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Dritter Band der Marasin-Trilogie

 

Die zerschnittene Welt

 

von Rüdiger Schäfer

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Kleines Who is Who

 

Aerticos Gando – der Thakan von Lepso enthüllt ein uraltes Geheimnis

Amos Rigeler, Cool Aracan, Dart Hulos, Drof Retekin und Mirus Tyn – das Thunderbolt-Team operiert souverän wie immer

Atlan – der Lordadmiral der USO will eine ganze Galaxis retten

Charas – der Springerpatriarch steht mit dem Rücken zur Wand

Eliphol Mix – der Medienmogul erweist sich als Retter in der Not

Gharrit – ein zorniger junger Mann lernt eine wichtige Lektion

Githamainen, Thopoclarc, Methiklan und Dathakalaynen – Parjasthinas engste Vertraute wollen Marasin zurückerobern

Harl Dephin – der Kommandant des Thunderbolt-Teams gerät in eine peinliche Situation

Hethimakim Alti, Nolan Iki und Seraton Ük – drei Schemawesen an Bord der MISTANNEN XVI

Ingopie Lok – der singende Bettelmönch wird mit Füßen getreten

Innis – der Hohrugk-Züchter hat keine Wahl

Klirrigisumos – der Profastor offenbart ein äußerst bizarres Rechtsverständnis

Lemut Halet – der Ertruserjunge sucht das große Abenteuer

Lenka Gocaltovska – die Eelve kennt in Chamenspall alles und jeden

Malvet Siihk – der Kettenhegan der Heilsburg fährt schwere Geschütze auf

Maudi-Haup Maon – Shapda-Shapda Maons Enkel will eine neue Geschichte hören

Oberst Kalil Turu – der Kommandant der CRYPTO hat Bedenken

Parjasthina – der Illochim sieht sich am Ziel seiner Träume

Shapda-Shapda Maon – die Flößerin bangt um das Leben ihres Lieblingsenkels

Trilith Okt – das Schemawesen muss seinen bislang schwersten Kampf bestehen

Tschirque – der Kreuzwächter muss sich entscheiden

Tyrill Azyk – der Blue-Händler wittert das Geschäft seines Lebens

Prolog

 

Parjasthina sang.

Der Illochim schwebte vor dem Panoramaschirm in der Zentrale der MISTANNEN XVI und ließ seine innere Stimme erklingen. Die einzelnen Töne oszillierten klar und rein durch seinen bis zum äußersten angespannten Geist, vereinten sich zu kraftvollen Akkorden, füllten jeden Winkel seines Denkens und woben einen virtuosen Klangteppich, der dem Doviat half, die Euphorie unter Kontrolle zu halten, die ihn angesichts des bevorstehenden Feldzugs ergriffen hatte. Wie so viele Male zuvor berauschte er sich an der Macht der Musik. Nur in ihr verbanden sich universelle Ordnung und Logik in derart unvergleichlicher Perfektion mit Anmut und Ästhetik. Nur in der ultimaten Harmonie der Ewigen Gesänge spiegelten sich die hehren Ideale seines Volkes in ihrer vollen Bedeutung wider, und die Melodien, die ihm in all den Jahrtausenden Trost gespendet hatten, schwangen sich nun zur hymnischen Untermalung seines finalen Triumphes empor.

Der Doviat bedauerte es, dass er sein Lied einmal mehr nur im Stillen intonieren konnte. Während des endlos erscheinenden Exils in der Galaxis namens Milchstraße hatten er und seine Artgenossen nicht mehr als eine Handvoll Planeten entdeckt, von denen die Anforderungen für einen offenen Vortrag der Ewigen Gesänge erfüllt wurden. Zwar gab es Wasserwelten zur Genüge, doch selten waren die dort vorhandenen Ozeane tief genug, um die Kraft der unsterblichen Töne zur vollen Entfaltung bringen zu können, und die Verunreinigung des Wassers mit Plankton, Mikroorganismen, organischen Partikeln und zahllosen anderen Fremdkörpern wirkte sich negativ auf Schallfluss und Klangvolumen aus.

All das würde schon bald anders werden. Parjasthina starrte auf den Panoramaschirm. Im Zentrum der Bilderfassung stand ein weniger als dreitausend Kilometer durchmessender Kleinplanet, ein nicht nur auf den ersten Blick bedeutungsloser Steinbrocken mit dünner Atmosphäre und spärlicher Vegetation. Er beschrieb seine Bahn als zweite von drei Welten um eine hellgelbe Sonne und seine einzigen Bewohner waren halbintelligente Wurmwesen, die ihren Lebenszweck darin sahen, ein unüberschaubares Labyrinth aus Stollen und Höhlen in die Planetenkruste zu treiben.

Die Völker der Milchstraße hatten den Planeten inzwischen Charastinte getauft, ein Name so gut oder schlecht wie jeder andere. Parjasthina spürte, wie seine Erregung zunahm, sich sein Körper trotz der Rezitation der uralten Gesänge erhitzte. Als er selbst diese verfluchte Welt zum ersten Mal betreten hatte, auf das Schlimmste gedemütigt und ausgestoßen von jenen, denen er und die Seinen nur hatten helfen wollen, war Charastinte noch namenlos gewesen. Hier hatte alles begonnen. Hier hatte der Leidensweg der Illochim seinen Anfang genommen. Und hier würde alles enden.

Manchmal hatte der Doviat nicht mehr daran geglaubt, dass der Tag der Rache noch kommen würde. Zeit war ebenso geduldig wie erbarmungslos, wenn es darum ging, Pläne zunichte zu machen, vor allem, wenn sich diese über ganze Epochen erstreckten. Doch das alles spielte nun keine Rolle mehr. Der Übergang war vorbereitet. In wenigen Tagen würden sich die Tore nach Marasin endgültig öffnen. Dann konnten endlich jene gerichtet werden, die das Wohlwollen und die Hilfsbereitschaft der Illochim einst so schändlich missbraucht hatten. Er, Parjasthina, würde die Heere der Vergeltung persönlich führen und dafür sorgen, dass die Völker Marasins den Preis für das bezahlten, was sie seinem Volk angetan hatten.

Es würde ein hoher Preis sein.

Ein sehr hoher Preis.

Parjasthina sang – und zum ersten Mal seit Jahrtausenden fühlte er sich im Einklang mit sich selbst.

Kapitel 1
Charas

 

»Leer deine Taschen!«

Der zweieinhalb Meter große Hüne fuchtelte so ungeschickt mit seinem unterarmlangen Messer vor Charas’ Gesicht herum, dass er es beinahe fallen gelassen hätte. Dennoch hütete sich der Springer davor, sein Gegenüber nicht ernst zu nehmen. Gegen einen Ertruser – selbst wenn es sich dabei um ein derart nervöses Exemplar dieses Volkes handelte – besaß er trotz seiner eigenen nicht gerade zierlich zu nennenden Statur nicht den Hauch einer Chance.

»Und gib mir den Beutel«, fügte der Riese heiser hinzu. Die Spitze der funkelnden Messerklinge zeigte kurz auf die Tragetasche aus billigem, grauen Plastik, die Charas an einem Riemen über der rechten Schulter hing.

»Schon gut, schon gut«, versuchte der Springer zu beschwichtigen. »Nur keine Aufregung. Ich fürchte jedoch, dass du sehr enttäuscht sein wirst, mein Freund. Außer hundertzwanzig Solar in bar, ein paar Carsual-Münzen und einem Rabatt-Chip für das Mehandor Inn am Containerhafen kann ich dir nichts bieten.«

Langsam, die Faust des Ertrusers mit dem Messer darin stets im Auge behaltend, zog Charas die schmale Brieftasche aus billigem Prospa-Lederimitat aus seiner Jacke und warf sie dem Mann zu. Der schnappte mit der Linken nach der abgewetzten Börse, griff daneben und stieß einen deftigen Fluch aus. Als er in die Hocke ging, um das auf dem Boden liegende Objekt der Begierde aufzuheben, knackten seine Kniegelenke so laut, dass das Echo in der röhrenartigen Seitengasse widerhallte. Es klang, als würde ein Bündel morscher Äste zerbrechen.

»Bleib wo du bist, oder ich stech dich ab!«, warnte der Ertruser überflüssigerweise. Seine Wangenmuskeln zuckten hektisch. Charas hob beide Arme und streckte dem Straßenräuber die offenen Handflächen entgegen.

»Ich rühre mich nicht von der Stelle«, versicherte er.

Der Springer unterdrückte einen Seufzer und beobachtete, wie der Gigant mit den fast zwei Meter breiten Schultern die Lederbörse durchsuchte, ein paar 10- und 20-Solarnoten herausnahm und diese mit einem Wutschnauben zusammenknüllte. Der Überfall fügte sich perfekt in die Pechsträhne, die ihn nun schon seit Monaten begleitete. Alles hatte mit diesem verdammten Hypergramm der Raumregistratur auf Volat begonnen …

»Den Beutel …!« Der Ertruser kam einen Schritt näher und Charas beeilte sich, den ausgefransten Trageriemen über die Schulter zu streifen. Erst jetzt bemerkte er, dass die blaugrüne Kombination des Giganten an vielen Stellen zerrissen und fleckig war. Hinzu kam der strenge Geruch, den der Mann verströmte. Es war nicht schwer zu erraten, dass er es hier mit einem der zahlreichen Gestrandeten zu tun hatte, die es auf jedem Planeten der Milchstraße und vor allem in der Nähe der Raumhäfen gab. Heruntergekommene und ihrer Illusionen beraubte Menschen, die irgendwann vom geraden Weg abgekommen waren und nicht mehr auf ihn zurückgefunden hatten.

»Tut mir leid«, sagte er und reichte dem Ganoven die unscheinbare Plastiktasche. »Nur ein paar Dokumente und persönliche Papiere. Ich fürchte, ich bin nicht wesentlich wohlhabender als du, mein Freund. Allerdings bin ich noch nicht verzweifelt genug, als dass ich versuchen würde, diesen Zustand mit einem Messer in der Hand zu ändern.«

Noch bevor der Springer seinen letzten Satz zu Ende gesprochen hatte, wusste er, dass er zu weit gegangen war. Er verfluchte sich und sein großes Mundwerk. Mit der letzten unbedachten Bemerkung hatte er den Bogen ganz offensichtlich überspannt. Der Ertruser starrte ihn aus geweiteten, blutunterlaufenen Augen an. Vermutlich hatte er irgendetwas geschluckt. Charas war zwar kein Experte, doch die Nervosität des Mannes und der erbärmliche Zustand, in dem er sich befand, ließen vermuten, dass dieser seiner Profession noch nicht allzu lange nachging. Insofern war es durchaus denkbar, dass er versucht hatte, sich vor dem geplanten Überfall den nötigen Mut mit ein paar geeigneten Pillen zu verschaffen. Die entsprechenden Substanzen, meistens in irgendwelchen Kellergewölben zusammengepanschte Cocktails aus Amphetamin-Substraten und synthetischen Alkaloiden, funktionierten zwar, führten allerdings je nach Dosierung auch schnell zu Abhängigkeit und dem Auftreten schwerer physischer und psychischer Nebenwirkungen.

Der Ertruser stürzte nach vorn; der Plastikbeutel fiel auf den blaugrauen Belag der Straße und die Folien und Aktenmappen rutschten heraus und verteilten sich über den schmutzigen Boden. Charas entging der Attacke nur deshalb, weil er instinktiv mit ihr gerechnet hatte. Die Klinge des Gegners fuhr haarscharf an seinem Gesicht vorbei. Dann traf ihn der massige Körper des Angreifers und trieb ihm sämtliche Luft aus den Lungen.

Es gelang dem Springer nur annährend, seinen Fall zu bremsen. Er schlug mit dem breiten Hinterteil zuerst auf den Untergrund, rutschte ein paar Meter über den rauen Stahlbeton und schürfte sich Ellbogen und Unterarme auf. Fürs Lamentieren blieb jedoch keine Zeit, denn bei dem Ertruser waren jetzt offenbar alle Dämme gebrochen. Wie ein beim Liebesspiel gestörter Archetz-Keiler hetzte er heran, die Faust mit dem Messer vorgestreckt und zum tödlichen Stoß bereit. Charas glaubte in den Mundwinkeln weißen Schaum zu erkennen. Die ansonsten rotbraune Haut des Hünen glänzte in hellem Ocker. Dicke Schweißperlen standen auf Stirn und Schädel, der bis auf einen schmalen schwarzen Sichelkamm völlig blankrasiert war.

Im letzten Moment drehte sich der Springer zur Seite und sein Widersacher lief erneut ins Leere. Keuchend stemmte Charas seine rund 180 Kilogramm Lebendgewicht wieder auf die Beine und sah sich gehetzt um. Ihm war klar, dass es keinen Zweck hatte wegzulaufen. Aufgrund seines über die Jahre zu einer beachtlichen Kugel angeschwollenen Bauches und seiner seit Jahrzehnten leidenschaftlich gepflegten Antipathie gegen alles, was auch nur entfernt mit körperlicher Anstrengung zu tun hatte, war jeder Fluchtversuch von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

»Warte …«, keuchte Charas. »Warte … einen … Augenblick. Ich … ich … kann dir Geld besorgen.«

Der Ertruser schien ihn gar nicht zu hören. Mit einem tief aus der Kehle kommenden Grunzen leitete er die nächste Offensive ein. In seinem verzerrten Gesicht spiegelte sich die blanke Mordlust. Was immer der Kerl auch eingeworfen hatte, es nahm ihm offenbar sämtliche Hemmungen und wahrscheinlich hätte er auch ohne die achtlos dahingesagten Worte des Springers früher oder später durchgedreht.

In seiner Verzweiflung warf sich Charas dem Gegner mit einem Aufschrei entgegen. Es war, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Zum zweiten Mal blieb ihm die Luft weg, und er japste wie ein Mandalay in der Wüste von Shand’ong. Sein Herz pochte wie rasend, und ihm brach am ganzen Körper der Schweiß aus. Ein stechender Schmerz zuckte durch den Brustkorb und das Gefühl, ersticken zu müssen, ließ die Panik in ihm wie einen Steppenbrand auflodern. Bei Levtan, dem Verräter – er hatte doch gerade erst seinen 83. Geburtstag gefeiert. Er war noch lange nicht bereit zum Sterben.

Der Ertruser wuchs vor ihm wie ein schwarzer Schatten in die Höhe. Er hielt das Messer jetzt mit beiden Händen, stellte sich breitbeinig über sein Opfer und riss die Arme in die Luft, um Schwung zu holen. Charas wollte die Augen schließen, wollte die auf ihn zu sausende Klinge nicht auch noch sehen müssen, doch er schaffte es nicht. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Als hätte ihn das Schicksal nicht schon genug gestraft, zwang es ihn nun auch noch dazu, dem Unvermeidbaren mit klarem Blick zu begegnen.

Nun mach schon, zuckte es durch seinen dröhnenden Kopf. Bring es endlich zu Ende. Vielleicht tust du mir damit sogar einen Gefallen.

Doch es geschah nichts. Charas wartete, und die Sekunden verstrichen eine nach der anderen in zittriger Ereignislosigkeit. Es war, als sei die Zeit selbst stehen geblieben, als hätte sich das Universum entschlossen, für eine Weile innezuhalten und eine Pause einzulegen, um ihn die Furcht und die Hoffnungslosigkeit bis zur Neige auskosten zu lassen. Der Springer konnte sich das einfach nicht erklären. Hatte der Ertruser sein Werk etwa schon vollbracht? Hatte er ihm das Messer in die Brust gestoßen und Charas erlebte nichts weiter, als seine ganz private Hölle, in der er dazu verdammt war, auf immer und ewig im Moment des eigenen Todes zu verharren? Zugegeben, er war in seinem bisherigen Leben beileibe kein Muster an Tugendhaftigkeit gewesen, doch das hatte er ganz bestimmt nicht verdient.

Nach einer vermeintlichen Ewigkeit tat sich doch noch etwas. Der riesige Ertruser neigte sich plötzlich zur Seite wie ein frisch geschlagener terranischer Mammutbaum. Das Messer entglitt seinen Händen und schlug mit explosionsartigem Klirren nur Zentimeter neben dem linken Ohr des Springers auf. Charas glaubte das Bewusstsein verlieren zu müssen, doch auch diese Gnade wurde ihm verwehrt. Gierig sog er Sauerstoff in seine Lungen, musste husten, bekam erneut keine Luft mehr. Irgendjemand packte ihn an den Schultern und half ihm, sich aufzusetzen. Der Springer wollte instinktiv um sich schlagen, doch mehr als ein paar matte Bewegungen mit den feisten Armen brachte er nicht zustande.

»Beruhige dich«, hörte er eine vertraute Stimme. Sie klang seltsam atonal, so als hätte ihr Besitzer Mühe, die einzelnen Worte zu modulieren.

»Tyrill …«, stieß Charas hervor. »Bist du das?«

»Wer sonst?«, antwortete die Stimme. »Dich kann man aber auch nicht fünf Minuten allein lassen, alter Mann.«

Die Erleichterung brach mit solcher Macht über den Springer herein, dass er beinahe in Tränen ausgebrochen wäre. Erst jetzt, da die unglaubliche Anspannung von ihm wich, begriff er, dass er zum ersten Mal in seinem Leben echte Todesangst empfunden hatte. Minutenlang hockte er wie ein Häufchen Elend auf der Straße, und Tyrill ließ ihm die Zeit, die er brauchte. Der Blue hatte damit begonnen, die überall auf der Straße verteilten Folien einzusammeln und wieder in die Plastiktasche zu stopfen. Charas beobachtete ihn dabei.

Tyrill Azyk war für Charas vermutlich das, was einem Freund am nächsten kam. Er kannte den Jülziish bereits seit einer halben Ewigkeit, und gemeinsam hatten sie schon so manches mehr oder weniger ehrenhafte Geschäft abgewickelt. In der Welt, in der sich der Springer üblicherweise bewegte, waren Werte wie Vertrauen und Redlichkeit nicht unbedingt weit verbreitet, doch wenn es jemanden gab, dem Charas bereit war, diese seltenen Eigenschaften zu attestieren, dann war es Tyrill Azyk.

Der Blue hatte in seiner Arbeit innegehalten und blätterte jetzt in einem schmalen Ordner, der nur wenige Folien enthielt. Fasziniert musterte der Springer den langen, schlauchartigen Hals des von Gatas stammenden Händlers. Tyrill verdiente seinen Lebensunterhalt als Vermittler, was nichts anderes hieß, als dass er Angebot und Nachfrage zusammenführte und für jeden so zustande kommenden Abschluss eine kleine Gebühr kassierte. Dabei hatte er sich vor allem auf Nahrungsmittel und andere schnell verderbliche Güter spezialisiert.

Charas versuchte gar nicht erst, in den Zügen des Blue zu lesen. Der tellerförmige Schädel eines Jülziish mit seinen beiden Augenpaaren, der grobporigen, rötlich schimmernden Haut und dem praktisch nicht vorhandenen Gesicht, ließ keine Rückschlüsse auf die jeweilige Gemütslage seines Besitzers zu. Nicht umsonst galten Blues bei den meisten anderen humanoiden Völkern der Galaxis als gefühlskalt und unnahbar, doch der Springer wusste, dass das nicht stimmte. Er hatte Tyrill Azyk als einen warmherzigen, zuvorkommenden und empfindsamen Zeitgenossen kennengelernt, und nicht zuletzt das war der Grund gewesen, warum er überhaupt nach Ertrus gekommen war und um ein Gespräch mit dem Jülziish gebeten hatte.

Der Blue kam mit langsamen Schritten auf ihn zu. Sein vorderes Augenpaar war noch immer auf die Handvoll Folien gerichtet. Er schien den Blick gar nicht mehr abwenden zu können. Wenn sich Charas nicht täuschte, dann war das ausgerechnet der Ordner mit den Volat-Unterlagen; gewissermaßen die Wurzel all des Übels, das sich in den vergangenen Wochen über ihn ergossen hatte.

»Was willst du mit …?«, setzte der Springer an, kam jedoch nicht dazu, seine Frage zu beenden.

»Ist das echt?«

Charas hatte Mühe, seinen langjährigen Geschäftspartner zu verstehen, weil dessen Stimme vor Aufregung immer wieder in den Ultraschallbereich abglitt. Jülziish verständigten sich normalerweise in einem Abschnitt des Frequenzbands, den die Hörorgane der meisten Bewohner der Milchstraße nicht erfassen konnten. Der mittlere Hörbereich von Springern, Arkoniden, Terranern und zahlreichen anderen Völkern lag zwischen 16 Hertz und 19 Kilohertz, war also relativ eng begrenzt. Blues waren dagegen in der Lage, auch Ultraschall, also Frequenzen zwischen 16 Kilohertz und 1,6 Gigahertz wahrzunehmen. Das Hören und Sprechen in tieferen Frequenzlagen verlangte ihnen dagegen einiges an Anstrengung und Konzentration ab.

»Ist das echt?«, wiederholte Tyrill so schrill, dass Charas das Gesicht verzog. Der Blue hielt ihm ein dreidimensionales Foto direkt vor die Nase. Der Springer kannte es, hatte er es doch vor knapp zwei Wochen selbst auf Volat aufgenommen.

»Natürlich ist das echt.« Er schüttelte den Kopf so heftig, dass die beiden sorgfältig gefochtenen Zöpfe seines langen Bartes wie Glockenklöppel hin und her flogen. »Was soll die blöde Frage?«

Tyrill Azyks kleiner Halsmund vibrierte, als er seinen Tellerschädel so weit nach vorn neigte, dass Charas befürchtete, der Hals würde brechen.

»Wir sollten reden«, sagte er und seine Stimme klang nun wieder ruhig und kontrolliert.

»Klar doch.« Der Springer zuckte mit den Schultern. »Deswegen bin ich schließlich hier.«

Kapitel 2
Charas

 

Die Grauzone war eine Kneipe, in der überwiegend Ertruser verkehrten. Sie lag nicht weit vom Containerhafen entfernt in einem Viertel der Hauptstadt, das sich Baretus-Lennik nannte und an pompöser Trostlosigkeit kaum zu überbieten war. Allerdings hatte Charas die plumpe und protzig wirkende Architektur der ertrusischen Metropole noch nie ausstehen können.

Nach kurzer Beratung hatten er und der Blue darauf verzichtet, die Ordnungskräfte zu informieren, und den von Tyrill paralysierten Ertruser einfach an Ort und Stelle liegen lassen. Das Einschalten der lokalen Behörden hätte nur endlose Befragungen nach sich gezogen und diesen wollte sich keiner von ihnen aussetzen. Der Springer hatte daraufhin vorgeschlagen, per Gleitertaxi ins Mehandor Inn zurückzukehren, wo er ein Zimmer … nein, eher eine Abstellkammer gemietet hatte, aber Tyrill lehnte das ab. Die Grauzone befand sich in unmittelbarer Nähe jener Seitenstraße, in der der Überfall stattgefunden hatte, und der Blue schien es aus Gründen, die sich Charas nicht erschließen wollten, mit einem Mal eilig zu haben.

»Ich will alles über dieses Foto wissen«, sagte Tyrill Azyk kaum, dass sie sich gesetzt und zwei Krüge ertrusisches Starkbier geordert hatten. »Wo wurde es aufgenommen? Was weißt du über dieses Wesen? Ist es intelligent? Kann ich es sehen?«

»Bei allen Halsabschneidern der Eastside«, rief der Springer gegen den Lärm der selbst zu dieser späten Stunde noch zahlreichen Zecher an. »Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Warum bringt dich dieser vertrocknete Wurm derart außer Fassung?«

Der Jülziish wartete, bis die Bedienung, ein Ertruserjunge mit einer fleckigen Schürze und glänzenden Pausbacken, die beiden Zweiliterkrüge auf den wuchtigen Tisch gestellt hatte und wieder verschwunden war. Charas packte das Trinkgefäß und nahm einen kräftigen Schluck. Dann wischte er sich den Schaum aus dem Bart und grinste sein Gegenüber auffordernd an.

»Was ist?«, wollte er wissen. »Hast du keinen Durst?«

Tyrill schob seinen Krug so heftig zur Seite, dass ein Teil des Inhalts über den Rand hinaus schwappte und sich auf die Tischplatte ergoss. Sein vorderes Augenpaar suchte den Blick des Springers und dieser fühlte sich von einer Sekunde auf die andere nicht mehr besonders wohl in seiner Haut. So hatte er seinen Geschäftspartner noch nie zuvor erlebt.

»Darf ich dich daran erinnern«, stieß der Blue hervor, »dass du es warst, der mich um eine Unterredung gebeten hat? Darf ich dir weiterhin ins Gedächtnis rufen, dass dir ohne mich ein schäbiger Teilzeitganove vor nicht einmal einer halben Stunde sein Messer in den fetten Wanst gerammt hätte? Und lass mich bei dieser Gelegenheit auch gleich noch erwähnen, dass ich nicht einmal halb so dämlich bin, wie du offenbar denkst. Ich habe die Unterlagen gesehen, die du da in deinem Täschchen mit dir herumschleppst, Charas! Du steckst bis über beide Zöpfe in Gulmendreck – und ich soll dich wieder rausziehen! Glaubst du also, dass es angesichts der herrschenden Sachlage zuviel verlangt wäre, wenn ich dich bitte, dein Saufgelage für einen Moment zu unterbrechen und mir zu sagen, was ich wissen will? Glaubst du das?«

Mit den letzten Worten war die Stimme des Blue wieder ins Unhörbare enteilt. Charas schluckte und leckte sich die wulstigen Lippen. Trotz des gerade halb geleerten Kruges fühlte sich seine Kehle auf einmal trocken an, doch er wagte es nicht, erneut nach seinem Bier zu greifen.

»Schon gut, schon gut«, brachte er schließlich heraus. »Reg dich bitte nicht auf. Die Geschichte ist schnell erzählt. Vor knapp zwei Wochen bekam ich ein Hypergramm von der Raumregistratur auf Volat. Ist dir dieser Name ein Begriff?«

»Selbstverständlich. Der sechste Planet des Heperés-Systems gehört seit dem Jahr 2051 terranischer Zeitrechnung zu den Freihandelswelten. Imperator Gonozal VIII. hat dieses Status damals höchstpersönlich verfügt.«

»Genau«, bestätigte Charas. »Dann weißt du sicher ebenfalls, dass Volat noch bis ins Jahr 2106 formell zum arkonidischen Imperium gehört hat und vorher einer der geheimen Werftplaneten der Arkoniden war. Schon kurz nach Erhalt des exterritorialen Status und dem Beginn umfangreicher Bauarbeiten wurden die Reste ausgedehnter subplanetarer Reparatureinrichtungen und Hangaranlagen entdeckt. Auch in den folgenden Jahrhunderten stieß man bei Ausgrabungen immer wieder auf Überbleibsel dieser Zeit. Vor ungefähr einem halben Jahr begann man in einem abgelegenen Vorort der Hauptstadt Kuklón mit den Vorbereitungen für die Installation einer neuen Robotfabrik. Dabei fand man in zehn Kilometern Tiefe eine fast vollständig erhaltene Lagerzeile mit insgesamt vierzehn eingemotteten Raumschiffen aus der Ära von Imperator Barkam III.«

»Barkam III.?« Der Blue wiegte seinen fachen Tellerkopf nachdenklich hin und her. »Das muss mindestens eineinhalb Jahrtausende her sein …«

»1514 Jahre, um genau zu sein. Die entdeckten Schiffe waren jedoch nicht einfach nur alt, sondern regelrecht verwahrlost. Dem amtierenden Handelsrat wurde schnell klar, dass die Entsorgung der Wracks und die Entgiftung der näheren Umgebung viele Millionen Solar verschlingen würden, Geld, das man aufgrund der anhaltenden wirtschaftlichen Flaute in weiten Teilen der Milchstraße nicht besaß. Also suchte man nach Alternativen.«

»Was hat das alles mit dem Wurm zu tun?«, erkundigte sich der Blue ungeduldig. Charas schnappte sich seinen Krug, leerte ihn mit zwei hastigen Zügen und winkte dem Ertruserjungen.

»Das wirst du gleich erfahren«, setzte er seinen Bericht fort. »Die Ermittler des Rats fanden heraus, dass es sich bei den Raumschiffen um abgebrochene Reparaturaufträge handelte. Die ehemaligen Besitzer hatten ihre defekten Fahrzeuge den Robotwerften zur Wartung und Instandsetzung übergeben, konnten dann jedoch die Rechnung nicht begleichen. Die Arkoniden waren in dieser Hinsicht stur und behielten die Schiffe einfach als Pfand ein. Einer dieser Raumer war eine Mehandor-Walze mit dem Namen CHAR III.«

»Interessant. Offenbar war ein entfernter Verwandter von dir damals knapp bei Kasse, ein Zustand, an dem sich über die Generationen hinweg anscheinend nichts geändert hat …«

»Du bist wie immer zum Brüllen komisch, Flachbirne«, gab Charas säuerlich zurück. »Wie schon gesagt, erreichte mich vor zwei Wochen dieses Hypergramm.« Er wühlte in seiner Tragetasche und förderte einen dreiseitigen Folienausdruck zutage, den er dem Blue reichte. Tyrill studierte das Schriftstück und stieß ein durchdringendes Pfeifen aus. Einige der umsitzenden Gäste warfen dem ungleichen Pärchen böse Blicke zu.

»129 Millionen Solar?« Der Halsmund des Gatasers vibrierte wieder – wie Charas wusste, ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Blue Ultraschalllaute produzierte. Wahrscheinlich lachte er sich gerade seinen ovalen Schädel rund.

»Und 63 Soli«, fügte der Springer resignierend hinzu. Ihm war alles andere als zum Lachen zumute. Mürrisch schnappte er sich den Ausdruck des Hypergramms und zitierte aus dessen Text: »Zahlbar innerhalb des laufenden Kalenderjahres 3114 oder spätestens mit drei Monaten Verzug und unter Berücksichtigung eines dann zu erhebenden Aufgelds von zehn Prozent der Fälligkeitssumme.«

»Wofür, bei der eitrigen Kreatur des Wuchers, stellt dir die Raumregistratur auf Volat sagenhafte 129 Millionen Solar in Rechnung?« Tyrill Azyk packte seinen Krug, von dem er nicht einmal genippt hatte, mit beiden Händen und schob ihn dem Springer hin. Offensichtlich war er der Meinung, dass der Händler einen weiteren Schluck gut gebrauchen konnte, und Charas stimmte dem Blue vorbehaltlos zu.

»Liegegebühren, Steuern, Verwaltungsabgaben, anteilige Beiträge zur Schuldnerermittlung, Säumniszuschläge, Jahresgelder, Versicherungsprämien, Kompensation für entgangenen Nutzen – oh ja, und natürlich die Übernahme sämtlicher Kosten für die umweltgerechte Beseitigung einer erwiesenermaßen gesundheitsschädlichen festen, flüssigen oder gasförmigen Sache im Gebiet des Verwaltungsträgers oder seiner Rechtsnachfolger.«

»Da sammelt sich in 1500 Jahren wohl so einiges an.«

»Auch wenn ich es nicht hören kann:«, zischte der Springer wütend. »Ich weiß, dass du dich über mich lustig machst!«

»Warum ignorierst du den albernen Schrieb nicht einfach?«, fragte Tyrill. »Es kann doch unmöglich sein, dass du für die Schulden eines vor eineinhalb Jahrtausenden verblichenen Ahnherren einstehen musst.«

»Das dachte ich zuerst auch«, entgegnete Charas traurig. »Leider ist die Sache aber ziemlich kompliziert. Für das von den Arkoniden einst an mein Volk verliehene Handelsmonopol in der Milchstraße musste dieses ein paar Zugeständnisse an die jeweiligen Imperatoren machen. Frag mich bitte nicht nach Details, aber offenbar gilt in Fällen wie dem hier vorliegenden ein sehr spezielles Haftungsrecht, und im Rahmen dessen die sogenannte Vermächtnisklausel, nach der die Nachkommen eines Schuldners zeitlich unbegrenzt für dessen Verbindlichkeiten einstehen müssen. Zwar wurde diese Klausel mit dem Vertrag über den Zusammenschluss des Großen und des Solaren Imperiums 2115 faktisch unwirksam, doch zu diesem Zeitpunkt genoss Volat bereits den Freihandelsstatus und somit seine juristische Souveränität.«

»Verstehe. Auf Volat hat das alte Imperiumsrecht bis heute Bestand – und das haben die cleveren Finanzstrategen im Handelsrat schnell erkannt. Allerdings beantwortet das noch immer nicht meine Frage. Du hast das Geld nicht. Warum erzählst du den Beutelschneidern des Rates nicht einfach, dass du pleite bist? Deinen altersschwachen Frachtkahn werden sie dir wohl kaum wegnehmen.«

»Wahrscheinlich nicht«, bestätigte der Springer. »Allerdings werden sie mir ihre Spezialisten auf den Hals hetzen. Sie werden mir erst wehtun, dann ein paar Knochen brechen, schließlich Finger und Zehen abschneiden und sollte ich dann noch immer nicht zahlen können, werden sie mich auf ziemlich schmerzhafte Weise vom Leben zum Tode befördern.«

»Das ist nicht dein Ernst«, rief der Gataser.

»Mein voller Ernst.« Charas hatte inzwischen auch den Krug des Blues geleert und riss dem Ertruserjungen, der soeben mit dem Nachschub anrückte, den neuen Humpen geradezu aus den Fingern. »Die Herren in der Raumregistratur haben mir die Folgen einer verspäteten Zahlung ziemlich plastisch ausgemalt. Ich habe rund sechs Monate Zeit, um 129 Millionen Solar aufzutreiben.«

»Und 63 Soli«, ergänzte Tyrill Azyk spitz. »Die könnte ich dir immerhin schon einmal vorstrecken.«

»Es freut mich, dass die Tatsache meines drohenden Ablebens wenigstens noch zu deiner Erheiterung beiträgt«, sagte Charas.

»Entschuldige.« Der Jülziish strich sich unbewusst über den blauen Pelzflaum, der seine kräftigen Arme bedeckte. »Und jetzt erzähle mir endlich etwas über den Wurm.«

Sein Gegenüber seufzte. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin nach Volat geflogen, um die CHAR III einer Inspektion zu unterziehen. Es hätte ja sein können, dass sich noch Wertgegenstände an Bord befinden, aber so viel Glück hatte ich natürlich nicht. Der jämmerliche Zustand des Schiffes ließ nicht einmal mehr ein Ausschlachten zu. Beim Rundgang durch die Lagerhallen im Bugsektor stieß ich schließlich auf eine seltsame Kiste. Ich öffnete sie und fand einen primitiven Konservierungstank, wie er wohl vor 1500 Jahren modern gewesen war. Darin schwamm dieses … Ding. Mein Vorfahre nannte es Dandel

»Dann hast du Aufzeichnungen gefunden?« Tyrill wirkte jetzt wieder hochgradig aufgeregt.

»Die Bordpositronik war ziemlich hinüber«, sprach der Springer weiter. »Die meisten Speicherelemente waren korrodiert und die Hyperkristalle unbrauchbar. Mehr als ein paar Fragmente des Logbuchs konnte ich nicht restaurieren. Charas – der damalige Patriarch und Besitzer der Walze hieß tatsächlich genau so wie ich – strandete mit der CHAR III auf einem Planeten, dem er den Namen Charastinte gab. Tinte ist ein Wort aus der Handelssprache Mehandora …«

»… und bedeutet so viel wie Kränkung oder Provokation, ich weiß«, unterbrach ihn der Blue. »Halte dich nicht an solchen Unwichtigkeiten fest.«

»Okay, okay«, sagte Charas. »Auf jeden Fall saß mein Namensvetter fast ein volles Jahr auf Charastinte fest und diese Dandels waren alles, was diese Welt an Abwechslung zu bieten hatte. Keine Bodenschätze, keine verwertbare Fauna, nichts, das man zu Geld hätte machen können. Ein Alptraum für jeden Springerpatriarchen. Als man den Planeten endlich verlassen konnte, bemerkte man zu spät, dass sich heimlich ein junger Dandel an Bord geschlichen hatte. Das einfältige Vieh warf sich in einen wegen Energiemangel stillgelegten Antigravschacht, den es wohl für einen Tunnel hielt und stürzte sich zu Tode. Charas ließ die Leiche in einen Konservierungstank stecken. Möglicherweise hoffte er, daraus später noch irgendwie Kapital zu schlagen.«

»Dieser Dandel …« Tyrill Azyk klopfte mit dem rechten Zeigefinger auf das Holofoto, das der Springer vom dem Tank an Bord der CHAR III gemacht hatte. »Du bist sicher, dass dein Ahnherr von einem jungen Exemplar gesprochen hat?«

»Ganz sicher«, antwortete Charas.

»Dann sind die ausgewachsenen Exemplare also noch wesentlich größer?«

»Vermutlich.« Der Springer legte den Kopf schief und sah Tyrill an. »Verrätst du mir jetzt endlich, was dich an diesem blöden Kriechtier so fasziniert?«

»Was weißt du über die bluessche Küche – vor allem über den Muurt-Wurm?«, stellte der Jülziish eine Gegenfrage. Charas starrte ihn verständnislos an. In seinem von zwei Krügen Starkbier schon leicht benebelten Verstand tauchten erste Assoziationen auf, doch er schaffte es nicht, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen.

»Der Muurt-Wurm?«, echote er. »Ich weiß, dass es sich dabei um eine angeblich extrem seltene und sündhaft teure Delikatesse von euch Tellerköpfen handelt.«

»So ist es.« Tyrill verzog den Halsmund zu etwas, das man mit viel gutem Willen als Lächeln bezeichnen konnte. »Niemand weiß genau, woher diese Tiere kommen, und nur wenigen ist die Möglichkeit einer Verkostung vergönnt. Muurt-Würmer besitzen eine sogenannte Scheinintelligenz. Sie sind in der Lage, mit demjenigen, der sie zu verzehren trachtet, telepathischen Kontakt aufzunehmen und versuchen dann, ihn im Dialog davon zu überzeugen, dass sie sich nicht als Mahlzeit eignen. Führende Experten der Jülziish streiten sich mangels ausreichender Studienobjekte bis heute darüber, ob es sich dabei um eine Parafähigkeit im engeren Sinne handelt oder ob die Würmer vielleicht nur bestimmte Botenstoffe ausscheiden, die bei anderen Lebewesen Halluzinationen hervorrufen.«

»Das ist alles schön und gut, aber ich verstehe nicht ganz, was das mit meinem Fund zu tun hat.«

»Bei der violetten Kreatur der Dummheit«, ereiferte sich Tyrill Azyk. »Hör auf, diese abgestandene Ertruserbrühe in dich hinein zu schütten, und fang endlich an nachzudenken. Das Ding da …«, er bearbeitete das Holofoto erneut mit seinem Zeigefinger, »… sieht einem Muurt-Wurm zum Verwechseln ähnlich. Denk dir die Knochenplatten an der Seite und die Fühler da vorn weg, und du hast eine beinahe hundertprozentige Übereinstimmung. Unser Wurm ist allerdings mehr als zehnmal größer!«

»Das … das …«, begann Charas, dessen Kopf plötzlich schmerzte. »Das kannst du … können wir doch nicht machen. Du willst … du willst einen 1500 Jahre alten Wurm … in Stücke schneiden und als Delikatesse verkaufen?«

»Bei allen Kreaturen des Spektrums«, brach es aus dem Jülziish heraus. »Wenn du jemals im Besitz von so etwas Ähnlichem wie einem Hirn gewesen bist, dann hat es der Alkohol längst zerfressen. Was will ich mit deinem armseligen eingelegten Wurm, wenn es einen ganzen Planeten davon gibt? Du besitzt doch die Position von Charastinte, oder?«

»Sie … sie ist offiziell in allen Sternkatalogen verzeichnet, aber …«

»Großartig. Wir werden also hinfliegen und uns diese Dandels ansehen. Was machst du für ein Gesicht? Ist dir nicht klar, was das bedeuten könnte? Wenn wir es geschickt anstellen, sind wir in ein paar Jahren steinreich! Wer weiß, vielleicht ist Charastinte ja wirklich die geheimnisvolle Heimatwelt der Muurt-Würmer. Du wirst sehen, mein Freund, die goldene Kreatur des Wohlstands wird schon bald unser ständiger Begleiter sein.«

»Was ist … was ist, wenn die Dandels etwas dagegen haben, dass man sie verspeist?«, fragte der Springer tonlos.

»Du hast doch gesagt, dass die Biester halbintelligent sind, oder?« Tyrill warf seine langen Arme in die Luft und verschränkte sie dann vor der schmächtigen Brust. »Wenn wir ihnen die Lage in einfachen Worten erklären und die möglichen Alternativen aufzeigen, werden sie ganz bestimmt keine Schwierigkeiten machen.«

»Nein, nein«, begehrte Charas auf, der nun wieder völlig nüchtern war. »Du verstehst mich nicht. Wir können diese Dandels doch nicht als …«

»Hör auf zu flennen!«, fuhr Tyrill den Springer wütend an. Mit einem Mal war jedwede Freundlichkeit von ihm abgefallen. »Das ist entwürdigend. Ich glaube, du verstehst mich nicht. In ein paar Monaten sitzen dir die Geldeintreiber des Handelsrats von Volat im Nacken. Wenn du dir allerdings lieber die Zähne herausreißen lässt, als die Chance deines Lebens zu ergreifen und mehr Kohle zu scheffeln, als du jemals ausgeben kannst, hast du meinen Segen. Ich ziehe diese Sache gerne auch allein durch.«

»Ja … Nein … Ich dachte nur …«, stammelte Charas. Tyrill beugte sich zu ihm hinüber und legte eine Hand auf seine Schulter. Übergangslos wurde er wieder zu jenem ruhigen und beherrschten Blue, den der Springer kannte.

»Mach dir keine Sorgen, mein Freund. Und überlasse das Denken ruhig mir. Wir fahren jetzt zum Raumhafen und sorgen dafür, dass dein Schrotthaufen von einem Frachtschiff nicht auseinanderfällt, wenn wir nach Charastinte aufbrechen. Die Kosten übernehme ich. Du kannst mir später alles zurückzahlen.«

»Aber ich habe keine Mannschaft«, warf Charas kläglich ein. »Nachdem ich die letzte Heuer nicht mehr zahlen konnte …«

»Auch darum werde ich mich kümmern«, unterbrach ihn Tyrill, stand auf und warf ein paar Carsual-Münzen, die einheimische Währung auf Ertrus, auf den Tisch. »Du wirst sehen, das Ganze wird ein großes Abenteuer, und noch bevor das Jahr zu Ende geht, schwimmen wir beide im Geld. Los, komm jetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Widerstandslos ließ sich der massige Springer von dem neben ihm zerbrechlich wirkenden Blue mitziehen. Kurz darauf waren die beiden Männer auf dem Weg zum Raumhafen. Den Ertruserjungen, der ihnen mit großen Augen und offenem Mund aus der Deckung einer Wandnische heraus hinterher starrte, bemerkte keiner von beiden.

Kapitel 3
Lemut Halet

 

»Was trödelst du schon wieder herum, Lemut!«

Die laute Stimme seines Ziehvaters ließ Lemut schuldbewusst zusammenzucken. Der junge Ertruser wischte sich die feuchten Hände an seiner fleckigen Schürze ab und schnappte sich vom nächsten Tisch ein paar leere Bierkrüge. Seit dem Verschwinden von Lalia Bir waren seine ohnehin nicht gerade von Abwechslung geprägten Tage und Nächte in der Grauzone noch trister geworden. Meist verrichtete er sein gewohntes Tagwerk mehr schlecht als recht und unter den beständigen Nörgeleien seiner Zieheltern. Da er seinen Pflichten mit wachsender Unlust und stetig abnehmendem Interesse nachkam, ging deutlich mehr schief und zu Bruch als früher, doch die Schläge, die ihm sein Ziehvater für gewöhnlich ob seiner Tollpatschigkeit verabreichte, machten ihm noch weniger aus als sonst. Was waren schon ein paar blaue Flecke gegen den Schmerz des Verlusts?

Er konnte Lalia nicht vergessen. Nachts lag er trotz seiner Erschöpfung wach und dachte an die Frau mit den wunderschönen Augen, den feingliedrigen Händen und den herb-exotischen Zügen, die ihn bis in seine Träume verfolgten. Morgens fühlte er sich dann jedes Mal wie gerädert und musste sich eiskaltes Wasser über den brummenden Schädel gießen, um wenigstens halbwegs munter zu werden.

Sie hatte sich nicht einmal von ihm verabschiedet, und das tat vielleicht am meisten weh. Nach dem Angriff der fünf Ertruser war sie einfach gegangen, und als nur zwei Tage später Atlan, der Lordadmiral der USO, höchstpersönlich in der Grauzone aufgetaucht war und nach Lalia gefragt hatte, da hatte Lemut begriffen, dass seine Freundin noch viel geheimnisvoller und faszinierender war, als er es sich bislang ausgemalt hatte. Trotzdem hätte sie ihm wenigstens Lebewohl sagen können.

Zunächst hatte Lemut gar nicht glauben wollen, dass sich ausgerechnet einer der legendären Unsterblichen in eine so unbedeutende Kaschemme verirrte, wie es die am Rand der ertrusischen Hauptstadt gelegene Grauzone nun einmal war. Prominente Persönlichkeiten wie Perry Rhodan, Reginald Bull, den Mausbiber Gucky oder eben den Arkoniden Atlan, bekam man normalerweise nur in den Holonachrichten der TriVid-Sender zu sehen. Doch dann hatte Lemut in der Öffentlichen Bibliothek von Baretus-Nord die verfügbaren Bilder des Lordadmirals studiert. Wenn es um Gesichter ging, besaß der Ertruser ein hervorragendes Gedächtnis, und obwohl Atlan sein Aussehen verändert hatte, war der Junge sicher, dass der seltsame Besucher mit dem auffälligen Interesse an Lalia Bir tatsächlich der berühmte Oberbefehlshaber der United Stars Organisation gewesen war. Während des kurzen Gesprächs, das sie miteinander geführt hatten, hatte der Fremde seine wahre Identität ja sogar indirekt zugegeben.

Die Medien berichteten zu diesem Thema so gut wie nichts, was Lemut allerdings nicht verwunderte. Informationen waren auf Ertrus nur in sehr begrenztem Maß frei verfügbar und die unter dem Diktat des Triumvirats der drei Zellaktivatorträger Nos Vigeland, Runeme Shilter und Terser Frascati stehende Regierung kontrollierte fast den gesamten Nachrichtenfluss. Die offiziellen Agenturen hatten den von Lalia getöteten Ertruser als Opfer einer gewöhnlichen Kneipenschlägerei porträtiert und den Vorfall als solchen eher stiefmütterlich behandelt. Gerade deshalb war sich Lemut jedoch sicher, dass hinter alldem viel mehr, steckte und seine ausgeprägte Phantasie tat ihr Übriges.

»Nun steh hier nicht unnütz herum wie ein Laubmooskissen im Winter«, tadelte Thork Halet seinen Ziehsohn in diesem Moment und versetzte ihm einen kräftigen Hieb mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. »Wir haben ein volles Haus. Glaubst du etwa, die Krüge füllen sich von allein?«

»Nein, natürlich nicht«, sagte Lemut und setzte sich in Richtung Küche in Bewegung, um die leeren Humpen, die er noch immer in den Händen hielt, loszuwerden. Tirina, Thorks Ehefrau und die eigentliche Besitzerin der Grauzone, warf ihm einen missbilligenden Blick zu, als er die schweren Zweilitergefäße mit Schwung auf den Spültisch knallte.

»Träumst du schon wieder?«, fragte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich zur Seite und widmete sich ihrer Lieblingsbeschäftigung, der Maßregelung des Küchenpersonals. Die vier Hilfskräfte, ausnahmslos Ertruser, kamen meistens abends, wenn die Gäste zahlreich und deren Durst und Hunger groß waren. Während Thork und Lemut für die Getränke sorgten, bereiteten Tirina und ihre Küchenbrigade herzhafte Fleischgerichte zu, die sich unter den Zechern großer Beliebtheit erfreuten und den Bierkonsum ob ihrer deftigen Würze noch mehr anstachelten.

Lemut schlich zur Theke zurück und lud sich die frisch gezapften Krüge auf. Sein Rücken schmerzte und die Füße brannten wie Feuer. Als Lalia noch ihr Zimmer in der Grauzone bewohnt hatte und er ihr seine Geschichten hatte erzählen dürfen, war die Plackerei leichter zu ertragen gewesen. Sie hatte ihn sogar für seine Erzählungen bezahlt und mit der 1000-Solar-Note, die sie ihm kurz vor ihrem Verschwinden überlassen hatte, besaß er nun die erkleckliche Summe von fast 1300 Solar, für einen Fünfzehnjährigen ein Vermögen von geradezu astronomischen Ausmaßen. Das kleine Bündel Banknoten lag gut versteckt unter einer Bodenplatte seiner Schlafkammer, doch seit Lalia nicht mehr da war, bereitete es dem Jungen kein Vergnügen mehr, darüber nachzudenken, was er mit dem Geld anfangen wollte.

Vergiss nicht, wer du bist und was du kannst, Lemut, hatte Lalia zu ihm gesagt. Nimm die Verantwortung für dein Leben in die Hand. Lass dich nicht länger ausnutzen und herumschubsen.

Was sich damals so richtig und einfach angehört hatte, erschien ihm mit jedem neuen Tag unbedeutender und schwerer in die Tat umzusetzen. Wo sollte er denn hin? Außer seinen Zieheltern gab es in Baretus niemanden, zu dem er hätte gehen können, und den Schulbesuch hatten ihm Thork und Tirina nie erlaubt. Schließlich war er hier, um in der Schenke zu arbeiten und nicht, um sich – wie hatte es Thork doch in seiner prosaischen Schlichtheit ausgedrückt – den Kopf mit unnützem Wissen zu füllen. Immerhin hatte seine Ziehmutter ihm Lesen, Schreiben und etwas Rechnen beigebracht, gerade genug, damit er ihr beim Ordnen der Bestellungen und der Buchführung helfen konnte. Alles andere hatte sich Lemut selber angelesen und in der Öffentlichen Bibliothek von Baretus-Nord kannte er sich besser aus als in der Speisekammer der Grauzone.

Niedergeschlagen verteilte er die Krüge auf den Tischen, als ihm ein ungewöhnliches Pärchen ins Auge fiel, das soeben das Lokal betrat. Normalerweise wurde die Grauzone hauptsächlich von Ertrusern heimgesucht, doch ab und an sorgten auch Vertreter anderer Völker für etwas Abwechslung. Der Springer war ein massiger Bursche mit einem roten, zu Zöpfen gefochtenen Bart und einem Bauch, der sogar ertrusischen Hammo-Gladiatoren alle Ehre gemacht hätte. An seiner Seite wirkte der Blue mit seinem schlanken Körperbau, den fast bis zu den Knien herabhängenden Armen und dem charakteristischen Tellerkopf beinahe filigran. Die beiden steuerten einen der wenigen noch freien Tische an und setzten sich.

Lemut beeilte sich, den Neuankömmlingen zwei Humpen zu bringen. In der Folgezeit huschte er immer wieder wie zufällig an den in ein angeregtes Gespräch verwickelten Männern vorbei, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Es kam nicht allzu oft vor, dass er die Gelegenheit erhielt, Angehörige von Fremdvölkern aus der Nähe zu beobachten. Besonders der Blue übte eine beinahe magische Faszination auf ihn aus. Die meisten Blues mochten es gar nicht, wenn man sie so nannte, denn der Begriff ging auf die verhassten Terraner zurück und bezog sich auf den blauen Flaum, der einen Großteil der bluesschen Körper bedeckte. Die Jülziish, wie sich die Blues selbst bezeichneten, hatten den Menschen von der Erde die schwere militärische Niederlage aus dem Jahr 2328 nie wirklich verziehen, und den Zerfall des damals mächtigen gatasischen Reiches in über zweitausend unabhängige Interessengruppen und Mikroimperien und die daraus folgenden Bruderkriege kreideten sie ebenfalls den Terranern an.

Während der Jülziish einen recht aufgeräumten Eindruck vermittelte – zumindest soweit Lemut das beurteilen konnte – wirkte der Springer auf den Jungen eher bekümmert. Er trank ziemlich viel und ziemlich schnell, und nachdem er nicht nur den eigenen, sondern auch noch den Humpen seines Begleiters geleert hatte, verlangte er nach mehr. Der Ertruser brachte ihm einen dritten Krug und ließ sich dann unvermittelt in eine Nische gleiten, die sich die gesamte Rückwand des Lokals entlangzog und in der er üblicherweise die Tische und Stühle deponierte, wenn er einmal im Monat den Schankraum schrubben musste.

Lemut war eigentlich nie der neugierige Typ gewesen, zumindest nicht, wenn es um die privaten Angelegenheiten anderer ging. Er wusste später selbst nicht mehr genau zu sagen, was ihn dazu bewogen hatte, das Gespräch des seltsamen Duos zu belauschen. Es war eine spontane Entscheidung gewesen, eine Gelegenheit, die sich ihm bot und die er ohne großes Nachdenken ergriff. Als die zwei Männer wenig später die Grauzone verließen, starrte er ihnen mit großen Augen und offenem Mund hinterher. Das, was er in den vergangenen Minuten gehört hatte, sollte ihn für den Rest des Abends und die gesamte Nacht hindurch nicht mehr loslassen.

 

Lemut hockte auf seiner durchgescheuerten Matratze und zählte wohl zum hundertsten Mal die dünnen, rechteckigen Plastikscheine, die seinen gesamten Besitz ausmachten. Besonders die grünlich schimmernde 1000-Solar-Note mit dem Konterfei Perry Rhodans auf der Vorder- und der von Raumschiffen durchquerten Milchstraße auf der Rückseite, hatte er schon so oft und so eingehend betrachtet, dass er jede einzelne Linie, jede Markierung und jedes Detail der in feinen Strichen gefertigten Ziselierungen auswendig kannte.

Die Worte des Blue gingen ihm nicht aus dem Kopf. Von Abenteuern hatte dieser gesprochen. Von Reichtum und der Reise zu einem fernen Planeten. Und davon, dass man für diese Reise noch nach einer Mannschaft suchte. Aber sofort meldeten sich die Zweifel, redeten mit gehässigen Flüsterstimmen auf ihn ein und schalten ihn einen Dummkopf und Tagträumer.

Alles, was du von der Welt weißt, stammt aus Büchern, verspotteten sie ihn. Du kannst doch nicht ernsthaft annehmen, dass man einen wie dich für den Dienst an Bord eines Raumschiffs anheuert. Abenteuer? Reichtum? Das solltest du mal deinem Ziehvater erzählen. Der würde dir diese Flausen schnell austreiben. Du wirst schön brav hierbleiben und deine Arbeit tun. Wenn du Glück hast und fleißig bist, kannst du die Grauzone vielleicht eines Tages übernehmen. Also hör endlich auf damit, mehr vom Leben zu erwarten, als du verdienst!

Lemut wischte sich die fleischige Nase und schaute durch das winzige Fenster seiner Kammer in den milchigen Nachthimmel über Baretus. Vereinzelt konnte er ein paar Sterne erkennen, doch die meisten von ihnen wurden von der Lichtglocke der Hauptstadt überstrahlt. Tränen liefen über seine pausbackigen Wangen und tropften auf die nackten Arme und die untergeschlagenen Beine. Warum hatte Lalia ihn zurückgelassen? Er hätte doch alles für sie getan, wäre mit ihr an jeden Ort des Universums gegangen, hätte ihr für den Rest seiner Tage Geschichten erzählt. Erinnerungen waren alles, was ihm geblieben war. Manchmal, meist dann, wenn Thork ihn wieder einmal verprügelt hatte, war sie ihm mit der Hand über den kahlen Schädel gefahren, und dann hatte er augenblicklich alles vergessen, was ihn bedrückte. Dann hatte es nur noch sie und ihn gegeben – und seinen innigen Wunsch, dass es immer so bleiben würde.