Amerikanische Detektive von Philo Vance bis Ellery Queen

Unter den Nachfolgern, die Holmes, Poirot oder Lord Peter Wimsey in Amerika fanden, sticht der Detektiv Philo Vance hervor, weniger, weil er eine neue Form der Detektion anwenden würde, sondern eher, weil mit ihm der kriminalistische «Problemroman» einen Endpunkt erreichte. Sein Erfinder, S. S. Van Dine (Pseudonym für Willard Huntington Wright), beschreibt den Helden wie folgt: «Er war knapp unter sechs Fuß groß, schlank, sehnig und elegant. Seine gemeißelten, regelmäßigen Gesichtszüge gaben ihm den Ausdruck von Stärke und Strenge, aber es ging auch eine zynische Kälte von ihm aus, die ihn alles andere als gemütlich erscheinen ließ. Er hatte abweisende graue Augen, eine gerade, schmale Nase und einen Mund, der sowohl Grausamkeit als auch Askese verriet.» Die von einem Adlatus («Van Dine») berichteten Fälle des Detektivs, der klassische Bildung so souverän handhabt wie gastronomische Raffinessen, stehen in ihrer Konstruktion zwischen dem englischen Problemroman und dem mehr auf Stimmungen konzentrierten amerikanischen Kriminalroman; nach dem Urteil literarischer Kritiker vereinigen sie auch die Untugenden beider Formen der Gattung, sie sind weder als crossword puzzles ernst zu nehmen noch psychologisch schlüssig, noch finden sie je zu einer authentischen Wiedergabe von Milieu. Statt dessen ist die Schrulligkeit und Übermenschlichkeit des Detektivs hier bis zu einem Grad an Absurdität vorangetrieben. «Dabei versuchte Van Dine, im Beruf Privatgelehrter und begabter Dilettant auf mehreren wissenschaftlichen Gebieten, den Detektivroman mit ‹höherem› Bildungsgut zu versehen: Die Bücher sind voll von Fußnoten, und Vance belegt seine Deduktionen gern durch literarische Beispiele oder lateinische Zitate. Mit ‹The Benson Murder Case›, 1927 (dt. ‹Mordakte Benson›), begann der Reigen der wirklichkeitsfremden und immer ein wenig borniert wirkenden Romane, es folgten ‹The Canary Murder Case›, ‹The Greene Murder Case› und so fort bis zu ‹The Winter Murder Case› (1939)» (Seeßlen/Kling).

Philo Vance ist ganz eindeutig der Polizei überlegen, die in Van Dines Romanen als Ansammlung von selten dummen und ignoranten Menschen erscheint. Staatsanwalt Markham richtet seine Hilfegesuche denn auch lieber direkt an den Amateurdetektiv als an seine Beamten. Der ist, nachdem er den verzwickten Fall gelöst hat, gelegentlich auch bereit, der Justiz vorzugreifen. In «The Greene Murder Case» (1927) lässt Philo Vance die von ihm als Schuldige Erkannte vor den Augen des Staatsanwalts Selbstmord begehen, obwohl er dies verhindern hätte können. Auch in «The Bishop Murder Case» (1929) nimmt er das Gesetz in die eigenen Hände, und er verteidigt sich mit den bekannten Vergleichen: «Do you bring a rattlesnake to the bar of justice? Do you give a mad dog his day in court? I felt no more compunction in aiding a monster like Dillard into the beyond than I would have in crushing out a poisonous reptile in the act of striking.» Kein englischer Detektiv würde sich so offenherzig zur Selbstjustiz bekennen wie Philo Vance, und all sein elegantes Auftreten täuscht in manchen Szenen der Romane nicht darüber hinweg, dass er au fond ein Killer ist. Zwar hat auch schon Sherlock Holmes den Tod eines Mörders zumindest in Kauf genommen – «Indirekt also trifft mich die Schuld an Dr. Grirnesby Roylotts Tod, aber ich muss gestehen, Watson, diese Schuld lastet nicht allzu schwer auf meinem Gewissen», heißt es am Ende von Arthur Conan Doyles «Das gefleckte Band». Aber als raison d’être erscheint dieses Element der Selbstjustiz erst für die amerikanischen Detektive zu wirken.

Der legitime Nachfolger von Philo Vance wurde Nero Wolfe, der schwergewichtige, von Rex Stout kreierte Detektiv, auch er den angenehmen Seiten des Lebens zugetan, ein Orchideenzüchter, Gourmet und Kunstkenner, vielleicht nicht ganz so blasiert und selbstgerecht wie Philo Vance, dafür übermäßig eitel und träg – zur Aufklärung seiner Fälle verlässt er kaum seinen Schreibtisch und lässt die notwendigen Recherchen vor Ort von seinem Assistenten Archie Goodwin vornehmen, der auch die Rolle des Chronisten innehat. Die Detektiv-Gestalt ist hier gleichsam aufgespalten in die Figur der thinking machine und den street wise Schnüffler. Man kann nicht sagen, dass Nero Wolfe Spaß an der Menschenjagd empfindet, nur widerwillig begibt er sich an die Arbeit, für die er seine Kunden ganz ungeniert schröpft – er hat einen aufwändigen, wenn auch vollständig ichbezogenen Lebensstil. «Der Detektiv als Narziss – eine Konstellation, die uns unter anderem auch bei Agatha Christie begegnet – ist eine Erscheinung der Krise des Problemromans und der ihm zu Grunde liegenden Weltsicht. Sherlock Holmes war zwar schon eitel (und Eitelkeit ist das Kennzeichen einer bloß geistig rationalen Überlegenheit), doch narzisstisch war er nicht. Nero Wolfe hingegen verbirgt die Tatsache, dass er im Sinne der literarischen Konstruktion eine ‹leere› Person ist, hinter fortwährender Veräußerlichung seiner persönlichen Schrullen. Beim Problemroman gilt die größte Aufmerksamkeit des Lesers nicht dem Detektiv, sondern dem ‹Fall›. Nero Wolfe und seinen Autor scheint dies zu kränken, und er versucht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, seine Person in den Vordergrund zu stellen» (Seeßlen/Kling). Er kann letztlich nicht die Emanzipation seines Dr. Watson, von Archie Goodwin, verhindern. Ihm passieren all die Dinge, die die Arbeit des Detektivs so faszinierend machen, Gefahr, Liebe, Freundschaft, Sex.

Obwohl er, wie oft betont wird, keiner Fliege etwas zuleide tun kann, tendiert auch Nero Wolfe dazu, den Tod der von ihm entlarvten Verbrecher willentlich herbeizuführen. Und auch er fühlt sich der Polizei himmelhoch überlegen. In einem späteren Nero Wolfe-Roman, «The Doorbell Rang» (1965), muss sich der Detektiv mit dem FBI auseinandersetzen; die Polizeiorganisation erscheint wie eine negative utopische Karikatur bürokratisch-technischer Machtapparate, die gefährlich werden, wenn sie von außen in Frage gestellt werden und bei denen die Selbsterhaltung und die Erhaltung der eigenen Unberührbarkeit schwerer wiegt als der eigentliche Auftrag. Wolfe soll mit Gewalt und mit bürokratischer Bedrohung (seine Lizenz soll ihm genommen werden) daran gehindert werden, Vorgängen in diesem Apparat nachzugehen. Hier wird der Detektiv ganz direkt zum Kritiker und Konkurrenten, auch wenn im Lauf der Handlung beide, die Polizei wie der Privatdetektiv, mehrmals gegen die Gesetze verstoßen. Im amerikanischen Zweig des Genres ändert dies jedoch nichts an der moralischen Überlegenheit des Privatdetektivs, sowenig es später etwas an der Überlegenheit des Polizisten ändert, wenn er seine Kompetenzen überschreitet.

In ihrem Verhältnis zum Recht, zur Polizei, zur Selbstjustiz sind Philo Vance und Nero Wolfe «amerikanisch», in der Art und Weise ihrer Detektion noch ein wenig «englisch», und in ihrem Snobismus erscheinen sie gar als Parodien des englischen Gentleman-Detektivs. Der neue Privatdetektiv, der seine Fälle kaum am Schreibtisch, sondern in den Bars, Straßen, Bahnhöfen und Hotelhallen zu lösen hatte, war dagegen durch und durch amerikanisch. Er misstraute der Logik allein, verließ sich lieber auf seine Kenntnisse der Rituale in der Unterwelt; er konnte eins und eins zusammenzählen, und er hatte den Mut, es zu tun, so wie es sein «Vorbild», Nick Carter, getan hatte (vgl. auch das Kapitel «Der Detektiv als Held von Massenliteratur»).

Nick Carter hatte seinen ersten Auftritt in der Erzählung «The Old Detective’s Pupil, or, The Mysterious Crime of Madison Square» in der Zeitschrift «New York Weekly» vom 18. September 1886. Die Figur, die von John Coryell erfunden worden war, wurde von Frederick Marmaduke Van Rensselaer Dey aufgenommen, der in der folgenden Zeit pro Woche eine Nick Carter-Geschichte produzierte. Dieser Detektiv neuen Schlages war ein tugendsamer Mann, der nicht rauchte, nicht trank, nicht fluchte. Der Autor betonte, dass er niemals eine Nick Carter-Geschichte schreiben würde, die man nicht in einer Religionsstunde den Kindern vorlesen hätte können. (Dies lässt sich vor dem Hintergrund puritanischer Religiosität verstehen, der ein Verstoß gegen die Sitte schwerer wiegt als Gewalt gegen nicht der «Gemeinde» angehörende Menschen. Nick Carter mochte zwar auf einige genussreiche, aber verpönte Dinge verzichten, keineswegs aber verzichtete er auf Gewalt – und wenn er mit einem Kriminellen konfrontiert war, konnte es sogar vorkommen, dass er zum Mittel der Lüge griff, um ihn zu überführen. Und auch er gehört zu jenen Detektiven, die den Tod der von ihnen verfolgten Verbrecher zumindest billigend in Kauf nehmen.)

Zwar hatte Nick Carter es oft mit fantastischen Gegnern und immer wieder mit mad scientists aller Art zu tun, doch seine Methoden waren durchaus realistisch zu nennen. Er jagte den Verbrecher, bis er ihn bei Ausübung einer kriminellen Handlung erwischte, und was dann folgte, war nie eine normale Verhaftung, sondern ein Show-down mit allen Möglichkeiten der gegenseitigen Bedrohung. Nick Carter musste sich dabei auf seine Sinne und seinen Kampfinstinkt mehr verlassen als auf den Intellekt, der eher als teuflische Genialität – bei seinen Gegnern zu suchen war.

Ellery Queen, der Held der von dem Autorenduo Frederic Dannay und Manfred B. Lee (unter dem Pseudonym Ellery Queen) geschaffenen Romanserie, wird als Verfasser von Kriminalliteratur und Privatdetektiv vorgestellt. Gelegentlich mit Hilfe seines Vaters, eines Polizeibeamten, löst er seine Fälle auf relativ konservative Weise. So liebt er es, am Schluss die Verdächtigen zu versammeln, um aus ihrer Mitte den wahren Täter zu bestimmen. Doch führen seine Fälle diesen Privatdetektiv Queen gelegentlich in Situationen oder an Orte – etwa den erfundenen Ort Wrightville, der im Mittelpunkt mehrerer Erzählungen steht –, die wie ein Albtraum von Amerika und seines gesellschaftlichen Konsenses erscheinen. Queens Detektiv «arbeitet» in einer Welt, die wirklich krank ist, krank an der Wurzel, sodass auch die Lösung des Falles diese Welt kaum ruhiger, bewohnbarer macht. So wie alle Figuren mehr oder weniger als Besessene erscheinen, so sind ihre Handlungen grotesk und grausam zugleich, beileibe nicht so zu rationalisieren, wie wir aus dem Genre gewohnt sind. Der amerikanische Privatdetektiv kann ein Vigilant sein, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt, Ordnung schafft, mit allen, auch durch nichts als die eigene Person legitimierten Mitteln; er ist aber auch Parzival, besessen von der Suche nach dem Gral, und er ist manchmal ein Orpheus, der in eine Art amerikanischer Hölle herabsteigt, um jemanden zu retten. Er hat eine Menge zu tun, sich selbst zu retten.

Der Detektiv als Held von Massenliteratur

Viel mehr als sie zu erfinden hatte Poe die Mordgeschichte strukturiert, hatte sie moralisch und rational kommensurabel gemacht; er lieferte, wonach den Leser gelüstete. «Poe hat nicht das Grausige und Schreckliche popularisiert; er spezialisierte sich in Grauen und Gräueln, weil er sah, dass sie populär waren» (Howard Haycraft).

Sah sich Poe noch in einem steten Kampf mit Verlegern und verhielt er sich gelegentlich bei allen Versuchen, den Bedürfnissen des Publikums entgegenzukommen, nicht «marktgerecht», so befand sich der Franzose Emile Gaboriau in voller Übereinstimmung mit seinen Produktionsbedingungen. «Gaboriau war in einer Feuilleton-Schreibfabrik und als Journalist tätig gewesen, als er im Jahr 1863 im ‹Pays› den Zeitungsroman ‹L’Affaire Lerouge› veröffentlichte. Erfolg hatte dieser Kriminalroman erst beim zweiten Abdruck 1866 und als Buch. Mit Lecoq entwickelte er eine Detektivfigur, die in fünf Romanen auftrat. Mit seinen Kriminalromanen knüpfte Gaboriau an die Geheimnis-Thematik des französischen Feuilletonromans, insbesondere bei Sue an. Weitere Bezugspunkte waren für ihn die Memoiren Vidocqs und die Schriften von J. F. Cooper. Die Struktur und die Vermittlungsformen seines Zeitungsromans wurden von den Aufgaben und Funktionen dieser Publikationsform geprägt: Es gibt bei ihm keine Figur ohne Konflikte und keinen Satz ohne Emphase, durfte doch in keiner Folge die Zuwendungsintensität der Leser nachlassen. Gaboriau kam den Lesern und ihren Erwartungen viel weiter entgegen als etwa Sue oder Poe, wenn er in den Einführungen mit Lecoq einen ‹gewöhnlichen› Mann zur Identifikation anbot. Die Figur des Detektivs erweist sich hier bereits als funktional eingesetztes Bindemittel zwischen dem Publikationsorgan und den Lesern» (Knut Hickethier/Wolf Dieter Lützen).

Auch Sherlock Holmes, die Detektivgestalt von Arthur Conan Doyle, verdankte seinen Erfolg nicht zuletzt den Medien, durch die er Verbreitung fand. Nachdem sich Doyle zunächst mit «A Study in Scarlet» in der Art Gaboriaus an einer großangelegten Arbeit versucht hatte, verwendete er in der Folgezeit hauptsächlich die Form der Kurzgeschichte, wie sie Poe entwickelt hatte. Diese erwies sich als ideal für das Medium der Unterhaltungszeitschriften, die zu dieser Zeit größte Verbreitung fanden, und die billigeren Bücher. Durch die Revolutionierung der Reproduktionstechniken und durch die Einführung der Anzeigenwerbung, die dadurch möglich geworden war, wurden periodische Druckerzeugnisse so billig angeboten, dass sich binnen weniger Jahre ein Massenmarkt konsolidierte. Dieser Markt entwickelte einen «Hunger» nach talentierten Schriftstellern, die es verstanden, den Wünschen ihrer Leser entgegenzukommen. Spezielle Agenten fahndeten nach Autoren für die Magazine, und so gehörte auch Conan Doyle zu den Entdeckungen des amerikanischen Magazins «The Lippincott’s Magazine», das neben anderer Kriminalliteratur nach und nach alle Sherlock Holmes-Erzählungen publizierte.

Der Detektiv als Serienheld, der in den Magazinen geboren worden war, kam in den Romanheften, den Dime Novels, wie sie sich in Amerika um 1860 herausbildeten, zur Blüte. Diese Form der Unterhaltungsliteratur löste schließlich auch in Europa die bis anhin gebräuchliche Form der «Kolportageromane» ab, jener umfangreichen Erzählungen mit nicht enden wollenden Verästelungen und Variationen der Handlung, die in wöchentlichen Lieferungen von Kolporteuren ins Haus gebracht wurden und von den Autoren solange weitergesponnen wurden, wie das Interesse der Abonnenten anhielt. Während der Kolportageroman aus möglichst vielen Elementen zusammengesetzt war und in die verschiedensten sozialen, historischen und geografischen Situationen führte, um (bei einem Umfang von nicht selten bis zu 3000 Seiten insgesamt) Vielfältigkeit zu erreichen und die Spannung aufrechtzuerhalten, konnten sich die Dime Novels stärker auf eine Formel, auf ein Genre festlegen. Hier entstanden die hauptsächlichen Genres der Unterhaltungsliteratur, wie sie im Wesentlichen noch heute bestehen: Western, Abenteuer, Romanze, Fantastik und Detektiv-Literatur.

Mehr oder weniger waren die meisten dieser frühen Serienroman-Detektive ihrem großen Vorbild Sherlock Holmes verpflichtet, doch tritt bei ihnen ein für den «gehobenen» Detektivroman kaum wirksames Element in den Vordergrund: Action. Der Held begibt sich in Gefahren, deren sich einer der klassischen armchair detectives niemals aussetzen würde, und er muss sich zunehmend mit jener dunklen Welt auseinandersetzen, in der es einen politisch-wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Verbrechen und bürgerlicher Macht gibt; mit dem organisierten Gangstertum verwandelt sich die Stadt in den Asphaltdschungel. Ganz anders als bei den klassischen Detektiven ist der Serien-Detektiv, wie er um die Jahrhundertwende in Amerika entstand und bald auch nach Europa exportiert wurde, nicht so sehr durch seine Funktion im Spiel der Detektion allein bestimmt; er ist keine Denkmaschine mit etwelchen Schrullen, sondern als Held Träger von in ihn projizierten Träumen und Wünschen. Er «borgt» sich Eigenschaften von Abenteuer- und Westernhelden. Nick Carter, der berühmteste der Serienheft-Detektive, dessen Abenteuer auch in Deutschland seit dem Jahr 1907 in der Serie «Nick Carter, Amerikas größter Detektiv» veröffentlicht wurden, ist ein Held, wie er in Europa bislang noch nicht denkbar gewesen war. «Nick Carter tritt das Erbe von Kit Carson und Buffalo Bill an, transportiert jedoch die Abenteuer der Prärie in die Welt der Großstadt. Indem er es tut, schafft er unbewusst eine neue, bunte, kühne Bilderwelt, die einer neuen Art des Empfindens entspricht. Die wuchernde Stadt mit ihren Baustellen, ihren Bauzäunen, ihren freien Geländen, diese disparate Stadt (...) wird leicht zu einem furchtbaren Dschungel, in dem alles möglich ist – zumal das Außergewöhnliche. Für die Spiele der Intelligenz bleibt hier wenig Platz. Die Unterwelt kann nur von einem erobert und erforscht werden, den niemand kennt und der entschlossen ist, als erster zu schießen. Nick Carter ist bereits das Heldenlied des einsamen Mannes in der Metropole aus Brettern und Beton» (Boileau/Narcejac).

Das Genre der Serien-Detektivliteratur ist also eine Art Korrektur der klassischen, bürgerlichen, konservativen Detektiv-Literatur, die in ihrem Unterhaltungsanspruch Wirklichkeit überhaupt auszugrenzen vorgab, in Wahrheit aber bürgerliche Idealvorstellungen transportierte. Der «proletarische» Detektiv vom Schlage Nick Carters dagegen trieb sich im Sumpf der Großstadt herum, wohl wissend, dass die neue frontier, die moralische und kulturelle Grenze zu Wildnis und Barbarei im Herzen der Städte lag. War der klassische Detektiv ein Held der ländlich düsteren Idyllen, ein Held der Muße und der Melancholie (dem Ideal der leisure class), ein Held der Herrschaftsarchitekturen und der sozialen Schranken, so ist der neue Detektiv à la Nick Carter ein Held der Industrialisierung, ein Held der Proletarisierung. Dieser Detektiv schaute nur selten bei der Society nach dem Rechten (obwohl auch dies einmal vorkommen konnte), sondern er durchforschte vor allem die nicht weniger geheimnisvolle, nicht weniger dem Blick des normalen Menschen verborgene Welt der Slums und des Business. Wie der frühere whodunit-Detektiv aber ist er unser Abgeordneter, unser Späher in einer Welt, die sich unserer Kontrolle zu entziehen droht.

Die Detektiv-Gattung schien für die Form der Serienromane wie geschaffen durch die Struktur eines zu lösenden Falles, der jeder Folge die Handlung abgab. Der stehenden Figur des Helden konnte dabei eine Vielfalt von immer fantastischer und bizarrer werdenden (Super-)Verbrechern gegenübergestellt werden, und jede Nummer konnte mit einer neuen Schöpfung aufwarten. Nick Carter hatte es etwa mit «Carruther, dem Verbrecherkönig» oder «Inez Navarro, dem weiblichen Dämon» zu tun, «Nat Pinkerton, der König der Detectivs» kämpfte mit «Hudsonpiraten» oder einem «Erpresserklub», und Sherlock Holmes, der Serienheld, der mit der Schöpfung Conan Doyles nicht mehr als den Namen gemeinsam hatte, musste sich zum Beispiel mit einem «Mädchenmörder von Boston» oder dem «Vampir von London» auseinandersetzen. Oft setzten die Serienromane tatsächliche Geschehnisse, die in der Presse die Runde machten, in Handlung um. Während der whodunit-Roman Wahrscheinlichkeit und Logik zu vermitteln trachtete, ging es in den Serienromanen um eine Form von Authentizität.

Die Produktion solcher Serienromane reicht von den Anfängen des Jahrhunderts mit kurzen Unterbrechungen während des Ersten Weltkriegs und in Deutschland während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft bis in unsere Zeit, und von den literarischen und thematischen Grundlagen her hat sich verhältnismäßig wenig geändert. Die Helden sind allerdings gewissermaßen ein wenig bürokratisiert geworden, ihr Legitimationsanspruch hat nicht mehr viel mit einem «Westerner der Stadt» zu tun. Möglicherweise lässt sich von der wechselnden Popularität von Polizeidetektiv oder Privatdetektiv auf die Stimmung der Zeit und auf das Verhältnis zu staatlicher Legitimation schließen. «Dominierten anfangs die unabhängigen Privatdetektive wie Nick Carter oder Hobbydetektive wie Sherlock Holmes, so wird heute das Feld von angestellten FBI-Agenten und Polizisten beherrscht. Privatdetektive treten heute in der Regel in enger Verbindung mit dem allmächtigen Polizeiapparat auf oder dienen gar nur als Tarnbezeichnung der G-men. Privatdetektive wie Nick Carter sind seit langem im Rückzug begriffen. Ihr ständiger Erfolg gegen das organisierte Verbrechen ist angesichts der realen hochtechnologisierten Polizeiapparate besonders unglaubwürdig geworden. So wie Nick Carter bedienen sich heute nur noch wenige fantastischer Spezialausrüstungen. Eine solche Ausnahme im derzeitigen Serienangebot ist der Privatdetektiv Anthony Quinn, der als die ‹Schwarze Fledermaus› in der gleichnamigen Reihe des Pabel Verlags auftritt. Er entstammt mit seinem schwarzen Umhang, der Maske und einer bei geheimen Operationen entstandenen Nachtsichtigkeit eher der Comic-Familie der Superman und Batman. Die FBI-Agenten Jerry Cotton/Bastei, Kommissar X (Jo Walker)/Pabel und FBI-Inspektor Rex McCormick vom Marken-Verlag führen das Feld an. Jeder Verlag komplettiert sein Repertoire an Krimiserien mit ihren Helden aus den verschiedensten Kombinationen von freiem Detektiv und Polizeiapparat: Cliff Corner, Glenn Collins, Larry Kent, Mr. Chicago (Eliot Ness), John Cameron, John Cain, Allan Walton, Inspektor Kennedy, John Drake und viele mehr» (Hickethier/Lützen). Mittlerweile ist auch auf diesem Gebiet das Taschenbuch in den Vordergrund getreten, und man hat das Hauptaugenmerk auf Tie-ins zu Kriminal-Fernsehserien gelegt.

Eine ganz ähnliche Handlungskonstruktion bieten eine Reihe von TV-Serien an, die Detektive vorstellen, welche zwar im Auftrag einer Polizei-Organisation arbeiten, aber ansonsten ganz auf sich allein gestellt operieren («Der Chef», «Drei Engel für Charlie», «Mission Impossible» etc.). Während Jerry Cotton und Kommissar X in den sechziger Jahren auch zu Helden von Film-Serien wurden, besteht nun ein Großteil des Angebots aus Romanen um die Helden der beliebten TV-Kriminalserien (die durchaus, wie im Fall von Friedhelm Werremeyer und seinen «Trimmel»-Romanen, eine eigene Qualität haben können). Insgesamt ist eine Angleichung der Erzählweise an die Konventionen der filmischen Darstellung des Genres festzustellen. (Die schnelle Schnittfolge der Serienkrimis findet sich in knapper werdenden Absätzen wieder; die Anzahl der handelnden Personen wird beschränkt; Szenen voller Action werden bevorzugt, etc.)

In Amerika waren die Dime Novels um die Jahrhundertwende allmählich von den Pulp-Magazinen («Pulp», von dem holzhaltigen Papier, das verwendet wurde) abgelöst worden. Zwar variierten literarische Qualität und Form der Pulps, die novelettes, Kurzgeschichten, Illustrationen und allerlei Füllmaterial von Gedichten, Briefen bis hin zu Rätseln enthielten, all dies zentriert zumeist um ein Thema, von Zeppelin-, Railroad- und Aviation-Stories bis hin zu «Ranch Romances», doch richteten sie sich in erster Linie, wie Tony Goodstone bemerkt, «an die Mittelschicht und den Teil der Unterschicht mit einer Schulbildung».

In den zehner Jahren, in denen die Pulps ihre erste Blüte erreichten (zumindest was die Zahl der publizierten Magazine anbelangt), reagierten die in ihnen gepflegten Literaturformen vor allem auf eine demoralisierende soziale Lage, in der Ideologie und Wirklichkeit weit auseinanderfielen und in der die Reichen ein Leben des (öffentlichen) Luxus lebten und die Armen in den Slums eines, das kaum noch menschenwürdig zu nennen war. Mittelstand und Proletariat mussten beständig damit rechnen, ins Subproletariat der Ghettos abzusinken, wo nur Kriminalität vor dem Elend bewahren konnte. Diese Furcht war die Kehrseite des amerikanischen Traumes vom Aufstieg und beherrschte auch die Fantasien der populären Literatur, die einmal von großen Taten, das andere Mal von noch größeren Bedrohungen berichtete. Die Pulps boten nicht nur eine Literatur des Eskapismus, sie beinhalteten auch nicht selten einen verkappten literarischen Kommentar zu einer Situation, deren Ungerechtigkeit und Explosivität nicht mehr verborgen bleiben konnte. Die Abenteuer-, Kriminal- und Science-Fiction-Magazine fanden Formen, beides zu verbinden, oft auf hohem literarischem Niveau und geprägt von einer treibenden Kraft der Innovation und des Experimentierens. Zu den Autoren der Pulps gehörten Autoren wie Joseph Conrad, Rudyard Kipling, Mark Twain, H. G. Wells oder O. Henry. Aber auch die Schöpfer der berühmten Endlos-Epen wie der «Tarzan»-Erfinder Edgar Rice Burroughs oder der Erneuerer der Western-Story, Max Brand, der Romantik und Pathos in die tall tales des Western brachte, publizierten in den Pulps.

Der Vorteil der Pulp-Magazine gegenüber den Dime Novels – 1919 wurde die letzte Dime Novel-Serie, «The New Buffalo Bill Weekly», in ein Pulp-Magazin umgewandelt – war neben einer größeren Variationsbreite die Experimentierfreudigkeit, die das Medium förderte. Oft wurde von einer Serie erst dann die nächste Nummer vorbereitet, wenn die Verleger sicher waren, dass das Publikum das Konzept positiv aufgenommen hatte. Statt eine nur mäßig erfolgreiche Serie fortzusetzen, bevorzugte man es, neue Konzepte auszuprobieren. Da die Pulp-Magazine nicht unbedingt an einen feststehenden Helden gebunden waren, ließ sich auch innerhalb einer Serie Neues versuchen. Jedes aktuelle Ereignis, von Lindberghs Ozean-Überquerung bis zu spektakulären Kriminalfällen, fand seinen Niederschlag in den Pulps, und jedes soziale Problem, von den Kriegsehen bis zu den letzten Ausbrüchen von «Wildheit» im Westen, wurde zum Thema. Und natürlich widmeten sich die Erzählungen und Illustrationen in den Pulps auch jeder technischen Errungenschaft. Die Pulps dramatisierten und «mythisierten» jeden Aspekt des amerikanischen Lebens; sie wurden zu einer «Chronik von unten». Die neue technische und vertriebliche Form der Unterhaltungsliteratur ging einher nicht nur mit einer veränderten literarischen Technik (Renaissance der Kurzgeschichte), sondern auch mit einer veränderten Stimmung. Der romantische Lakonismus der Pulp-Literatur war das Gegenteil der naiv optimistischen Dime Novels.

Das erste Pulp-Magazin des Detektiv-Genres erschien seit 1919 bei Street & Smith; «Detective Story Magazine» erschien unter der Ägide eines «Nick Carter», der als Herausgeber zeichnete. In den zwanziger Jahren, der großen Zeit der Gangster, der Prohibition und der Jazz-Kultur, erschienen Pulps wie «Gangster Stories», «Racketeer Stories» oder «F. B. I. Stories». Später etablierten sich Pulps, die eher mysteriöse Detektiv-Gestalten wie «The Shadow», «The Spider» etc. präsentierten.

«Für die Autoren waren die Pulps wahre Goldgruben. Die Legende will, dass sie für einen Cent pro Wort schrieben, aber die meisten Verleger zahlten immerhin fünf Cent. In der härtesten Zeit während der Depressionsjahre konnten so fleißige Autoren wie Max Brand ein Einkommen wie Hollywood-Stars verzeichnen. Überdies boten die Pulps mit ihren Hunderten von thematisch spezialisierten Titeln für viele junge Autoren die Möglichkeit, zum erstenmal an die Öffentlichkeit zu treten und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Viele Autoren konnten entweder ihre Geschichten an die Film-Firmen verkaufen, oder sie stiegen auf (oder ab) zu Drehbuchautoren in Hollywood. Aber vor allen Dingen schrieben die Autoren für die Pulps, weil es Spaß machte. Die Pulp-Stories erfassten das emotionale Klima der Zeit, und sie waren im Allgemeinen handlungsstark, naiv und gewalttätig. In eine 5000-Wörter-Story wurde dabei von den Autoren so viel Energie gepackt wie in eines von DeMilles überlangen Bibel-Epen. Die Motive waren meist puritanisch in ihrer moralischen Aussage, von heroischer Ausstrahlung, und Sex war selten auch nur angedeutet, da die Postbestimmungen eine Art Zensur-Institution bildeten. Aber wer fragte schon nach Sex bei so viel Action» (Tony Goodstone). Freilich, die viktorianische Form von Erotik, die Szenen von bedrohter weiblicher Unschuld, von Gewalt gegen Frauen, die ihrerseits ihren Eros recht offensiv zeigten, sollte geradezu zu den Markenzeichen der Pulps werden.

Während in den dreißiger Jahren der Superheld mit seinen fantastischen Fähigkeiten und seinen ebenso fantastischen Gegenspielern das Feld beherrschte, behaupteten sich unter den Detektiv-Pulps neben denen mit maskierten Helden jene, die eine neue Form der Kriminalliteratur repräsentierten. Die Pulps der zwanziger Jahre hatten noch vor allem Erzählungen nach dem klassischen Modell des crossword puzzle type der Detektiverzählung gebracht. (Beigefügt waren oft auch detektivische Rätselspiele.) Der Detektiv neuen Schlages erschien zuerst in dem Magazin «The Black Mask» in Erzählungen von Autoren wie Carroll John Daly, die allerdings nur den Charakter der Helden, nicht aber die Konstruktion der Handlung veränderten. Erst mit dem Herausgeber Joseph T. Shaw und den von ihm präsentierten Autoren änderten sich Mitte der zwanziger Jahre auch Stil und Konstruktion im Genre. Shaw förderte vor allem Dashiell Hammett, der, wie er meinte, «seine Geschichten mit einer neuen Art von Authentizität und Dichte zu erzählen versteht». Das «Black Mask»-Magazin wurde zum Sammelbecken der Autoren, die man später als Schule der hard-boiled-Kriminalromane bezeichnete, und andere Magazine imitierten diesen Stil, der vor allem auf die Zeichnung von Charakteren und den persönlichen Konflikten der Helden angelegt war, wobei das Verbrechen nur auslösendes Moment war. Shaw meinte: «Die Szene ist wichtiger als der Plot, in dem Sinne, als ein guter Plot nur dazu da ist, gute Szenen zu ermöglichen. Die ideale mystery-Geschichte wäre für mich so eine, die man auch lesen würde, wenn man wüsste, dass das Ende weggelassen worden ist.» Diese Art der Detektiv-Literatur setzte sich durch, ohne die klassische ganz zu verdrängen. Kleinere Meister trieben in den dreißiger und vierziger Jahren diesen Stil freilich gelegentlich bis zur unfreiwilligen Selbstparodie voran.

Das Ende der Pulps kam durch die steigenden Kosten von Papier und Herstellung nach dem Zweiten Weltkrieg. Comics und TV hatten einen Teil der Motive absorbiert und fortgesetzt. Die eine Form der Nachfolge für die Pulps bildeten die male magazines, die Männer-Magazine, voll mit Action, Gewalt und Sex; die andere wurde durch den Siegeszug der Paperbacks gegeben. Beide Formen hatten weniger mit der Zensur zu kämpfen als die Pulps, und so verwundert es nicht, dass es auch hier zu den Degenerationen der hard boiled school der Detektiv-Literatur kam, die zu Sex und Crime Sadismus und Reaktion fügten wie Mickey Spillane.

Wie bei der Science-Fiction haben sich auch bei der Detektiv-Literatur einige wenige Magazine über die fünfziger Jahre hinaus erhalten (so ist das «Black Mask»-Magazin in «Ellery Queen’s Mystery Magazine» aufgegangen, das in Deutschland in Buchform publiziert wird). Als stilbildendes literarisches Medium haben die Magazine jedoch ihre Funktion in den fünfziger Jahren verloren.

Nachdem das Taschenbuch zum bevorzugten Medium des Detektiv-Genres geworden war, obsiegte wieder der Roman über die Detektivgeschichte. Der Name der Autoren wurde wichtiger als etwa Reihen oder wie früher Magazin-Namen, deren Herausgeber eine bestimmte Linie verfolgten. Die Organisation des Marktes über Agenturen und Optionen mit relativ kurzen Fristen hatte zur Folge, dass die Programme der einzelnen Verlage sich mehr und mehr entspezifizierten. Ein Autor kann in den verschiedensten Reihen von Detektiv- und Kriminalliteratur publiziert werden. So konnte es geschehen, dass die Entwicklung des Genres nur noch von einzelnen Autoren beeinflusst wurde, kaum noch von «Schulen» oder Gruppierungen um ein Medium. Dennoch haben manche Reihen ihre Präferenzen und können (man denke an die série noire in Frankreich) prägend auf den Publikumsgeschmack einwirken. In Deutschland teilen sich etwa ein halbes Dutzend Verlage den kleiner werdenden Markt, wobei etwa die Reihe von Diogenes auf die Pflege der Klassiker des «literarischen Krimis» und der Handlungsliteratur, also Hammett, Chandler, MacDonald, Highsmith, Ambler etc. spezialisiert ist, die von Ullstein sich auf die amerikanischen Autoren und Goldmann auf die englischen konzentriert und bei Rowohlt der neue, anspruchsvolle Kriminalroman bevorzugt wird (Autorennamen wie Giorgio Scerbanenco, Harry Kemelman, Sjöwall/Wahlöö, Boileau/Narcejac, Chester Himes, Sébastien Japrisot, Philip MacDonald, Hansjörg Martin etc. mögen als Beleg dienen).

Der «Vater» der Detektiv-Literatur: Edgar Allan Poe

Edgar Allan Poe, der Romantiker mit einer übergroßen Sehnsucht nach Europa, der in einer Welt des Puritanismus und der Pragmatik zugleich seine «Besessenheit», seine erotischen Fantasien in immer bizarrere Verkleidungen bringen musste und so immer irrationalere Welten erfand, und den logischen Verstand triumphieren sehen wollte, dieser Edgar Allan Poe hat mit seinen tales of ratiocination, was man mit «Rationalisierungsfabeln» listiger übersetzen könnte als mit «Erzählungen der Logik», gewissermaßen die (dialektische) Korrektur zur Schauerromantik geschaffen. In «The Murders in the Rue Morgue» (Der Doppelmord in der Rue Morgue) aus dem Jahr 1841 hat er das Urmodell eines closed room mystery oder locked room mystery geschaffen: Die Tat geschieht in einem Raum, in dem es scheinbar keinen Weg nach drinnen und keinen Weg nach draußen geben kann. Die Deduktion des Helden, Auguste Dupin, entwickelt sich an Hand von Zeugenaussagen (Zeugen verschiedener Nationalität glauben den Täter jeweils in einer anderen Sprache sprechen gehört zu haben) und Objekten (Dupin entdeckt, dass eines der scheinbar zugenagelten Fenster nur durch eine Feder gehalten wird) und kommt schließlich zu dem Schluss, dass die Morde von einem Orang-Utan begangen worden sein müssen, der seinem Halter entwichen war.

Dupin ist auch der Held von «The Mystery of Marie Roget» (Der Fall Marie Roget), der im Jahr darauf erschien und sich an tatsächliche Begebenheiten hielt. Die Erzählung wird in Form von Zeitungsausschnitten wiedergegeben (die den wirklichen glichen) nebst den Folgerungen, die Dupin aus ihnen zieht. So wird hier Dupin zum Ahnherrn aller armchair detectives, also jenes Typs von Detektiv, der, um einen Fall zu lösen, seinen Sessel kaum verlässt, sondern ausschließlich nach Berichten aus der Zeitung, von der Polizei oder seinen Assistenten gelieferten Informationen vorgeht.

Eine dritte Erzählung um Dupin, «The Purloined Letter» (Der verschwundene Brief) erschien 1844, und auch sie ist das Muster für eine ganze Richtung innerhalb der Detektiv-Literatur, nämlich jener Erzählungen, die davon ausgehen, dass sich gerade diejenige Lösung, welche zum Beginn der Untersuchungen am unmöglichsten erscheint, sich am Ende als die richtige, ja augenscheinliche erweist. Es geht um ein verschwundenes Dokument, das Dupin schließlich dort findet, wo es am allerwenigsten vermutet wurde, nämlich in einem Briefaufbewahrer.

Wie etwa Dickens und Wilkie Collins als Wegbereiter für den Detektivroman gelten dürfen, ist Poe der Vater der Detektivgeschichte (detective short story), und er ist damit der Ahn des amerikanischen Zweigs des Genres, das sich immer mehr aus der short story als aus dem Roman entwickelte. Und während sich in England die Gattung aus dem Verbrechens- und Polizeiroman herausbildete, war in der amerikanischen Spielart des Genres der Held von Beginn an ein Amateurdetektiv.

«Für eine Analyse der Detektivliteratur ist es wichtig, die Gesamtstruktur der ersten Geschichte, ‹The Murders in the Rue Morgue›, aufzuzeigen, da nur durch sie der Geist erkennbar wird, aus dem heraus Poe diese Geschichte schrieb. Ein wesentliches Element, nämlich das Motto und der einführende Essay über den analytical mind, fehlt in vielen Fassungen der Erzählung. Das Zitat, das aus Brownes ‹Urn Burial› stammt, behauptet die Fähigkeit des menschlichen Geistes, alle Rätsel auflösen zu können, die der menschliche Geist selbst geschaffen hat. Das bedeutet für die Detektiverzählung, dass das listige Verhüllen einer Tat durch den Verbrecher durch die Ingenuität des Detektivs enthüllt werden kann, und das heißt für die Analyse der Detektiverzählung: was im Erzählten versteckt wird, wird auch wieder im Erzählvorgang enthüllt. In den nachfolgenden allgemeinen Überlegungen verficht Poe die These, dass die Fähigkeit zur Lösung solcher Rätsel im Menschen vervollkommnet werden kann. Zur Illustration dieser Gedanken wird die Geschichte des Detektivs C. Auguste Dupin als Beweis erzählt» (Paul G. Buchloh/Jens P. Becker).

Poe hat also im Grunde die erste Detektivgeschichte und die erste Theorie zum Genre in einem verfasst. Er geht aber zugleich ein wenig über den eigenen Ansatz der ratiocination hinaus, indem er den Leser zu der Schlussfolgerung verleitet, übermenschliche oder übernatürliche Elemente müssten bei dem «unmöglichen» Mord an den beiden Frauen im Spiel sein. Die clues führen hier nicht nur zu falschen, sondern gar zu unvernünftigen Schlüssen. Mit dem Gegenbeweis wird bedeutet, dass es eigentlich keine anderen als vom Menschen geschaffenen Rätsel gibt. Nur von dieser Voraussetzung her kann die Methode des Poeschen Detektivs wirksam werden, alles «Denkunmögliche» auszuschließen, bis allein das Denkmögliche als das Tatsächliche übrigbleibt.

Freilich schließt dieser logische Vorgang eine Reihe von Erfahrungen aus, da er sich ganz auf Konstruktionen verlässt. Wohl bleibt der Zufall – in Grenzen – gestattet, nicht aber «sinnloses» Verhalten von Menschen. Anders ausgedrückt erscheinen uns in der Detektiv-Literatur alle jene Eigenschaften und Handlungen von Menschen, die wir nicht sogleich verstehen, entweder als das bewusste Vortäuschen von Tatsachen, das Verwischen von Spuren, gar die Verstellung der eigenen Persönlichkeit, oder aber als das Verhalten von Menschen, die solcher Täuschung zum Opfer gefallen sind. Wie die Psychologie anfänglich, so muss auch die Detektiv-Literatur zunächst einen Idealzustand annehmen, bei dem die menschliche Existenz völlig frei von Rätseln wäre. Der Detektiv wäre demnach eine Art von Sisyphos, in Ewigkeit damit beschäftigt, menschliche Beziehungen zu «enträtseln». Diese Aufgabe wäre objektiv zu lösen, denn es gibt ja den Zustand der Unschuld, der Offenheit, der «Rätsellosigkeit», subjektiv aber unlösbar, weil die Menschen die Rätsel schneller schaffen, als sie von noch so vielen und noch so brillanten Detektiven beiseite geschafft werden können. Der angestrebte, ideale Zustand der Unschuld bleibt also eine wenn auch rationale Metaphysik. Das Paradox ist nicht aufzulösen, gibt aber eine hinreichende Erklärung für gewisse Aspekte des Lebens; es erklärt, warum man die Welt verstehen könnte, und warum man sie doch nicht versteht. Dieser Typus des Detektivromans, den man als crossword puzzle type bezeichnet hat, muss seine erzählerischen Mittel ganz in den Dienst dieser seiner Metaphysik stellen.

Poe hatte bereits in «The Purloined Letter» wesentliche Elemente der ersten beiden Erzählungen um Dupin beiseite gelassen, so die theoretische Beweisführung für die Möglichkeiten der ratiocination aus «The Murders in the Rue Morgue» und den freilich in letzter Konsequenz scheiternden Versuch, das Modell seiner Detektion auf einen tatsächlichen Fall anzuwenden aus «The Mystery of Marie Rogêt», schließlich sogar den Mord als Ausgangspunkt der Handlung, die Charakterisierung des Detektivs als romantischen Außenseiter (Dupin wird hier vielmehr, wie eine Reihe seiner Nachfolger, zu einem geehrten Mitglied der Society selbst und hat dementsprechend alles Düstere und Geheimnisvolle abgestreift), eine falsche Fährte, die auf eine fantastische Lösung führen könnte und die wirkliche Bedrohung, die die Begleitumstände des Falles vermittelt. Poe begann hier bereits die von ihm geschaffene Gattung (die erst wesentlich später im engeren Sinne fortgeführt wurde) zu verlassen.

«Thou Art the Man» (Du bist es) aus dem Jahr 1844 schließlich ist eine Parodie auf das frühere Werk (wenn die Erzählung auch lange Zeit nicht als solche erkannt und als «Ausrutscher» des Autors in die Gefilde übelster Kolportage gewertet wurde), in der alle Elemente der früheren Erzählungen karikiert erscheinen: Der Mörder ist der gute Durchschnittsamerikaner «Old Charly Goodfellow», das Fantastische wird nicht dem Leser suggeriert, sondern als Taschenspielertrick des Helden dargestellt, der die Leiche durch Bauchreden zum «Leben» erweckt. Der Mörder fällt nach einem Geständnis tot um. (Dupin kommt übrigens in dieser Geschichte nicht vor.)

In Poes Detektivgeschichten (wie in weiten Teilen seines Werks) geht es um die Darlegung von paradoxen Verhältnissen: In «The Murders in the Rue Morgue» geht es darum, dass das Unerklärliche gerade das am leichtesten zu Erklärende ist, in «Mystery of Marie Rogêt» darum, dass umgekehrt der sinnfälligste Anschein der trügerischste ist, und in «The Purloined Letter» (Der entführte Brief / Der verlorene Brief) wird gezeigt, wie etwas gerade dadurch verborgen werden kann, indem man es nicht verbirgt (Gilbert K. Chesterton hat später zu diesem Gedanken die Apotheose geschaffen, als er einen Mörder eine Leiche auf einem Schlachtfeld verbergen ließ, das mit Toten übersät ist.) «Mit der Darstellung dieses Prinzips des Paradoxen war Poes dichterisches Interesse aber erschöpft, und die Detektivgeschichte begann seine sprunghafte Natur zu langweilen: er war kein Erle Stanley Gardner oder E. Philipps Openheim. Poe ging es um ein Prinzip, das er mit Leidenschaft ergreifen konnte, nicht um Unterhaltung der Nerven. ‹Du bist es› ist Poes parodistische Absage an eine Literaturgattung, deren Sinn sich für ihn erschöpft hatte. Die primitive Konstruktion, der alberne Stil, das alles kam hundert Jahre zu früh – Poe nahm mit seiner Parodie übertreibend vorweg, was Hunderte von Schreibern so billiger wie schreiender Hefte ‹spannender Kriminalliteratur› jahrzehntelang im Ernst verfasst haben und was heute noch seine Leser findet» (Fritz Wölcken).

Freilich, Poe schrieb nicht nur aus literarischem Interesse, sondern auch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ganz konnte er also die Wünsche seines Publikums nie außer Acht lassen, er musste sich auf einen sicher nicht konfliktfreien Dialog mit seinen Lesern einlassen. Dass Edgar Allan Poe als Stammvater mehrerer Genres der «Trivialliteratur» wirken konnte, liegt nicht nur an seiner spezifischen, wenn man so will, geistesgeschichtlichen Situation zwischen Romantik und Rationalismus, sondern vielleicht sogar mehr noch an den materiellen Bedingungen seiner Arbeit. Er hatte die ideale Technik für das neue Medium der Unterhaltungsmagazine entwickelt. Poe arbeitete für dreißig solcher Magazine und war bei fünf zeitweiliger Herausgeber. Den Bedarf dieser Magazine bildeten vor allem Kurzgeschichten und serial fiction, also in (zumeist drei) Teilen abgedruckte Erzählungen. Poe arbeitete durchaus in den von diesem Medium entwickelten Formeln und verwendete nahezu immer Darstellungsformen, die den Lesern in der einen oder anderen Weise vertraut waren. Doch er, der als Herausgeber übrigens auch eine Artikelserie über François Vidocq initiiert hatte, gab in seinen Dupin-Geschichten der Form der melodramatischen Mordgeschichte, die überaus populär war, einen kleinen, wenn auch entscheidenden Stoß. Er hatte mit dem Detektiv eine Figur geschaffen, die noch faszinierender als der Mord war, eine Figur für das zwanzigste Jahrhundert.