weite reichende Wirkung die Lehre Luthers beschreibt, zeugt davon. Dass die Ausstellung in Altenburg zuvorderst Spalatins Anteil an der Reformation aufzeigte, lag angesichts der Lutherdekade bis 2017 einerseits nahe, andererseits honoriert die Stadt damit nach 491 Jahren die zähen, weil durch den Widerstand der Chorherren an St. Marien und St. Georgen gebremsten, Reformationsversuche. Spalatin hatte in zwanzig Jahren als Altenburger Superintendent sehr darunter gelitten.

Der Altenburger Zeit zwischen 1525 und 1545 gehen andere Stationen voraus: Von der Kleinstadt Spalt im Bistum Eichstätt leitet er sich nicht nur seinen latinisierten Namen ab, sondern dort ehrt man ihn auch mit einer Statue, die unauffällig vor der Stiftskirche, neben der Schule und dem historischen Friedhof steht, von der Hauptstraße aus nicht einsehbar. In Nürnberg, der Stadt seiner Lateinschulzeit von 1497 bis 1498, erinnert nichts an ihn. Ebenso hat er in Erfurt keine monumentalen Spuren hinterlassen; es existieren lediglich Quellenzeugnisse: Verfasserangaben seiner ersten Drucke, die in der Presse seines Lehrers und Mentors Nikolaus Marschalk entstanden, und ein Druck bei Wolfgang Stürmer. Erfurt hat seinen ehemaligen Studenten der septem artes liberales nicht geehrt. Nun hingegen tun es die sich in der Nachfolge des Humanistenkreises um Marschalk und Mutianus Rufus begreifenden Mitglieder des Fördervereins. Sie kennen Spalatin in ihren Publikationen als Mitglied des Humanistenkreises, der sich als Student über den persönlichen Brief eines Erasmus von Rotterdam freuen konnte und später Werke des als europäischer Vater des Humanismus geltenden Niederländers übersetzte.

Wittenberg kennt ihn als das Studium abbrechen müssenden Jurastudenten, als Prediger, als Bibliothekar und als Erzieher von Schülern aus dem hohen und niederen Adel, wie aus den Widmungsvorreden seiner Übersetzungen hervorgeht.

Die Zeit am ernestinischen Hofe Friedrichs des Weisen ab 1508 ist die Zeit seiner intensivsten Involviertheit in die höfischen Pflichten eines Hoftheologen, Seelsorgers, Historiografen, Geheimsekretärs und Prinzenerziehers. Spalatin ist 24 Jahre und promovierter Magister. Die pädagogische Arbeit mit den Prinzen überfordert ihn angesichts der fehlenden Lernbereitschaft seiner Schüler, sodass er von Friedrich fortan vor allem Übersetzungsaufträge erhält: Kanzleischriften und geistliche Literatur. Diese bis 1525 andauernde Tätigkeit am kursächsischen Hofe auf Schloss Hartenfels in Torgau ist die an Arbeit reichste Zeit. Torgau ehrt Spalatin mit dem Ausbau des Spalatinhauses und mit einer Ausstellung.

Reich an Arbeit ist diese Zeit aufgrund der Vielzahl der in diesem Zeitraum entstandenen Übersetzungen, exakter gefasst zwischen 1518 und 1525. Diese Zeit der Frühreformation wird von Spalatin aus Schloss Hartenfels heraus intensiv gefördert durch die Übersetzung und Verbreitung reformatorischer Schriften. Die sich für die Verbreitung der Reformation daraus ergebende Bedeutung ist bisher wenig bekannt geworden.

Die reformatorischen Übersetzungsarbeiten bilden nur einen Teil seines übersetzenden Gesamtschaffens. Humanistisch geprägt durch sein Studium zeugen viele Übersetzungsdrucke von einem Interesse an der Bildungsbewegung. Eines der Großprojekte und einschlägiger Repräsentant für humanistische Schriften wurde das so genannte „Glücksbuch“ Francesco Petrarcas, das er mitübersetzt hat.

Dem Höß’schen Diktum gemäß, ist Spalatin Augenzeuge einer Umbruchszeit, die dem alten Glauben noch verhaftet ist, sich aber allmählich der neuen religiösen Ordnung öffnet. Schriftzeugnisse vom Beginn dieser Umbruchszeit sind Werke von Theologen des Mittelalters, beispielsweise Bernhard von Clairvaux, die als Übersetzungen in Handschrift vorliegen, jedoch nicht gedruckt werden.

Spalatins Lebensweg führte ihn aus der fränkischen Heimat über Erfurt und Torgau nach Altenburg, blieb also mit Ausnahme der Dienstreisen auf den sächsischen Raum beschränkt; die Wege seines Schaffens beschränken sich hingegen nicht. Er wirkte mit humanistischen, später reformatorischen, historischen und philosophischen Arbeiten, schrieb Traktate und übte in zahlreichen Briefen Seelsorge. Mit den Übersetzungen fand Spalatin einen Weg, Sprachgrenzen zu überwinden und ein Netzwerk zu knüpfen.

1.1 Zur Person Georg Burkhardt, genannt Spalatin

Einigkeit herrscht in der Forschung über das Geburtsdatum des Knaben Georg Burkhardt, Sohn eines Rotgerbers, es war der 17. Januar1 1484. Zwei Auffälligkeiten zeigen sich, die zwar gut bekannt, aber die Betrachtung wert sind.

Vom Handwerkersohn zum Kurfürstensekretär und religionspolitischen Vermittler. Dies kennzeichnet eine berufliche Biografie, die ohne das Attribut soziale Mobilität nicht auskommt.2 Das einträgliche Rotgerberhandwerk konnte den Wohlstand der Familie finanzieren, der Voraussetzung3 und Gelegenheit für Spalatins Lebensweg war. Dieses von Andreas Lindner als „klassisches Beispiel eines Aufstiegs durch Bildung“4 bezeichnete Curriculum ist um 1500 dank des humanistischen Bildungsideals keine Seltenheit. Strebsamkeit und Patronage vorausgesetzt, ist der soziale Aufstieg machbar.

Die Zugehörigkeit zum Kreis der litterati soll auch am Namen sichtbar werden. Das humanistische Bildungsideal zeigt sich in der Form der lateinischen Metamorphose des Nachnamens, gelenkt durch die Herkunft. Unter Vernachlässigung kleinerer lautlicher und konsonantischer Veränderungen findet sich in der Universitätsmatrikeln von Erfurt im Jahr 1498 der Name „Georius Borgardi de Spaltz“5. Den Geburtsnamen lässt er später fallen, wie viele seiner humanistischen Kollegen.6

Irmgard Höß7 geht mit der opinio communis der zwar unehelichen Geburt, aber dennoch mit dem Vater namens Burkhardt konform. Martin BURKERT und Karl-Heinz RÖHLIN stellen diese These in einer neuen Veröffentlichung8 in Frage. Grund dafür sei die unplausible Annahme, ein Rotgerbers könnte seinem Sohn eine solch hohe und gute Ausbildung (Stiftsschule des Heimatortes, Domschule St. Sebald in Nürnberg,9 Studium an der Universität Erfurt) wohl nicht finanzieren. Der Abbruch seines Jurastudiums in Wittenberg spräche auch für diese These.10

BURKERT und RÖHLIN gehen davon aus, dass ein wesentlich vermögenderer Mann Georgs Vater gewesen sein muss. Sie missachten dabei jedoch die Tatsache, dass der Beruf des Rotgerbers ein sehr einräglicher gewesen ist. SCHLEGEL gibt als erster an, Spalatin sei „honestis parentibus“11 geboren. HÖß stützt dies, denn bei ihr ist vom Vater zu lesen, er sei ein „angesehener Bürger und Rotgerber“12 gewesen. – Die Argumentation von BURKERT und RÖHLIN ist nicht zu halten.

1.1.1 Georg Spalatin als Humanist13

Die erste schulische Ausbildung erhielt Georg Burckhardt an der Stiftsschule St. Nikolaus in Spalt.14 Hier tat er sich als außergewöhnlich guter Schüler hervor, sodass mit verwandtschaftlicher Unterstützung die anschließende Ausbildung an St. Sebald konsekutiv war. Sie stellte hohe Anforderungen an die Lateinschüler.15 Dort verbrachte er das letzte Schuljahr von 1497 bis 1498 und immatrikulierte sich 1498 an der Universität Erfurt.16

Warum die Wahl des Studienortes auf das rund 200 km entfernte Erfurt fiel und nicht auf das kaum 100 km entfernte Ingolstadt, erklärt Irmgard HÖß mit der Attraktivität, die von der alma mater Erffordiensis ausgegangen ist.17 Denn trotz noch angewandter scholastischer Methodik zeichnete sich in Erfurt bereits der Beginn der humanistischen Geisteshaltung ab. Dies ist auch durch die geografische Lage Erfurts mitbegründet, denn dort kreuzten sich zwei wichtige Handelsstraßen, die via regia und die via imperii, die nicht nur von Händlern benutzt wurde, sondern auch von den Studenten, die in Italien studiert hatten. Die Geschichtsschreibung der Universität Ingolstadt verzeichnet zudem sinkende Immatrikulationszahlen für den Zeitraum 1494–1518, als Ursache dafür gilt die in Ingolstadt wütende Pest von 1483 und 1495.18

Die für die humanistische Tradition enorm wichtige Kenntnis der tres sacrae linguae war für Spalatin selbstverständlich, die Anwendung bezog sich hauptsächlich auf das Lateinische. Seine Korrespondenz spricht dafür, dass er sich in dieser Sprache sehr gut zu verständigen wusste.19 Griechisch verstand er zumindest20, für Übersetzungen ins Deutsche allerdings zog er die lateinische Version dem griechischen Original vor. Für seine Kenntnis des Hebräischen gibt es keine Anhaltspunkte.

In Erfurt wird er 1502 zum Baccalaureus kreiert und 1503 an der neu gegründeten Universität Wittenberg zum Magister Artium promoviert. Während seiner akademischen Ausbildung knüpft er in Erfurt Kontakt zum Humanistenkreis um Nikolaus Marschalk21, dessen Mitglied er wird. Nikolaus Marschalk ist Humanist22, Spalatins Mentor und motiviert ihn zum Gang nach Wittenberg, wo der Mentor selbst aktiv ist: Er promoviert zum juristischen Doktor, gründet eine Druckerei und wird Professor für griechische Literatur und Sprache. Bereits in Erfurt betrieb Nikolaus Marschalk eine Druckerpresse, die auch erste Werke Spalatins druckte.23

Besonders für die Lebensphase der Berufssuche wird der Humanistenkreis in Erfurt relevant. Den Keim für das Wachsen der Sodalität legte Marschalk in Erfurt. Der Kanoniker Mutianus Rufus, der den „Kreis von Schülern […] gleichsam ‚erben‘ konnte“24, lebte zurückgezogen in Gotha25 und betrieb humanistische Netzwerkpflege. Dieses Netzwerk wird für Spalatin in den Jahren nach dem Studium (1505) wichtig, da Mutianus in humanistischen und adeligen Kreisen bekannt und geachtet ist und einflussreiche Personen an Schlüsselpositionen kennt.26 Von 1505 bis 150827 geht Spalatin als Novizenerzieher ins Kloster Georgenthal in Thüringen, danach empfhielt ihn Mutian an den ernestinischen Hof zu Friedrich dem Weisen. In der Vermittlung von Personalia zeigt sich bereits der Netzwerkgedanke, den Spalatin zeitlebens pflegen wird.

In der Georgenthaler Zeit als Novizenerzieher lässt sich erkennen, dass Spalatin auch im pädagogischen Sinne ein Humanist war. Für die Humanisten waren Jugendbildung, besonders im sprachlichen Bereich, und Fürstenerziehung immens wichtig.28 Er baute eine Bibliothek auf und betreute sie. Kontakte zu Mutian und Heinrich Urbanus und Ankäufe von Aldus Manutius vermehrten ihren Bestand.29

Zur Jahreswende 1508/09 tritt Spalatin seine durch Degenhart Pfeffinger vermittelte Stelle als Prinzenerzieher am kurfürstlichen Hof in Torgau an. Dies bleibt nicht ohne Schwierigkeiten.30 Die Skepsis gegenüber seinem Arbeitsgebiet ab 1509 sollte nicht unmotiviert sein, denn Ernst von Isserstedt31 war als Hofmeister nicht nur für die Leibesertüchtigung und die Turnierreife der Prinzen zuständig, sondern auch Spalatin vorgeordnet.

Friedrich der Weise erkannte die Schwierigkeiten des Lateinlehrers und die fehlende Motivation der Schüler zum Fach. Er betraute „die zartbesaitete Gelehrtennatur“32 fortan mit passenderen Aufgaben und machte ihn zum Hofhistoriograf und Übersetzer, zunächst für amtliche Kanzleischreiben, später für Literatur im engeren Sinne.33 Nebenher ging er juristischen Studien nach, die er in Wittenberg begonnen hatte.34

In den zweiten Aufenthalt Spalatins in Wittenberg fällt der Auftrag, mit dem Aufbaue einer Bibliothek zu beginnen. Ein genaues Gründungsdatum ist unbekannt, die Erwerbung der ersten Bände ist aber anlässlich des Ostermarkts auf Ostern 1513 datiert.35 Die Ausrichtung der Bibliothek ist humanistisch:

„… es ist außerordentlich aufschlußreich, daß sich darunter kein Werk des Aristoteles und nur ganz vereinzelt Schriften der Scholastiker finden; dagegen wurden zahlreiche Ausgaben der Kirchenväter, eine Bibel cum glossa ordinaria, eine große Anzahl von Werken der Autoren des klassischen Altertums – darunter auch schon mehrere in griechischer Sprache – sowie von den Schriftstellern der ersten christlichen Jahrhunderte, Grammatikern und Wörterbücher, Werke der Humanisten und außerdem noch juristische, historische, astronomische und medizinische Werke angeschafft. Daß bei dieser Auswahl ein überzeugter Humanist seine Hand im Spiel hatte, ist wohl selbstverständlich.“36

Zum humanistischen Ideal der Freundschaft schreib HÖß: „Spalatin war in diesem Sinne ein echter Humanist; er suchte Freundschaft und Anlehnung an geistig überlegene Menschen, und zu seinen wesentlichsten Charaktermerkmalen gehörte es, daß er unendlich freundschaftsfähig war“37 Freundschaftliche Beziehungen, wie es das humanistische Ideal deklarierte, unterhielt Spalatin im Laufe seines Lebens in großer Anzahl, genannt seien hier nur: Nikolaus Marschalk, Mutianus Rufus, Luther und Veit Warbeck.38

1.1.2 Georg Spalatin als Geistlicher

1505 begann Spalatin seine berufliche Laufbahn, die durch Vermittlung Mutianus’ und seiner Bekannten zustande kam. Er konnte gemäß Studienabschluss als Magister Artium aus drei Möglichkeiten wählen:

Erstens bot sich die juristische Laufbahn an, von der Mutianus ihm jedoch abriet, da er „diese[r] leicht im Formalismus erstarrenden Tätigkeit wenig Achtung zollte“.39 Zweitens empfahl er ihm die geistliche Laufbahn mit dem Argument, dass „diejenigen als glücklich zu preisen seien, die mit Gott Gemeinschaft haben“.40 Dieses Argument in dem Sinne, dass man in eine Gemeinschaft Gottes eintritt, ist theoretisch schwer nachzuvollziehen unter dem Aspekt, dass die altkirchliche Ordnung mit Klöstern, Conventen und Stiften gerade in Unordnung gerät. Erklärlich hingegen ist die pragmatische Sicht auf Pfründe, die dem Inhaber einer geistlichen Stelle den notwendigen Lebensunterhalt sicherten, wenn sie auch mit dem Zölibat und mit der Priesterweihe – auf die sich Spalatin bereits vorbereitete, die aber umständehalber noch auf sich warten lassen sollte – verbunden war.41 Den dritten Weg schlug Spalatin schließlich ein, indem er durch Vermittlung Mutianus und Heinrich Urbanus aufgrund seiner Sprachkenntnisse Novizenlehrer im Kloster Georgenthal wurde. Diese Aufgabe bot ihm hinreichend Zeit, sich auf die Priesterweihe vorzubereiten.42 Die juristische Laufbahn sollte nicht mehr zu Planung reifen, die Tätigkeit als Novizenlehrer war eine vorübergehende, sodass Spalatin die Vorbereitungen für eine geistliche Laufbahn traf.

1506 feierte Spalatin seine erste Messe43, 1507 erhielt er die dem Kloster Georgenthal angehörende Pfarre Hohenkirchen44, und 1508 weihte ihn Johann Bonemilch von Laasphe in Erfurt zum Priester.45 Nicht nur zur Vorbereitung auf die Priesterweihe bot die Aufgabe im Kloster Georgenthal hervorragende Voraussetzungen, sondern auch zur intensiven Bibellektüre, die Spalatin in diesen Jahren begann.46 Dass die Arbeit im kirchlichen Bereich seinem Wunsch nach Vertiefung in der heiligen Schrift entsprochen hat, ist auch am Zögern abzulesen, welches er zeigte, als er von Georgenthal aus an den kursächsischen Hof gehen sollte, um dort Prinzenerzieher zu werden. Viel lieber wäre ihm die Wirkungsstätte in Nürnberg an der Lateinschule St. Sebald gewesen, die er einst als Schüler besucht hatte.47

Die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift intensivierte sich im Jahr 1516, als Spalatin von Wittenberg an den kursächsischen Hof nach Torgau übersiedelte und das Novum Instrumentum Omne des Erasmus48 erschien. Die Einleitungen dazu bildeten Diskussionsstoff, sodass Martin Luther Spalatin brieflich darum bat, Erasmus in einem Schreiben darzulegen, worin der Unterschied zwischen der Meinung des Erasmus und der Luthers hinsichtlich der Rechtfertigungslehre besteht.49 Spalatin ging der Bitte nach; und wenn er auch die Formulierungen Luthers abmilderte50, so bedeutete der Brief von Luther doch für Spalatin den Beginn einer wichtigen Auseinandersetzung mit der Theologie Erasmus’ und Luthers. Indem er nun die Kerngedanken von Luthers Theologie kennengelernt hatte, beschäftigte er sich eifrig und kritisch mit den biblischen Texten, was ihn zum Vermittler zwischen dem christlichen Humanismus des Erasmus und den Interpretationen Martin Luthers machte.

Nach der Verbreitung der Thesen 1517 bat Spalatin Luther, in dessen Theologie eingewiesen zu werden. Da er kein theologisches Studium absolviert hatte, dementsprechend unvorbelastet war und von Luther zum gründlichen Studium des Evangeliums51 angehalten wurde, konnte sich sein Verständnis des Evangeliums nah an der Lutherschen Denkweise orientieren. 52

Spalatins Wirkung als Geistlicher ist wenig durch Schriften bezeugt. Als wichtigste Schrift sind seine Reformationsannalen zu nennen, worin er die Hauptpunkte von Luthers Lehre darlegt. Diese umfassen seine Auffassungen zur Erbsünde, zum freien Willen, zur Rechtfertigung und zum Zusammenhang von Glauben und Werk. Zu einigen Themen hat er selbst Schriften verfasst.53 Die Hauptaufgabe seines theologischen Schaffens war die Übersetzung theologischer Schriften Luthers und Melanchthons und die Tätigkeit als Seelsorger und Hoftheologe bei Friedrich dem Weisen.

Das im Jahr 1525 vorherrschende Thema, welches Spalatin theologisch beschäftigte, war das aus gegebenem Anlass notwendige letzte Abendmahl für Kurfürst Friedrich den Weisen, der am 5. Mai starb.54 Der Kurfürst weigerte sich, das Abendmahl sub uterque specie zu nehmen, lehnte den Laienkelch ab.

Spalatin selbst war der Auffassung, dass der Laienkelch tatsächlich nicht verboten sei, zum einen habe jeder Christ das Recht darauf, sich Leib und Blut Christi in der Eucharistie zu vergegenwärtigen55, zum zweiten habe Spalatin auf vielen Visitationen, die er bisher durchgeführt hatte, gesehen, dass es gelebte Praxis war, den Laienkelch auszuteilen.56

Diese Erfahrungen und Recherchen führten zum Willen Spalatins, als Priester möglichst die gesamte Gemeinde mit dem Abendmahl sub uterque specie zu bedienen. Wem der Mut dazu fehlte57, der sollte – in Spalatins Auffassung – das Abendmahl lieber gar nicht einnehmen, sonst würde es unwürdig eingenommen.58

Gemäß der Auffassung, dass der Herrschende das Vorbild seiner Untertanen sein solle, war auch Spalatin der Auffassung, Kurfürst Friedrich solle das Abendmahl annehmen, das er bisher verweigerte. Am Vorabend seines Todes, am 4. Mai 1525, war es Spalatin gelungen, dem Sterbenden das Abendmahl sub uterque specie zu reichen.

Als Geistlicher blieb Spalatin rezipierend, obwohl er über einige theologische Themen schrieb, die durch Luther inspiriert waren. Sein Verdienst als Geistlicher ist die Übernahme geistlicher Ämter am kurfürstlichen Hof, die Beratung des Kurfürsten als Seelsorger und als Laienpriester sowie die Verbreitung der Ideen Martin Luthers in den Übersetzungen seiner Werke.

Ein äußeres Zeichen der Verbindung von Humanismus und Theologie zeigt die Bibliotheca Spalatini. Die Systematik, nach welcher der Sammler die Bibliothek aufstellte, orientiert sich zwar an dem System, wie es in Klosterbibliotheken üblich war59, allerdings stellt CARIUS fest, dass Erasmus von Rotterdam und Martin Luther als prominente Autoren der Zeitgeschichte jeweils eine eigene Sachgruppe zugeordnet wurde, zwei von insgesamt zwölf Sachgruppen, die Spalatin 1539 unter dem Titel „Ordinatio librorum et Enchiridiorum et literarum G. Spalatini“ aufstellte.60 Die Aufstellungssystematik ist nicht mehr rein theologisch, sondern umfasst in Spalatins Bibliothek auch humanistische und reformatorische Schriften.61 CARIUS meint: „Die theologische Sammlung reflektiert dabei die politischen Zeitumstände und Entwicklungen der religionspolitischen Auseinandersetzungen zwischen 1517 bis zum Anfang der 1540er Jahre.“62 Letztendlich war die Bibliotheca Spalatin „insgesamt als Teil einer spezifisch humanistischen-reformatorischen Gelehrten- und Bibliothekskultur nicht zuletzt Ausdruck für diese maßgeblichen Wissensparadigma im Zentrum der Reformation.“63

1.1.3 Georg Spalatin als Historiograf64

„Wenn gott wollte, so wolt ich gern, das die cronicken von anbegynn der welt durch alle vier monarchien also geordneth wurde, das ummerzu darneben das haus zu Sachsen, ein jede person bey irer ordentlichen zeit, sampt den Romischen kaysern und andern hienge.“65

Spalatin betrachtete die sächsische Geschichte als eine bedeutende und er wollte sie zum Anlass nehmen, ein „umfassendes Geschichtswerk“66 zu erarbeiten, welches er zu Lebzeiten jedoch nicht mehr abschließen konnte. Dennoch sind seine Arbeiten zur Geschichtsschreibung umfangreich und deshalb von großer Bedeutung, da sie oft rezipiert wurden.

Der Beginn der Spalatinschen Historiografie fällt in das Jahr 1510, da er in den Ephemerides vermerkt, „Fridericus III Saxoniae elector“67 habe ihm die Chronik von Adam von Fulda zukommen lassen, damit er auf deren Grundlage eine sächsische Chronik projektiere. Bereits ein Jahr später war der Plan für das Gesamtprojekt fertig.68

Spalatin behandelte die Geschichtsschreibung als Auftragsarbeit seines Fürsten, deren Ausführung ihm angenehmer war als die Prinzen zu unterrichten. Kurfürst Friedrich III. erkannte das Potenzial des Historiografen in seinem Prinzenerzieher und vertraute ihm einen anderen Wirkungsbereich an, den des Hofhistoriografen, den er eifrig und zuverlässig neben vielen anderen Aufgaben ausfüllte.69

Während Adolf SEELHEIM seine Untersuchung über Spalatin als Historiograf auf zwei Werke beschränkt,70 unternimmt FLACH eine mehrseitige umfassende Auflistung.71

Um den Rahmen nicht zu dehnen, sei auf eine mehrseitige Auflistung verzichtet und stattdessen eine Kurzauflistung der Themen geliefert, mit denen Spalatin sich historisch beschäftigt hat: FLACH unterteilt die Gesamtheit aller historiografischen Schriften Spalatins in acht Teile:72 I: Geschichte der Kaiser (6) – II: Geschichte der Päpste bzw. der Kaiser und Päpste (3) – III: Deutsche Geschichte (4) – IV: Zeitgeschichte (3) – V: Sächsische Geschichte (12) – VI: Außerdeutsche Geschichte (3) – VII: Spalatins Lebensgeschichte (1) – VIII: Übersetzungen (5).

Es zeigt sich, dass der weitaus größte Teil mit zwölf Einträgen die sächsische Geschichte umfasst. Man wird nicht irren, wenn man diese angesichts der hohen Anzahl als Auftragsarbeiten Friedrich Johanns identifiziert, zumal verbürgt ist, dass er Spalatins Manuskripte korrigierte.73

Bemerkenswert ist, dass von 37 handschriftlichen historischen Arbeiten 11 in den Druck gelangt sind – und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Aus dem Teilbereich III: Deutsche Geschichte betrifft dies die Arbeit über Arminius.74 Dieser Druck wird – da in ihm das Wort „verdeudscht“ vorkommt – in dieser Arbeit als Übersetzung behandelt. Im Teilbereich IV: Zeitgeschichte betrifft es alle Schriften; es handelt sich dabei um die detaillierten zeitgeschichtlichen Aufzeichnungen Spalatins.75 Die fünf Arbeiten aus dem Teilbereich V: Sächsische Geschichte sind ein Zeugnis dafür, dass Spalatins Aufzeichnungen zur sächsischen Geschichte zu deren Aufarbeitung in der Geschichtswissenschaft genutzt wurden.76 Im 18. und 19. Jahrhundert, aus denen vier Fünftel aller Drucke stammen, hatte die Geschichtswissenschaft ein großes Interesse an ihrer eigenen Vergangenheit, wodurch sich die Edition verstehen lässt.77 Aus dieser Zeit (1851) stammt auch das Großprojekt von NEUDECKER und PRELLER, die eine Edition des Lebens Friedrichs des Weisen samt seinen Briefen planten, wovon allerdings nur der erste Band realisiert werden konnte. Auch die selbst aufgeschrieben Biografie Spalatins wurde durch BERBIG gedruckt.78

Schließlich haben sich fünf Übersetzungen erhalten, die nie gedruckt wurden. Sie bilden heute ein Konvolut im Ernestinischen Gesamtarchiv des ThHStA Weimar.79 Diese Arbeiten behandeln die Geschichte der Gothen, der Langobarden, der Franken, das Leben des Kaisers Marcus Antonius nach der Chronik von Fulda und die Türkenchronik des Johannes Adelphus.

FLACH äußert, dass bei der kritischen Geschichtsschreibung zu Beginn des 19. Jahrhunderts festgestellt wurde, dass Spalatin zwar stets seine Quellen – „im allgemeinen gutes und einwandfreies Material“80 – angab, dass er aber die Übernahme des Materials in seine Arbeiten kritiklos gestaltete.81 Statt das Material zu verwerten, war „seine Geschichtsschreibung reine Kompilation“.82

Nach der Arbeitserleichterung, die sich für Spalatin ergab, als er die Fürstenerziehung niederlegen konnte, begann er mit der historiografischen Arbeit, die mit dem Aufbau der Bibliotheca Electoralis unmittelbar verzahnt war. So sammelte er stets Werke der Geschichtsschreibung, die er in die Bibliothek aufnahm, um sie als Grundlage seiner Auszüge und Übersetzungen zu verwenden.83

1.2 Spalatin in seiner Zeit: Personalia – Strömungen – Schriftlichkeit

1.2.1 Personalia und Einflüsse: Der Hof als Wirkungsstätte

Die Betrachtung der dynastischen Geschichte der ernestinischen Wettiner ist wichtig zu betrachten, denn ihre Einflussnahme auf die translatorische Produktionstätigkeit Spalatins ist spürbar.84 Dennoch sind nicht nur die adligen Protagonisten am Hofe Impulsgeber für die Arbeiten des Hofübersetzers. Auch Luther wirkte mit und beeinflusste nicht nur die Arbeiten, sondern auch die Religionspolitik des jeweiligen Landesvaters – über Spalatins Vermittlung.

Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, genannt der Weise (1486–1525)

In einer Zeit lebend, die vom Umbruch geprägt war, blieb Friedrich III. dem Alten verhaftet. 1493 zum Ritter vom Heiligen Grab geschlagen, übte er die Glaubenspraktiken seiner Zeit aus, die jedoch begannen, nicht mehr zeitgemäß zu sein. Die Verehrung Mariens und der Heiligen, der tägliche Besuch der Messe, die Frömmigkeit im Werk und vor allem der Kult um Reliquien, von denen er knapp 20.000 besaß. Dennoch sorgte er für die Weiterentwicklung seines Landes. Er gründete 1502 die Universität Wittenberg, betraute dort Spalatin mit der Gründung der Bibliotheca Electoralis, legte damit den Grundstein für die studia humanitatis und sah in seinem letzten Lebensjahrzehnt, wie seine Universität zur Brutstätte für die Reformation wurde.

Die früheste in bestem Maße authentische Quelle ist der Bericht Georg Spalatins selbst. Er existierte lange nur als Autograf, bis Christian Gotthold Neudecker und Ludwig Preller 1851 den Versuch unternahmen, Georg Spalatins historischen Nachlaß und Briefe herauszugeben. Die Herausgabe war zweibändig gedacht: Den ersten Teil sollten die Spalatinsche Biografie Friedrichs des Weisen bilden – dies gelang. Im zweiten Teil sollten die Briefe Georg Spalatins zusammengefasst werden – was bis heute nicht gelang.85 Der erste Teil jedoch kann als grundlegende Quelle verwendet werden, wenn er auch sehr, bisweilen zu lobend daherkommt.

Aus der ganzen Schrift spricht eine so innige und liebevolle Verehrung vor dem jüngst verstorbenen Churfürsten und eine so herzliche, warme und fromme Gesinnung ihres Verfassers, daß sie sich jedem unbefangenen Leser von selbst empfehlen wird und für ein würdiges Denkmal sowohl des geschilderten Fürsten, dem seine Zeitgenossen mit bestem Recht den Namen des Weisen verliehen, als seines treuen, von ihm durch so großes und so dauerndes Vertrauen ausgezeichneten Dieners gelten darf. Auch ist diese Schrift durch die Art und den besonderen Ton ihrer Abfassung vor allen übrigen Stücken des Nachlasses ausgezeichnet.86

Sicherlich muss man zugestehen, dass ein solch lobendes Zeugnis als Leseempfehlung verstanden werden muss und der Aspekt der Werbung für dieses Druckerzeugnis nicht zu vernachlässigen ist. Der Abschnitt könnte so wohl auch auf einem Buchrücken oder einem Klappentext zu finden sein. Jedoch ist der Tenor, in dem Spalatin die Biografie für seinen Fürsten schreibt, ebenfalls ein durchaus lobender – und somit mit Bedacht und sachlich zu lesen.87

Johann der Beständige (1525–1532)

Johann der Beständige betritt als Mitregent bereits nach dem Tode des Kurfürsten Ernst von Sachsen die politische Bühne, wenn auch im Hintergrund. Da von drei Geschwistern zwei die geistliche Würde eines Erzbischofs in Empfang nehmen und der ältere Bruder Friedrich laut Primogenitur der Thronprätendent ist, wirkt der jüngere Bruder im Hintergrund, wenngleich beide ebenbürtig regieren sollen. Johann wird fünf Jahre nach Friedrich geboren, am 30. Juni 1468 in Meißen. Anders als Friedrich, der lebenslang unverheiratet blieb, einen illegitimen und somit nicht zur Thronfolge vorgesehenen Sohn (Sebastian von Jessen) hatte, verheiratete sich Johann mit der Herzogin Sophia von Mecklenburg im Alter von 31 Jahren in Torgau. Aus dieser Ehe ging 1503 der spätere Kurfürst Johann Friedrich hervor. Herzogin Sophia starb einige Wochen nach der Geburt. Mit dem Tode des älteren Bruders, Friedrichs des Weisen, am 5. Mai 1525 geht die Regentschaft vollständig auf Kurfürst Johann über.

Johann war der Reformation gegenüber wesentlich offener eingestellt als sein Bruder und erkundigte sich bereits frühzeitig bei Luther, wie man das Abendmahl in evangelischer Form einzunehmen hatte und ließ sich von Luther Schriften widmen.88 Die radikaleren Schattierungen der Auffassung antirömischer Konfession bedeuteten Johann nichts. Speziell der Prediger Thomas Müntzer hatte keine Sympathien von Kurfürst Johann zu erwarten. Nach einer Predigt im Juli 1524 im Allstedter Schloss flüchteten Johann und Johann Friedrich direkt nach dem Ende der Predigt. Thomas Müntzer konnte den Kurfürsten nicht von seiner Auffassung der Heiligen Schrift und seiner Exegese, zu radikal und kompromisslos erschienen dem Kurfürsten und dem Kurprinzen Müntzers Ansichten.

Die Reformation, wie Luther sie durchsetzen wollte, hatte in Johann einen Gönner. Während Friedrich der Weise „in vielen Punkten am alten Glauben festhielt und sich zu Reformen kaum entschließen konnte, bezog der ebenfalls religiöse sehr interessierte Johann klare Positionen und förderte die Reformation.“89 Friedrich mied die persönliche Begegnung aus politischen Gründen, Johann und Luther trafen sich in Wittenberg Anfang 1525. Diese förderten das gute persönliche Verhältnis zwischen dem Reformator und dem zu jenem Zeitpunkt Kurfürst in spe.90 Auch am Briefwechsel ist dieses enge Verhältnis ablesbar, woran sich eine Veränderung in den kommunikativen Abläufen am ernestinischen Hof zwischen Friedrich und Johann erkennen lässt. Wirkte Spalatin bis 1525 als kommunikative Pufferinstanz, so kommunizieren Johann und Luther danach direkt miteinander. 122 Briefe des Reformators an Johann, 56 kurfürstliche Briefe an Luther, resümiert WARTENBERG.91 Friedrich war der Ansicht, dass eine direkte Kommunikation mit Luther für seine zu bewahrende Neutralität als Herrscher kontraproduktiv wäre, zumal die Reformation immer eine gewisse religiöse Ungewissheit mit sich brachte und ohnehin zum Politikum geworden war. Eine befürwortende oder ablehnende Stellungnahme war von Friedrich daher nicht zu erwarten. Es hat den Anschein, dass er in den letzten Jahren seiner Regentschaft eine konkrete Stellungnahme nicht mehr für nötig hielt. Ganz anders dahingehend agierte Johann. Mitte der 1520er-Jahre, in den Jahren der reformatorischen Bewegung zwischen Erkenntnis und Bekenntnis, ist eine Parteinahme für die Reformation weniger gefährlich als noch zu Beginn der 1520er-Jahre. Es ist die Zeit der beginnenden konfessionellen Konsolidierung. Kurfürst Johann kann sich also problemlos zur neuen Lehre bekennen. Er ist der erste Ernestiner, „der für seine Person die Entscheidung zugunsten der Reformation bereits vollzogen hatte“.92

Ein weiterer Umstand festigte die religionspolitische Einstellung. Sie war zwar nicht sachlicher Natur, aber öffentlichkeitswirksam. Die Ursache lag im Umgang der Habsburger mit den Ernestinern bezüglich der Heiratspolitik. Johann Friedrich von Sachsen sollte die Schwester Karls V., Katharina, aus taktischen Gründen93 heiraten. Die Ehe war geplant, die Durchführung der Hochzeit und der Vollzug der Ehe jedoch durch Vertröstungen und Hinhaltungen seitens der Habsburger hingezogen. Katharina wurde schließlich mit dem König von Portugal verheiratet. Derart „öffentlich brüskiert“94, trugen die ernestinischen Herrscher die Religionspolitik Karls V. nicht mehr mit und entschieden sich zur Förderung der Reformation auch deshalb, weil Karl V. dies missbilligte. Johann Friedrich heiratete schließlich 1527 Sibylla von Cleve und führte diese zu ehelichem Glück.

In die Regentschaft Johanns als Kurfürst fällt die Durchsetzung der Reformation unter dem Aspekt der Einheitlichkeit. Den geistigen Vätern der neuen Lehre war daran gelegen, dass im gesamten Territorium die liturgischen Handlungen nach gleichem Muster ablaufen sollten. Gemäß der von den Reformatoren aufgestellten Grundsätzen und Richtlinien erfolgten Visitationen der Kirchgemeinden in der ernestinischen Herrschaft. Georg Spalatin befand sich unter den Visitatoren.

Für die Konsolidierung der Lutherschen Lehre war Kurfürst Johanns Religionspolitik unerlässlich, durch sie wurde erstere erst möglich. Sein Beiname – der Beständige – weist auf eine die Reformation mit stetigem, beständigem, zielstrebigem Handeln begleitende Politik hin. Während Johann der „endgültige Durchbruch der Reformation im mitteldeutschen Raum“95 gelang, oblag nach dessen Tod im August 1532 seinem Sohn Johann Friedrich die Weiterführung des reformatorischen und väterlichen Erbes.

Johann Friedrich von Sachen (1532–1547)

Johann Friedrich von Sachsen wird am 30. Juni 1503 in Torgau geboren und regiert ab 1532 Sachsen.96 In Wittenberg war er Schüler Spalatins und tritt mehrfach als sein Widmungsempfänger auf. Laut klassischem Bildungsideal97 achtete man bei dem Prinzen darauf, dass nicht nur körperliche Tüchtigkeit bei ihm gefördert werde, sondern

„wie man gottselig Leben, christlich regieren, Land und Leute wohl verstehen soll, dazu bedürfen wir gelehrter Leut, guter Bücher und zuvorderst, neben geraumer Zeit, Gottes Geist und Gnade.“98

Die Rivalität zwischen dem Lateiner Spalatin und dem körperlichen Erzieher Ernst von Isserstedt verbittert den Pauker zunehmend. Georg Mentz schildert das Verhältnis folgendermaßen:

„Nun mag dieser [Ernst von Isserstedt, K.N.] ja ein etwas eigensinniger und pedantischer Herr gewesen sein, auch gehörte er vielleicht zu einer Partei am Hofe, die auf die Gelehrten und die Geistlichen mit Geringschätzung herabsah: einen großen Teil der Schuld an dem Konflikte, der schon 1509 zu fast völligem Bruche geführt zu haben scheint, trug doch auch Spalatin. Auch er wollte mit dem Kopf durch die Wand und ohne Rücksicht auf ihre künftigen Aufgaben und ihre Gesundheit seine Zöglinge zu jungen Gelehrten machen. […] Wenn Spalatin an seinen bisherigen Grundsätzen festhalte, sei es nicht zu verwundern, wenn die Knaben sich mehr zu dem Hofmeister hingezogen fühlten, der in ihrer Gegenwart auch einmal lache, als zu ihm.“99

Mutian vermittelt schließlich zwischen Landesherrn und Lehrer.

Dass Spalatin eine nicht sonderlich attraktive Pädagogik anwandte, ändert nichts an der Tatsache, dass Johann Friedrich ein intelligenter, wissbegieriger, sprachenaffiner Schüler war. Französisch lernte er von Veit Warbeck, der in Paris studiert hatte und die französische Sprache zugunsten von damals schon existierenden Heiratsplänen mit dem nahe der Grenze zu Frankreich befindlichen Haus Jülich-Cleve-Berg lehrte.

Das Ende der gemeinsamen Unterrichtszeit fällt in das Jahr 1511. Im Herbst dieses Jahres wird Spalatin, der bereits vor diesem Zeitpunkt mit historiografischen Arbeiten und der Übersetzung der kurfürstlichen Korrespondenz betraut war, mehr mit solcherlei Aufgaben versorgt und geht – wieder als Prinzenerzieher – an die Universität Wittenberg, wo er die Neffen Friedrichs des Weisen, Otto und Ernst von Lüneburg unterrichtete. Es mögen wohl persönliche Differenzen zwischen Isserstadt und Spalatin gewesen sein, die Spalatins Weggang vom Hofe begründeten. Möglich ist hingegen auch, dass Johann Friedrich noch zu jung für den wissenschaftlich denkenden Spalatin war, wie Scheurl schreibt und Mentz zitiert, denn Spalatin hätte seinen Unterricht auch gegen die Widerstände Isserstedts fortsetzen können, denn dieser wurde im November 1511 pensioniert.100

Aus dem Bücherbesitz Johanns zu dieser Zeit sind Listen erhalten, die ein Bildungsideal bescheinigen, das die antike, römisch wie griechische Literatur kennt und auch zahlreiche mittelalterliche Klassiker. Der Prinz war mit der Grammatik der lateinischen und griechischen Sprache, mindestens in ihren Grundzügen, vertraut, besaß „Der Fürsten Regel“101. Hinzu kommen mehrere Chroniken, Erbauungsliteratur, ein Fechtbuch, ein Heldenbuch sowie der Parzival. Aus der Vorliebe für mittelalterliche Literatur, insbesondere für den höfischen Roman, lässt sich auch die Lektüre der Schönen Magelone erklären. Allgemein war Johann Friedrich sehr literaturaffin.

Ein Abdruck des Verzeichnisses der Bibliothek des Prinzen findet sich in den Aktenstücken bei MENTZ102. Als reformatorischer Herrscher, ausgebildet durch den Humanisten Spalatin, befinden sich in der Bibliothek des Prinzen die moralisch-politischen Schriften der Antike, Fürstenspiegel, Terenz, Aristoteles, Homer, Platon, Cicero und Aesopschen Fabeln. Für das Wissen um die Bewährung im Kampfe finden sich Kriegsübungen und ein Fechtbüchlein, zudem eine Türkische Chronik103. Der reformatorische Herrscher besaß auch die Schriften Luthers, darunter die Auslegung des 109. Psalms104 und die Sieben Bußpsalmen.105

Seinem letzten Lehrer Colditz bescheinigt er wenig pädagogische Fähigkeiten, sehnt sich Spalatin als Lehrer zurück und bleibt in der Folgezeit mit ihm in intensivem Briefkontakt, der häufig religiöse Fragen zum Inhalt hat.106 Die tiefe Prägung, die der Lehrer beim Schüler hinterlassen hat, erklärt wohl auch des Schülers aufgeschlossene Haltung zur Reformation.

Das Verhältnis Luthers zu den Kurfürsten

Wenn die Hauptaufgabe Spalatin in der Regierungszeit Friedrichs III. die Vermittlung zwischen dem Kurfürsten und Luther war, so lohnt sich auch ein Blick auf das Verhältnis zwischen Luther und dem jeweils regierenden Kurfürsten.

„Die Beziehungen zwischen Luther und Kurfürst Friedrich dem Weisen […] – von außen gesehen – äußerst spärlich und doch von einer ganz besonderen inhaltlichen Bedeutung und Brisanz gekennzeichnet.“ So beschreibt SOMMER das Verhältnis und begründet das mit einer Distanz zwischen dem Herrscher und dem Theologen, die diplomatisch motiviert war. Der Grundsatz, ein Staatsoberhaupt müsse politisch neutral sein, genoss bei Friedrich höchste Priorität.

Die Distanz Friedrichs zu Luther hat gute, professionelle Gründe. Der Kurfürst gründet 1502 die Universität Wittenberg und besetzt einen der ersten Lehrstühle (Lectura in Biblia) mit Martin Luther. Wären sich Luther und Friedrich näher gewesen, hätte man dem Regenten Begünstigung vorwerfen können. SOMMER schreibt dazu:

„Offenbar hat er das distanzierte Verhalten Friedrichs zu ihm selbst wie zur reformatorischen Bewegung als die richtige und einzig mögliche Haltung angesehen. Er war sich völlig darüber im klaren, daß er den Kurfürsten in nicht geringe Verwicklungen und Verlegenheiten bringen mußte, ein direktes hätte der reformatorischen Bewegung in ihrer Frühzeit nur geschadet.“107

Die Garantie über die Glaubwürdigkeit der Lutherschen Bibelexegese, die Spalatin ihm leistete, wurde zu einer moralisch-politischen Verpflichtungserklärung, die BORNKAMM so ausdrückt: „Er [Friedrich der Weise] hielt sich aus innerer Überzeugung und aus persönlicher Bescheidenheit an die Maxime, daß er als weltlicher Herrscher religiöse Fragen nicht zu entscheiden habe.“108

Trotz dieser Distanz achtete Luther seine Landesfürsten sehr, wenn er ihnen auch ihre Schwächen höflich, aber offenherzig mitteilte. Die Widmungsvorreden Luthers bezeugen dies. Diese sind ambivalent: Luther bezeichnet Friedrich als verantwortlichen Kurfürsten, der Künste, Wissenschaft und Wohlfahrt fördert und (posthum) als „kursächsischen Salomo“109110111