Dieter Bromund

 

PIRATEN

JAGD

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

1. Auflage

ISBN 978-3-7688-8317-7

© by Delius, Klasing & Co. KG, Bielefeld

 

Die Printausgabe dieses Werkes wurde mit der

ISBN 978-3-7688-3215-1 herausgegeben.

 

Lektorat: Birgit Radebold, Monika Handschuch-Hammann

Umschlaggestaltung: Buchholz/Hinsch/Hensinger, Hamburg

 

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

 

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis

des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus,

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Für Petra

~

 

 

 

 

Gerecht lebt, wer ohne Gewalt lebt.

Mahatma Gandhi

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Eins

LUTEN LANGE, Zweiter Offizier der PILAR, war plötzlich hellwach, weil das Schiff ganz anders klang. Über dem Waschbecken klirrte Glas, die Tür seiner Kammer rüttelte im Schloss, der Boden vibrierte. Er sprang aus der Koje und hatte bereits die Brücke erreicht, als der Alte gerade über die Bordlautsprecher näselte: »All hands on deck. Der Zweite auf die Brücke, aber schnell, wenn ich bitten darf.«

Frühlicht, die Kimm schon klar, Land voraus zu ahnen, das Feuer von Cabo Tiburón kam noch gut durch. Zwei Boote an Backbord, zwei an Steuerbord mitlaufend. Poul Schneider, der Erste, Däne aus Aalborg, hatte die Wache und stand am Ruder. Kapitän Söderbaum stand in der Steuerbordnock, der Rudergänger in der an Backbord.

»Wir kriegen Besuch, Nummer zwei, sehen Sie sich das an. Die halten uns zwischen sich und sind schneller als wir. Und sie sind bewaffnet. Sie werden uns entern.«

Schneider wippte in den Knien, als der Bug der PILAR in eine See rannte, Lange drängte an Kapitän Söderbaum vorbei ins Freie. Acht Meter unter ihnen, etwa zwölf Meter von der Bordwand entfernt, jetzt auf sie zuhaltend: das vordere der beiden offenen Boote. Fischerboote? Sie hatten Netze. Vielleicht auch nur eine Tarnung. Und einen Außenbordmotor, unbekannter Typ.

Sechs Bewaffnete, mit dem Gewehr M 1, ein Mann am Ruder. Im Bug einer mit Wurfleine und Anker. Das zweite Boot, fünf Meter achteraus, nur mit vier Mann besetzt. An Backbord das gleiche Bild.

Es war also genau das eingetreten, was Willem van Oudevaart Luten Lange am 28. Januar in Rotterdam angekündigt hatte: »Eines Tages, und zwar schon sehr bald, werden wir in der Karibik vor Kolumbien und Panama dasselbe erleben wie vor Somalia mit der PLACIDA. Schauen Sie sich da mal um, reden Sie mit niemandem darüber, aber sagen Sie mir, wie wir uns verhalten sollen.«

Nun war es also so weit. Reeder van Oudevaart hatte recht behalten, Piraten griffen nun auch hier an. Das Training seiner Kapitäne und Mannschaften nach den Ereignissen vor Somalia würde sich hoffentlich bewähren.

»Die wollen entern? Falls sie es schaffen, Kapitän. Sollte Poul Schneider nicht mal Ruder legen?«

»Machen Sie’s, Nummer eins. Gehen Sie auf 180°!« Man merkte Söderbaum stets seine Vergangenheit bei der Marine an. Er hatte ein paar typische Gewohnheiten von Engländern und Amerikanern übernommen. »Aber es wird nicht viel bringen«, wandte er sich an Lange.

»Neuer Kurs 180°!«, bestätigte Schneider.

Die PILAR scherte nach Backbord aus, viel zu langsam. Die Kerle in den beiden Booten erkannten die Absicht und drehten mit. Auch als Schneider nach einem neuen Befehl Söderbaums Ruder nach Steuerbord auf 244° legte, drehten die Verfolger wieder mit, und die an Backbord kletterten über die Bugwelle und schaufelten Wasser. An Steuerbord würde das Gleiche geschehen.

Hinhaltetaktik, mit der nur Zeit zu gewinnen war, bis die Verfolger die Geduld verlören oder ihnen der Sprit ausginge. Das würde jedoch so bald nicht der Fall sein, denn da die Netze im Geschaukel verrutscht waren, sah Lange, was er vermutet hatte: Kanister. Die da unten waren also auf eine längere Verfolgung vorbereitet.

Van Oudevaart hatte für seine Reederei nach der Kaperung vor Somalia entschieden, Piratenangriffe auf seine Schiffe nirgendwo auf der Welt mit Waffengewalt abzuwehren, und hatte dies seinen Kapitänen eingehämmert. Lange sah, wie Söderbaum sich auf die Unterlippe biss. Ein einziges Gewehr an Bord in der Hand eines sicheren Schützen könnte die Lage klären, wenn die Kanister explodierten. Aber es gab keine Waffe an Bord. Außer den Pistolen für Seenotraketen, die zur Gegenwehr einzusetzen der Reeder verboten hatte und die auf diese Entfernung ohnehin nichts nutzen würden.

»Scheiße«, fluchte Söderbaum und drehte sich zu Lange um: »Ist Wilkens mit den beiden Trupps an Deck?«

»Ja, das ist er!« Lange hatte beim Ruderlegen Wilkens unten mit dem ersten Löschtrupp an Backbord und den zweiten Löschtrupp mit dem Bootsmannsmaat an Steuerbord gesehen.

Söderbaum ging ans Sprachrohr. »Hast du genug Druck im System, John-John? Damit wir unsere Gäste mit Wasser davonjagen können?«

»Nein, ich kann keinen aufbauen. Das wird nur ein mühsames Pinkeln. Scheiße. Ich weiß auch nicht ...« Er fluchte weiter, bis Söderbaum die blecherne Stimme unterbrach.

»Und Heißwasser?«

»Macht die Schläuche nach zwei, drei Minuten kaputt – und die Männer.«

»Wir könnten uns mit Äxten wehren«, meldete Schneider sich wieder. Er klang wütend. »Denen werden wir’s zeigen.«

 

Da fiel der erste Schuss. Plötzlich war die Holzdecke auf der Brücke über dem Rad aufgerissen. Der abgelöste Rudergänger, Kadek, ein erfahrener Javaner, duckte sich und hockte sich dann in die Nock. Poul Schneider sah vom Rad her fragend den Kapitän an. Kleine Holzsplitter hingen dem Dänen im Haar. Blut lief ihm aus der linken Augenbraue über die unrasierte Wange und tropfte aufs Hemd. In den Fenstern der Brücke spiegelte sich die Kompassrose.

»Lösen Sie Schneider am Ruder ab, Lange. Wir versuchen es noch mal.«

»Aye, aye, Sir, wird gemacht.«

Schneider ließ sich vom Javaner ein Taschentuch auf die Braue drücken und deutete auf den Verbandskasten. Lange übernahm. Wie leicht die PILAR zu steuern war!

»Kurs 214°, Kapitän. Wir laufen mit voller Kraft voraus. Wollen wir wirklich noch mal versuchen, die unterzubügeln, Käpten? Das bringt nicht viel. Wenn wir das erste Boot wirklich erwischen, gehen die anderen längsseits und ihre Männer an Bord.«

»Ich habe hier das Sagen, Lange.«

»Natürlich, Käpten. Aber die da unten haben Gewehre und machen keinen Spaß!«

Offensichtlich hatten die Boote Verbindung untereinander, denn sie folgten der PILAR wie jagende Hunde einem angeschossenen Fuchs. Und dann zeigten sie erst mal, dass sie keinen Spaß verstanden: An der Backbordwand, über der an Deck der Löschtrupp im Windschatten wartete, stoben Funken von einer Gewehrsalve.

»Das nächste Mal halten die höher und dann ...«

»Ruder hart Backbord, Lange.«

»Aye, aye, Sir. Hart Backbord, verdammt noch mal.«

Lange gehorchte sofort, Ergebnis einer langen Ausbildung, und fluchte dann, was seine Karriere mehr als einmal verlangsamt hatte. Er wusste, was hart Ruderlegen bei voller Kraft voraus bedeutete. Alles, was an Bord nicht festgezurrt war, würde ins Rutschen kommen – von der Ladung bis zum Geschirr in der Kombüse und den Gläsern in der Messe. Ab mittlerem Seegang könnte der Bug unterschneiden und die PILAR zu weit krängen. Söderbaum hätte die Trupps an Deck und den Chief unten im Maschinenraum wenigstens vorwarnen sollen.

»Achtung«, schrie Söderbaum ins Mikrofon, »Ruder liegt hart Backbord.«

Lange war auf der Brücke der Einzige, der die Bewegung in den Knien ausgleichen konnte, indem er sich am Rad festhielt. An Steuerbord glitten die beiden Verfolger vorbei, und es waren Gewehrschüsse zu hören. An Backbord gab es Schreie, die beiden Boote drehten ab, nahmen Fahrt auf und verschwanden aus Langes Sicht.

»Wir haben einen Verwundeten, Käpten.«

Bootsmann Wilkens klang über das Walkie-Talkie ruhig, als er die Verletzung des balinesischen Matrosen meldete. »Ketut liegt schlecht und blutet stark.«

»Scheiße. Wilkens, kümmern Sie sich sofort um den Mann. Schneider, los, mit dem Verbandskasten nach unten und schauen Sie nach, was Sie machen können. Lange, gehen Sie auf den alten Kurs zurück, 214°. Und runter mit der speed, auf zehn Knoten.«

»Sie wollen also ...«

»Ich will nicht, ich muss, Lange! Oder wollen Sie Tote an Bord haben?«

»Scheiße!« Söderbaum beugte sich über das Mikrofon. »Hier spricht der Kapitän.« Seine Stimme war auch draußen an Deck gut zu vernehmen. Jedermann sollte verstehen, dass der Kapitän der PILAR bewaffnete Kerle an Bord lassen wollte, die bereits einen aus der Mannschaft schwer verwundet hatten. »Was die von uns wollen, weiß ich nicht. Ich werde Sie unterrichten. Leisten Sie keinen Widerstand, Sie könnten dabei getötet werden. Lassen Sie die Männer an Bord kommen.« Er schaltete das Mikrofon ab.

»Wissen Sie wirklich nicht, was die wollen, Kapitän?«, fragte Lange vom Rad her.

Söderbaum richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Sie hätten noch nicht mal das letzte Manöver gefahren, Lange, Sie verdammter Klugscheißer.«

»Und Sie haben einen Mann fast hopsgehen lassen, Kapitän.«

»Irgendwann knöpfe ich mir Sie mal vor, Lange. Sie stinken mir gewaltig. Kadek, übernehmen Sie das Ruder! Kurs 214, speed zehn Knoten. Und jetzt setzen Sie ein QST ab, Lange: Die PILAR wird von Piraten geentert. Ich informiere den Reeder über den roten Knopf.«

Eine der Neuerungen, mit der Luten Lange sich beim Besuch eines Beluga-Frachters in Bremen nach seiner Rückkehr und dem Auftrag aus Rotterdam vertraut gemacht hatte, war ein irgendwo an Bord versteckter Sender, der von der Brücke aus betätigt werden konnte, um den Reeder über einen Notfall wie diesen zu informieren – automatisch und mit allen nötigen Angaben: Schiffskennung, Position, Geschwindigkeit und Kurs.

Lange hatte nicht die Absicht, den Befehl zu befolgen. In seinem früheren Job wäre er dafür vor ein Kriegsgericht gestellt und verurteilt worden. Jetzt bestätigte er laut: »QST absetzen. Die PILAR wird von Piraten geentert.«

Während der Kapitän den roten Knopf drückte und dann in die Nock trat, setzte sich Lange an das Mikrofon in der Funkecke, ohne es einzuschalten. »Attention all shipping. The Dutch ship PILAR is entered by pirates. Our position is 8°52'north and 77°09'west.« Er wiederholte die Meldung laut ein zweites Mal, sodass auch Söderbaum in der Nock sie hören konnte, und notierte sie als gesendet in der Kladde.

Bei zehn Knoten Fahrt näherten sich die Begleiter schnell von beiden Seiten.

»Ich würde mit der Fahrt ganz runtergehen, Kapitän Söderbaum!« Lange wusste, dass er den Kapitän mit diesem Vorschlag erneut reizte.

Aber es gab keine Alternative. Bei zehn Knoten würden die Begleiter sehr schnell merken, dass sie nicht entern konnten und vermutlich wieder das Feuer eröffnen. Und dann würde geschehen, was van Oudevaart unter allen Umständen verhindern wollte: Die Mannschaft wäre in höchster Gefahr.

»Scheiße«, fluchte Söderbaum. »Aber Sie haben recht, Lange. Kadek, Maschine stopp.«

Der Javaner bediente den Maschinentelegrafen, und John-John bestätigte von der Maschine her Söderbaums Befehl. Die Sonne stand zwei Finger breit über der Kimm und einer sanften See, die rot glänzte. Zwei Windstärken. Deutlich voraus wie Scherenschnitte die Berge der Küste von Panama. Cabo Tiburón mit seinen zwei Leuchtfeuerblitzen kam gerade noch durch.

Die Piraten mussten jetzt hören, dass die Maschine gestoppt war, und sehen, dass die PILAR an Fahrt verlor.

Schneider, mit einem Pflaster über der Braue, kam wieder nach oben auf die Brücke. Er klang rau. »Tut mir leid, Kapitän, aber Ketut ist unten verblutet. Sein Brustkorb ist Matsch. Wenn ich die Hunde erwische ...«

Sie schwiegen alle, die Maschine war im Leerlauf ungeheuer laut zu hören. Tassen klapperten neben der Kaffeekanne.

»Die kaufe ich mir«, zischte Söderbaum gefährlich leise. Schneider ging in die Backbordnock. Er trug ein frisches Oberhemd.

»Kommen Sie her, Lange«, rief Söderbaum. »Der Erste da im ersten Boot scheint der Boss zu sein.«

Die Löschtrupps auf der PILAR hatten ihre nutzlosen Schläuche aufgerollt und standen abwartend an den Luken. Über den toten Ketut hatte jemand eine Plane geworfen. Niemand bewegte sich, als ein Wurfanker an der Steuerbordreling einhakte und der erste Mann an Bord kletterte. Ein Gewehr über dem Rücken. Ein Tuch um den Kopf gebunden, Tarnhosen, Stiefel, ein T-Shirt.

Lange fürchtete einen Augenblick lang, dass die Männer der PILAR – trotz des Befehls des Kapitäns – über den Mann herfallen könnten. Ein Marlspieker, ein schwerer Schraubenschlüssel konnten aus dem Hinterhalt einen Mann schnell kampfunfähig machen.

Doch der Einsteiger rechnete wohl damit. Er hielt die Mündung seiner entsicherten Waffe auf die Seeleute gerichtet und trat zur Seite, um sieben weitere Piraten an Bord zu lassen. Die brauchten sehr viel länger als er, trugen Jeans und Sandalen, nahmen ihre Gewehre ungeschickt in die Hände und entsicherten sie nicht, als sie an Deck standen. Vermutlich waren sie den Umgang mit Waffen nicht gewohnt.

Lange kannte die Waffen. Das M 1 war das Sturmgewehr der US- Infanterie gewesen und nach der Umrüstung der Amerikaner auf Schnellfeuergewehre auf dem internationalen Waffenmarkt gelandet. Warum sollten Amerikaner mit ihren alten Gewehren nicht genauso Geld machen wie die Russen? Gierige Käufer für bewährtes Kriegsmaterial fanden sich überall.

Er sah jetzt drei der Piraten sich dem Niedergang nähern, die anderen blieben an Deck. Von Backbord her meldete Schneider das Aufentern von weiteren acht Männern aus zwei Booten. Die drei, die auf der Brücke standen, sahen erfahren aus. Ihre entsicherten Waffen hielten sie oberhalb der Hüfte straff am Gewehrriemen, die rechten Zeigefinger lagen über dem Bügel, die Mündungen zeigten auf Söderbaum, Schneider und Lange, die mit erhobenen Händen nebeneinander standen. Zwei der Piraten waren um einssechzig groß, etwa 65 Kilo schwer, schwarzhaarig, trugen Sandalen, Jeans, T-Shirts, Halstücher und grünschwarz verblichene Baseballkappen. Der dritte mit dem Tuch um den Kopf rieb sich seinen kurzen Schnauzbart. Flinker Blick, ein entsichertes Gewehr. Er war als Erster aufgeentert, schien älter als die anderen, war also vermutlich der Anführer. Keine besonderen Kennzeichen: Routinebeobachtungen für Lange.

Der Javaner am Ruder blickte über die rechte Schulter zum Kapitän, als erwarte er von ihm einen neuen Befehl.

Der Anführer postierte sich vor der Rückwand des Ruderhauses vor dem Schwarzen Brett mit den standing orders des Kapitäns. Seine beiden Begleiter hatten die Nocks besetzt, kontrollierten damit die Brücke und zielten auf den Kapitän und seine beiden Offiziere.

Söderbaum rückte seine Mütze zurecht, die er gerade noch aufsetzen konnte, ehe die drei Piraten auf der Brücke erschienen waren. Es fehlt nicht viel, dachte Lange, und er grüßt sie durch Anlegen der Hand an den Mützenschirm.

»Wir übernehmen Ihr Schiff. Widerstand ist sinnlos. Wo sind Ihre Waffen?«

Wie Lange erwartet hatte, sprach der mit dem Tuch um den Kopf. Amerikanisches Englisch, sehr kehlig. Der Mann ließ Söderbaum keine Sekunde aus dem Blick.

»Wir haben keine Waffen an Bord. Außer Seenotrettungspistolen in den Booten und hier im Schapp.« Söderbaum wollte einen Schritt vortreten, ein Zucken der Gewehrmündung hielt ihn zurück.

»Du da, gib mir die Pistole.« Das war an den Rudergänger gerichtet.

Kadek ließ die linke Hand auf dem Rad liegen, zog mit der Rechten die oberste Lade auf und hielt dann die Pistole zwischen Zeigefinger und Daumen in Brusthöhe.

»Fallen lassen!«

Sie knallte auf den Boden.

»Schieb sie mit dem Fuß rüber!«

Der Javaner drehte sich um. Anders als die meisten Männer auf der PILAR trug er keine Sportschuhe, sondern Kunststoffflipflops, die ein Riemchen zwischen großem und nächstem Zeh locker in Position hielt. Doch schubste er die Pistole nicht genau auf den Sprecher zu, sie blieb einen Meter links neben ihm liegen. Der Mann ging in die Knie, hielt den Oberkörper gerade und die Gewehrmündung weiter auf Söderbaum gerichtet, hob die Pistole blitzschnell auf und schob sie sich unter seinem T-Shirt in den Gürtel.

»Also drei Pistolen«, sagte er. »Wenn Sie gelogen haben und wir mehr finden, erschießen wir für jede weitere Waffe einen Ihrer Männer.« Und dann bellte er in schnellem Spanisch auf den Mann in der Nock an Backbord ein. »Sag Ignacio, die Männer sollen die beiden Rettungsboote durchsuchen und dann die Kammern. Und unten den Steuerstand an der Maschine. Bringt alle Waffen, die ihr findet, auf die Brücke!«

Söderbaum sah seine beiden Offiziere an. »Spricht einer von Ihnen Spanisch?«

Schneider schüttelte den Kopf und zuckte in Richtung Söderbaum mit den Schultern. »Sie wissen ja, sogar mein Englisch taugt nicht viel. Ich habe schon mit dem Deutschen Probleme.«

»Sie reden nur Englisch miteinander, verstanden!«

Der Anführer versteht sein Geschäft, dachte Lange. Und zuckte ebenfalls mit den Schultern.

»Sie können Ihre Hände runternehmen!«, sagte der Anführer auf Spanisch.

Doch diesen Trick hatte Lange erwartet. Er ließ, wie die beiden anderen, die Hände oben. Niemanden ging es etwas an, dass er Spanisch wie Englisch beherrschte. Der Anführer war auf jeden Fall einer, mit dem man rechnen musste, und ganz bestimmt kein Anfänger. Wie er verhielten sich ausgebildete Kämpfer, keine Fischer. Der Anführer hatte Ketut getötet, ehe er an Bord kam, und würde sicherlich auch weitere töten. Aber würden das auch die beiden anderen?

»Nehmen Sie die Hände runter und machen Sie keine Dummheiten. Wir werden Ihre Männer jetzt einsperren.«

Diesem Befehl auf Englisch folgten die drei und massierten ihre steifen Arme. Besser nicht vom Fleck bewegen, entschied Lange für sich.

»Was wollen Sie von uns?«, meldete sich Söderbaum jetzt. »Unsere Ladung? Wir sind fast leer, laufen nur noch Turbo an mit zwölf Maschinen für Kühlhäuser. Und die meisten von der Crew haben in Barranquilla ihre Heuer nach Hause überwiesen. Wir haben gerade mal 2000 Dollar an Bord.«

Lange hörte genau hin. Er kannte Situationen, in der für weniger Geld Besatzungen getötet worden waren.

»Capitán Söderbaum, stimmt’s? Poul Schneider ist der Erste, Luten Lange ist Ihr Zweiter Offizier. Bootsmann Wilkens geht gerade zusammen mit der Crew in seine Kabine. Und John-John, Ihr Chief, tut unten genau das, was wir ihm sagen.«

»Sie sind gut informiert.« Söderbaum schwieg.

Er sollte mehr mit dem Anführer reden, dachte Lange. Je mehr ein Mann redet, desto besser lernt man ihn kennen. Und wenn man auf bestimmte Zeichen achtet, merkt man, wo und wann er nicht aufpasst.

Plötzlich waren Schritte zu hören, Leder auf Eisenplatten. Von unten eine Stimme auf Spanisch: »Eh, José, der Mann ist wirklich tot, der Idiot. Wir werfen ihn über Bord. Ist das okay?«

Lange reagierte nicht. Söderbaum und Schneider sahen sich fragend an.

»Hängt ein Stück Eisen an ihn dran, dann ist er schneller weg«, antwortete der Angerufene auf Spanisch.

Er hieß also José. Mit ihm war abzustimmen, was getan werden sollte. Luten fand seine Ahnung bestätigt, José war der Anführer, denn er hatte den Mut gezeigt, als Erster an Bord zu klettern. Söderbaum und Schneider hatten den Satz nicht verstanden, auch Lange blickte nur so vor sich hin. Aber jetzt einzugreifen hätte bedeutet zu verraten, dass Luten verstand, was die Piraten untereinander besprachen und vorhatten.

»Wie heißen Sie, wie sollen wir Sie anreden? Sie sind doch der Boss, oder?«, fragte Söderbaum.

Der Mann reckte sich fast unmerklich und nickte. »Ja. José reicht für Sie. José, nur José. Wir wollen Ihr Schiff!«

Also doch, dachte Lange. Es war genau das eingetreten, was in Rotterdam befürchtet worden war.

»Und woher kennen Sie uns?«

»Sie lagen lange genug in Barranquilla.«

»Zwei Tage.«

»Das reicht.«

»Moment«, entgegnete Söderbaum sofort. »Dann haben also Sie Putu, Wayans Enkel, gekidnappt, und er war deshalb beim Auslaufen nicht an Bord.«

Söderbaum kannte jeden seiner indonesischen Männer bei Namen, auch so ein Mitbringsel aus Marinetagen. Auf manchen Handelsfahrern gab es Kapitäne, die jeden aus der Mannschaft nur mit »du da« anredeten.

Kein Lächeln bei José. Lange war sich nicht ganz sicher, ob die beiden anderen Kumpane dem Wortwechsel gefolgt waren. Ihre Gesichter verrieten nichts. Die Gewehrmündungen blieben auf ihn und Schneider gerichtet.

»Putu ist in Barranquilla gut aufgehoben, machen Sie sich um den keine Sorgen. Wir wollen Ihr Schiff. Und das werden Sie genau dahin bringen, wo wir es haben wollen.«

»Was wollen Sie mit Kühlmaschinen anfangen?«

»Es gibt einen Markt für alles. Jetzt aber erst mal das Geld, das Sie an Bord haben. Und dann das Schiff!«

»Es ist zwölf Jahre alt, Señor José.«

»Na und ... Ich sage Ihnen, wohin Sie es führen werden.«

»Sie kennen unseren Tiefgang? 6 Meter 50 in diesem Wasser!«

»Putu hat von seinem Großvater viel gelernt. Und sich erinnert.

Außerdem kann man alle Daten schnell bei Lloyd’s finden.«

»Ach«, machte Söderbaum nur.

6 Meter 50 in tropischem Sommerwasser, genau. Länge über alles 140 Meter, Breite 21 Meter. Durchschnittliche Reisegeschwindigkeit 18 Knoten, maximal 22 Knoten. 13 Mann Besatzung, dabei einen Chief, einen Zweiten Ingenieur, einen Elektriker, einen Oiler und einen Wiper und die beiden Offiziere. Einer von denen kam erst in Ponta Delgado auf den Azoren an Bord.«

Lange war verblüfft. Der junge Javaner Putu musste viel geredet haben, aber dieser José hatte sicherlich noch andere Quellen genutzt. Der Überfall auf die PILAR war offensichtlich von langer Hand vorbereitet worden. Lange faltete langsam die Arme vor der Brust. Noch war er sich nicht sicher, was eine schnelle Bewegung bei seinem Bewacher auslösen würde. Was José da von sich gab, war nicht das, was man seit Somalia von Männern kannte, die Schiffe aufbrachten und Besatzungen internierten.

Kapitän Söderbaum nickte jetzt, auch er war beeindruckt.

»Wir werden verhindern, dass es hier auf der Brücke zum Blut vergießen kommt. Die Handschellen und dann an die Reling mit den beiden«, befahl José.

Wieder ließ Lange sich nicht anmerken, dass er den spanischen Satz verstanden hatte. »Die beiden«, das waren Schneider und er, wie die Bewegung von Josés Gewehrmündung bestätigte.

Lange spürte, wie sich plötzlich Schweiß unter seinen Achseln sammelte. Er presste die Zähne aufeinander und versuchte tief durchzuatmen, wie er es in den vielen Sitzungen mit Dr. Thedens gelernt hatte: Du kannst den Film von damals jederzeit stoppen, es ist vorbei, die beiden haben ihren Frieden, das alles liegt hinter dir, als hättest du es nie erlebt. Lass es nicht mehr an dich ran. Atme aus, öffne die Augen, nimm wahr, was du jetzt siehst. Gerade jetzt. Und hier. Nur auf diesen Augenblick kommt es an.

Lange sah, wie sein Bewacher das Gewehr über die rechte Schulter schob und ihn zu sich winkte. Aus der linken Tasche der Jeans angelte der Kerl ein Paar Handschellen und hieb Lange unvermittelt mit der Faust zwischen die Schulterblätter, sodass dieser nach vorne gegen die Reling stolperte, die innerhalb der Brücke unter dem Fenster entlanglief. Dann zog er Langes Arme nach vorn, klickt die eine Schelle ein, stutzte aber, als er die Narbe an Langes linkem Handgelenk und am rechten unter der Ärmelmanschette sah.

»Eh, hombre, du hast wohl öfter mit den Bullen zu tun gehabt?«, fragte er auf Spanisch, ließ die Kette über die Reling gleiten und legte Langes rechtes Handgelenk in die zweite Schelle.

Es waren dieselben teuflischen Dinger wie damals unter der Straßenbrücke am Baum, die sich bei jeder kräftigen Bewegung zusammenzogen und ihm die Handgelenke blutig gerissen hatten, damals ... an dieser Küste ...

Der Pirat roch nach Schweiß und Ingwer und Knoblauch und fesselte jetzt Schneider auf dieselbe Weise an die Reling. Sie beide konnten gerade stehen, frei nach vorn aufs Vorschiff blicken und sich ein paar Schritte nach links und rechts bewegen. Kadek, den Rudergänger, fesselte er jedoch mit dem Fuß an die Steuersäule.

Damit war nur noch Kapitän Söderbaum auf seinem Schiff mobil, von der Crew war niemand mehr zu sehen und vermutlich zusammen mit dem Bootsmann eingeschlossen und ebenfalls gefesselt worden. Der Tote war über Bord gegangen, und der Chief und seine Männer hantierten unten wahrscheinlich direkt vor Gewehrmündungen.

José warf sein M 1 dem Mann in der Backbordtür zu und winkte Söderbaum an die Karte. Lange musste sich nach rechts drehen und spürte den ersten verengenden Zug in der Schelle, während er auf die Karte blickte: aus einem ungewöhnlichen Winkel, von oben her, nicht von unten.

»Dahin wollen wir.«

Josés Zeigefinger lag auf einem Punkt der Küstenlinie von Panama, es sah wie willkürlich gewählt aus.

»Da gibt es keinen Hafen, Señor José.«

»Brauchen wir nicht.«

»Ich habe keine genaue Karte von diesem Teil der Küste.« »Brauchen Sie nicht. Wir kennen uns da aus. Punta Escosés.«

»Und wenn’s da Untiefen gibt? Ich werde mein Schiff dort auf Grund setzen!«

»Das werden Sie nicht, glauben Sie mir. Sie haben dort zehn Meter Wasser.«

José knöpfte die linke Hosentasche auf und zog einen kleinen Zettel hervor, den er auf die Karte legte. »Das sind die Koordinaten unseres Ziels, Capitán. Und genau dahin werden Sie uns bringen.«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Dann wird uns Ihr Erster dahin bringen. Und wenn der nicht will, der Zweite. Unsere Fischer können mit Ihren Seekarten nicht umgehen, aber sie wissen genau, wann wir am Ziel sind.«

»Haben Sie das gehört?«, Söderbaum sprach Deutsch und sah zu seinen beiden gefesselten Offizieren hinüber.

»Nur Englisch reden, Capitán. Sonst ...«

Ein Bewacher hob die Gewehrmündung.

»Machen Sie’s, Kapitän«, beschwor ihn Lange. »Was bleibt uns anderes übrig?«

»Sie haben doch das QST abgesetzt, Lange?«

»Natürlich, einen Notruf an alle«, log Lange. Er hatte Söderbaums Befehl klar missachtet, um die Anweisung aus Rotterdam zu erfüllen, im Falle eines Überfalls kein Aufhebens zu machen.

Jetzt lachte José laut. »Das wird Ihnen nicht viel bringen. Wir sind in 80 Minuten am Ziel, und das nächste Schiff braucht zweieinhalb Stunden bis zu uns!«

»Die Coastguard könnte uns mit Hubschraubern suchen.«

»Die panamaische oder die kolumbianische? Die americanos sind nicht mehr am Panamakanal. Erwarten Sie also keine Hilfe aus der Luft. Und wenn? Dann werden wir Sie draußen in der Nock fesseln. Niemand wird dann wagen, die PILAR zu entern, um Sie zu befreien. Also, machen Sie einfach, was wir wollen.«

Lange meldete sich wieder. »Das würde ich Ihnen auch raten, Kapitän. Einen Mann haben wir schon verloren. Wie viele wollen Sie noch riskieren?«

Söderbaum blickte von der Karte hoch, den Zirkel und das Lineal in den Händen. »Auf Ihren verdammten Rat kann ich gern verzichten. Sie haben ja wohl genug Dreck am Stecken, Lange, wie Ihre Handgelenke jetzt verraten. Darum tragen Sie also auch bei der größten Hitze langärmelige Hemden.«

»Sie irren sich, Kapitän.«

Der schüttelte nur den Kopf, beugte sich über die Karte, richtete das Lineal aus und zog einen Strich über das Papier.

»Rudergänger, neuer Kurs ist 240° am Kompass.«

»244° liegt an, Sir.«

»Gut so.« José hatte zu der Anweisung genickt. »Und dem Chief da unten sagen Sie, er soll volle Kraft fahren, Capitán.«

»Dann haben wir bald leere Tanks.«

»Na und? Wo kommt denn das Öl her, wenn nicht von uns hier?«

Während Söderbaum den neuen Kurs mit ein paar Bemerkungen ins Logbuch eintrug, trat José zu den beiden Gefesselten ans Fenster. Die Gewehrmündungen der beiden Bewacher blieben auf Lange und Schneider ausgerichtet.

»Sie sind doch der Zweite, Señor Lange, und für den Funk verantwortlich? Dann überlegen Sie doch schon mal, wie Sie gleich den Reeder erreichen, um ihm mitzuteilen, dass wir zwei Millionen Dollar von ihm haben wollen. In gebrauchten Scheinen. Details später.«

»Wäre das nicht Sache des Kapitäns?«, fragte Lange zurück.

José grinste und strich sich über das Kinn. Er trug in der Mitte unter der Unterlippe einen schmalen Streifen Bart. »Wie Sie wollen. Sie haben sicher Ihre Vorschriften.« Dann wandte er sich an Söderbaum: »Sie werden also den Reeder anrufen und mit ihm nur Englisch reden. Wenn Sie einen Trick versuchen, schießen wir Ihnen ins linke Knie, beim zweiten Mal ins rechte.«

Söderbaum nickte. Immer wenn er mit van Oudevaart in Rotterdam gesprochen hatte, war die Verbindung von Lange hergestellt worden. Aber José machte keine Anstalten, Lange freizugeben, der noch immer an den Handlauf gefesselt war.

»Sie stellen auf Lautsprecher, wir wollen mithören.«

»Es ist 19 Uhr vorbei in Europa. Der Reeder ist vielleicht nicht mehr in seinem Kontor.«

»Wirklich? Geht er so früh? Dann nehmen Sie seine Privatnummer. Oder sein mobile phone. Die haben Sie als Kapitän.«

Söderbaum hatte geblufft. In Europa war man nur fünf Stunden weiter, José kannte also die Zeitzonen nicht, dachte Lange. Aber würden sie aus dem Nichtwissen des Anführers Gewinn ziehen können?

Lange versuchte Söderbaums Blick zu fangen, aber der wich ihm aus. »Ich hätte die Verbindung schneller hergestellt«, sagte er laut. Kommunikation gehörte zu den wichtigen Aufgaben des Zweiten Offiziers.

»Reden Sie mir nicht dazwischen«, gab Söderbaum zurück.

Lange erkannte am wechselnden Summton im Lautsprecher, dass die Verbindung zu van Oudevaarts Telefon endlich stand. Der Notruf der PILAR hatte die Reederei in Rotterdam sicher in Aufregung versetzt. Dort war es jetzt zwölf Uhr. Wenn van Oudevaart im Kontor war, war er als Reeder für seine Kapitäne zu sprechen – natürlich nur für sie, nicht für die Schiffsoffiziere oder gar die Mannschaften.

Jetzt klang ein Räuspern aus dem Lautsprecher, und dann er kannte Lange van Oudevaarts Stimme: »Ja, bitte?«

»Halt, Kapitän Söderbaum, so schnell ...«

»Ich will, dass der Mannschaft nichts geschieht.« Van Oudevaart klang so gelassen, als würde er jeden Tag ein ähnliches Problem lösen. »Melden Sie sich morgen um zwölf Uhr universal time. Söderbaum kennt die Nummer. Wer ist der Tote? Luten Lange?«

»Ich kümmere mich drum. Over and out

José hängte sich das Gewehr über die linke Schulter. »Und nun führen Sie die PILAR genau in die Bucht hinter Punta Escosés, Capitán. Man erwartet sie schon.«

»Warten Sie ab, Capitán!« Josés Augen blieben unbewegt und kalt.

Er musste sich nun ganz und gar auf die elektronische Karte verlassen, er, der das traditionelle Arbeiten mit Bleistift, Zirkel und Dreiecken genauso liebte wie sein Zweiter Offizier. Lange und Schneider standen immer noch gefesselt und von den drei Bewaffneten bewacht an der Reling und schauten voraus. Lange versuchte ein Flüstern.

»Sie halten den Mund, Señores. Ich mache sonst mein Versprechen wahr.«

An diesem Teil der Küste hatte Lange noch nie etwas zu tun gehabt. Die San-Blas-Inseln kannte er und auch die Bocas del Toro weiter westlich.

Punta Escosés, schottischer Punkt, schottisches Kap? Vermutlich waren dem ersten Kartografen dieser Küste die Namen ausgegangen, vergleichbar den ersten Entdeckern der Südsee. Und so war dieses Kap wohl eher aus Verlegenheit zu seinem Namen gekommen.

»Es ist nicht nur ein Kap«, meldete sich Kapitän Söderbaum plötzlich vom Schirm her, »der Schirm zeigt hier hinter dem Kap eine längliche Bucht.«

Also ist die ganze Aktion lange vorbereitet worden, stellte Lange erneut fest.

»Die Bucht ist etwa drei Meilen tief und etwa eine Meile breit und läuft von Nordwest nach Südost. Den Eingang schützt eine kleine Insel. Links und rechts sind Bergzüge.«

»Zuerst mal brauche ich meine Männer, wir müssen ankern.«

»Wir werden keinen Ihrer Männer töten. Wir haben wirklich nur die drei Seenotpistolen gefunden. Ignacio kommt mit drei Männern aufs Vorschiff, wenn wir das Kap runden. Dann können Sie ankern, Capitán.«

Da meldete sich der Kapitän auch schon wieder: »Ich brauche meine Offiziere, Señor. Wir müssen die Tiefe und die Distanzen ständig kontrollieren. Oder Sie haben nichts mehr von dem Schiff. Denn wenn es hier auf Grund läuft, holt es niemand mehr runter. Und wer wird Ihnen dann Lösegeld zahlen?«

»Sie gehen ans Echolot, Schneider. Sie peilen die Einfahrt und die Ufer, Lange. Ich fühle mich hier mit der PILAR überhaupt nicht wohl ohne Karte.«

speed

»Der Punkt liegt genau voraus, laufen Sie fünf Grad nördlicher, dann kommen wir klar.«

Söderbaum beugte sich wieder nach vorn über das Mikrofon: »Wilkens, machen Sie den Anker klar. John, dead slow voraus. Wir laufen in die Bucht. Schneider, die Tiefe?«

Auf Söderbaums Hemd zeigten sich Schweißflecken. So dicht unter Land war es schwülheiß geworden. Aber die Hitze erklärte Söderbaums Verspannung nicht. Barranquilla mit seiner schmalen Einfahrt hatte er meisterhaft bewältigt – mithilfe eines Lotsen. Jetzt war er allein für das Einlaufen verantwortlich – ohne Karte und vor den Gewehrläufen dreier Männer, die jedes Wort verfolgten und ihre Gewehre immer noch entsichert hatten.

»20 Meter Tiefe und schnell abnehmend«, meldete Poul Schneider.

»18, 15, 13 Meter.« Die Stimme des dänischen Ersten blieb gelassen.

»Lass fallen Anker.« Söderbaums Stimme krächzte aus dem Lautsprecher im Vorschiff.

Wilkens und seine Männer gaben die Winsch frei und traten zur Seite. Und dann lag, am Samstag, 8. März, 10.00 Uhr Bordzeit, die PILAR der Rotterdamer Reederei van Oudevaart in der Bucht hinter Punta Escosés auf 8°50' Nord und 77°37' West an der panamaischen Karibikküste gekapert vor Anker.