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ISBN 978-3-218-00922-5
Copyright © 2014 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlaggestaltung: Kurt Hamtil, Wien
unter Verwendung eines Bildes von Theo Zasche, 1898
Satz und typografische Gestaltung: Kurt Hamtil, Wien
Lektorat: Katharina J. Schneider
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Vorwort von Franz Karl Ruhm

Des Kaisers Menübuch 1913–1914

Mai 1913

Juni 1913

Sommer in Bad Ischl

September 1913

Oktober 1913

November 1913

Dezember 1913

Januar 1914

Anmerkungen

VORWORT

Das Schönbrunner Menübuch „Menus Sr. K. und K. Apost. Majestät v. 4. Mai 1913 bis 29. Jänner 1914 Schönbrunn“ zeigt Kaiser Franz Joseph aus einem sehr privaten, fast intimen Blickwinkel. Es ist eine Sammlung handschriftlicher Vorschläge für Déjeuners und Dîners, die von kaiserlichen Hofköchen erstellt und dem Kaiser täglich zur Durchsicht vorgelegt wurden. Die von Franz Joseph nicht gewünschten Gänge wurden mit Rot- oder Blaustift gestrichen, die eine oder andere Änderung wurde entgegengenommen, die Uhrzeit festgelegt und bei privaten Dîners oder Familiendîners Personenanzahl und Sitzordnung durch den Kaiser bestimmt. Die korrigierte Endfassung diente als Druckvorlage für die offiziellen Menükarten, die manchmal dem Menübüchlein durch die zuständigen Hofköche beigefügt wurden.

Die zuständigen Hofköche? Erstklassige Spitzenkönner, die sich auch nach Ende des „Kaiserdienstes“ eines hohen Rufes erfreuten und noch jahrelang in das kulinarische Geschehen Wiens eingebunden waren. So auch in Verbindung mit jüngeren Köchen, die sich im Rahmen des Verbandes der Köche für die Wiener Küche einsetzten. Mit vielfältigen Aktivitäten, wie der Führung einer Berufszeitung, verschiedener kulinarischer Ausstellungen und einer Kochkunstschau im Wiener Kursalon wurde die Wiener Küche gepflegt und einem neuen bürgerlichen Publikum nahegebracht. Ganz vorne dabei stand der junge, aufstrebende Küchenchef Franz Ruhm, der die Berufszeitung betreute, die neue Wiener Küche in der Öffentlichkeit präsentierte und sich in kurzer Zeit mit den ersten Kochsendungen des neugegründeten Radios und eigenen Rezepten einen Namen machte. Franz Ruhm wurde ein Begriff und stand in guter Verbindung mit allen Persönlichkeiten der kulinarischen Welt – so auch mit ehemaligen Hofköchen.

Einer dieser Hofköche hatte bei seinem Ausscheiden aus dem kaiserlichen Dienst ein handgeschriebenes Menübuch der kaiserlichen Hofküche in Verwahrung und hat dieses Büchlein seinem Freund Franz Ruhm geschenkt. Und dieses Büchlein wollen wir – genau 100 Jahre nach seinem Entstehen – der Öffentlichkeit vorstellen.

Ein Tag mit dem Kaiser

Ein ganz normaler Tag in Schönbrunn: Die Menükarten sind gedruckt, in der Hofküche wird gekocht, die Hofzuckerbäckerei bereitet das Dessert, die Hofsilber- und Tafelkammer deckt die Hoftafel, im Hofkeller stellt der Hofkellermeister die Getränke bereit. Wieviel Einsatz und Fleiß, Fachwissen und Kreativität die Mitarbeiter der K. und K. Hofhaushaltung in ihre vielfältigen und überaus anspruchsvollen Aufgaben einbrachten, mögen die nachstehenden Seiten vermitteln.

Der Arbeitstag von Franz Joseph war lang. Sein erstes Frühstück nahm er bereits zwischen fünf und sechs Uhr früh in seinem Arbeitszimmer ein. Dabei wurde Tee oder Kaffee gereicht und neben Butter, Schinken und Eier wahlweise mürbes Gebäck, Brioches oder Guglhupf vorgelegt.

Das Déjeuner – eigentlich das Mittagessen von Franz Joseph – wurde zwischen 11 und 12 Uhr mittags angerichtet und am kaiserlichen Schreibtisch serviert. Der Kaiser bevorzugte dabei Gerichte der bürgerlichen Wiener Küche und ließ sich gerne Butternockerl-, Fleischknöderl-, Kalbsragout- oder Gemüsesuppe servieren – nicht zu vergessen potage aux fleques, die klassische Fleckerlsuppe. Bei den Hauptspeisen waren besonders Rindfleisch mit Beilagen, aber auch Rostbraten, Kalbspörkelt, Wiener Schnitzel und Beuschel mit Grießstrudel beliebt. Auf eine Nachspeise wurde beim Déjeuner verzichtet, an Getränken wurden je nach Speisenfolge ein Glas Bier oder ein Glas Wein aus der Hofkellerei und zum Abschluss schwarzer Kaffee gereicht.

Das Dîner wurde zwischen sechs und sieben Uhr abends angesetzt und war die eigentliche Hauptmahlzeit des Kaisers, der es sehr gerne mit Familienmitgliedern teilte. In der K. und K. Hofhaushaltung wurden diese Dîners daher auch Familiendîners genannt, zum Unterschied von Galadîners für ausländische gekrönte Häupter, Militärdîners für militärische und zivile Gäste und Diplomatendîners für Botschafter und Delegationen. Je nach Art und Anzahl der Gäste fanden die repräsentativen Dîners in den Festsälen von Schloss Schönbrunn oder im Marmorsaal, Zeremoniensaal oder im Reichskanzleitrakt der Hofburg statt. Die Familiendîners wurden in gemütlicherem, kleinerem Rahmen zelebriert.

Soweit es seine Pflichten erlaubten, zog sich Franz Joseph am Abend gerne zurück und begab sich bereits gegen halb neun zur Ruhe.

Das Menübuch und die Wiener Hofküche

„Mit Gott 1913“ eröffnet am 4. Mai 1913 der Hofkoch erster Klasse Anton Häring das Menübuch Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät Kaiser Franz Joseph. Der Kaiser steht im 83. Lebensjahr und Habsburgs Vielvölkerstaat vor einer dramatischen Schicksalswende. Noch konnte der alte Kaiser trotz aller Wirren im politischen Tagesgeschäft nicht ahnen, welcher Zukunft die Österreichisch-Ungarische Monarchie entgegenging, noch hatte der „erste Diener des Staates“ die Zügel fest in der Hand, noch war er der erhabene Mittelpunkt, um den alles kreiste. Wie verlief das Leben von Kaiser Franz Joseph in diesen Schicksalsjahren? Wer waren seine offiziellen Gäste bei Déjeuners und Dîners? Wer sorgte für sein leibliches Wohl? Wie funktionierte die K. und K. Hofhaushaltung – und wer waren die Hofköche, Hofzuckerbäcker und Hofkellermeister, allesamt Meister ihres Berufsfaches und tägliche Begleiter des Kaisers.

Franz Joseph verbrachte die Monate Mai und Juni in Wien. Es wird den Kaiser nicht gestört haben, dass in der Vorsommerzeit nur wenige hochoffizielle Gäste ihre Aufwartung machten. Anfang Juni war der bayerische Prinzregent einige Tage zu Besuch, es gab ein Galadîner bei Hofe und ein Déjeuner bei Franz Ferdinand. Aber das war ja fast ein Verwandtschaftsbesuch.

Bald danach erscheint eine interessante Persönlichkeit: Graf Zeppelin ist Ehrengast beim Déjeuner Dînatoire und wird dem Kaiser bei Consommé en tasse, Œufs à la Diane und Gelée des jeunes poulets a l’Élysée von seinem geplanten Luftschiff erzählt haben. Dafür hat Franz Joseph auf sein Schreibtischdéjeuner mit Schinkenfleckerln und pommes de terre vielleicht ganz gerne verzichtet.

Knapp vor Abreise nach Bad Ischl hat der Kaiser seine Elferdragoner geladen. Für die hohen Chargen wurden auf der Hoftafel 112 Gedecke aufgelegt und Köstlichkeiten wie Tartelettes Montgelas und Côtelettes de homards rénaissance neben einem Château Lafite 1904 und einem Veuve Clicquot rosé kredenzt. Bei der separierten Unteroffizierstafel ging es etwas deftiger, aber auch sehr schmackhaft zu. Wer kann schon was gegen Paradeissuppe, Stirl mit Kartoffeln, Schweinsrücken garniert, Rehfilets mit Risotto, Kapauner, Salat, Kompott, Spargel, Erdbeercrème, Käse und Dessert sagen. Noch dazu gewürzt mit Bier und Offizierswein!

Am 1. Juli hat der Kaiser seinen Urlaub in Bad Ischl angetreten. Auf die in jüngeren Jahren so geliebte Pirsch wird Franz Joseph nicht mehr gegangen sein, lange Spaziergänge und der eine oder andere Ausritt haben aber sicher zur sommerlichen Erholung beigetragen. Die Rückkehr nach Wien erfolgte am 7. September. Aktenberge erwarteten die Majestät, wollten bearbeitet und erledigt werden. Die schöne Sommerzeit war vorbei. Bis Ende Januar 1914 hat der Kaiser die Haupt- und Residenzstadt nicht mehr verlassen – das Menübuch ist lückenlos geführt. Ab September fällt auf, dass bei den Dîners der Rotstift zum Teil sehr kräftig eingesetzt wurde. Wahrscheinlich wollte der Kaiser sein Bad Ischler Idealgewicht erhalten.

Derartige Streichungen waren am 26. Oktober nicht möglich: Der deutsche Kaiser Wilhelm II. war zu Besuch bei Franz Joseph und die K. u. K. Hofküche bereitete von Potage royale bis Crème viennoise kulinarische Höhepunkte.

Manchmal gab Franz Joseph zwischendurch Dîners – so am 1. Dezember für den König von Spanien in der Hofburg; vielleicht war es in Schönbrunn zu kalt.

Zu Weihnachten erfreute sich der Kaiser nach einem opulenten Heiligabend-Dîner beim Christtagsdéjeuner an einem Gericht, das in Mailand kreiert, von Feldmarschall Radetzky nach Wien transferiert wurde – und seit damals nicht mehr Mailänder, sondern Wiener Schnitzel heißt. Symbol für Altösterreich! Der Jahresbeginn 1914 wurde traditionell mit einem großen Dîner du 1. janvier gefeiert. Für 42 hohe Herrschaften waren dabei nicht weniger als acht Hofköche mit der gesamten Küchenbrigade im Einsatz! Die exquisiten Gänge können sich sehen lassen – wie immer ist auch das hochgeschätzte Rindfleisch dabei, diesmal als Pièce de bœuf et selle d’agneau.

Die Hofküche

In der strengen hierarchischen Ordnung der K. u. K. Hofhaushaltung war die Hofküche der Mittelpunkt. An der Spitze des kaiserlichen Haushaltes stand das Hofwirtschaftsamt, geleitet vom Hofkontrollor und unterstützt vom Hofwirtschaftsdirektor, der wieder zusammen mit dem Rechnungsführer die Aufsicht über Hofküche, Hofzuckerbäckerei, Hofkeller und Hoftafelinspektoren hatte.

Die im Schweizerhof unter der Burgkapelle situierte Hofküche bestand ursprünglich aus einer ganzen Flucht saalähnlicher Räume, in denen verschiedene Küchen für bestimmte Aufgaben eingerichtet waren. Nach einem Umbau und einer technischen Modernisierung im Jahre 1904 waren dies die große Küche für Gala-, Militär- oder Diplomatendîners, die Mundküche für Familiendîners und den sonstigen kulinarischen Bedarf der kaiserlichen Familie, die Buffetküche für kalte Speisen, die Mehlspeisküche und – nicht zu vergessen – die sogenannte Olioküche, in der ausschließlich die legendäre Oliosuppe für kaiserliche Bälle zubereitet wurde.

Es gab aber auch noch weitere Küchen, nämlich die Separatküchen für Mitglieder der Kaiserlichen Familie und die Menageküche für die Hofbeamten. Ergänzt wurde die Hofküche durch einen Manipulationsraum zur Aufteilung der Lebensmittel, einer Abwaschküche, einem Kühlraum und einem Dienstzimmer für die Chefköche, in dem Menüvorschläge erstellt, sogenannte „Begehrzettel“ für den Einkauf von Lebensmitteln ausgefertigt und überhaupt alle notwendigen Schreibarbeiten erledigt wurden.

Ähnlich wie die Hofküche war auch die Zuckerbäckerei organisiert – erweitert durch eine Einsiedeküche für Marmeladen und Säfte und einem Gefrierraum für Glaces variées.

Die Hofköche

Bei den im Menübuch eingelegten, gedruckten Menükarten ist die „Hofkochordnung“ gut zu erkennen. Oben stehen die Hofköche, neben den einzelnen Gängen sind die Namen der ausführenden Köche vermerkt. Bei jedem Gericht, das am kaiserlichen Tische serviert wurde, musste nämlich der Name des verantwortlichen Koches bekannt sein.

Anerkennung bei besonders gut gelungenen Dîners war die Regel, Rügen wegen misslungener Gerichte gab es kaum – schon deshalb, weil der Chefkoch die fertige Speise prüfte und abschmeckte. Die Hofküche wurde von einem oder mehreren Chefköchen geleitet, die in Hofköche erster, zweiter oder dritter Klasse gegliedert und dem gesamten Küchenpersonal vorgesetzt waren. Die Chefköche waren hervorragend qualifizierte gastronomische Spitzenkönner, die schon vor der Stellung am kaiserlichen Hof eine gediegene Ausbildung, Praxis in Adelshäusern oder erstklassigen Restaurants und womöglich berufliche Auslandsaufenthalte nachweisen konnten. Allerdings gab es auch Chefköche, die von der Pike auf in der Hofküche gelernt, gearbeitet und Karriere gemacht hatten.

Die Gänge im Menübuch wurden – wie damals in allen Herrschaftshäusern üblich – in französischer Sprache präsentiert. Gute Französischkenntnisse der Chefs mussten daher gegeben sein. Aber nicht immer ging es Französisch her: Unübersetzt und selbstbewusst präsentieren sich ein landbayerischer Rostbraten, eine Portion Schinkenfleckerl, Salzburger Nockerl, ein Schokoladerehrücken – und anderes mehr.

Ein ganz normaler Tag in der Hofküche: Im Dienstzimmer sitzen die Hofköche beisammen – es rauchen die Köpfe. Die kaiserlichen Menüs werden beraten, bei Galadîners unter Anwesenheit des Oberstküchenmeisters. Was haben wir gestern, vorgestern, vor einer Woche geboten, was wird seiner Majestät genehm sein? Mit wieviel Gedecken ist zu rechnen, welche Lebensmittel müssen besorgt werden? Schließlich schrieb der zuständige Chefkoch oder Hofkoch die Menüvorschläge für Déjeuner und Dîner des nächsten Tages in das Menübuch. Vorgelegt wurde das Bändchen dem hohen Herrn zusammen mit einem dicken roten oder blauen Stift. Die nicht gewünschten Gänge wurden energisch gestrichen.

Die „Hofküchengeister“

Oberstküchenmeister, Hofwirtschaftsdirektor, Chefkoch, Hofkoch, Hofzuckerbäcker, Hofkellermeister – viele Aufgaben, viele Titel. Wer waren die Menschen, die den alten Kaiser in der Hofburg und in Schönbrunn umsorgten? Der Oberstküchenmeister stand der K. und K. Hofküche vor – aber kochen musste er nicht: Wichtiger als diese Fertigkeit war alter Adel – und diese Voraussetzung brachte Karl Freiherr von Rumerskirch zur Genüge mit. Der Hofwirtschaftsdirektor – das wichtigste Kontrollorgan der Hofhaushaltung – war zur Zeit des Menübüchleins der überaus tüchtige Hofrat Franz Wetschl, wegen seines energischen Auftretens auch gerne „Exzellenz Wetschl“ genannt.

Zur gleichen Zeit standen der Hofküche die Chefköche Otto Deshalmes und Karl Tlaschek vor. Otto Deshalmes war ein typisches Kind der alten K. u. K. Monarchie. 1859 in Verona geboren, trat er 1874 als Lehrling in die Hofküche ein, arbeitete nach abgeschlossener Ausbildung in der Separatküche für Kronprinz Rudolf und wurde 1893 zum Hofkoch erster Klasse ernannt. 1907 erfolgte die Bestellung zum Chefkoch. Karl Tlaschek war Wiener, 1858 geboren absolvierte er die Kochlehre im Hotel Sacher und arbeitete dann in der Küche von Fürst Johann von Liechtenstein. In die Hofküche kam Tlaschek 1877 als Praktikant und wurde 1906 zum Chefkoch befördert.

Chefköche
Otto Deshalmes Leitung
Karl Tlaschek Leitung
 
Hofköche erster Klasse
Hubert Germershausen Entrées, Mehlspeisen, Arrangements
 
Anton Häring Suppen und Entrées
Adolf Russwurm Suppen und Entrées
Alexander Spörk Kalte Platten, Mehlspeisen, Arrangements
Ludwig Troszt Entrées, Gemüsegerichte, Mehlspeisen
 
Hofköche zweiter Klasse
Eduard Fika Rindfleischspeisen, Gemüsegerichte
 
Hofköche dritter Klasse
Oskar Eder Entrées, Braten
 
Hofzuckerbäcker erster Klasse
Michael Enyedy Gefrorenes
 
Hofzuckerbäcker zweiter Klasse
Ludwig Geraus Feine Bäckereien
Josef Karl Horwarth Desserts, Gefrorenes

Alle hier genannten Hofköche waren langjährige, verdiente Mitarbeiter des kaiserlichen Haushaltes, wurden jedoch nicht automatisch, sondern nur aufgrund ihres stets aufs Neue bewiesenen Könnens befördert.

Können bedeutete aber auch, dass die Köche Alleskönner sein mussten. Bei Hofreisen oder anderen Anlässen konnte es schon vorkommen, dass ein Hofkoch Suppe, Entrées, Hauptspeise, Saucen und Dessert alleinverantwortlich zubereitete. Konnte sich ein Hofkoch jedoch ausschließlich seiner „Spezialität“ widmen, war seiner kulinarischen Fantasie keine Grenze gesetzt – außer dem Urteil des Chefkochs!

Der letzte – 1918 ernannte – habsburgische Chefkoch war Rudolf Munsch, der unter Franz Joseph 1894 zum Hofkoch zweiter Klasse avanciert war. Das letzte Dîner für Kaiser Karl bereitete Rudolf Munsch Ende Februar 1919 in Schloss Eckartsau.

Der Hofkeller

Wie die Hofküche unterstand auch der K. u. K. Hofkeller dem Hofwirtschaftsamt. Die wichtigste Persönlichkeit war der Hofkellermeister, der für Auswahl, Kauf und richtige Lagerung der Weine verantwortlich war. Nach alter Tradition wurden für die Fassweine österreichische, aber auch ungarische Sorten bevorzugt, während Flaschenweine oft aus ausländischen Rieden stammten – ausgenommen K. u. K. – Spezialitäten wie der berühmte Tokajer aus dem Szamorodner Hofweingut.

Alle Getränke – von den Entrées bis zum Dessert – wurden mit den einzelnen Gängen fein abgestimmt, die kaiserlichen Gäste genossen bei Galadîners beste Kreszenzen.

Der Hofkellermeister und seine wichtigsten Mitarbeiter, die Hofkeller-Offizianten erster und zweiter Klasse, betreuten bei den Fassweinen den sogenannten Herrschaftswein, den Offizierswein und den Soldatenwein. Diese Weine waren Rot- und Weißweinsorten aus österreichischen Lagen. Um für die Hoftafel stets gleichbleibenden Geschmack und Qualität zu gewährleisten, wurden die besten Sorten gleicher Lagen jährlich in großen Fässern „verschnitten“. Das war der Herrschaftswein.

Bei den Flaschenweinen waren sowohl österreichische „Originalweine“ wie Nussberger, Klosterneuburger, Maria Enzersdorfer oder Gumpoldskirchner beliebt, wie auch französischer Burgunder, Bordeaux und Champagner Moët Chandon oder Veuve Clicquot. Beim Besuch des deutschen Kaisers im Oktober 1913 gab es natürlich auch deutsche Edelmarken Mosler Pisporter 1897, Comte de Kesselstadt und Steinberg Kiedricher 1893 Auslese, Dr. Weil.

Die Schnäpse und Liköre können sich ebenfalls sehen lassen: Cognac 1804, Meukov, Cognac 1854, Acker, Eckaukümmel, Cointreau triple sec, Crème de menthe. Und ein echter böhmischer Slibowitz, ein ungarischer Wacholder, ein Zaratiner Maraschino – ganz K. und K.-gerecht.

Hoftafel und Galadîners

Für das Decken der Hoftafel, aber auch für Blumenschmuck und Auswahl der Kerzen hatte der Hoftafelinspektor die letzte Verantwortung. Ihm zur Seite standen Tafelinspektoren, Tafeldecker, Leiblakaien, das Hofkellerpersonal und der zuständige Chefkoch. Gewünscht wurde schnelles, präzises und auch möglichst geräuschloses Service. Bei den Dîners durfte das Personal nicht sprechen – Anweisungen wurden von den Tafelinspektoren durch Zeichen gegeben – und die Schüssel-, Saucen- und Weinmänner haben flink serviert.

Dies war auch deshalb erforderlich, weil seine Majestät ein schneller Esser war. Obwohl allen Gästen gleichzeitig serviert wurde, war die Zeit oft knapp: Ein Dîner mit zwölf Gängen dauerte maximal 45 Minuten. Legte Franz Joseph Messer und Gabel nieder, mussten dies laut Hofzeremoniell auch seine Gäste tun.

Da konnte es schon vorkommen, dass kaiserliche Hofgäste nachher ins Hotel Sacher schlenderten – um noch eine Kleinigkeit zu essen.

Die Suppen glänzten mit herrschaftlichen Namen. Von der beliebtesten Dînersuppe Potage Windsor, gefolgt von Potage royal, Potage Viktoria, Potage Regence, Potage Dauphin, Potage princesse, Potage duchesse bis Potage comtesse ist alles vorhanden, was Rang und Namen hat!

Bei den Hauptspeisen stand unangefochten der berühmte Tafelspitz piece de bœuf garnie an erster Stelle, allerdings dicht gefolgt von Spezialitäten wie Medaillons de branzino a la venetienne, Allerons de faisan St. Hubert, Chapons de Styrie, Gelee du Vin de Champagne aux fruits und vieles mehr. Zehn bis zwölf Gänge mit Hors d’œuvres, Entrées, Entremets und Dessert rundeten den kulinarischen Genuss ab.

In Wien war der Kaiser eben nicht nur als oberster Reichsherr, sondern auch kulinarisch präsent. Von der Kaisersemmel bis zum alten Spruch „Ich hab gegessen wie ein Kaiser“ drehte sich eben alles um die Majestät.

Viel Vergnügen mit der alten kaiserlichen Küche!
Franz Karl Ruhm

DES KAISERS MENÜBUCH
1913–1914

Eine kulinarisch-historisch-anekdotische Melange

Wenn die Monarchie zugrunde gehen soll, so darf dies nur in Ehren geschehen.“ In diesem lakonischen Kommentar Kaiser Franz Josephs anlässlich der Unterzeichnung der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien1 am 28. Juli 1914 in Ischl enthüllt sich eine Vorahnung über das unvermeidbare Schicksal der Donaumonarchie. Der greise Monarch war längst gefangen in einem von privaten Tragödien und weltpolitischen Läufen genährten Pessimismus. Dieser schien nur durch soldatisches Pflichtbewusstsein und strenges Festhalten am Zeremoniell übertüncht. Der Alltag des Kaisers unterlag seit seinem Regierungsantritt 1848 einem strengen Ritual, das nach einem peniblen Stundenplan ablief und im durchorganisierten Tagesgeschäft wenig Spielraum für Persönliches zuließ. Selbst die tägliche Besprechung und Erstellung des kaiserlichen Menüplans und die Qual der Wahl zwischen Potage noque de beurre (Butternockerlsuppe), bœuf à la mode (Tafelspitz), Wiener Schnitzel oder Milchrahmstrudel zählte zu den Gepflogenheiten der Hofküche. Vom scharfzüngigen Charles Baron de Montesquieu stammt das Bonmot: Das Essen ist eines der vier Zwecke des Daseins. Welches die drei anderen sind, darauf bin ich noch nicht gekommen. Lässt es sich nicht auch auf den damals bereits hochbetagten Franz Joseph beziehen? Franz Josephs immense Bedeutung lag längst nicht mehr allein in seinem politischen Tun, sondern in seinem Dasein selbst. Denn allen war klar: Solange der alte Herrscher dort in der imperialen Wiener Hofburg oder draußen im barocken Schloss Schönbrunn residierte, Audienzen gab und tafelte, als gäbe es kein Morgen, solange werde es auch die Monarchie geben. Wie an einem seidenen Faden hing daher das Schicksal dieser bröckelnden Donaumonarchie am Gesundheitszustand Franz Josephs, der einst über den Fortbestand der Monarchie ironisch gemeint hatte: „Mich und den Metternich hält sie noch aus.“ Man müsse zugeben, so schrieb etwa das Wiener Montagblatt vom 5. Mai 1913, „daß einerseits die ungewöhnliche Sympathie und Ehrfurcht, der sich unser Kaiser in ganz Oesterreich erfreut, und der historische Nimbus, den ihm seine lange Regierungszeit verliehen hat, reichserhaltende Momente von eminenter Bedeutung sind.“ Und mehr als einmal hatte der Monarch selbst gesagt, dass er vielleicht deshalb so lange leben müsse, „weil dies ein Pfand für die Aufrechterhaltung der Monarchie sei.“2

Die historische Auswertung des vorliegenden Menübuchs versteht sich daher nicht nur als Würdigung der Wiener Hofküche, sondern vor allem auch als kulinarisches Tagebuch des Allerhöchsten Herrschers, wie er seit seiner Thronbesteigung 1848 tituliert wurde. Ausgehend von diesem historischen Material konnten anhand der historischen Tagespresse und der publizierten Hofprotokolle nachträglich auch manche offizielle Anlässe für diverse Galadîners bzw. die Namen jener hohen Gäste eruiert werden, die dem greisen Kaiser kurz vor der Tragödie von Sarajewo und dem damit ausgelösten Ersten Weltkrieg an der Tafel die Ehre gaben. Damit entsteht ein dichtes zeitgeschichtliches Porträt, angesiedelt zwischen festlichem imperialen Glanz und diplomatisch-politischen Notwendigkeiten. Einerseits erleben wir den gealterten Kaiser als einen typischen Wiener, der seinen Lieblingsgerichten treu geblieben war, andererseits spiegeln sich in diesen Aufzeichnungen auch die diplomatischen Bemühungen des Kaisers, durch gezielte Einladungen einzelner Persönlichkeiten Einschätzungen über die Lage des bereits vor dem Abgrund stehenden Vielvölkerstaates aus erster Hand einzuholen.

MAI 1913

Die Aufzeichnungen des vorliegenden kaiserlichen Menübuchs beginnen mit Sonntag, dem 4. Mai 1913. Dass diese während des Jahres einsetzen, hat wohl lediglich mit dem Umfang dieser Hefte zu tun. Der sonntägliche Einstieg in dieses kulinarische Journal erfolgt mit einer köstlichen Butternockerlsuppe (Potage noque de beurre), einem klassischen Huhn mit Champignons, Reis und Jungerbsen (Poulet aux champignon, riz et petits pois verts) zum Mittagessen (Déjeuner). Das ursprünglich zehngängige Abendessen (Dîner) wurde vom Kaiser durch Streichung von vier Gerichten etwas schlanker, gestaltete sich aber mit der klassischen Regentensuppe (Potage régence), Kräutersauce mit Hirn (Ravigote de cervelles), Rindfleisch garniert bzw. Tafelspitz (Pièce de bœuf garnie), Auerhahn nach Jägerart (Coq des bois à la chasseur) und Schokoladekrapfen (Beignets au chocolat) und Dessert noch immer sehr opulent.

Rindsuppe mit Butternockerl
(Consommé aux noque de beurre)

Suppe: 2 ½ l Braune Rindsuppe.

Butternockerl: 10 dkg Butter, 2 Dotter, 2 Eßlöffel Milch, Salz, Eiklar von 2 Eiern, 15 dkg Mehl, Salzwasser. Butter wird flaumig abgetrieben, hierauf werden Dotter, Milch und Salz eingerührt und mit Schnee und Mehl vermengt. Dieser Teig wird mit dem Esslöffel in Form kleiner Nockerl in kochendes Salzwasser eingelegt und 10 Minuten lang gekocht. Vor dem Auftragen legt man die Nockerl in braune Rindsuppe ein.

Anmerkung: Die Nockerl werden flaumiger, wenn man in die Masse eine entrindete, in Milch oder Wasser erweichte, ausgedrückte, passierte Semmel einrührt.

(Aus: Olga und Adolf Heß, Wiener Küche, 23. Auflage, Leipzig und Wien 1931, S. 12)3

Unter dem im Menüheft angeführten garnierten Rindfleisch ist der sogenannte Wiener Tafelspitz zu verstehen. Er ist ein Beispiel für die Wiener „Rindfleischkultur“, die sich seit dem 18. Jahrhundert entwickelte, weil jede Mahlzeit nun fast zwingend mit einer klaren Rindssuppe (Fleischbrühe) mit Einlage begann. Für das Erscheinungsbild der klassischen Wiener Küche kommt seit dem 19. Jahrhundert gerade dem Rindfleisch eine besondere Bedeutung zu. Dies belegen allein statistische Daten:

So verspeiste man im Wien des Jahres 1830, das zu diesem Zeitpunkt über 317.168 Einwohner zählte, insgesamt 77.740 Ochsen, 16.214 Kühe und 126.854 Kälber. Die Rindfleischmanie der Österreicher kommt in der wesentlich größeren Aufschlüsselung derselben gegenüber anderen regionalen Küchen zum Ausdruck. Es nimmt daher nicht wunder, dass in einem diesbezüglichen Kochbuchklassiker wie Katharina Pratos Kochbuch Die Süddeutsche Küche das Rindfleisch in 24 verschiedene Fleischsorten- bzw. -qualitäten unterteilt wird: Da finden sich so keck anmutende Bezeichnungen wie das Schulterörtel, der Kavalierspitz und Federspitz, das Ortscherzel, Hufstück, Knöpfel, Scherzel, die Rose oder das ausgestochene Örtel. Aus dieser Variationsbreite ist heute vielen nur der Wiener Tafelspitz als besondere Rindfleischspezialität geläufig. Mit Befremden kommentierte hingegen die europäische Geschmacksavantgarde diese Rindfleisch-Vorliebe. So notierte etwa der Franzose Anthelme Brillat-Savarin in seiner 1825 erschienenen Physiologie des Geschmacks, dass Leute vom Fach niemals gekochtes Rindfleisch essen würden. In dieses Horn stieß auch der Deutsche Antonius Anthus in seinen Vorlesungen über Eßkunst (1838), wenn er das gesottene Rindfleisch als ab- und ausgekochtes, saft- und kraftloses Fasergewebe, welches schon als Mittel zu einem anderen Zweck gedient habe, kulinarisch disqualifiziert. Um diesen Vorwurf zu umgehen, hielten sich die Hofköche an ein eisernes Gebot: Die Fleischbrühe musste in der Hofküche vorher separat aus anderen Stücken gekocht werden, die dann auf den Tellern des Personals landeten. Das Suppenfleisch gehörte jedenfalls unter keinen Umständen auf den kaiserlichen Tisch. Vorher kamen eben verschiedene „Gustostückerl“ als „Rindfleisch garniert“ mit diversen Beilagen auf die kaiserliche Tafel, bei offiziellen Anlässen pièce de bœuf garnie genannt.

Wie häufig in Wien früher gekochtes Fleisch auf den Tisch kam, belegen die Kochbücher des 19. Jahrhunderts: Anna Hofbauer hat in ihrem Kochbuch von 1825 an 21 Tagen pro Monat Siedefleisch auf dem Speisezettel angesetzt und nur sonntags einen Braten. Anna Dorn konnte zur selben Zeit dem Suppenfleisch wenig abgewinnen. Im Wiener Appetit-Lexikon von 1894 heißt es: „Wirklich gutes Suppenfleisch (d. h. gekochtes Rindfleisch) gibt es überhaupt nicht.

Das Bœuf à la mode mit Gemüse, die Meringues à la Chantilly (Schaumgebäck bzw. Baisers à la Chantilly) oder auch der Savarin aux fruits sind hingegen am 4. Mai 1913 dem kaiserlichen Rotstift zum Opfer gefallen. Beim Savarin handelt es sich um einen ringförmigen Kuchen, der zum Kaffee oder als Dessert gereicht wird. Er bezieht seinen Namen vom französischen Richter, Schriftsteller, Gourmet und Gastronomiekritiker Jean Anthelme Brillat-Savarin. Getränkt wird der Savarin zumeist mit alkoholischer Flüssigkeit oder mit Sirup, oft glasiert und zumeist mit frischen Früchten garniert und in der Regel mit Schlagobers serviert.