image

Gunter E. Grimm

Zwischentöne

Gunter E. Grimm

Zwischentöne

Stationen der deutschen Lyrik
Vom Barock bis zur Gegenwart

Tectum Verlag

Gunter E. Grimm

Zwischentöne.
Stationen der deutschen Lyrik.
Vom Barock bis zur Gegenwart

© Tectum Verlag Marburg, 2015

ISBN: 978-3-8288-6217-3

Umschlagabbildung: © Umschlagabbildung: istock.com | © Glam-Y

Umschlaggestaltung: Christina Sieg | Tectum Verlag

Satz und Layout: Christina Sieg | Tectum Verlag

Druck und Bindung:

Printed in Germany

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet

www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt

Einleitung

I.„Der Mensch, das Spiel der Zeit“

Barock-Lyrik zwischen Lebensgenuss und Weltverachtung

II.„Du steinern Hertzelein“

Petrarkismus in Deutschland

III.Andreas Gryphius

Meister barocker Sonettkunst

IV.Dichten als Handwerk

Gebrauchslyrik am Beispiel der Duisburger Promotionsgedichte

V.„Nichts darf den Weisen binden“

Odendichtung im Zeichen Anakreons

VI.„Wie erhebt sich das Herz“

Lyrik zwischen Enthusiasmus und Melancholie

VII.„Geheimnisvoll offenbar“

Goethes lyrische Metamorphosen

VIII.„Sprünge und Würfe“

Volkspoesie – ein antigelehrtes Konzept

IX.Mühen der Metrik

Klassische Odendichtung

X.„Schimmer vom südlichen Meer“

Italiengedichte des 19. Jahrhunderts

XI.Der Held und sein Hort

Nibelungengedichte im Dienst nationaler Ideologie

XII.Farben und Klänge

Sprachmagie in der Lyrik des Fin de Siècle

XIII.„Zwischentöne sind nur Krampf“

Politlyrik bei Alfred Andersch und Franz Josef Degenhardt

XIV.Der räsonierende Porträtist

Hans Magnus Enzensberger

XV.„Schwarzes Wissen beugt mir den Hals“

Ambivalenzen moderner Naturlyrik

XVI.Dichter sprechen ihre Gedichte

Anmerkungen

Zitierte Literatur

Zitierte Forschungsliteratur

Nachweise

Namensregister

Einleitung

Wie keine andere literarische Gattung lebt die Lyrik von Nuancen, Abstufungen, feinen Übergängen, Abtönungen, kurz von „Zwischentönen“. So nimmt der Obertitel des Buchs mit voller Absicht Bezug auf Franz Josef Degenhardts provokativen Vers „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf“ und signalisiert einigermaßen programmatisch, dass Gedichte in erster Linie ästhetische Phänomene sind. Ihre Botschaft liegt, unabhängig von den vermittelten Inhalten, in ihrer unverwechselbaren sprachlichen Gestalt.

Der im Untertitel verwendete Begriff ‚Stationen‘ meint: Die einzelnen Kapitel widmen sich markanten historischen Stationen. Deshalb sind die Beiträge chronologisch angeordnet, allerdings ohne die Absicht, eine Geschichte der deutschen Lyrik vorzulegen. Zwar sind alle Jahrhunderte der neueren Lyrikgeschichte vertreten: Barock, Aufklärung, Klassik, Romantik, 19. Jahrhundert, Fin de Siècle und 20. Jahrhundert, aber Vollständigkeit ist nicht angestrebt. Gleichwohl lassen sich bestimmte für die Geschichte der deutschen Lyrik zentrale Tendenzen und Entwicklungen erkennen. Seit der Renaissance pendelte die neuhochdeutsche Lyrik zwischen den Polen gelehrter Bildung und natürlicher Genialität, versifikatorischer Kunstfertigkeit und individuellem Ausdrucksvermögen. In neuerer Zeit nähern sich die Pole einander an: Überkommene Versordnungen und antiquarische Bildungstraditionen spielen keine Rolle mehr, die Bedeutung des schöpferischen Genies scheint zu schwinden. Eines jedoch bleibt gewiss bestehen: In ihrer sprachlichen Konzentriertheit und Kürze bleibt die Lyrik nach wie vor d i e Gattung, in der sich Gefühle und Gedanken am unmittelbarsten aussprechen, in ihrer Gesamtheit bildet sie ein Reservoir des psychisch-mentalen Haushalts einer Sprachgemeinschaft.

Die zahlreichen in den Text eingestreuten Gedichte und Vers-Zitate sollen den Leser ermuntern, sich gezielt mit bestimmten Gedichten zu beschäftigen, Vergessenes aufzufrischen, Neues zu erkunden. Denn alle Kommentier- und Interpretierkunst ersetzt nicht die Gedichte selbst. Sie stehen im Zentrum der Ausführungen.

I.„Der Mensch, das Spiel der Zeit“

Barock-Lyrik zwischen Lebensgenuss und Weltverachtung

Es ist sicher kein Zufall, dass die Frage nach dem Sinn der Welt für barocke Lyriker eine so zentrale Bedeutung hat. Diese Frage nach der Existenz rückte in der Zeit des fürchterlichen Dreißigjährigen Kriegs in den Vordergrund. Schon Martin Opitz, der frühbarocke und deutlich von der italienischen Renaissance geprägte Dichter, hat ein Muster dieser Sinnfrage im zweiten Teil seiner „Trostgedichte“ gegeben:

Was ist des Menschen Macht vnd seine grosse Thaten?

Ein Stäublin: was sein Liecht? Ein Traum von einem Schatten.

Sein Geist? ein blosser Rauch: Sein Leben? Müh vnd Leidt:

Er selbst des Glückes Spiel / ein Raub der schnellen Zeit /

Des Wanckelmuthes Bild: Das andre Schleim vnd Galle /

Geboren daß er hier in Vngewißheit walle /

In Zwang vnd Kummer sey.    (OGW I, 217)

Ähnlich konstatierte Josua Stegmann in seinem Gedicht „Kurtze Reimen / Von Eitelkeit des menschlichen Lebens“ in einer endlos langen Kette von Vergleichen:

WAs ist doch unser Lebenszeit /

Alß lauter Müh und Eytelkeit /

Ein Staub der mit dem Wind entsteht /

Ein Schnee der im Früling weggeht /

Ein Wasserblaß so bald zerrinnt /

Ein Regenbog so bald verschwindt /

Ein Nebel den die Sonne verjagt /

Ein Himmelröth so lang es Tagt /

Ein Thaw von der Hitze verzehrt /

Ein Blat vom Winde umbgekehrt /

Ein schönes Glaß so bald zubricht /

Ein Blume so bald wird zu nicht /

[…]    (GB, S. 44)

Am Schluss wendet sich der Dichter an Gott mit der Bitte:

Hilff Herr daß nach der kurtzen Zeit

Wir erben die frölich Ewigkeit.

Auch Georg Philipp Harsdörffer gab im Gedicht „Das Leben ist“ eine ähnliche Reihe desillusionierender Antworten. Besonders kunstvoll sind die Anfangsreime:

Ein Laub, das grunt und falbt geschwind.

Ein Staub, den leicht vertreibt der Wind.

Ein Schnee, der in dem Nu vergehet.

Ein See, der niemals stille stehet.

Die Blum, so nach der Blüt verfällt.

Der Ruhm auf kurze Zeit gestellt.

Ein Gras, so leichtlich wird verdrucket [...].    (Haufe I, 449)

Auf die Frage „Was ist die arge Welt?“ (im gleichnamigen Gedicht) antwortet er lakonisch: „Ein ungestümes Meer“, „ein Stall voll dummer Rinder“, „ein Thron der Eitelkeit“, „der Sünden Aufenthalt“ und schließlich noch „ein Raub- und Mörderwald“.

Ein halbes Menschenalter später nahm Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau die Frage wieder auf im Gedicht „Die Welt“, das lang nach dem Krieg, im Jahre 1679, zum ersten Mal gedruckt wurde. Dieses Gedicht versammelt noch einmal alle Vergleiche und Metaphern, mit denen das Jahrhundert seiner Weltverachtung Ausdruck verliehen hat:

WAS ist die Welt / und ihr berühmtes gläntzen?

Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?

Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Gräntzen /

Ein schneller Blitz bey schwartzgewölckter Nacht.

Ein bundtes Feld / da Kummerdisteln grünen;

Ein schön Spital / so voller Kranckheit steckt.

Ein Sclavenhauß / da alle Menschen dienen /

Ein faules Grab / so Alabaster deckt.    (HGW I 2, 817)

Hier wird die Welt aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet. Die beiden ersten Verse fragen nach dem Sinn der weltlichen Pracht, und die darauf folgenden sechs Verse geben eine unverblümte Antwort: Die Welt hat überhaupt keinen Eigenwert, sie besteht aus lauter Fassade. Die Allegorie „Frau Welt“ stammt aus dem Mittelalter, sie beherrschte auch die Bildwelt des Barockzeitalters. Gemeinsam ist beiden Epochen die Negation des Irdischen, eine Folge der weltverneinenden, lustabtötenden Einstellung des Christentums. Das wahre Leben findet anderswo statt, irdische Freuden haben offenbar nur den Zweck, das Ich vom rechten Weg abzubringen.

Was ist also die Welt? Der Dichter reiht in syntaktischer Parallelität lauter Aussagen mit anschließender Einschränkung, Metaphern, mit denen er die Welt zu umschreiben sucht: „Ein bundtes Feld“ zwar, auf dem jedoch „Kummerdisteln grünen“; oder, nicht weniger ermutigend, „Ein schön Spital / so voller Krankheit steckt“ oder gar „Ein Sclavenhauß / da alle Menschen dienen“ und schließlich – wie könnte es bei dieser rhetorischen Steigerung des Verwerflich-Negativen anders sein? – „Ein faules Grab / so Alabaster deckt“.

Gemeinsam ist allen diesen Vergleichen der antithetische Duktus: die glänzende Pracht der Fassade und die Furchtbarkeit der dahinter sich verbergenden Wahrheit. Die Scheinbarkeit des Sichtbaren wird offenbar: Das Diesseits ist der Schein, das Jenseits enthält die überdauernden Werte.

Freilich darf die für barockes Denken typische Wendung nicht ausbleiben: Die schöne Fassade wird nur vom Leib, vom Fleisch für einen Wert gehalten. Die Seele – und man hat es im Barockzeitalter immer mit einer Dichotomie zwischen Leib und Seele, zwischen Vergänglichem und Ewigem, zu tun – dagegen verachtet das Transitorische. Sie wendet sich den ewigen, den unvergänglichen Werten zu. Sie sind bei Gott zu finden. Konsequenterweise endet das Gedicht mit einer adhortatio, einer Aufforderung des Autors an die menschliche Seele. Die Seele solle weiter schauen, über den „Zirkel dieser Welt“ hinaus, sie solle das kurze irdische Prangen abwerfen und – der Autor baut sogar ein hübsches Wortspiel ein – sie solle ihre „Lust“ für eine „Last“ halten und dann – dies ist der Inhalt der conclusio, der Schlussfolgerung – gelange sie leicht in den Hafen, wo sich Ewigkeit und Schönheit vereinen, also dorthin, wo Glanz und Pracht dauerhaften Bestand haben. Die Vertröstung des im irdischen Jammertal dahinvegetierenden Ichs auf das ewige Halleluja ist in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges eine verständliche Haltung, die immerhin etwas Tröstendes an sich hatte.

Hoffmannswaldaus umfangreiches zwölfstrophiges Alexandrinergedicht mit dem Titel „Verachtung der Welt“ besitzt dieselbe Struktur. Auch hier lautet die Eingangsfrage

Was ist das grosse Nichts / so Welt und Erde heisset /

Dem der gemeine Geist zu opfern sich befleisset /

Ihm fetten Weirauch bringt und ihm sich selber schlacht?

    (HGW I 2, 746)

Die zweite Hälfte dieser ersten Strophe und die nächsten fünf Strophen sind wieder ausgefüllt mit Vergleichen, die auf die Nichtigkeit der Welt hinweisen. In der Mitte des Gedichtes befindet sich eine Zäsur. Danach wendet sich der Dichter mit einer Reflexion über die ewigen Werte direkt an den Leser. Mit dem irdischen Tod beginnt das wahre Leben. Geschrieben für einen Freund, anlässlich des Todes seiner Frau, übersteigt das Gedicht die Schranke des Gelegenheitsgedichtes und erhält geradezu idealtypischen Charakter. Vom ewigen Leben aus betrachtet, verkehrt sich die Wertehierarchie der Welt. Das hier hoch Geschätzte wird als nichtig entlarvt. Die Lebenden sind die wahrhaft Leidenden, die Toten, die in den ‚Hafen der Seligkeit‘ eingelaufen sind, haben die Ewigkeit errungen.

Hinter der Nichtigkeit dieser Welt existiert eine Region ewiger Werte. Die Welt und das irdische Leben halten nur Scheinwerte bereit, die unvergänglichen Werte dagegen sind transzendent. Andreas Gryphius hat diese Doppelbödigkeit der menschlichen Existenz in ein Paradoxon gekleidet:

Diß was jhr leben nennt’ jhr sterblichen / ist todt

Was jhr für todt anschaw’t ist leben sonder noth.

Die welt muss in die grufft / die grufft zum Himmel führen.

    (GS, 85)

Die Tendenz ist bei Hoffmannswaldau und bei Gryphius dieselbe: das irdische Leben ist nur Durchgangsstation. An sich kommt dem Irdischen kein Wert zu, es erhält seinen Wert nur als Vorstufe zum ewigen Leben. Die Welt besitzt allenfalls allegorischen Wert; sie liefert Beispiele, aus denen der Einsichtige lernen kann. Besonders im Umkreis des Hofes begegnet häufig die Metapher des theatrum vitae humanae, des menschlichen Theaters. Der Hof ist die Weltbühne par excellence, das gezeigte Verhalten entspricht selten den inneren Regungen, es ist vielmehr Zurschaustellung, ist Repräsentation. Der König ist der erste Schauspieler auf der irdischen Bühne.

Das launische Glück regiert das Weltgeschehen. So begegnet neben der Spiel- und Theatermetaphorik regelmäßig die Gestalt der Fortuna mit dem Attribut des Rades, das die Umkehrung aller Zustände symbolisiert.1

Nicht zufällig bezieht sich Opitz in den „Trostgedichten“ mehrmals auf die Fortuna-Figur. Auch bei Fleming und bei Gryphius, bei Hoffmannswaldau und bei Lohenstein und vielen anderen steht die Fortuna in enger Beziehung zur wankelmütigen Welt. Besonders anlässlich von Todesfällen wird die Glücksmetaphorik bemüht. Der Leutkircher Prediger Johann Felix Agricola erklärte 1680 in einem „Christlichen Leich-Sermon“ für den Freiherrn Constantin Victor von Welz den Hinterbliebenen, „wie das Göttliche Verhängniß in dieser Sterblichkeit mit den Menschen sein Spiel übe; wie die walzende Kugel deß runden Glücks niemals könne Stand-fest gemachet werden.“2 Ebenso erscheint in Hoffmannswaldaus „Klagelied über das unbeständige Gelück“ das Ich schicksalhaften Mächten ausgeliefert zu sein: „Ich bin ein Ball / den das Verhängnüs schläget; Des Zufalls Spiel; ein Schertz der Zeit.“    (HGW I 2, 810)

Menschliches Leben und irdische Welt haben keinen Bestand. Es gibt zwei Haltungen, die dieser grundlegenden Erkenntnis korrespondieren: zum einen die Haltung des carpe diem, des Lebensgenusses, zum andern die Haltung des memento mori, des Todesbewusstseins. Die ganze Literatur dieses Jahrhunderts ist von der ungeheuren Spannung zwischen diesen extremen Polen beherrscht: auf der einen Seite der Lebensgenuss: weil der Mensch sterblich ist, sollte er seine Zeit auf möglichst vergnügliche Weise herumbringen, auf der anderen Seite die Lebensabkehr und die Hinwendung zu den sogenannten ewigen Werten.

Carpe diem und memento mori sind Antworten auf die Erkenntnis der vanitas, der Vergänglichkeit der irdischen Welt. Den Verherrlichungen der Schönheit, der Liebe und des Festes stehen Bußreden, Ermahnungen zur Einkehr, Schilderungen von Krankheit und Elend, Erinnerungen an den Tod und Darstellungen der ewigen Strafen gegenüber. In der Bildenden Kunst werden die extremen Polarisationen noch deutlicher. Die Verherrlichungen des Sinnlichen, des Körperhaften und der irdischen Lebensfreuden, die üppigen Frauenbilder, die prunkvollen Herrscherporträts, die Schilderung der Tafelfreuden und Jagdszenen sind Ausdruck scheinbar ungehemmter Hinwendung zum Irdischen. Ihnen gegenüber stehen Gemälde, in denen Folterqualen, Hinrichtungen, Leidens- und Todesdarstellungen, Elend und Hässlichkeit bevorzugte Themen sind. In dieser Malerei findet sich ein Hang zur Groteske und zur Übertreibung. Ähnliche Erscheinungen gibt es auch in der Literatur. Den schwungvollen und prächtigen Engels- und Himmelsgemälden kontrastieren fast noch fantasievollere Schilderungen von Tod und Teufel.

Diese Zweisträngigkeit ist bereits im Werk von Opitz angelegt; insofern hat er auch in der Thematik schulbildend gewirkt. Die Carpe diem-Komponente äußert sich vor allem in den Liebesgedichten, in denen sich anakreontische und petrarkistische Motive vermischen, und in den Gesellschaftsliedern. Opitz’ berühmte Ode „Ich empfinde fast ein Grauen“ gibt expressis verbis die Antwort auf die Vergänglichkeit aller Dinge im Sinne eines reflektierten Weltgenießens: „Wil mit andern lustig seyn, / Wann ich gleich allein muß sterben.“ (OWP, 351) Die Wiederaufnahme des Motivs in Paul Flemings Vers „Ich will noch lustig sein / solt’ ich auch heute sterben“ zeigt, dass es sich weniger um eine individuelle Überzeugung handelt, als um einen seit der Antike tradierten Topos.

Der Haltung des bewussten, aus der Erfahrung des Vergänglichen entsprungenen Genießens entspricht die Verherrlichung irdischer Schönheit und Pracht. Die Liebesdichter errichteten eine irdische Normenwelt, die der Vergänglichkeit Trotz bieten sollte. Diese Einstellung – Liebe als Schutzschild sogar gegen den Tod – bildete den Inhalt des von Opitz übersetzten Sonettes der italienischen Dichterin Veronica Gambara „Sie redet die Augen ihres Buhlen an / den sie umbfangen“. Opitz und die Petrarkisten gingen sicher noch nicht so weit wie die erotischen und galanten Dichter der zweiten Jahrhunderthälfte, die Schönheit und Liebe verabsolutierten.

Dezidierter Ausdruck der Carpe diem-Haltung sind die zahlreichen Gedichte anlässlich höfischer oder bürgerlicher Feste. Im Fest manifestierten sich individuelle Lebensfreude, Geselligkeitsstreben und Repräsentationslust. Dahinter mochte auch eine religiöse Haltung stehen, Gott mit dem Preis seiner Schöpfung zu ehren und zu feiern. Hinter dem Fest stand noch mehr. Odo Marquard hat in einem Essay „Kleine Philosophie des Festes“ den Krieg als „Moratorium des Alltags“, als Entlastung vom Alltag und den Krieg als das „totale Fest“ gedeutet.3 Eine solche abgehobene Überlegung mag das Lebensgefühl des Adels ausdrücken, für den der Krieg zuweilen eine willkommene Abwechslung darstellte. Sonst traf eher das Gegenteil zu: Krieg bedeutete Existenzvernichtung und erzeugte Existenzangst. Der Krieg wurde keineswegs als Fest verstanden. Das Fest und dessen Verherrlichung hatten vielmehr kompensatorischen Charakter. Mit Feste-Feiern, übertriebenem Prunk und üppiger Prachtentfaltung reagierten die Menschen auf das allgemeine Elend der Zeit. Dem einen Extrem korrespondierte das andere: dem großen Sterben das große Feiern. In diesem Rahmen erhielt auch die Dichtung ihre sozio-psychologische Funktion, Ausdrucksventil der extremen Emotionen zu sein, Geschichts-Dokument und zugleich Sublimation existentieller Erfahrungen.

Beliebt war das literarische Genre der Festbeschreibung, eine Mischung aus Prosa und Gedichten, halb Reportage, halb Panegyrik. Es wurde besonders an fürstlichen Höfen gepflegt. Einerseits wurden diese Texte auf den Festen selbst vorgetragen, andererseits hielten sie das historische Ereignis poetisch fest. Hier hatte der Dichter die Funktion des Bewahrers, man glaubte noch an die Kraft der Dichtung, ein Bollwerk gegen die Vergänglichkeit errichten zu können. Dieser Gedanke, Dichtung verleihe quasi Unsterblichkeit, stammt aus der Antike und wurde in der Renaissance lebhaft aufgegriffen. Im Barockzeitalter dominierte er jedoch nicht.

Die diametral entgegengesetzte Komponente des memento mori ist in manchen dieser Carpe diem-Gedichte selbst schon angelegt. Man war sich der Vergänglichkeit auch des irdischen Genusses stets bewusst. Freilich dominierte die Thematik der Suche nach den transzendenten Werten in den Vanitas-Gedichten, den Zeitgedichten und den Elegien. Bereits Opitz fragte angesichts der Unbeständigkeit des Glückes, an welche Werte man sich denn halten solle:

Laß etwas vnser seyn das wir behalten können /

Das nicht verlohren wird / das jmmer eigen bleibt /

Das keine Fewersbrunst / kein Schiffbruch von vns treibt.

    (OGW, 228)

Und er nannte eine Reihe von Tugenden wie Mannheit, Tapferkeit, Gottesglauben und Gleichmut. Die Tugend der constantia, die Beständigkeit, lasse sich nicht durch äußerliches Unglück verwirren. Auf den „Flügeln der Vernunft“ schwinge sie sich von den verführerischen aber „schwachen“ Dingen des Lebens empor, um Gott zu dienen. Die stoische Tugend, „sich nicht bewegen zu lassen“, signalisiert die Zurücknahme aller äußerlichen Ansprüche: „Im Herzen liegt verborgen / was nicht genommen wird“. Diese Verinnerlichung macht den Menschen von allen irdischen Zufällen und von menschlichen Hierarchien frei. Für Gryphius hatten das Vanitas- und das Memento mori-Motiv eine ganz überragende Bedeutung: Er kannte keinen unbeschwerten oder mühsam errungenen Lebensgenuss. Das Sonett „Es ist alles eitel“ appelliert am Schluss an den Menschen, sich an beständigen Werten zu orientieren. Das Sonett „An die Welt“ ist ein Paradeplatz aller einschlägigen Metaphern und Bilder: Der Mensch wird dem Schiff verglichen, als Spiel den Winden und als Ball den Wellen preisgegeben.

Memento mori und Konkretisierung des Todeserlebnisses gehören konsequent zusammen. Mit dem Tod war man vertraut. Die statistische Lebenserwartung lag im 17. Jahrhundert bei 35 Jahren, erst im 18. und 19. Jahrhundert stieg sie auf 45 bis 50 Jahre. So konnten sich die Dichter nicht genug tun, einerseits die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens zu schildern, andererseits die Furchtbarkeit des falschen Lebens nach dem Tode auszumalen. Erst die exakte Veranschaulichung der Höllenstrafen macht die Notwendigkeit einer geistigen Umkehr einsichtig. So hatten die apokalyptischen Bilder schließlich den Zweck, zum wahren christlichen Leben anzuleiten.

War das Leben ein Schauspiel, und agierten die Menschen in einzelnen Rollen, so bezeichnete der Tod den letzten Akt im Lebensschauspiel. Das Sterben fürstlicher Personen war eine hochzeremoniöse Angelegenheit. Alles geschah im Rahmen der festgelegten Etikette. Man starb, als ginge man auf eine Reise.

Gedruckte Nekrologe waren eine beliebte literarische Gattung. Sie enthielten die Leichenpredigt, Liedertexte, Personalia, kurzgefasste Lebensläufe und zuletzt nicht selten Epicedia, Gedichte, die verschiedene Freunde und Angehörige des oder der Verstorbenen beigesteuert hatten.

Zwei Aufbauelemente sind allen Memento-mori-Dichtungen gemeinsam: der Hinweis auf die Kürze und Vergänglichkeit des Lebens und auf die Todverfallenheit des Menschen und der Hinweis auf die Ungewissheit der Todesstunde und der Appell, sich auf den Tod vorzubereiten. Der Mensch, darauf zielt die Warnung ab, solle sein flüchtiges Dasein im Lichte der Ewigkeit betrachten, er solle immer mit dem Tod rechnen und daher christlich leben. Der Tod erhält die Funktion einer Gerichtsvorladung. Wer sich jeden Tag auf die Sterbestunde vorbereitet und Buße leistet, den kann auch ein plötzlicher Tod nicht überraschen. Er ist der wahrhaft Weise.

Neben das Motiv der Vergänglichkeitsklage trat das Motiv des con-temptus mundi, der Weltverachtung. Auch hier gab es eine jahrhundertelange Tradition mit toposhaften Argumenten, die von der Armseligkeit, der „Ohnmacht und Sündhaftigkeit der menschlichen Natur“ bis zum ‚Leben als Tod‘ und zur „Hässlichkeit des Todes“ selbst reichten. „Die menschliche Schönheit, die irdische Weisheit, Ehre und Ruhm – das alles wird als wertloser Tand dargestellt.“4

Besonders an den Themenkreisen Krankheit, Tod und Hölle wird der Hang zum Makabren und Grässlichen deutlich. Das Motiv der Krankheit steht exemplarisch für die Gefährdung des Menschen im Leben.

Die Pest war nur eine der Epidemien, die im 17. Jahrhundert ganz West-Europa heimsuchten. Sie wütete besonders in den vier Jahrhunderten zwischen 1348 und 1720. Vor allem die Armeen des Dreißigjährigen Krieges schleppten Typhus, Pocken, Lungenpest und Ruhr ein. Obwohl es große regionale Unterschiede gab, kann man insgesamt davon ausgehen, dass während des Dreißigjährigen Krieges die deutsche Bevölkerung durch Seuchen und Krieg um 40% auf dem Land, um 33% in den Städten abgenommen hat.

Auch die Maler widmeten sich der Darstellung der Pest. Den realistischen Bildthemen entsprachen die literarischen Darstellungen. Martin Opitz, der mit dem Elend des Dreißigjährigen Krieges mehrfach konfrontiert wurde, hat das Thema Krieg am intensivsten im „Trostgedichte in Widerwertigkeit des Krieges“ behandelt. Im Gelegenheitsgedicht: „An Herrn Johann Wessel / Als derselbe / nach auffgehörter langwiriger Pest zum Buntzlaw / eine Dancksagung-Predigt gehalten“ schildert er drastisch den Ausbruch der Pest:

Was muste der nun leyden

Der an der Kranckheit lag / eh’ als er kundte scheyden /

Vnd ward deß Cörpers loß? das angesteckte Blut /

Trat in den gantzen Kopff als eine heisse Glut /

Vnd nam die Augen ein / die voller Fewers stunden.

Der sprachen weg der Schlund war jämmerlich gebunden /

Die Lunge werthe sich / der gantze Leib lag kranck /

Vnd ließ die Kräfften fort. Ein scheußlicher Gestanck /

Wie sonst ein faules Aaß auch von sich pflegt zu geben /

Roch auß dem Hals’ herauß; das arme schwache Leben

Stund auff der Schwelle schon / vnd sahe hin vnd her /

Ob in der grossen Qual nicht etwan Labsal wer’?

Ach! aber fast vmbsonst. Was satzte nun dem Hertzen /

Das auch voll Flamme war / für Kümmernüß vnd Schmertzen /

Für Leyd vnd Wehmuth zu / da sämptlich Hand vnd Bein

Ihr Ampt nicht kondten thun? es schwand das Marck auß Pein /

Der heisse Magen sodt / der Mund blieb offen stehen /

Die Zunge litte Durst / der Pulß hub an zu gehen

Geschwinder als zuvor: Viel haben Tag vnd Nacht

Nie keinen Schlaff gehabt / vnd gäntzlich sich verwacht /

Der Schweiß war auff der Haut / das Prausen in den Ohren /

Das Klopffen vmb die Brust. Nicht wenig die verlohren

Verstand vnd allen Sinn. Die Kälte trat gemach

Den müden Schenckeln zu / biß sie so nach vnd nach

Die Glieder gantz vnd gar mit jhrer Gifft durchfahren /

Die jhnen allbereit nun nicht mehr ähnlich waren:

Der Schlaff ward außgehölt / die Nase spitz gemacht /

Die Stirne wie gespannt / eh’ als die lange Nacht

Den auch fast todten Geist ließ auß dem Kercker fliegen

In dem er harte lag. Wo war nun Trost zu kriegen?

Wo flohen wir doch hin? Wer nahm sich in der Noth

Deß armen Volckes an? Du / O du grosser GOtt.    (OWP, 40f.)

Opitz ging mit dieser Schilderung weit über das übliche Topos-Gemälde beliebiger Krankheiten hinaus, er lieferte eine detaillierte, medizinisch exakte Beschreibung der Pest. Anders Andreas Gryphius. Im Sonett „An sich selbst“ beschrieb er seine schwere Erkrankung. Die Details verdichten sich zu keinem Krankheitssyndrom. Die Schlussverse erheben sich über den konkreten Anlass zum begrifflich-abstrakten Kern

Was ist der hohe ruhm / vndt jugendt / ehr vnd kunst?

Wen diese stunde kompt: wirdt alles rauch vndt dunst.

Vnd eine noth mus vns mitt allem vorsatz tödten.    (GS, 61)

Nicht, dass in Opitz’ Gedicht diese Sinnvertiefung fehlen würde! Der Gott für das Abwenden der Pest aus vollem Herzen gespendete Dank bewirke, „daß man hier der Pest vnd dort der Höll entgeht“. Der Gedanke an Krankheit als Strafe liegt hier nahe, auch wenn Opitz eher zu den rational-fortschrittlichen Geistern gehört hat. Bei Gryphius verstärkte sich der Charakter des Sinnbildhaften. Er beschreibt nicht mehr, er benennt.

Die einzelnen Symptome sollen die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens dartun. In seinem bekannten Krankheitsgedicht, dem Sonett „Threnen in Schwerer Kranckheitt“, dient die Krankheit nur als Stichwortgeber für die Überlegung, was doch das Leben sei, was der Mensch sich einbilde und sich wünsche:

Was ist dis leben doch! was sindt wir / ich vnd ihr?

Was bilden wir vns ein! was wündtschen wir zu haben?

Itzt sindt wir hoch vndt gros / vndt morgen schon vergraben:

Itz blumen / morgen kott / wir sindt ein windt ein schaum.

Ein nebel / eine bach / ein reiff / ein taw’ ein schatten.

Itz was vndt morgen nichts / vnd was sind vnser thaten?

Ein mitt viel herber angst durchaus vermischter traum.    (GS, 59)

Die Krankheitsthematik führt zum Komplex Tod und menschliche Überreste. Wer durch die Krypten barocker Kirchen geht, entdeckt immer wieder die plastische Darstellung des Todes oder findet zu Pyramiden aufgehäufte Totenschädel. Das Zurschaustellen des Todes mutet uns heute makaber an, für den Menschen des 17. Jahrhunderts bedeutete es die ständige Konfrontation des lebenden Menschen mit dem Tode, sollte also als Mahnung, als memento mori dienen. Andreas Gryphius hat dem Todeskomplex eines seiner umfangreichsten Gedichte gewidmet, die „Kirchhofsgedanken“, ein Nonplusultra der Verwesungspoesie. Thematisch verwandt ist das Sonett: „Vber die gebaine der ausgegrabenen Philosetten“.

O Häslich’ anblick! ach! wo sindt die güldnen haar!

Wo ist der stirnen schnee? wo ist der glantz der wangen?

Der wangen die mitt blut vndt lilien vmbfangen?

Der rosen rote mund! wo ist der zähne schar?

Wo sindt die sternen hin? wo ist der augen paar

Mitt dehn die liebe spielt / itzt flechten schwartze schlangen

Sich vmb das weite maul / die nasen ist vergangen

Die keinem helfenbain vorhin zu gleichen war.

Ist jemand, der noch kan behertzt vnd sonder grawen

Der ohren kahlen ortt / der augen lucken schawen?

Ist jemandt / der sich nicht für dieser stirn entsetzt?

Der dencke wie sich doch sein Geist den wird befinden

Wen er in kurtzem wird auff gleichen schlag verschwinden /

Weill schon der todt auff ihn die schnellen pfeile wetzt!    (GS, 51f.)

Die einstige Pracht und Schönheit wird angesichts der übrig gebliebenen Verwesung erinnert. Der Mensch soll sich allzeit seiner Vergänglichkeit bewusst sein. So wird die Sterbekunst auch zu einer – freilich sehr ernsthaften – Lebens-Kunst. In engem Zusammenhang mit der Todesdarstellung stehen die apokalyptischen Visionen, die Prophezeiungen und Träume von Weltgericht und Tod, wie sie Andreas Gryphius im Sonett „Das letzte Gericht“ und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau im Gedicht „Schaubühne des Todes“ exemplarisch gestaltet haben.

Der dritte Themenbereich handelt von der Hölle. Ihre Schilderung fällt schrecklicher aus, weil sie im Unterschied zu einer individuellen Krankheit allgemeine Geltung und Ewigkeitscharakter hat. Höllendarstellungen haben eine lange Tradition in der bildenden Kunst wie in der Dichtung. In Plastik und Malerei wurde die Hölle oft als aufgerissener Rachen eines drachenartigen Untiers, das die Verdammten verschlingt, dargestellt, oder als lodernder Flammenort. Akribische Beschreibungen finden sich in der lateinischen und deutschen Predigt- und Bußliteratur; dieses Genre war im 17. Jahrhundert den Dichtern wie den Lesern allgegenwärtig.

Höllengemälde begegnen auch in eschatologischer Literatur. Im 16. und noch im 17. Jahrhundert glaubte man öfters, das Weltende sei gekommen. Es gab sogar mathematische Berechnungen; 1625 etwa galt als solch ein ‚kritisches’ Jahr. In Jahren, in denen Katastrophen wie Hungersnot, Kriege, Feuersbrände oder Kometenerscheinungen auf das nahe Jüngste Gericht vorauswiesen, stieg die Produktion von Buß- und Erbauungsliteratur schlagartig an. Die Darstellung der höllischen Schrecken sollte zur Umkehr aufrufen. Höllenbeschreibungen finden sich auch in Gedichten, die das Einzelgericht über einen Verstorbenen zum Thema haben. Oft ist die Höllenschilderung nur Teil einer insgesamt vierteiligen Reihe, die sich der Beschreibung der sogenannten vier letzten Dinge widmet: des Todes, des Einzel- oder Welt-Gerichts, des Himmels und der Hölle. So stellt etwa das künstlerisch bedeutendste Höllengedicht, das Sonett „Die Hölle“ von Andreas Gryphius den dritten Teil eines Zyklus dar, der insgesamt aus den vier Stufen „Der Tod“, „Das letzte Gericht“, „Die Hölle“ und „Ewige Freude der Auserwählten“ besteht.

Wichtige Höllengedichte stammen von dem bekannten Erfurter Theologieprofessor Johann Matthäus Meyfart, den Nürnberger Dichtern Georg Philipp Harsdörffer, Christian Betulius (dem Bruder von Sigmund Betulius bzw. von Birken), und dem in Wedel bei Hamburg wirkenden Pfarrer Johann Rist. Eindrucksvoll sind bereits die Titel seiner zwei großen Höllengedichte: „Ernstliche Betrachtung der grausamen Gefängnisse und des gar abscheulichen Ortes der Höllen“ und „Notwendige Betrachtung der unaussprechlichen Pein, Marter und Strafen, welche die Verdammten in der Höllen ewig müssen erleiden und ausstehen.“

Rist arbeitet in diesem poetisch recht effektvollen Strophengedicht weniger mit den herkömmlichen Vanitas-Motiven. Er betont nicht die Vergänglichkeit irdischer Freuden, sondern geht gleich zur abschreckenden Schilderung des höllischen Lebens über. Aus dem Gegensatz der Kürze irdischer Schrecken und der ewigen Dauer der höllischen Qualen zieht er seine Wirkungen. Ein Aufruf zur Umkehr, zur Buße beschließt das Lied, von dem sich in Kirchengesangbüchern der evangelischen Kirche einige Strophen finden. In der württembergischen Ausgabe hat man sich auf sechs Strophen beschränkt und – wohl um die Gemeinde nicht zu erschrecken – die krasseren Strophen weggelassen.

Ein anderer Typus der Höllengedichte ist die explizite Schilderung. Hier hat der Braunschweigische Gelehrte und Prinzenerzieher Justus Georg Schottel seine höchste poetische Kraft drein gesetzt, wie bereits die Titel seiner umfangreichen Gedichte ausweisen: „Eigentliche und sonderbare V o r s t e l l u n g D e s J ü n g s t e n T a g e s und darin Künfftig verhandenen Grossen und Letzten Wunder-Gerichts Gottes: Wie es ordentlich nach denen uns geoffenbarten Umständen, alsdann daher gehen, endlich nach ausgesprochenem Uhrtheile, die Gottlosen samt den Teufelen zur Hölle, die Auserwehlten samt dem HErrn Jesu zu Himmel fahren, auch Himmel und Erde darauf samt den Elementen im Feur vergehen werden. Nachdenklich in Teutscher Sprache beschrieben, mit nötigen Erklärungen und schönen Kupfer-Stükken“ (1668, 2. Aufl. 1689) und „Grausame Beschreibung und Vorstellung Der Hölle Und der Höllischen Qwal, Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich, und also vor die Augen gelegt, dass einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben, und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniss-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet“ (1676).

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als ein gemäßigt klassizistischer Geschmack dominierte, hat der Germanist Karl Goedeke der Dichtung Schottels attestiert, sie überbiete an „geschmackloser Widrigkeit“ „alles, was die Theologen der Zeit geleistet haben“.5

KOmm / nim Glaubensflügel an / fahr mit mir hin in die Klüfte /

Wo der Einblikk niderfält in die flammenkalte Grüfte / […]

FInsterniß die Augen schrekt / Finsterniß die Seel erfüllet /

Durch sichtbares Trauerbild allerseits sich mit einhüllet /

Schwartze Flammen glintzern doch ohne Glentzen / ohne Schein /

Ausser der Lichtstraalen Art wird Licht in der Hölle seyn.

ALles Fleisch Stankwürmicht ist / und mit Schwefel eingesaltzen /

Ist durchregnet / durchbesprengt: O das blinde kutzel baltzen

Scheumt Gestank und Gift nur aus; jeder Leib von Aasstank qwilt /

Durchbegreulter Balsam so ewig hier die Nase fült.

WAs ist greulicher / als sich selbsten grimmiglich zerbeissen /

Und sein’ eigne Haut und Fleisch / nagen und zu stükken reissen?

Dieses thut der Höllenwurm / O der Wurm / so nimmer stirbt /

Der durch nagend-steten Biß seine Nahrung fort erwirbt.

DIeses grosse Qwaalgewölb / diese finstre Peinigkammer /

Drin in Winklen durch und durch dumpfet her der Marterhammer /

Schmertzthum heget endelos / Wehstand wächset ewig fort /

Sterben stets ohn allen Tod / füllet jeden Höllenort.    (Schöne, 248f.)

Geschmackvoll oder nicht, diese Frage stellte sich weder dem Dichter noch seinen Lesern. Schließlich glaubte man an derlei Vorstellungen, und darüber lässt sich nicht gut mit ästhetischen Kriterien urteilen! Kunstlos freilich ist das Ganze nicht; Schottel verfügt über eine beträchtliche Anzahl von Registern – wie der bewusste Einsatz von Lichtmetaphorik, oder von Lautmalereien wie „durch und durch dumpfet“ oder „Wehstand wächset ewig“ beweist. Freilich kannte – auch dies ein typisch barocker Zug – das Höllengedicht mit über 300 Seiten Umfang keine Grenze, und so wurde des Garstigen doch etwas zu viel geboten. Die künstlerische Schwäche besteht im Übermaß, in der wahllosen Anhäufung des Schrecklichen. Bei maßvollerem Gebrauch wäre die Wirkung stärker.

Zum Höllenthema gehört auch die Schilderung der Folterqualen, die den Sünder erwarten. Was den Verbrecher erst in der Hölle erwartet, das erlebt der Unschuldige oft schon im irdischen Leben. Der Gedanke „Das Leben ist eine Hölle“ begegnete bereits hier, freilich streng eingebunden in die christliche Theologie und die Märtyrerideologie. Wer sich um des rechten Glaubens quälen und foltern lässt, dem sind die Freuden des ewigen „Lebens“ gewiss. Das Sonett „An einen Vnschuldig Leidenden“ von Andreas Gryphius entfaltet in gewohnter Krassheit die Paradoxien der irdischen Existenz und endet mit der Sentenz: „Der ist kein rechter Christ / dem für dem tode grawett.“ (G S, 52)

Die Dichtung des Barock hatte instrumentellen Charakter. Artifiziell zubereitet war sie ein wirksames Mittel, um dem Leser und Zuhörer seine Nichtigkeit bewusst zu machen und ihn auf den rechten Weg zu leiten, wie die allmächtige Kirche ihn vorzeichnete. Die Übersteigerung des Schaurigen diente letztlich christlicher Seelsorge.

II.„Du steinern Hertzelein“

Petrarkismus in Deutschland

Martin Opitz, der aus dem schlesischen Bunzlau stammende Dichter-Gelehrte, war der Inaugurator der petrarkistischen Liebesdichtung in Deutschland. Er hat durch Übersetzungen aus dem Italienischen und dem Französischen petrarkistische Muster ins Deutsche eingeführt; ein großer Teil seiner liedhaften Lyrik besteht aus Gedichten in der Nachfolge Petrarcas. Vorbild aller Liebesdichter war in der Tat Petrarca und seine Sammlung der italienischen Gedichte „Il Canzoniere“. In ihr hatte er seine unnahbare Geliebte „Laura“ bedichtet und mit ihr die europäische Liebesdichtung auf Jahrhunderte maßgeblich beeinflusst. Die petrarkistische Liebeslyrik konzentriert sich auf die Darstellung innerer Vorgänge, die komplexeren Seelenregungen einer unerfüllten Liebe. So schwankt das Bild Lauras auch zwischen Versucherin und Erlöserin. Züge aus der mittelalterlichen Marienlyrik mischen sich mit dem Ideal der Troubadourlyrik und dem negativen Frauenbild des Mittelalters. Man hat im „Canzoniere“ die Darstellung einer seelischen Entwicklung erkennen wollen, die vom Zwiespalt zwischen Wünschen und Wirklichkeit zu einer mystischen Einstellung des Ichs führt, in der Laura mit der göttlichen Tugend identisch wird. Die Gedichte spiegeln eine Art Psychodrama, das sich stufenweise von der unglücklichen irdischen Liebe, dem Tod der Geliebten und der Reue des Liebenden zum Triumph der himmlischen Liebe entwickelt. Die Gedichte lassen sich als psychische Analyse lesen, als Seismographe eines unglücklich liebenden Gemüts. Die elegische Stimmung, Trauer und Resignation, überwiegen, geradezu narzisstisch ist die Nabelschau, mit der hier die „Schmerzensliebe“ ausgekostet wird. Der Florentiner Neuplatoniker Marsilio Ficino legte den „Canzoniere“ im Sinne der platonischen Philosophie aus: die sinnliche Liebe versklave den Liebenden, aber seine Seele kehre unter Lauras Anleitung in den Himmel zurück, wobei Laura als Verkörperung der göttlichen Schönheit und Tugend galt. In Italien folgten Serafino Ciminelli dall’Aquila, Pietro Bembo („segundo Petrarca“), Michelangelo Buonarotti, Vittoria Colonna und Veronica Gambara dem petrarkistischen Muster. Der Einfluss Petrarcas auf die europäische Literatur ist kaum zu überschätzen. Von Italien wirkte der Petrarkismus zunächst auf Spanien und zuletzt auf Deutschland ein. In Frankreich waren es besonders die Dichter Clément Marot, Joachim Du Bellay und Pierre de Ronsard; in England Thomas Wyatt, Philip Sidney („der englische Petrarca“), Edmund Spenser, William Shakespeare und der Mystiker John Donne, für viele der größte englische Petrarkist.

Der Begriff „Petrarkismus“ stammt von Heinrich Heine, er hielt ihn für eine Art von lyrischer Donquichotterie. Seitdem gab es zahlreiche Definitionen und Versuche, den Petrarkismus thematisch bzw. formal zu charakterisieren. Hans Pyritz hat den Petrarkismus als „das zweite große erotische System von internationaler Geltung nach dem Minnesang“ bezeichnet. Gegen diese – in der Forschung (Richard Alewyn, Richard Newald, Manfred Windfuhr) lange Zeit herrschende – Auffassung hat Leonard Forster dem Systembegriff nur noch den Wert einer wissenschaftlichen Hypothese zugebilligt. Als orientierendes Zentrum des Petrarkismus galt ihm das Formprinzip des Witzes; der Petrarkismus wurde Teil des umfassenden Rhetorik-Systems. Auch Hugo Friedrich hat den Scherz-Begriff in seiner Untersuchung italienischer Barocklyrik betont. Opitz’ eigene Definition im „Buch von der Deutschen Poeterey“, die liebe sei „gleichsam der wetzstein“, an dem die Dichter ihren „subtilen Verstand scherffen / vnd niemals mehr sinnreiche gedancken vnd einfälle haben / als wann sie von jhrer Buhlschafften Himlischen schöne / jugend / freundligkeit / haß vnnd gunst reden“ (OBP, 19), fügt sich diesem Witzverständnis an, das mit Pointen arbeitet, aber auch den Erfindungsreichtum, die Spitzfindigkeit (lateinisch argutia) und die Fähigkeit zum Kombinieren verschiedener Themen und Motive bezeichnet. Es gab verschiedene Spielarten des Petrarkismus – eine ovidische, eine anakreontische, eine emblematische und eine politische Variante, um nur einige zu nennen. Zum Petrarkismus gehören vor allem solche Lyriktypen, die motivisch und stilistisch auf Formen des „Canzoniere“ zurückgreifen. Feste Bestandteile dieser Liebeslyrik sind der Frauenpreis, die Beschreibung körperlicher Schönheit (etwa der Augen), die Liebesklage und der Todeswille, das elegische Schwanken zwischen irdischer Leidenschaft und himmlischer Verklärung.

Die petrarkistische Liebesdichtung verfügt über ein einigermaßen konsistentes Arsenal von Motiven: die Liebe begegnet als Liebeskrieg oder als Schifffahrt auf stürmischem Meer, der lockere Knabe Cupido oder Amor ist als netzbewaffneter Jäger verkleidet. Die Geliebte erscheint im Allgemeinen als Eisblock. Hinter der bezaubernden Schönheit pocht ein kaltes Herz. Die schöne Dame ist ein mit immer denselben Ingredienzien ausgeschmücktes Kunstgebilde: goldene Haare, feine weiße Hände, schwarze Augen, ebenholzfarbige Augenbrauen, perlenweiße Zähne, korallenfarbige Lippen, die Rosen und Lilien ihrer Wangen, globenförmige Alabaster-Brüste – alles Qualitäten, die offenbar bereits Laura besessen hatte. Ein Dichter konnte die Schönheit der Dame durch Metaphern ausschmücken, auf mythologische Gestalten anspielen (Aphrodite als Schönheitsgöttin) oder ihre Wirkung umschreiben. Es gibt Gedichte, die sich ausschließlich einer Eigenschaft der Angebeteten widmen. Vorbild waren Petrarcas drei Canzonen über die Augen der Laura.

Der Liebhaber fühlt sich ganz als Sklave; er leidet unter der Hartherzigkeit der Dame. Seine Gedichte klagen überwiegend. Seine Gefühle sind bitter und süß zugleich. Denn die Liebe, so schön und erhebend sie ist, erzeugt immer auch Schmerzen. So schwanken seine Gefühle zwischen Erhebung und Trauer, Anbetung und Verzweiflung. Im Gegensatz zur ungetreuen Geliebten ist der Liebhaber von unwandelbarer Treue beseelt.

In der klassischen petrarkistischen Situation verhält sich die Dame hartherzig, sie genießt geradezu die Qual des Verehrers. Ist der Liebhaber ein Masochist, so ist seine Angebetete eine Sadistin.6 Vergleiche ihres harten Herzens mit Stein, Stahl oder Diamant, ihrer Kälte mit Eis und Schnee sind an der Tagesordnung.

Der Gemeinplatz von der Liebe als einem Feuer ist sehr alt; auch Petrarca hat ihn ausgiebig verwendet. Die Flammen werden zu einem Bild für die Liebe selbst; das Symbol lebt noch in der Redensart von der „alten“ oder „neuen Flamme“. Petrarca verglich sich zuweilen mit einem Salamander, der in den Flammen der Liebe lebt. Häufig begegnet das Bild vom Feuer der Liebe und vom eiskalten Herz der Dame, oder der Topos vom Leben im Tod und vom Tod im Leben. Die Dame wird zur Spenderin des Lebens, verwandelt den Tod in Leben. Daneben spielen das Motiv des Todes und des Traums eine wichtige Rolle: die Vereinigung mit der Herzensdame erfolgt im Traum oder im Tod. Der Tod avanciert zum „süßen Tod“, der fleischlich-sinnliche und seelisch-mystische Vereinigung umfasst. Aber auch der Liebhaber hat ein Trumpf-As in der Hand. Als Dichter droht er der unholden Schönen, dass ihre an sich vergängliche Schönheit nur in seinen Versen überleben kann. Der Topos vom Unsterblichkeit verleihenden Dichter kann geradezu als Druckmittel eingesetzt werden. Ein frühes Beispiel stammt von Johann Hermann Schein (1628):

O Sternen Äugelein!

O Seiden Härelein!

O Rosen Wängelein!

Corallen Lippelein!

O Perlen-Zeenelein!

O Honig Züngelein!

O Perlemutter öhrelein!

O Helfenbeinern Hälßelein!

O Pomerantzen Brüstelein!

Bißher an euch ist alles fein:

Abr O du steinern Hertzelein,

Wie daß du tödst das Leben mein?    (Schöne, 696)

Das ist einerseits Schönheitspreis, andererseits Klage des nichterhörten Liebhabers – ein Motiv, das bereits im mittelalterlichen Minnesang und dann bei Petrarca begegnet. Das parataktische Reihen der einzelnen Partikel mutet etwas naiv an: Die weibliche Schönheit wird so beschrieben, als ob sie in einzelne Bestandteile zerlegbar wäre und aus einzelnen Teilen wieder zusammen montiert werden könnte, in der Art von technisch-mechanischen Gebilden, die an E.T.A. Hoffmanns mechanische Puppe Olimpia erinnern.

Bereits vor Opitz wurde der Versuch gemacht, einige Gedichte Petrarcas ins Deutsche zu übersetzen, etwa von Theobald Hoeck in der Sammlung „Schönes Blumenfeld“ von 1601, oder von Georg Rodolf Weckherlin, aber man meisterte die Form des Sonetts nicht. Erst Opitz gelang es, die Sonettform ins Deutsche zu transponieren. So wurde er der erste deutsche Petrarkist, und er hat die Einführung des „Petrarquiser, das ist / wie Petrarcha buhlerische reden brauchen“ (OBP, 36), auch als sein Verdienst angesehen. Er ist für die deutsche Literatur das, was Philip Sidney für die englische und Pierre de Ronsard für die französische waren: Wegbereiter des Petrarkismus. In seiner Dichtung finden sich alle petrarkistischen Motive wieder: der Schönheitskatalog, die Härtemetapher, der Liebeskrieg, die Schlaflosigkeit, die Flucht in die Natur oder der Selbstverlust.

Auch sein berühmtes Nachtgedicht „Jetzund kömpt die Nacht herbey“ steht in dieser Tradition. Es ist kein Naturgedicht, Nacht und Mondschein sind nur herbeizitierte Versatzstücke, das ganze Poem ist eine Liebesklage, die auf den Lobpreis der Geliebten zielt. Die Ingredienzien, deren sich Opitz hier bedient, stammen alle aus dem petrarkistischen Arsenal: Augen als Sternenlicht, die Geliebte als die lebenspendende Sonne. Unerlässlich ist der Witz, die Pointe am Schluss: wenn die Sonne der Geliebten leuchte, dann seien weder Sterne noch Mond nötig.

Sicherlich darf man nicht hinter allen diesen Liebesgedichten konkrete Liebeserlebnisse suchen. Andererseits ist es wohl auch nicht richtig, wenn man strikt zwischen Kunstform und Erleben trennt. Das Thema „Liebe“ spielte für Opitz auch im Leben eine nicht unwichtige Rolle, jedenfalls während seiner Studienzeit in Heidelberg, wie die von Christoph Coler verfasste lateinische Lebensbeschreibung von Opitz belegt. In Kaspar Gottlieb Lindners Übersetzung lautet der den Liebeseifer des Dichters leicht tadelnde Abschnitt:

Jedoch gleichwie grosse Geister ebenfalls auch fehltreten, und wie selten jemand auf den Helicon steiget, ohne daß er sich verirre und ausschweiffe; allso hat auch unser Opitz hierbey einen Fehltritt begangen, maassen er sich manchmal das schöne Geschlecht zu sehr einnehmen, und die lieblichen Gesänge der weiblichen Sirenen verführen lassen. Es ist dieses zwar ein Uebel, welches in der Jugend auch viele andre grosse Männer, und besonders die Dichter betroffen hat, die gemeiniglich rechte Meister in der Liebe sind; allein deßwegen verlange ich es nicht unstrafbar zu nennen. Ich gestehe vielmehr zu, daß es allerdings für einen Schandfleck der sonst auch noch so gutten Gemüthsart zu halten ist.7

Was immer mit diesen rätselhaften Worten gemeint war, jedenfalls bemühte sich Opitz angelegentlich, rasch aus Heidelberg fortzukommen. Früher meinte man, der Krieg sei dafür verantwortlich, nämlich die Truppen des spanischen Generals Spinola, die sich Heidelberg näherten. Aber Opitz schrieb am 1. September 1620 einem Bekannten, er teile die allgemeine Furcht der Bewohner Heidelbergs vor den heranziehenden Söldners Spinolas nicht. Ein anderes Motiv für seine rasche Abreise könnte auch seine Furcht vor den möglichen Konsequenzen seiner Liebes-Aktivitäten gewesen sein. Opitz verabschiedete sich von seiner Geliebten und trat als Begleiter eines dänischen Adeligen eine Reise über Holland nach Jütland an. In dem autobiographisch gefütterten Gedicht „Galathee“ spielt er selbst auf den Fluchtcharakter dieser Reise an. So ergibt sich eine petrarkistische Situation, an der dieses Mal die Geliebte selbst nicht Schuld trägt, sondern die Umstände:

Nun ich wollte gerne leiden

Was ich jmmer leiden soll;

Ja / mir were gantz so wol /

Wann ich dich nicht dörffte meiden:

Alle Trawrigkeit vnd Pein

Fühl ich nur von wegen dein.    (OWP, 328)

Ein Höhepunkt petrarkistischer Lyrik erreichte er in dem Madrigal „Ihr schwartzen Augen / ihr / und du / auch schwartzes Haar“.

Jhr schwartzen Augen / jhr / vnd du / auch schwartzes Haar /

Der frischen Flavien / die vor mein Hertze war /

Auff die ich pflag zu richten /

Mehr als ein weiser soll /

Mein Schreiben / Thun vnd Tichten /

Gehabt euch jetzund wol.

Nicht gerne sprech’ ich so / ruff’ auch zu Zeugen an

Dich / Venus / vnd dein Kind / daß ich gewiß hieran

Die minste Schuldt nicht trage /

Ja alles Kummers voll

Mich stündlich kränck’ und plage /

Daß ich sie lassen soll.

Ihr Parcen / die Ihr vns das Thun deß Lebens spinnt

Gebt mir vnd jhr das was ich jr / vnd sie mir gönnt /

Weil ich’s ja soll erfüllen /

Soll zähmen meinen Fuß /

Vnd wieder Lust vnd Willen

Auch nachmals sagen muß: