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Ernst-Marcus Thomas

Traumberuf Moderator

Ernst-Marcus Thomas

Traumberuf Moderator

Hinter den Kulissen der TV-Welt

Tectum

Ernst-Marcus Thomas

Traumberuf Moderator.

Hinter den Kulissen der TV-Welt

Tectum Verlag Marburg, 2015

ISBN 978-3-8288-6246-3

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter
der ISBN 978-3-8288-3532-0.)

Lektorat: Volker Manz

Fotografien Umschlag und Innenteil: © Timo Maczollek

Besuchen Sie uns im Internet

www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Für meine Mutter Rosemarie,
die mich auf meinem Weg immer unterstützt hat.

Inhalt

Kapitel 1
Zwischen Motivation und Desillusion: Ein Vorwort

Kapitel 2
»Rühren, rühren, rühren«.
Mit Hartnäckigkeit zum Erfolg

Kapitel 3
Wie kommt die Sendung zum Moderator?

Kapitel 4
Castings, Showreels, Agenturen

Kapitel 5
Produkt: TV-Moderator.
Strategische Überlegungen

Kapitel 6
Moderatoren, Mentoren und die Macht des Zufalls

Kapitel 7
Mit harten Bandagen:
Hinter den Kulissen des Fernsehgeschäfts

Kapitel 8
Wenn die Lichter ausgehen.
Von Karriereknicken und Neuanfängen

Kapitel 9
Event-Moderation

Kapitel 10
Möge die Übung gelingen.
Ein Wort zum Schluss

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Kapitel 1

Zwischen Motivation und Desillusion: Ein Vorwort

Liebe Leser,

darf ich gleich mit der Tür ins Haus fallen und euch das »Du« anbieten? Beim Schreiben dieses Buches stelle ich mir als Leser junge Moderatoren vor, die sich im Gestrüpp der TV-Landschaft manchmal verloren fühlen oder noch gar nicht wissen, wie sie den ersten Kontakt zu einem Sender überhaupt herstellen sollen. In meinen Seminaren bin ich mit jungen Nachwuchsmoderatoren immer per »Du«, und irgendwie schreibt es sich mit dem Du auch leichter. In meiner aktiven Zeit als Fernsehmoderator habe ich mir immer ein Buch gewünscht, das mich in Karrierefragen an die Hand nimmt – aber das gab es damals nicht, und ein solches Buch gibt es bis heute nicht. Also habe ich mich entschlossen, es einfach selber zu schreiben.

Jetzt liegt also »Traumberuf Moderator« vor euch. Ursprünglich wollte ich ein Fragezeichen in den Titel einbauen, denn so traumhaft ist der Moderatorenberuf nicht. Aber das Fragezeichen war dem Verlag zu »grüblerisch«, also haben wir es weggelassen. Und von außen betrachtet scheint es ja tatsächlich keinen Zweifel zu geben: Wer als Moderator vor der Kamera steht, der hat es geschafft, ist prominent, verdient Millionen, und die Villa in Potsdam ist gesichert. Zugegeben, auf einige Moderatoren mag das auch zutreffen. Für die wenigen Stars, die über Jahrzehnte große Fernsehshows moderieren. Aber das sind die Ausnahmen. Für den Großteil der TV-Moderatoren sieht die Realität anders aus. In einer Talkshow, die ich viele Jahre für einen Privatsender in Zürich moderiert habe, habe ich den Schweizer Schauspieler Stefan Gubser (»Tatort«) einmal gefragt, ob Schauspieler ein Traumberuf sei? Er hat sehr nüchtern geantwortet, dass Schauspieler nur für diejenigen ein Traumberuf sei, die sehr gut im Geschäft sind und folglich von ihrer Arbeit gut leben können. Aber das ist die Minderheit. Für die vielen Schauspieler, die auf das nächste Engagement am Stadttheater hoffen, die alle paar Jahre umziehen müssen, weil der nächste Vertrag sie an eine ganz andere Landesbühne führt, die im »Tatort« nicht einmal eine Statistenrolle ergattern und am Ende Taxi fahren, um ihre Miete zahlen zu können – für diese Schauspieler bleibt von dem Traum am Ende nicht viel übrig.

So ist es mit der Moderation auch. Wer gefragt ist, auf einer Erfolgswelle reitet, gerade perfekt in die Zeit passt und eine Sendung nach der anderen angeboten bekommt, hat sicher einen sehr schönen und auch traumhaften Beruf. Darf man eine tolle Sendung präsentieren, macht die Arbeit vor der Kamera viel Spaß, extrem viel Spaß sogar. Wenn man aber gerade nicht auf der Wunschliste der Programmdirektoren steht und um jedes Engagement kämpfen muss, dann wird der Beruf schnell zum Albtraum. So gesehen hätte ich das Buch auch »Albtraum-Beruf Moderator« nennen können. Mit Ausrufezeichen. Das hätte dann auf jeden Fall nichts Grüblerisches gehabt, wäre aber vielleicht etwas zu weit gegangen. Denn auch wenn ich in diesem Buch viele dunkle Seiten des TV-Geschäfts darstelle, so hatte ich selber doch viele, viele Jahre eine richtig gute Zeit mit sehr schönen Sendungen. Viele Jahre, in denen ich sehr gut im Geschäft war und für verschiedene Sender moderiert habe, was das Zeug hielt. Wenn ich nur an meine Zeit beim Kinderfernsehen zurückdenke, habe ich heute noch ein dickes Grinsen im Gesicht. Die Arbeit dort hat so unfassbar viel Spaß gemacht. Aber auch später, im Erwachsenenprogramm, habe ich mich teilweise sogar geschämt, für meinen Job vor der Kamera auch noch Geld zu bekommen. Und ich glaube, dieser Spaß hat sich in der einen oder anderen Sendung auch auf die Zuschauer übertragen.

Wieso habt ihr euch für dieses Buch entschieden? Ich nehme an, ihr möchtet gerne vor die Kamera, wisst aber nicht so richtig, wie ihr das anstellen sollt. Vielleicht steht ihr noch ganz am Anfang, oder ihr habt schon die ersten Schritte gemacht. Vielleicht kommt euch der ganze Fernsehzirkus auch wie eine Geheimloge vor, zu der man von außen keinen Zugang bekommt. So ging es mir auf meinem Weg auch oft. Wie gesagt: Einen Blick hinter die Kulissen in Kombination mit einem Karriereleitfaden – das gab es damals nicht.

TV-Moderatoren, die noch aktiv im Geschäft sind, geben ungern Insider-Informationen an den Nachwuchs weiter. Denn der Nachwuchs ist zugleich die junge Konkurrenz. Außerdem schwebt über allem die Angst, große Schwierigkeiten mit den Sendern zu bekommen, wenn man fröhlich und unverblümt die unglaublichen Geschichten ausplaudert, die sich hinter den Kulissen abspielen – man möchte ja gerne noch ein paar Jahre weiter moderieren. Meine große Zeit vor der Kamera liegt allerdings hinter mir, und deshalb kann ich ganz entspannt und ohne Angst dieses Buch schreiben.

Als Kopf vor der Kamera ist man manchmal ziemlich alleine und auf einsamem Posten. Ich hoffe, ich kann euch an der einen oder anderen Stelle inspirieren und euch Mut machen. An anderer Stelle muss ich euch hingegen eure Illusionen nehmen. Aber auch wenn die Hürden und Hindernisse, von denen ich schreibe, hoch sind und die Geschichten hinter den Kulissen, die ich persönlich erlebt habe, unerfreulich – lasst euch auf keinen Fall ins Bockshorn jagen. Ich schaue mit euch zusammen ganz realistisch auf diese Branche. Wenn ihr diesen Job vor der Kamera trotz aller Unwägbarkeiten unbedingt machen wollt, wenn ihr für die Arbeit brennt und es für euch keine Alternative gibt oder ihr euch partout keine vorstellen wollt, dann solltet ihr diesen Weg gehen. So habe ich es auch gemacht. Es gibt nichts Schlimmeres, als irgendwann im Rentenalter im Ohrensessel zu sitzen und zu denken: »Mensch, hätte ich damals doch …« Wenn ihr aber auch im Marketing, als Grafikdesigner oder als Tierarzt glücklich werden könnt, lasst die Finger von der Moderation.

Ich wollte schon mit 16 Moderator werden und konnte mir nichts anderes vorstellen. Also habe ich mich auf meiner alten Reiseschreibmaschine »Monica« von Olympia bei wirklich allen Sendern beworben, die es damals gab. Und von allen eine Absage bekommen. Im Laufe der Zeit auch mehrere, wenn ich einen zweiten oder dritten Brief geschrieben habe. Das macht keinen Spaß, kann ich euch sagen. Wenn ein Schreiner einen Bücherschrank verkaufen will, den keiner haben möchte, dann ist das auch bitter. Aber es geht nur um ein Möbelstück. Als Moderator seid ihr immer Schreiner und Bücherschrank zugleich. Die Ablehnung ist jedes Mal sehr persönlich.

Nur ein Redakteur sagte nicht gleich ab: Hanno Heidrich aus der Abteilung Hörfunk-Unterhaltung beim Hessischen Rundfunk. Er moderierte damals zusammen mit Elke Heidenreich im Radio die Talent-Show »KannIch Live«, zu der er mich nach Frankfurt einlud. Ich hatte meine erste Zusage, wenn auch nur eine kleine. Und Hanno Heidrich nahm sich alle Zeit, mir auch vor und nach der eigentlichen Sendung zu erklären, wie Radio eigentlich funktioniert. Ich hatte ja keine Ahnung und kannte Radio nur aus dem Radio. Nach der Reise nach Frankfurt schien das Eis gebrochen zu sein. Meine nächste Station: ein Schüler-Praktikum bei »OK Radio« in Hamburg, einem Sender, den es schon lange nicht mehr gibt. Da habe ich zwar nur Bänder zusammengeschnitten (damit wurde damals noch produziert), aber immerhin: Es war ein Anfang. Direkt nach dem Abitur war ich dann drei Monate Praktikant bei »Radio Hamburg«, und dort ließ mich »Morgen«-Moderator John Ment sogar live das Wetter lesen. John Ment macht den Job heute übrigens immer noch. Und nachts durfte ich im Studio üben und auf Kassette (die gab es damals auch noch) eigene Sendungen aufnehmen. Das wurde zwar alles nie gesendet, aber ich hatte das Gefühl, ein Teil der großen, weiten Medienwelt zu sein.

Schließlich habe ich nach dem Zivildienst mit 20 ein Zeitungs-Volontariat bei der »Augsburger Allgemeinen« ergattert. Eine gute Grundlage, für die ich heute immer noch dankbar bin. In einem Großteil der Absagen von den Sendern stand damals ja auch drin, ich solle doch erst einmal eine journalistische Ausbildung machen. Ich habe zwar überhaupt nicht verstanden, wozu das gut sein soll. Ich wollte doch als Moderator ganz groß rauskommen, wieso dann bitte eine journalistische Ausbildung? Heute bin ich froh, dass ich erst einmal bei der Zeitung landen konnte. Danach habe ich in München Theaterwissenschaft, Psychologie und Völkerkunde studiert und mir das Studium als Sprecher von lokalen Radiowerbespots im Augsburger Lokalfunk finanziert. Mit einem der Studio-Besitzer habe ich einen Deal gemacht: Ich spreche dir drei Spots umsonst und du produzierst mit mir eine Demo-CD fürs Radio. Ohne jegliche Moderationserfahrung habe ich eine Mini-Sendung mit dem Titel »Radio Larifari« gebastelt und mich damit bei hr3 in Frankfurt beworben. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, lautete die Betreffzeile: »Bitte entdecken Sie mich!«

Ob es an dieser eindringlichen Aufforderung lag, weiß ich nicht – jedenfalls bekam ich einen Brief und wurde zum Casting nach Frankfurt eingeladen. Plötzlich saß ich in einem riesengroßen Radiostudio, fand mich in einem Raum, in dem nichts stand außer einem Holztisch in der Mitte, der mit einem alten Teppich überzogen war – aus Schallschutzgründen. Und aus dem Tisch ragte ein einsames Spiralmikrofon heraus. Hinter der Scheibe: ein Techniker und der legendäre hr3-Chef Jörg Bombach, der mich nach dem Casting doch tatsächlich für die Abendsendung engagierte. Wohlgemerkt: ohne Radioerfahrung. Nach der Aufnahme bin ich dann zu Hanno Heidrich, der immer noch in der Hörfunk-Unterhaltung arbeitete und mein erster Mentor wurde. Über die Bedeutung von Mentoren in den Medien erzähle ich euch später noch ausführlich.

Ich war 23, und plötzlich war ich Moderator. Der Hessische Rundfunk bezahlte damals keine Unterkunft, also gab ich in der »Frankfurter Rundschau« eine Annonce auf: »hr3-Moderator sucht Zimmer«. Und so landete ich in der Nähe des Funkhauses am Dornbusch bei einer Dame, die ihr Bügelzimmer an mich vermietete. Klappbett hinein und fertig war mein Frankfurter »Stadtpalais«. Später zog ich dann aus dem Bügelzimmer direkt in die Bertramstraße, in der auch der Sender war, zu einem älteren Ehepaar und hatte hier sogar eine eigene kleine Wohnung mit separatem Eingang. Für 20 D-Mark die Nacht. Als ich hr3 nach vielen Jahren verließ, gab ich die Unterkunft an einen Kollegen weiter, der auch nicht in Frankfurt wohnte und dankbar für die neue günstige Bleibe war. Der Kollege erbte dann auch das Eincheckritual, das für mich viele Jahre zur Routine geworden war: Sonntagabend ging’s bei dem alten Ehepaar erst mal aufs 70er-Jahre-Sofa ins Wohnzimmer zu einem aufgeregten, bellenden Rauhaardackel. Man plauderte übers Leben, trank gemeinsam ein Gläschen Eierlikör, übergab die Miete, und dann war die Wohnung für die Sendewoche bezugsfertig und ich konnte am Montagmorgen in der Redaktion meinen Dienst antreten.

Ich habe für hr3 viele Jahre lang zunächst die Abendsendung und später den Nachmittag moderiert. Nicht unter meinem vollen Namen (den kann ich mir ja selber kaum merken), sondern unter meinem Kürzel EMT. Auf das Thema Künstlernamen komme ich später auch noch zurück. Und auch dazu, wie es dann vom Radio weiter zum Fernsehen ging.

Vielleicht noch eine Warnung vorweg: Dieses Buch ist sehr persönlich und in hohem Maße subjektiv. Zwar weiß ich aus Gesprächen mit Kollegen, dass es vielen anderen Moderatoren ähnlich ergangen ist wie mir. Und trotzdem berichte ich hier ausschließlich von meinen Erfahrungen. Wenn Agenten, Programmdirektoren und Redaktionsleiter, mit denen ich über die Jahre zu tun hatte, die Geschichten aus ihrer Sicht erzählen würden, dann klängen sie wahrscheinlich ganz anders. Ich nenne an vielen Stellen auch keine Namen: weder von Sendern noch von Verantwortlichen. Niemand hat etwas davon, wenn Redakteurin Klarissa von Klötenbeck vom Sender XYZ mit vollem Namen genannt wird. Die kennt außer ein paar Insidern sowieso niemand. Aber die Geschichten habe ich alle so erlebt, wie ich sie hier aufschreibe. Auf der anderen Seite habe ich im Laufe der Jahre selber auch Fehler gemacht. Jede Menge sogar. Ich habe mich deshalb entschlossen, am Ende von einigen Kapiteln meine Fehler zusammenzufassen und euch Hinweise zu geben, was ihr aus diesen Fehlern für eure Karriere lernen könnt.

Viel Spaß beim Lesen und vor allem:

Viel Erfolg bei eurem Weg vor die Kamera!

Euer EMT

Kapitel 2

»Rühren, rühren, rühren«. Mit Hartnäckigkeit zum Erfolg

Hape Kerkeling hat mir einmal auf die Frage, wie ich als Fernsehmoderator weiterkomme, diese alte Konditorenweisheit mit auf den Weg gegeben: »Junge, du musst rühren, rühren, rühren.« Er meinte damit, dass man als Moderator ständig am Ball bleiben muss. Besonders, wenn man noch keinen großen Namen hat wie Gottschalk oder Jauch. Hartnäckigkeit ist gefragt. Oft sehe ich junge, angehende TV-Moderatoren, die bei mir im Moderationsseminar waren, nach einem Jahr wieder. Und dann bin ich natürlich gespannt, was sich inzwischen alles getan hat. Es ist erschreckend, wie viele Leute mir dann antworten: »Ähm, ja, noch nichts. Ich will dann … also demnächst … irgendwann mal … meine Unterlagen zusammenstellen …« Leute, wenn ihr eure erste Bewerbung nach einem Jahr noch nicht abgeschickt habt, dann wird das in den nächsten Jahren auch nichts. Vermutlich wollt ihr in diesem Fall gar nicht so dringend vor die Kamera – und wahrscheinlich ist es dann auch besser, es ganz zu lassen. Also ran an die Buletten, oder frei nach Hapes Geheimrezept: ordentlich rühren. Ich selber hatte den Teig schon ordentlich durchgerührt, als mir Hape diesen Tipp gab.

Ich wollte mit 16 schon Moderator werden und hatte mich damals bei allen Sendern als großes Talent und frisches Gesicht beworben. Einen Großteil der Absagen von damals habe ich heute noch. Das ist ein ziemlich dicker Stapel. Schon damals war ich nicht der Einzige, der gerne Moderator werden wollte. Und im Nachhinein war mein Talent nicht ganz so groß und mein Gesicht mit 16 wohl noch etwas zu frisch. Etwas Lebenserfahrung sollte man als Moderator dann doch haben. Gleich ein ganzes Bewerbungsinferno veranstaltete ich damals bei Radio Bremen Fernsehen, ein Sender, der seinerzeit als Talentschmiede der ARD galt. Rudi Carrell hatte eine Show dort (»Rudis Hundeshow«), ebenso Margarete Schreinemakers (»Extratour«), und ein damals Mitte 20-Jähriger moderierte die Sendung »Total Normal«: Hape Kerkeling.

Dort wollte ich also hin, und ich bombardierte die Unterhaltungsredaktion in Bremen geradezu mit nervenden, handgeschriebenen Bewerbungen. Und zwar so lange, bis es TV-Redakteurin Birgitt Reckmeyer zu viel wurde. Sie schrieb mir, dass sie mich gerne bei mir zu Hause besuchen würde, um mit mir über einen möglichen Auftritt in einer neuen Talentsendung zu sprechen. Wir vereinbarten also einen Termin, an dem Frau Reckmeyer vorbeikommen wollte, um sich das vermeintliche Jungtalent etwas näher anzusehen. Als der große Tag kam, war ich ganz schön aufgeregt. Wie gesagt, ich war 16, und da ist es schon eine recht große Nummer, wenn eine Redakteurin vom Fernsehen zu einem nach Hause kommt. Sie fand den Weg tatsächlich, und wir plauderten in meinem Jugendzimmer über die Talentshow (die es gar nicht gab; das war nur ein Vorwand). Im Laufe des Gesprächs fiel Frau Reckmeyer ein, dass sie dringend zurück zu ihrem Auto müsse, in dem sie »etwas vergessen« hatte. Nach ein paar Minuten läutete es wieder an der Tür, und plötzlich sah ich nur noch helle Scheinwerfer: Herein kam nicht die TV-Redakteurin, sondern gleich zwei Kamerateams. Im Schlepptau: Hape Kerkeling und sein damaliger Sidekick Achim Hagemann samt Gitarre. Nicht für irgendeine neue Talentshow, sondern für »Total Normal« wollte man diesem jungen Kerl, der sich so hartnäckig wie selbstbewusst beworben hatte, mal auf den Zahn fühlen. Ich war mit der Situation völlig überfordert und brachte vor der Kamera, vor der ich so unvermittelt stand, keine zwei geraden Sätze heraus. So einfach, wie ich dachte, war das dann doch nicht. Und schon gar nicht, als mein großes Vorbild Hape Kerkeling plötzlich vor mir stand. Hape war wie immer total witzig. Ich hingegen, zum ersten Mal vor einer Kamera, war nicht nur völlig unwitzig, sondern auch extrem unlocker und geradezu unbeholfen. 16-Jährige von heute, die schon seit Jahren eine Show in ihrem eigenen YouTube-Kanal haben, würden sich darüber wahrscheinlich totlachen. Aber YouTube war damals noch Science Fiction. Mit zittrigen Händen führte ich dann noch einen Zaubertrick vor. Ich war als Teenager Hobbyzauberer und zeigte jetzt vor der Kamera, wie sich zwei Gummibänder durchdringen. Ein Trick von David Copperfield, der bei aller Aufregung sogar klappte. Und schon war der ganze Spuk vorbei und Hape wieder weg.

Die Szene ist bei »Total Normal« nie gesendet worden. Gott sei Dank! Und die Videokassette, die ich von der Aufnahme bekam, habe ich erst mal weggeschlossen. Quasi in meiner persönlichen Asservatenkammer. Das war vielleicht peinlich. Erst zwei Jahrzehnte später habe ich die Aufnahmen wieder hervorgeholt und einige Sequenzen in mein Showreel eingebaut. Ein Showreel ist ein Zusammenschnitt von Dingen, die man im Fernsehen schon gemacht hat oder gerne machen möchte. Sozusagen die Video-Visitenkarte des Moderators, die man für jede Bewerbung braucht. Dazu komme ich später noch in einem eigenen Kapitel. Auf jeden Fall war dieser kurze Auftritt meine erste Berührung mit dem Thema Fernsehen. Hape Kerkeling und die Redaktion luden mich und meinen besten Freund Holger dann zu einer Live-Sendung von »Total Normal« nach Bremen ein. Obwohl ich vor der Kamera gar nicht auftrat, war das schon aufregend, mal bei so einer Live-Sendung im Publikum zu sitzen. Nach diesen ersten Gehversuchen mit 16 hat es dann noch sieben Jahre gedauert, bis ich bei hr3 in Frankfurt meinen ersten Einsatz als Radiomoderator hatte. Und dann noch zwei weitere Jahre, bevor ich meine erste Kindersendung im Fernsehen moderieren durfte: »Philipps Tierstunde« beim damaligen SWF in Baden-Baden, dem heutigen SWR.

Vom Kinderfernsehen ging es später übers Regionalprogramm weiter ins Erste, wo ich mittags das »ARD Buffet« moderierte. Aber ich wollte mich gerne weiterentwickeln und schrieb Hape nach all den Jahren einen Brief. Ehrlich gesagt hatte ich gar nicht mit einer Antwort gerechnet, aber dann klingelte das Telefon – und Hape war in der Leitung. Ich fühlte mich sofort wieder wie mit 16 und brachte kaum einen Ton raus. Nicht nur, dass er noch wusste, wer ich war. Er hatte sogar verfolgt, welche Sendungen ich moderiert hatte. Kurze Zeit später war ich mit Hape Kerkeling in Düsseldorf zum Kaffee verabredet, um ihn persönlich um Rat zu fragen – über ein Jahrzehnt nach seinem Spontanbesuch für »Total Normal«. »Junge, du musst rühren, rühren, rühren.« Da sind wir wieder. So lange man nicht in der Liga der großen Moderatoren spielt, hört es mit dem Rühren leider nicht auf. Ein befreundeter Schauspieler erzählte mir einmal, wie er, nachdem er zwei Mal eine große Rolle ergattert hatte – unter anderem eine Episoden-Hauptrolle im »Tatort« –, immer dachte: »Jetzt geht’s los!« Und jedes Mal ging gar nichts los. Regisseure und Casting-Agenten hatte er mit seinen Auftritten nicht auf sich aufmerksam machen können. Das Telefon klingelte nicht; die Kasse auch nicht. Stattdessen musste er wieder zurück ans Stadttheater. Und danach als Barista an die Theke von »Starbucks«, weil das Geld nicht reichte. So ist es mit der TV-Moderation leider auch.

Es gibt sicher Fälle, in denen Moderatoren auf der Straße oder durch Zufall entdeckt werden und es dann gleich groß losgeht. Ganz ohne rühren. Quasi als Fertigteig aus der Tüte. Aber das sind Ausnahmen, und wie nachhaltig solche Karrieren sind, ist eine ganz andere Frage. Wenn ihr also davon träumt, ein Programmdirektor oder Headhunter wird schon irgendwann von alleine auf euer Talent aufmerksam, dann träumt weiter. Was ihr nicht selber in die Hand nehmt, wird auch nicht passieren.

Elizabeth Gilbert, Autorin des Bestsellers »Eat Pray Love«, der mit Julia Roberts in der Hauptrolle auch verfilmt wurde, hat in einem Vortrag einmal über die Zeit erzählt, bevor sie mit dem Schreiben Geld verdiente. Sie wusste, Schreiben ist ihre Berufung. Sie hatte ein fertiges Manuskript in der Schublade, nur weit und breit noch keinen Verlag, der es veröffentlichen wollte. Irgendwann wurde ihr klar, dass sie aufhören musste, auf ein Wunder zu warten. Es war nicht wahrscheinlich, dass der Chef irgendeines renommierten Verlages von sich aus die fünf Stockwerke ihres Apartments in New York hinaufklettern – ohne Fahrstuhl, versteht sich –, an ihre Tür klopfen und sagen würde: »Ich habe gehört, hier wohnt eine talentierte junge Autorin. Ich würde Sie gerne unter Vertrag nehmen.« Nein, sie musste selber aktiv werden und ihr erstes Buch verkaufen. Das war übrigens noch nicht »Eat Pray Love«. Das kam erst eine ganze Weile später. Manchmal muss man ziemlich lange durchhalten, bis der Erfolg kommt.

Schauen wir der Realität ins Kämpferauge: Eine Bewerbung bei einem Sender, einer Produktionsfirma oder einer Casting-Agentur reicht in der Regel nicht aus. Dort kommen so viele Bewerbungen von jungen Talenten auf den Tisch, dass ihr mit eurer Bewerbung wahrscheinlich untergeht. In dem Augenblick, in dem eure Mail oder euer Brief gelesen wird (falls die Sachen überhaupt gelesen werden), seid ihr auch schon vergessen. Die Vorstellung »Ich schicke dann mal eine Bewerbung, und dann wird das große Showangebot schon kommen« funktioniert leider nur ganz selten. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass ihr eine Absage bekommt oder die Sender gar nicht reagieren. In seinem lesenswerten Buch »Win the Crowd: Unlock the Secrets of Influence, Charisma and Showmanship« (William Morrwow Paperback 2006) schreibt der New Yorker Zauberkünstler Steve Cohen über den Umgang mit Absagen im Showgeschäft. Die erste Absage sei nicht das Ende, sondern der Anfang. Und zwar der Anfang für eine Beziehung zu demjenigen, der die Absage geschrieben hat. Mit dem Abschicken der Absage seid ihr sofort vergessen. Also heißt es nach einer gewissen Zeit: noch einmal anklopfen. Und noch einmal. Und plötzlich seid ihr nach der dritten Absage keine Nummer mehr aus einer anonymen Masse – ihr habt plötzlich ein Profil, und das kann dazu führen, dass ihr beim vierten Mal eine Einladung zu einem Gespräch oder zum Casting bekommt.