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Inhaltsverzeichnis

Buch
Autorin
Teil I
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Teil II
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Historische Anmerkung
Copyright

Autorin

Monica McCarty studierte Jura an der Stanford Law School. Während dieser Zeit entstand ihre Leidenschaft für die Highlands und deren Clans. Sie arbeitete dennoch mehrere Jahre als Anwältin, bevor sie dieser Leidenschaft nachgab und zu schreiben anfing. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Minnesota. Weitere Informationen unter: www.monicamccarty.com

Historische Anmerkung

Letzten Endes versuchten die Abenteurer von Fife dreimal, die Isle of Lewis zu kolonisieren, und versagten dreimal. Unglücklicherweise war der Sieg der MacLeods auf Lewis nur von kurzer Dauer. Neil MacLeod wurde schließlich im Jahre 1613 gefangen genommen und gehängt. Im Jahre 1610 heiratete der Mackenzie of Kintail die letzte Tochter der Siol Torcuil, »Söhne des Torquil«, dem Lewis-Zweig der MacLeods, und erhielt deren Ländereien. So verschwand der Lewis-Zweig der MacLeods.

Für die Niederlage der MacLeods im »Tal des Überfalls«, der letzten Schlacht zwischen den Clans auf Skye im Jahre 1601 wurde Alex MacLeod verantwortlich gemacht. Gerüchte besagen, dass Alex zu der Zeit, in der diese Geschichte spielt, auf Lewis gekämpft haben soll. Es erscheint plausibel, dass er versucht haben mag, seinen früheren Verlust wiedergutzumachen.

Die Figur des Dougal MacDonald basiert in Ansätzen auf Donald MacIain »ic Sheumais«, einem Verwandten des Erzfeindes der MacLeods, dem MacDonald of Sleat. Der MacDonald of Sleat spielte eine bedeutende Rolle im ersten Buch der Trilogie, Mein ungezähmter Highlander. Donald MacIain war ein berühmter Krieger und Barde der MacDonalds, es wird berichtet, dass sein Erscheinen am Schauplatz der Schlacht bei Binquihillin nach deren Beginn unter den MacLeods großen Schaden angerichtet haben soll.

Obwohl die meisten Charaktere in dieser Geschichte auf tatsächlichen historischen Figuren basieren – die wichtigsten Ausnahmen sind Jamie und Elizabeth Campbell und Rosalind Mackinnon –, ist die Liebesgeschichte reine Fiktion. Doch Alex MacLeod von Miningish und Talisker heiratete tatsächlich Margaret Mackinnon, Tochter des Mackinnon von Strathardale und Schwester von »Ian, dem Einfältigen«. Alex und Margaret hatten mindestens zwei Kinder, William und Norman.

Bitte besuchen Sie meine Website unter www.MonicaMc-Carty.com für weitere Informationen.

1

Lochalsh, Inverness-shire, Juni 1605

 

Nach Hause.

Alex MacLeod trieb sein Pferd schneller den schmalen Pfad entlang. Das mächtige schwarze Streitross gehorchte sofort und preschte durch den dichten Wald, als hätten sie erst eine Meile und nicht schon hundert zurückgelegt. Alex steigerte das halsbrecherische Tempo, das er vor drei Tagen vorgelegt hatte, sogar noch, je näher sie ihrem Ziel kamen. Er wusste, dass er seinen Männern alles abverlangte, doch sie waren solche Härte gewohnt, ja, sie liefen dabei sogar zu Höchstform auf. Sie waren schließlich nicht durch Verweichlichung zur meistgefürchteten Kriegerschar des schottischen Hochlands geworden. Sein Bruder, Rory MacLeod, Clanoberhaupt der MacLeods, hatte Alex wegen einer wichtigen Mission nach Hause beordert. Und wenn sein Chief ihn brauchte, dann zögerte Alex keine Sekunde.

Rorys Botschaft war knapp und vorsichtig formuliert, doch Alex wusste genau, was sie bedeutete. Die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte, war zum Greifen nah. Alex war bereit. Kampfgestählt, scharf geschmiedet wie die Klinge seines Claymore und für jede Aufgabe gerüstet, die ihm sein Bruder aufzutragen gedachte.

Fast drei Jahre waren vergangen, seit er das letzte Mal die zerklüftete, felsige Küste der Isle of Skye und die trutzigen Steinmauern von Dunvegan Castle, seit nahezu vierhundert Jahren Festung der MacLeods, erblickt hatte. Er hatte nicht vorgehabt, so lange fortzubleiben. Doch er hatte im Leben eines Gesetzlosen, unter primitivsten und brutalsten Bedingungen, seine Berufung gefunden.

Auf dem Schlachtfeld war er in seinem Element. Es war der einzige Ort, an dem er seine Dämonen und die Rastlosigkeit, die ihn umtrieb, zum Schweigen bringen konnte. Doch selbst die Jahre andauernden Kampfes konnten das Feuer, das in ihm brannte, nicht löschen. Im Gegenteil, die Flamme loderte noch heißer.

Denn nun hatte sich der Kampfschauplatz in die Nähe seines Heims verlagert.

Heim. Eine Welle von etwas, das fast an Schwermut erinnerte, erfasste ihn. Alex erlaubte sich selten, darüber nachzudenken, was er alles zurückgelassen hatte. Seine Familie. Frieden. Sicherheit. Diese Dinge waren nicht für ihn bestimmt. Sein Schicksal lag woanders, das wusste er.

Als sie an eine Lichtung kamen, zügelte er das Pferd und gab seinen Männern Gelegenheit, ihn einzuholen. Sein Knappe Robbie schloss zu ihm auf. Obwohl er noch keine siebzehn Jahre alt war, war der Junge bereits auf dem besten Wege, ein geschickter Krieger zu werden. Wer durch das Schwert lebte, durfte sich nicht viele Fehler erlauben. Jungen wurden entweder schnell zu Männern … oder zu Leichen.

Robbie schnaufte heftig, und Schweiß strömte ihm über das Gesicht, doch Alex wusste, dass sich der Junge lieber einen Dolch in die Eingeweide rammen lassen würde, als zuzugeben, dass er erschöpft war.

»Glaubt Ihr, dass wir es schaffen?«, wollte Robbie wissen.

Alex folgte seinem Blick. »Bevor es anfängt zu regnen?«

Der Junge nickte.

Alex sah durch das Blätterdach der Bäume zum immer dunkler werdenden Himmel hinauf. Ein Sturm braute sich zusammen, der schwülen Luft und den dicken schwarzen Wolken nach zu urteilen würde er ziemlich heftig. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Junge. Ich befürchte, wir werden ordentlich durchnässt.« Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte, fügte er hinzu: »Und das können wir alle gut gebrauchen.«

Der Junge schnitt eine Grimasse und Alex fühlte einen seltenen Anflug von Heiterkeit. In letzter Zeit hatte es reichlich wenig Grund zu lachen gegeben. Es war nicht das erste Mal, dass sie bei solch heimtückischem Wetter unterwegs wären. Zumindest mussten sie dieses Mal nicht den Gefolgsmännern des Königs ausweichen.

Sie waren bereits ungefähr eine weitere Meile geritten, als ein schwacher Laut an Alex’ Ohr drang. In den letzten drei Jahren hatte er sich den Tod nicht allein durch sein Geschick im Umgang mit dem Breitschwert vom Leib gehalten. Er hatte auch gelernt, seinen Instinkten zu vertrauen. Und in diesem Moment schlugen alle seine Instinkte Alarm.

Er zügelte das Ross und gab den Männern mit erhobener Faust den stummen Befehl, es ihm gleichzutun. Die Krieger brachten ihre Pferde sofort hinter ihm zum Stehen.

Mit einem leisen Rascheln trieb ein leichter Windstoß verstreute Blätter über den Waldboden und trug zugleich den kaum hörbaren Klang eines Schreis mit sich.

Alex’ Blick traf den seines obersten Wachmanns. »Vielleicht ein Tier?«, meinte Patrick fragend.

Alex schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Völlig bewegungslos lauschte er erneut. Er wusste, dass er einfach weiterreiten sollte. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen. Doch bevor er seinen Männern befehlen konnte, wieder aufzubrechen, hörte er einen weiteren Schrei.

Dieses Mal eindeutiger.

Eindeutig weiblich.

Verdammt! Nun konnte er es nicht mehr ignorieren. Die Worte seines Bruders schossen ihm durch den Sinn. Halte deine Identität geheim!

Alex wischte die Ermahnung beiseite. Nach so vielen Jahren würde ihn kaum jemand noch erkennen. Er hatte sich verändert. Der Krieg hatte ihn härter gemacht. Nicht nur im Geiste.

Lass dich nicht aufhalten …

Er würde sich nicht aufhalten lassen.

Das hier würde nicht lange dauern.

Er fühlte, wie das Blut schneller durch seine Adern rauschte, das vertraute Gefühl, wenn sein Körper sich auf den bevorstehenden Kampf einstellte. Er riss das Streitross herum und jagte an der Spitze der Männer nach Süden in den Wald hinein, in die Richtung, aus der die Schreie kamen.

Unmittelbar bevor der Himmel die Schleusen öffnete und seine reißenden Fluten losbrechen ließ.

 

Es würde anfangen zu regnen. Großartig. Meg Mackinnon zog sich das wollene earasaid, das bodenlange Plaid, das sie zum Schutz vor den Elementen um sich geschlungen hatte, enger um den Kopf und verfluchte erneut die Notwendigkeit dieser Reise. Sie waren gerade erst aufgebrochen, da graute ihr schon vor den langen Tagen im Sattel, an denen sie auf den holprigen Pfaden der Viehhändler unterwegs wäre. Selbst wenn ihr Vater eine Kutsche hätte organisieren können, wäre die auf diesen Wegen nutzlos. Die »Straße«, die von der Isle of Skye nach Edinburgh führte, war kaum breit genug, dass zwei Reiter nebeneinander reiten konnten, der mit ihrem Reisegepäck beladene Karren war auf diesem unwegsamen Gelände schon belastend genug.

Vor Meg lag noch mindestens eine Woche voller Unbequemlichkeiten. So lange würden sie nämlich brauchen, bis sie Edinburgh erreichten, wo sie sich dann ernsthaft auf die Suche nach einem Ehemann machen musste.

Das vertraute Gefühl der Besorgnis überkam sie, als sie an all die Dinge dachte, die vor ihr lagen. Ihr Vater hatte ihr die Aufgabe anvertraut, den richtigen Mann für ihren Clan zu finden, und sie würde ihn nicht enttäuschen. Doch die mit dieser Entscheidung verbundene Verantwortung lastete schwer auf ihr. Manchmal wurde der Druck unerträglich. Ein gequältes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Vielleicht war eine Reise von einer Woche nicht lange genug.

Andererseits konnte es einem Teil von ihr gar nicht schnell genug gehen. Es wäre eine Erleichterung, wenn die Entscheidung bereits getroffen wäre und hinter ihr läge. Natürlich wäre sie dann verheiratet. Und das brachte eine ganze Menge neuer Sorgen mit sich.

Meg seufzte schwer. Sie wusste, dass sie die Reise an den Königshof nicht länger aufschieben konnte. Das hatte die kürzliche Erkrankung ihres Vaters nur allzu deutlich gemacht. Ohne ihre Hilfe wäre die Stellung ihres Bruders als Clanoberhaupt in Gefahr. Denn kaum dass ihr Vater an einem rätselhaften siechenden Leiden erkrankt war, hatten schon die Aasgeier angefangen zu kreisen. Ihr einst kerngesunder Vater, der mächtige Chief der Mackinnon, hatte bereits beunruhigend viel Gewicht verloren und war immer noch zu schwach, um zu reisen.

Meg blickte zu ihrer Mutter hinüber, die neben ihr ritt, und fühlte Schuldgefühle in sich aufsteigen, weil sie sie so weit von zuhause fortschleppte. Es war Meg schon schwer genug gefallen, Vater und Bruder zu verlassen. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie ihre Mutter sich fühlen musste.

»Es tut mir leid, Mutter.«

Rosalind Mackinnon sah ihre Tochter erstaunt an. »Was denn, mein Kind?«

»Dass ich dich in einer so schweren Zeit von Vater trenne.« Meg biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte das Bedürfnis, ihrer Mutter zu erklären, was sie meinte. »Ich könnte es einfach nicht über mich bringen, zu akzeptieren …«

»Unsinn«, fiel ihre Mutter ihr ins Wort, und ein seltenes Stirnrunzeln verfinsterte das schöne Gesicht. »Deinem Vater geht es schon viel besser. Ein Ausflug an den Königshof ist genau das, was ich jetzt brauche. Du weißt ja, ich liebe die neueste Mode und die neuesten Frisuren.« Sie lächelte verschwörerisch. »Und all den neuesten Klatsch.«

Meg erwiderte das Lächeln. Sie wusste, dass ihre Mutter nur versuchte, sie aufzumuntern, obwohl sie es tatsächlich liebte, an den Hof zu reisen. Meg dagegen hasste es. Sie passte nicht so gut dorthin wie ihre Mutter. Zum Teil war das ihre eigene Schuld. Sie teilte die Begeisterung ihrer Mutter für Flitterkram und Klatsch nicht, und sie war auch nicht besonders gut darin, so zu tun, als interessiere sie sich dafür. Aber diesmal würde sie es versuchen, das hatte sie sich geschworen. Wenn schon nicht um ihrer selbst willen, dann doch zumindest ihrer Mutter zuliebe.

»Außerdem lasse ich nicht zu, dass du einen Mann heiratest, den du nicht liebst«, schloss ihre Mutter und verhinderte damit Megs Entschuldigung, die ihr auf der Zunge lag.

Meg schüttelte den Kopf. Rosalind Mackinnon war eine hoffnungslose Romantikerin. Liebe war nicht der Grund, warum Meg den Heiratsantrag des Chieftains ihres Vaters abgelehnt hatte. Hätte sie den Antrag angenommen, dann wäre diese Reise hier nicht nötig gewesen.

Doch Megs Wahl eines geeigneten Ehemannes war für den ganzen Clan wichtig, und Thomas Mackinnon war nicht der richtige Mann für sie. Zugegeben, er war ein fähiger Krieger, aber er war auch ein Hitzkopf. Ein Mann, der erst zu seinem Schwert griff und dann nachdachte. Meg suchte einen starken Krieger, jedoch einen, der beherrscht handelte. Ebenso wichtig war, dass er Verhandlungsgeschick besaß, damit er einen König besänftigen konnte, dessen Autorität über seine aufsässigen Untertanen in den Highlands stetig wuchs. Die Spannungen zwischen beiden Parteien waren immens. Da die Zeiten uneingeschränkter Autorität der Chiefs sich dem Ende zuneigten, musste sie einen Ehemann finden, der ihr helfen konnte, ihren Clan mit Geschick in die Zukunft zu führen.

Sein Mangel an politischem Scharfsinn war jedoch nicht der einzige Grund, weshalb sie Thomas abgewiesen hatte. Sie hatte auch gespürt, dass er ein wenig zu ehrgeizig war. Ein Ehrgeiz, der die Stellung ihres Bruders als nächstes Clanoberhaupt gefährdete.

Vor allem anderen brauchte sie einen Mann, der absolut loyal war, einen Mann, dem sie vertrauen konnte.

Liebe war nicht Teil des Geschäfts. Meg war realistisch. Sie bewunderte die tiefe Zuneigung ihrer Eltern zueinander, beneidete sie vielleicht sogar darum, doch sie wusste, dass ihr selbst so etwas nicht bestimmt war. Ihre Pflicht war klar. Den richtigen Mann für ihren Clan zu finden, stand an erster Stelle. Und an zweiter Stelle.

»Ich erwarte nicht, dass ich in der Ehe so viel Glück habe wie du, Mutter«, sagte Meg. »Was du und Vater miteinander teilt, ist etwas sehr Seltenes.«

»Und etwas Wunderbares«, fügte Rosalind hinzu. »Deshalb wünsche ich es mir ja auch für dich. Wenn ich deinen Vater auch liebe, so heißt das nicht, dass wir immer in allem einer Meinung sind. In dieser Angelegenheit verlangt er zu viel von dir«, meinte sie, das spitze Kinn stur vorgeschoben. Da Meg ihre Mutter noch nie so von ihrem Vater hatte sprechen hören, dauerte es einen Moment, bis sie registrierte, was sie da gerade sagte. Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Du verbringst schon viel zu viel Zeit mit der Nase in den Büchern.«

»Meine Pflichten machen mir Spaß, Mutter«, entgegnete Meg geduldig.

Doch ihre Mutter fuhr fort, als habe sie sie nicht gehört. In einer dramatischen Geste schüttelte sie sich und rümpfte die zarte Nase. »All die vielen Zahlen. Mir schwirrt schon der Kopf, wenn ich nur daran denke.«

Meg musste ein Lächeln unterdrücken. Das klang schon eher nach ihrer Mutter. Sie konnte Megs Faszination für Mathematik oder allgemein für wissenschaftliche Beschäftigungen einfach nicht verstehen. Mit einem schmerzlichen Stich in der Brust dachte Meg daran, dass das Lernen ihr im Gegensatz zu ihrem Bruder immer leichtgefallen war. Mit Zahlen zu arbeiten bereitete ihr großes Vergnügen. Es hatte etwas Befriedigendes an sich, zu wissen, dass es nur eine einzige richtige Lösung gab.

»Und nun erwartet er von dir, dass du dein zukünftiges Glück opferst«, klagte ihre Mutter, als wäre es etwas äußerst Ungewöhnliches, dass eine Tochter zum Wohle ihres Clans heiratete. Dabei war es in Wirklichkeit eher ungewöhnlich, dass Meg ihren Ehemann selbst wählte, auch wenn er bestimmte Kriterien erfüllen musste.

»Wirklich, Mutter, es ist kein Opfer. Vater verlangt nichts von mir, was ich nicht selbst will. Wenn ich den richtigen Mann finde, um Ian zur Seite zu stehen, dann wird er auch der richtige Mann für mich sein.«

»Wenn es nur so einfach wäre. Aber du kannst dein Herz nicht zwingen, deinem Kopf zu folgen.«

Vielleicht nicht, doch sie konnte es versuchen.

Als ob sie wüsste, was Meg gerade dachte, meinte Rosalind beschwichtigend: »Mach dir keine Sorgen. Überlass es einfach mir.«

Bei Meg läuteten die Alarmglocken. »Mutter … du hast mir versprochen, dich nicht einzumischen!«

Ihre Mutter starrte mit einem viel zu unschuldigen Gesichtsausdruck geradeaus. »Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst, Margaret Mackinnon.«

Meg ließ sich nicht täuschen, sie kniff die Augen zusammen. »Du weißt genau …«

Doch ihre Worte gingen in dem ohrenbetäubenden Krachen des Donners unter, als sintflutartig der Regen einsetzte. Unter der plötzlichen Gewalt des Sturms schien der Boden regelrecht zu beben.

Der panische Angstschrei ihrer Mutter machte Meg schlagartig bewusst, dass das Beben von mehr als nur dem Sturm herrührte.

Dennoch dauerte es einen Augenblick, bis sie begriff, was geschah, so schnell überstürzten sich die Ereignisse. Eben wollte sie noch ein ernstes Wort mit ihrer Mutter über deren Heiratsstifterei sprechen, schon im nächsten Moment befand sie sich mitten in einem Albtraum.

Eine Bande von Wegelagerern griff aus den Schatten heraus an wie dämonische Reiter. Riesige, wild aussehende Männer in schmutzigen Hemden und zerschlissenen Plaids schwangen unbarmherzig ihre tödlichen Breitschwerter. Sie schienen sogar aus den Bäumen zu fallen und umzingelten Meg und ihre Begleiter von allen Seiten.

Angst schnürte ihr die Kehle zu und erstickte ihren Schrei. Einen endlosen Augenblick lang konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, sondern nur hilflos mit ansehen, wie das Dutzend Clanmänner, das ihr Vater zu ihrem Schutz abbestellt hatte, sich einem unbarmherzigen Kampf gegen mindestens zwanzig Räuber gegenübersah.

Das Blut gefror ihr in den Adern.

Es waren zu viele.

Gütiger Gott, die Männer ihres Vaters hatten keine Chance! Sofort hatten die Männer vom Mackinnonclan, so gut es in dem beengten Terrain möglich war, einen schützenden Kreis um Meg und ihre Mutter gebildet. Einer nach dem anderen wurde vor ihren Augen niedergeschlagen.

Mit nacktem Entsetzen musste Meg zusehen, wie Ruadh, einer der Chieftains ihres Vaters, ein Mann, den sie schon ihr ganzes Leben lang kannte, der sie auf seinen Knien geschaukelt und ihr Lieder über die ruhmreiche Vergangenheit ihres Clans vorgesungen hatte, den tödlichen Schlag eines Claymore nicht abwehren konnte. Das Breitschwert schnitt ihm tief in den Bauch und hieb ihn beinahe in zwei Hälften. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie sah, wie seine Augen brachen.

Der Schrei ihrer Mutter durchdrang das Entsetzen und riss Meg aus ihrer Erstarrung. Der Augenblick der Panik wich einer plötzlichen Klarheit. Von einem einzigen Gedanken getrieben nahm sie allen Mut zusammen. Sie musste ihre Mutter beschützen.

Megs Herz raste. Sie sprang vom Pferd und riss Ruadh den Dolch aus der leblosen Hand, die den blutigen Griff noch immer umklammert hielt. Die Waffe lag so plump und schwer in ihrer Hand, dass sie sich zum ersten Mal im Leben wünschte, sie hätte nicht so viel Zeit im Haus über den Büchern verbracht. Sie hatte überhaupt keine Erfahrung mit Waffen. Doch sie verdrängte den Anflug von Unsicherheit. Das war nicht von Bedeutung. Was ihr an Geschick fehlte, würde sie durch wilde Entschlossenheit wettmachen. Sie packte den Dolch fester und stellte sich schützend vor ihre Mutter, bereit, sie zu verteidigen.

Zuerst müssen sie mich töten, schwor sie sich stumm.

Doch ihre Tapferkeit geriet ins Wanken, als ein weiterer Gefolgsmann ihres Vaters tot zu Boden sank. So wie die Schlacht verlief, würde es ihnen selbst bald ebenso ergehen. Nur noch sechs Männer ihres Vaters waren übrig.

Das earasaid war ihr vom Kopf geglitten, und der Regen, der ihr über das Gesicht strömte, trübte ihr die Sicht. Sie hatte längst die Nadeln verloren, die ihr Haar hielten, die welligen Strähnen verfingen sich in ihren Wimpern. Doch Meg bemerkte es kaum, so konzentriert war sie auf den Kampf, der sich wie eine Schlinge immer enger um sie zog, während der Kreis ihrer Beschützer zusehends kleiner wurde.

Sie kämpfte die Angst nieder, die in ihr aufstieg. Noch nie hatte sie sich so gefürchtet. Doch sie musste stark bleiben. Für ihre Mutter. Wenn sie eine Chance haben wollten, zu überleben.

Megs mutiges Handeln schien Rosalind aus ihrem Schockzustand zu reißen, sie hörte auf zu schreien. Megs Beispiel folgend glitt sie vom Pferd und zog mit zitternden Händen Ruadhs Speisemesser aus seinem Gürtel.

Sie wandte sich wieder um, und Megs Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie die Entschlossenheit auf dem Gesicht ihrer Mutter sah und sich das ganze schreckliche Ausmaß ihrer Situation in deren Blick spiegelte. Sogar völlig durchnässt, das Haar und die Kleidung ein einziges aufgeweichtes Durcheinander, sah Rosalind Mackinnon wie ein Engel aus – wenn auch wie ein Racheengel. Obwohl sie schon vierzig war, hatte das Alter ihrer Schönheit nichts anhaben können. Guter Gott, was würden diese Unholde ihr antun? Meg schluckte. Ihnen beiden?

Obwohl Meg wusste, dass sie dasselbe denken musste, klang die Stimme ihrer Mutter seltsam ruhig. »Wenn du eine Lücke zwischen ihnen erkennst, dann lauf«, flüsterte sie.

»Aber ich kann dich nicht zurücklassen …«, protestierte Meg, doch ihre Mutter fiel ihr ins Wort.

»Du wirst tun, was ich sage, Margaret.« Der stählerne Ton ihrer sonst so sanften Stimme brachte Meg so aus der Fassung, dass sie nur nickte. »Wenn du das Messer benutzen musst, dann stoß hart und ohne Zögern zu.«

Eine unerwartete Welle von Stolz erfüllte Meg. Ihre süße, sanfte Mutter wirkte wild wie eine Löwin, die ihr Junges verteidigt. Es steckte viel mehr in Rosalind Mackinnon, als Meg je geahnt hatte.

»Das werde ich«, sagte sie, Mut vortäuschend. Doch welche Chance hatten zwei Frauen, noch dazu zwei zierliche Frauen wie sie, gegen eine solch starke Übermacht?

Ein schmutziger, hünenhafter Unhold wankte auf ihre Mutter zu. Ohne nachzudenken stieß Meg ihm den Dolch in den Arm. Mindestens ein Drittel der langen Klinge drang tief ins Fleisch ein und hinterließ eine klaffende Wunde in seinem Unterarm. Er brüllte vor Schmerz auf und schlug ihr hart mit dem Handrücken ins Gesicht. Betäubt von dem Schlag entglitt der Dolch ihren Fingern und fiel zu Boden, wo ihn der Mann sofort außer Reichweite kickte.

Instinktiv fuhr Meg sich mit der Hand an die nasse, schmerzende Wange.

»Miststück!«, zischte er. »Dafür bringe ich dich um!« Er fuhr herum und schwang das Claymore in einem tödlichen Bogen über ihrem Kopf. Ihre Mutter sprang ihr zu Hilfe und stach mit dem Speisemesser auf seine Schulter ein, doch er blockte den Angriff mühelos mit dem Unterarm ab und stieß ihre Mutter hart zu Boden. Voller Entsetzen sah Meg, wie ihr Kopf mit einem dumpfen Schlag auf einem Felsen aufprallte.

Panik stieg in ihr hoch. »Mutter!«, schrie sie und eilte an ihre Seite. Sie schüttelte den leblosen Körper, doch ihre Augen öffneten sich nicht. Lieber Gott, nein!

Hinter sich fühlte sie, oder besser gesagt roch sie an seinem üblen Gestank, dass der Mann sich ihr näherte. Eine Wut, wie sie sie noch nie gespürt hatte, wallte in ihr auf. Er hatte ihre Mutter verletzt. Meg ergriff das Messer, das ihre Mutter fallen gelassen hatte, wirbelte herum und überrumpelte ihn dadurch für einen Augenblick. Erneut stach sie auf ihn ein, dieses Mal zielte sie auf seinen Hals. Doch er war zu groß, und ohne die nötige Kraft gelang es ihr nur, ihm einen kleinen Schnitt zuzufügen.

Sie hatte ihren Vorteil eingebüßt.

Er stieß einen wüsten Fluch aus. Sie spürte seine riesigen, schmutzigen Hände auf sich, als er sie packte und zu Boden schleuderte. Aus harten, schwarzen Augen starrte er sie an und verzog den Mund zu einem höhnischen Lächeln, wobei er hässliche, braune Zähne entblößte. Zitternd vor Abscheu krümmte sie sich zusammen, als er auf sie zukam.

»Das genieße ich, du kleine Wildkatze!«

Rückwärts kroch Meg durch den Schlamm von ihm fort, doch er kam immer näher. Lachend. Mit wild pochendem Herzen blickte sie sich um, es war niemand da, der ihr zu Hilfe kommen konnte. Die von den Männern ihres Vaters übrig waren, mussten sich gegen ihre eigenen Angreifer verteidigen. Verzweifelt grub sie die Hände in den aufgeweichten Boden und versuchte, ihm Schlamm in die Augen zu schleudern, doch das machte ihn nur noch wütender.

Sie durften nicht sterben! Was würde aus Ian? Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Ohne Meg und ihre Mutter gab es niemand, der ihn beschützte. Denk nach, befahl sie sich. Benutz deinen Kopf. Doch ihr logischer Verstand, auf den sie sich immer hatte verlassen können, ließ sie diesmal im Stich. Es gab kein Entrinnen.

In dem schwarzen Glitzern seiner erbarmungslosen Augen sah Meg nur Tod.

Bitte, hauchte sie.

Zwei endlose Herzschläge später brach die Antwort auf ihr Gebet auf einem furchterregenden schwarzen Streitross durch die Bäume.

Ein Ritter. Nein, ein Krieger! Nicht in schimmernder Rüstung, sondern in einem gelben, mit Kettenpanzer besetzten cotun, der ihn als Chieftain auszeichnete – obwohl ihn allein schon seine Körpergröße von anderen Männern abgehoben hätte. Selbst ohne diese wattierte Kriegsbekleidung wäre er immer noch einer der größten Männer, die Meg je gesehen hatte. Hochgewachsen und muskulös, mit einer Brust so breit wie ein Schild. Als wäre er aus Stahl geschmiedet, wirkte jeder Zoll an ihm hart und abweisend.

Und gefährlich.

Ein Angstschauer lief ihr über den Rücken, und einen Moment lang fragte Meg sich, ob sie nicht einfach nur einen Schurken gegen einen anderen ausgetauscht hatte.

Als ihre Blicke sich trafen, sog Meg erschrocken den Atem ein. Sie blickte in die kristallklarsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte, in einem Gesicht von rauer Männlichkeit, das zum Teil von den dichten Stoppeln eines mehrere Tage alten Bartes verdeckt war.

Der Blickwechsel dauerte nur einen kurzen Moment, doch sie las sofort die absolute Befehlsgewalt in seinen Augen, die trotz ihrer Wildheit eine seltsam beruhigende Wirkung auf sie hatten.

Jetzt erst bemerkte sie, dass er nicht allein war, sondern dass ihm etwa ein halbes Dutzend Reiter folgten. Eine furchterregendere Schar von Kriegern konnte sie sich nicht vorstellen. Jeder Einzelne von ihnen war stark, muskelbepackt und sah absolut unbarmherzig aus. Gebrochene Männer, erkannte sie mit instinktiver Sicherheit. Männer ohne Land, ohne Clan, die die Highlands als Gesetzlose durchstreiften. Doch jagten ihr diese aus unerfindlichem Grund keine Angst ein. Ihr Blick kehrte zu dem Krieger zurück. War ihr Anführer der Grund, fragte sie sich.

Mit einem bloßen Nicken und einem stummen Befehl seiner Augen brachte er seine Männer auf Position. Sie bewegten sich wie eine Einheit, mit der Disziplin römischer Legionäre und einer Leichtigkeit, die ihre grobschlächtige Erscheinung Lügen strafte.

Obwohl sie in der Unterzahl waren, wusste Meg ohne Zweifel, dass sich die Schlacht gerade zu ihren Gunsten gewendet hatte. Dieser Mann würde nicht besiegt. Nur ein Narr würde ihn herausfordern.

Mit seinen Männern auf Position ritt der Krieger direkt auf sie zu. Nun endlich bemerkte auch ihr Angreifer, dass etwas nicht stimmte, blickte über die Schulter, und sein schreckliches Lachen verstummte. Meg nutzte die Ablenkung, rannte zu ihrer Mutter und zog sie behutsam in Richtung der Bäume. Vor Erleichterung hätte sie beinahe laut aufgeschluchzt, als sie sah, dass Rosalinds Wangen wieder Farbe bekommen hatten und ihre Augenlider anfingen zu flattern. Doch die ganze Zeit behielt sie auch ihren Retter im Auge.

Er griff mit der Hand über die Schulter und zog ein mächtiges Breitschwert aus dem Wehrgehänge an seinem Rücken, als wäre es leicht wie eine Feder, obwohl die Klinge allein ihr schon bis zum Kinn reichen musste. Immer noch einhändig schwang er die Waffe mit beeindruckender Leichtigkeit hoch über dem Kopf und ließ sie mit einem mächtigen Schwung auf die Rippen ihres Angreifers niedersausen. Meg konnte das Knacken der Knochen hören, als der Schurke zu Boden stürzte.

Mit einem Satz sprang der Krieger vom Pferd, zog einen Dolch aus der Scheide am Gürtel und schnitt ihrem Peiniger ohne mit der Wimper zu zucken die Kehle durch. Eine Woge der Erleichterung erfasste sie. Eigentlich sollte sie Bedauern über den Verlust eines Lebens verspüren, doch sie konnte es nicht. Ihre Blicke trafen sich, und sie fühlte eine so starke Verbindung, dass es sie erschreckte.

»Danke«, flüsterte sie lautlos, zu aufgewühlt, um es laut auszusprechen.

Er nahm ihre Dankbarkeit mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis. Dann riss er mit einem wilden Schlachtruf – gälische Worte, die sie nicht richtig verstand – sein Schwert hoch und stürzte sich in die wütende Schlacht. Er schwang die Klinge mit tödlicher Finesse und Präzision und schlug jeden nieder, der sich ihm in den Weg stellte. Ihre verblüfften Männer sammelten sich hinter ihm.

Während Meg sich so gut es ging um ihre Mutter kümmerte, flog ihr Blick immer wieder zu dem Kampf, der um sie herum tobte.

Und zu dem Krieger, dessen Stärke und Geschick wahrhaft ehrfurchtgebietend anzusehen waren.

Seltsam unbeteiligt von dem blutigen Durcheinander, das sie umgab, beobachtete Meg entsetzt und fasziniert zugleich, wie er drei Männer mit stählerner Effizienz tötete. Jede Bewegung war ein präziser Todesstoß. Für einen Mann seiner Größe bewegte er sich mit erstaunlicher Anmut. Wie ein Löwe. Zwei Räuber bedrängten ihn und schlugen von zwei Seiten auf ihn ein. Er hob das Claymore. Die Klinge blitzte über seinem Kopf wie ein silbernes Kreuz, bevor er die Hiebe einen nach dem anderen mit stählernem Klirren abwehrte. Die Briganten waren geschickte Kämpfer und versetzten ihm wie ein eingespieltes Team Hieb um Hieb. Er musste doch sicher bald ermüden. Doch der Krieger schien es geradezu zu genießen, so als ob die Herausforderung ihm nur noch mehr Kraft verliehe.

Mit dem Schwert hielt er sich den einen Mann vom Leib, während er mühelos den anderen mit dem Dolch niederstreckte. Rasend vor Wut stürmte der zweite Gegner auf ihn los. Der Krieger wich zur Seite, doch dabei rutschte er mit dem Fuß im Schlamm aus, und dem Räuber gelang es, ihn niederzuschlagen. Erschrocken hielt Meg den Atem an, als der Mann zum Todesstoß ansetzte. Doch mit der mutigsten  – oder waghalsigsten – Bravourleistung, die sie je gesehen hatte, wartete der Krieger, bis das Breitschwert nur noch wenige Zoll von seinem Kopf entfernt war, bevor er sich flink zur Seite rollte und dem Mann seinen Dolch in den Bauch stieß.

Wie betäubt beobachtete Meg, wie er aufsprang und ihn fast augenblicklich ein weiterer Straßenräuber von hinten angriff.

»Vorsicht …!« Noch bevor Meg Zeit hatte, ihn zu warnen, wirbelte ihr Krieger herum und stieß den Dolch tief in die Seite des Briganten.

Der Krieger schien unverwundbar zu sein, als könne ihm nichts etwas anhaben. Aber sein Können hatte etwas an sich, das über bloße Stärke und Geschick hinausging. Er schien völlig im Kampf aufzugehen. Er kämpfte wie ein Mann, der keine Furcht vor dem Tod hatte. Nicht rücksichtslos, dazu war er zu beherrscht, doch absolut zielgerichtet. Eine Aura von Gefahr umgab diesen ungezähmten Krieger, der sie sich nicht entziehen konnte.

Es dauerte nicht lange, bis die verbliebenen Räuber die Aussichtslosigkeit ihrer Anstrengungen erkannten und wie Käfer unter einem umgedrehten Stein in alle Richtungen flohen.

Der Krieger sah sich um, als wollte er sich vergewissern, dass sie in Sicherheit war. Ihre Blicke trafen sich erneut. Meg war, als wäre sie vom Blitz getroffen worden. Mit jeder Faser ihres Körpers war sie sich seiner Gegenwart bewusst. Ihr geheimnisvoller Krieger war mehr als nur gut aussehend. Seine Gesichtszüge waren von klassischer Schönheit und dennoch gleichzeitig auf eine raue Weise männlich. Welliges braunes Haar, dessen Farbe durch die Nässe nicht zu erkennen war, fiel ihm gerade bis unter das Kinn und betonte die kräftige, kantige Linie seines Kiefers. Regen strömte über eine breite Stirn, hoch angesetzte Wangenknochen und eine fein gemeißelte Nase. Obwohl er den Mund zu einer schmalen Linie zusammengepresst hatte, konnte sein grimmiger Gesichtsausdruck die volle, sinnliche Kontur der Lippen nicht verbergen.

Doch was ihren Blick gefangen nahm, waren seine auffallend blauen Augen. Eisblau. Wie ein zugefrorener See im tiefsten Winter. Die Farbe wurde noch durch die tiefe goldene Bräune seiner Haut betont. Und doch fühlte sie keine Kälte, als er sie ansah, sondern eine Wärme, die sich von ihrem Nacken aus durch den ganzen Körper bis zu den Fußspitzen ausbreitete. Er schien geradewegs in ihr Innerstes zu blicken, mit einer raubvogelartigen Intensität, die ihr den Atem raubte und ihr Herz rasen ließ.

Durch ihn fühlte sie sich nervös, verunsichert, verletzlich. Ungewohnte Gefühle, die ihren Argwohn weckten. Mit einem letzten zögerlichen Blick auf den Krieger wandte Meg sich ab, um ihrer Mutter zu helfen.

Der Regen hatte aufgehört. Der Kampf war vorbei.

 

Als die Feiglinge die Flucht ergriffen, bedeutete Alex zwei von seinen Männern, ihnen zu folgen, um sicherzugehen, dass sie nicht zurückkamen. Die anderen wies er an, sich um die Verletzten zu kümmern und die Leichen so gut es ging zu beseitigen. Doch erst als er einen ersten Lagebericht von Patrick erhielt, wurde Alex klar, dass er ein Problem hatte.

Mackinnons. Verdammt! Unglaubliches Pech, dass er gerade einem Nachbarclan von Skye zu Hilfe gekommen war. Wenigstens schien ihn niemand erkannt zu haben. Doch er wusste, je länger er blieb, umso größer war die Chance, dass jemand Fragen stellte. Trotz des Bartes würde es nicht lange dauern, bis jemand seine frappierende Ähnlichkeit mit dem berüchtigten Chief der MacLeod bemerkte. Sein Bruder war beileibe kein Unbekannter in dieser Gegend.

Sie sollten verschwinden.

Sein Blick schweifte zu dem Mädchen. Sie kümmerte sich um die Frau, die er zuerst für tot gehalten hatte, die aber nun langsam wieder zu Bewusstsein zu kommen schien. Zwischen den sanften Worten, mit denen sie die Frau beruhigte, gab das Mädchen gleichzeitig ihren Männern mit generalstabsmäßiger Effizienz Befehle, Ordnung in das Chaos zu bringen. Pferde wurden gefüttert und getränkt, der Karren, der ihre Truhen beherbergte, wurde wieder aufgerichtet, und Vorbereitungen wurden getroffen, um die Toten und Verletzten nach Dunakin zurückzubringen.

Für jemanden, der so jung war – sie konnte nicht viel älter als zwanzig Jahre sein – schien sie die Nachwirkungen des Angriffs bewundernswert gut zu bewältigen.

Mehr als bewundernswert. Ihre Gefasstheit unter diesen Umständen war außergewöhnlich. Vom ersten Augenblick an hatte sie ihn mit ihrem Mut beeindruckt. Als er am Schauplatz des Geschehens angekommen war, hatte er gerade noch gesehen, wie sie versuchte, den Mann zu erstechen, der sie angriff. Für so ein winziges Ding hatte sie ihm einen gehörigen Schaden zugefügt. Als der Unhold ihr nachsetzte, hatte Alex augenblicklich reagiert. Er hatte getötet, ohne zu zögern. Bei Männern, die Frauen Leid zufügten, kannte er keine Gnade. Der Feigling hatte es verdient, zu sterben, einen schlimmeren Tod noch als das schnelle Ende, das ihm gewährt worden war.

Doch natürlich war ihr Mut nicht das Einzige, was ihm aufgefallen war.

Als sie mit großen, grünen Augen, die das zarte, herzförmige Gesicht beherrschten, zu ihm aufsah, war es ihm nahezu unmöglich, den Blick abzuwenden. Wärme durchströmte ihn, etwas regte sich in ihm, das er schon lange Zeit nicht mehr gefühlt hatte. Verlangen.

In den letzten Jahren hatten seine Affären mit Frauen nur der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse gedient. Er hatte weder die Zeit noch das Interesse für etwas anderes. Doch wie sie dort stand, mit ihrem Haar, das ihr feucht am Kopf klebte, und den Regentropfen, die ihr über das Gesicht rannen und an den Wimpern hingen, sah sie aus wie eine nasse Waldnymphe. Süß, verletzlich und auf geradezu schmerzhafte Weise bezaubernd. Alex fühlte sich unmissverständlich von ihr angezogen. Eine Anziehungskraft, die, nachdem das Kämpfen vorbei war, an Intensität gewonnen hatte.

Er nutzte die Gelegenheit, sie zu beobachten, während sie sich um ihre Mutter kümmerte. Sie war völlig anders als die auffallenden Schönheiten, die ihn normalerweise anzogen. Ihre Schönheit war feiner, weniger offensichtlich. Wären da nicht die außergewöhnlichen Augen gewesen, hätte er sich vielleicht gar nicht die Mühe gemacht, genauer hinzusehen. Es wäre eine Tragödie, wenn ihm die zarte Rundung ihrer Wangen, die kecke kleine Nase oder der sanft geschwungene, volle Mund entgangen wären. Sein Blick blieb an ihren Lippen hängen.

Teufel, sie war bezaubernd.

Und unschuldig.

Seine Gedanken waren im Augenblick alles andere als unschuldig, sondern erfüllt mit lebhaften, leidenschaftlichen Visionen von nackter Haut und sanfter, seidiger Hitze. Davon, die Energie zu entfesseln, die sich durch den Kampf in seinem Körper angestaut hatte. Auf geradezu widernatürliche Weise hungerte er nach ihrer Unschuld. Als könne ihre Reinheit all die Abscheulichkeit auslöschen, die ihn umgab.

Was um Himmels willen machte er da? Nach allem, was sie durchgemacht hatte. Entschlossen schüttelte er diese verworrenen Gedanken ab. Er wollte sie beschützen und nicht wie seine marodierenden Wikingervorfahren zu seinem eigenen Vergnügen erbeuten. Das primitive Leben eines Gesetzlosen hatte anscheinend bereits seine Spuren hinterlassen.

Er machte ein paar Schritte auf sie zu, um zu sehen, ob es ihr gut ging, doch in diesem Moment richtete sich die Frau, um die sie sich kümmerte, auf, und Alex konnte zum ersten Mal ihr Gesicht erkennen. Mitten im Schritt hielt er inne. Verdammt! Die Frau des Mackinnon. Er betrachtete das Mädchen erneut und nun fiel ihm auch die Ähnlichkeit auf. Sie musste seine Tochter sein.

Schnell wandte er das Gesicht ab. Rosalind Mackinnon würde ihn erkennen.

Er durfte nicht länger bleiben. Alex drehte sich um und befahl seinen Männern, sich fertig zu machen. Sehr zur Erleichterung der Wachmänner der Mackinnon hatte Alex ihnen drei seiner Männer zur Verfügung gestellt, um sie zu begleiten, bis ihre Verstärkung eintraf. Das Mädchen und ihre Mutter wären in Sicherheit.

Seine Arbeit hier war erledigt.

Bereit aufzubrechen schwang er sich aufs Pferd, doch er konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie noch einmal anzusehen. Alex war kein Mann, der sich von einem Mädchen ablenken ließ. Doch dieses Mädchen hatte etwas an sich  … Vielleicht erinnerte sie ihn an all das, was er zurückgelassen hatte. Heim. Herd. Familie. Dinge, nach denen er sich sehr lange Zeit nicht gesehnt hatte. Ihre natürliche Schönheit bildete einen krassen Gegensatz zu all dem Tod und der Zerstörung, die ihn in den letzten Jahren umgeben hatten.

Ihre Blicke trafen sich, und er sah, dass sie zögerte, fühlte ihre Unsicherheit. Als ob sie etwas sagen wollte, doch sich möglicherweise ein wenig fürchtete. Vor ihm. Die Erkenntnis traf ihn hart. Mit einem Blick auf die Leichen, die über den Waldboden verstreut lagen, wurde ihm klar, dass er ihr diesbezüglich wohl keinen Vorwurf machen konnte.

Aber es gefiel ihm nicht. Es gefiel ihm überhaupt nicht.

Eben erst hatte er sie gerettet, und trotzdem sah sie ihn voller Furcht in den Augen an.

Das war es nun einmal, was er machte. Es war nicht hübsch anzusehen, doch das war Krieg nie.

Ärger stieg in ihm hoch und ließ ihm zusammen mit seiner primitiven Reaktion auf das Mädchen das Blut noch heißer durch die Adern strömen. Fast war er versucht, ihr einen Grund für ihre Furcht zu geben. Sie in seine Arme zu reißen und sich seine Siegesbeute zu nehmen. Doch so unzivilisiert war er nicht. Noch nicht.

»Bereit, Sir?« Robbie sah ihn merkwürdig an.

Alex schüttelte die trüben Gedanken ab und zwang sich zu einem gleichmütigen Tonfall, obwohl er sich absolut nicht so fühlte. »Ja«, antwortete er. »Wir haben uns schon viel zu lange aufgehalten.«

Ohne länger zu zögern wendete er sein Pferd und gab ihm die Sporen.

Er sah nicht zurück.