Bekenntnisse eines Redners: Oder die Kunst gehört zu werden

Bekenntnisse eines Redners: Oder die Kunst gehört zu werden

Scott Berkun

Die Informationen in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden. Verlag, Autoren und Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für eventuell verbliebene Fehler und deren Folgen.

Alle Warennamen werden ohne Gewährleistung der freien Verwendbarkeit benutzt und sind möglicherweise eingetragene Warenzeichen. Der Verlag richtet sich im wesentlichen nach den Schreibweisen der Hersteller. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten einschließlich der Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Kommentare und Fragen können Sie gerne an uns richten:

Copyright der deutschen Ausgabe:

1. Auflage 2010

Die Originialausgabe erschien 2009 unter dem Titel
Confessions of a Public Speaker bei O’Reilly Media, Inc.

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Übesetzung: Peter Klicman, Köln
Lektorat: Inken Kiupel, Köln
Korrektorat: Sibylle Feldmann, Düsseldorf
Satz: III-satz, Husby
Umschlaggestaltung: Monica Kamsvaag, Boston
Produktion: Andrea Miß, Köln
Belichtung, Druck und buchbinderische Verarbeitung:
Freiburger Graphische Betriebe, www.fgb.de

Dieses Buch ist auf 100% chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.

O’Reilly Verlag Balthasarstr. 81 50670 Köln kommentar@oreilly.de

Inhalt

Prolog

1. Die Legende vom nackten Publikum

2. Der Angriff der Schmetterlinge

Was zu tun ist, bevor Sie reden

3. 30.000 Dollar die Stunde

4. Vom Umgang mit schwierigen Räumen

5. Den Draht zum Publikum nicht verlieren

6. Bilder, die Sie nicht erwarten

7. Die Kunst, nicht zu langweilen

Bestimmen Sie das Tempo

Steuern Sie die Aufmerksamkeit (»Was sehe ich mir an und warum?«)

Spielen Sie Ihre Rolle: Sie sind der Star

Wissen, was als Nächstes kommt

Spannung und Entspannung

Beziehen Sie das Publikum ein

Sie sind Richter, Geschworener und Henker

Kommen Sie immer früh zum Ende

8. Lektionen aus meinen 15 Minuten Ruhm

Wir schauspielern die ganze Zeit

Teleprompter (und auswendig lernen) sind böse

9. Was die anderen sagen

Die hinterhältige Vorlesung des Dr. Fox

Warum die meisten Redner-Beurteilungen nutzlos sind

Der Redner muss zum Publikum passen

Direktes Feedback

10. Die Kupplung ist dein Freund

Warum zu unterrichten nahezu unmöglich ist

Wie man jedem alles beibringen kann

Aktiv und interessant

Beginnen Sie mit einer interessanten Einsicht

Reagieren Sie auf die Reaktion der Studenten

11. Bekenntnisse

I. Hinter den Kulissen

A. Die kleinen Tricks der Profis

Der »Vertrauensmonitor«

Die Countdown-Uhr

Die Fernbedienung

Verschenken Sie Dinge, um die erste Reihe zu füllen

Verstecken Sie Ihr Mikrofon (und tragen Sie ein Hemd)

Wir brauchen keine blöden Namensschilder

Arbeiten Sie für die Kamera

Rednerpult kontra Podium

B. Wie man argumentiert

Stille verleiht Nachdruck

C. Was tun, wenn Ihre Rede nicht rund ist?

Warum Ihre Rede schlecht sein kann

Sie halten sie zum ersten Mal

Sie sind eine Schildkröte auf Crack

Sie pflegen eine elaborierte Expression

Sie machen Sex langweilig

Sie arbeiten mit langweiligen Folien

Sie fürchten sich vor der Menge

Eine mittelgroße Liste kleiner Dinge

Kostenloses Feedback

D. Wenn etwas aus dem Ruder läuft

Sie wurden unterbrochen

Die Zuhörer starren auf ihre Laptops

Ihre Redezeit wird von 45 Minuten auf 10 Minuten beschnitten

Jeder im Raum hasst Sie

Ein Typ hört nicht auf, Fragen zu stellen

Es gibt eine ausladende Fragestellung, die keinen Sinn ergibt und drei Minuten dauert

Ihnen wird eine unmögliche Frage gestellt

Das Mikrofon geht kaputt

Ihr Laptop explodiert

Es gibt einen Schreibfehler auf einer Folie (neiiiin!)

Sie kommen zu Ihrer eigenen Rede zu spät

Sie fühlen sich krank

Die Zeit läuft Ihnen davon

Sie haben Ihre Folien nicht dabei

Die Veranstalter sind Kontrollfreaks

Es gibt ein Kleidungsproblem

Es sitzen nur fünf Leute im Publikum

Was tun, wenn Ihr Fall hier nicht beschrieben wird

E. Schlimmer geht’s nimmer

Spricht irgendjemand Georgisch?

Was tun, wenn das SEK-Team kommt?

Eine lustige Sache passierte auf meinem Weg zur Bühne

Todesfall

CEO-Demo ging schief

Zünden Sie nichts an

Vermeiden Sie überraschende Pornobilder

Schlafende Zuhörer

Im schlimmsten Fall erschießen wir Sie

Schieben Sie die Schuld nicht auf die Bahn

Sie arbeiten wo?

Gib auf die Folien acht

Warum man nicht gegen Bono ankämpfen möchte

Das werdet ihr niemals jemandem erzählen

Achte darauf, wo du dich hinsetzt

Schreiben Sie bitte eine neue Rede und halten Sie sie in fünf Minuten

Schau in den Spiegel

Wasserdicht hilft nicht

Warum man keine Vorträge in Kneipen halten sollte

F. Wie Sie diesem Buch helfen können: eine Bitte

G. Literaturempfehlungen

Kommentierte Bibliografie

Wie man Ängste und Ängstlichkeit überwindet

Wie man Geschichten erzählt

Wie man lehrt

Präsentationsdesign

Comedians studieren

Wie man als Redner seinen Lebensunterhalt verdient

Gewichtete Bibliografie

Weitere Quellen

H. Danksagungen

I. Bildnachweis

J. Über den Autor

K.  

Stichwortverzeichnis

Kolophon

Prolog

Dieses Buch ist eigenwillig, von persönlichen Erfahrungen geprägt und voller Enthüllungsgeschichten. Es kann sein, dass Ihnen das nicht gefällt. Einige Menschen sehen sich gern an, wie Wurst hergestellt werden, die meisten aber verzichten lieber auf diesen Anblick.

Obwohl alles in diesem Buch der Wahrheit entspricht und in dem Bestreben festgehalten wurde, nützliches Wissen zusammenzutragen, könnte es für Sie ungeeignet sein – nämlich, wenn Sie nicht immer gern die Wahrheit hören.

Dieses Buch wurde in dem Glauben geschrieben, dass die Welt besser und schöner wäre, wenn wir uns alle mehr Gedanken machten über das, was wir sagen, und wenn wir aufmerksamere Zuhörer wären.

Kapitel 1. Die Legende vom nackten Publikum

image with no caption

Ich befinde mich auf einem langen Flug von Seattle nach Belgien, und die Frau neben mir beginnt eine Unterhaltung. Obwohl ich mich hinter dem Buch in meinen Händen vergrabe, stecke ich nun in einer durchaus üblichen, manchmal aber doch unglücklichen Situation: der Unterhaltung mit einem Fremden, der ich mich nicht entziehen kann. Zwar kann es interessant sein, neben jemandem zu sitzen und sich gelegentlich mit ihm zu unterhalten, doch neben einem festzusitzen, der neun Stunden nicht aufhört zu reden, kommt meiner Vorstellung der Hölle recht nah. (Und man weiß erst Bescheid, wenn man die ersten Worte gewechselt hat – und dann ist es zu spät.) Da ich nicht unhöflich sein möchte, sage ich Hallo, woraufhin sie mich fragt, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Ich halt erst mal inne. Ich bin diesen holprigen Weg der Konversation schon oft gegangen. Ich habe zwei Antworten auf diese Frage, und beide sind ätzend.

Meine beste Antwort lautet, dass ich Autor bin. Ich schreibe Bücher und Essays. Doch sich als Autor zu bezeichnen, ist keine gute Idee, weil sich mein Gegenüber meist freudig erregt einem Dan Brown, John Grisham oder Dave Eggers gegenübersieht, einer Berühmtheit, von der man seinen Freunden erzählen kann. Sobald er dann weiß, dass ich einer von diesen Millionen unbekannten Autoren bin, von denen man noch nie gehört hat – und deren Bücher nicht als Blockbuster verfilmt wurden – macht sich ein Gefühl der Enttäuschung breit, die ein Rechtsanwalt, Klempner oder Aushilfskoch bei McDonalds nie erfahren hätte.

Meine andere Antwort, ich sei ein Redner, ist noch schlimmer. Wenn Sie sich als Redner bezeichnen, sieht man in Ihnen einen der drei folgenden unangenehmen Zeitgenossen:

  1. Einen Motivationsredner, der schlechte Anzüge trägt und zu viel schwitzt.

  2. Den Hohepriester irgendeines Kults, der gleich versuchen wird, einen zu seiner Religion zu bekehren.

  3. Einen arbeitslosen Single, der unten am Fluss in einem Wohnwagen lebt.

Ich mag es nicht, mich selbst als Redner zu bezeichnen. Professoren, Manager, Gelehrte und Politiker verbringen einen Großteil ihres Berufslebens damit, in der Öffentlichkeit zu reden, doch keiner von ihnen würde sich als Redner bezeichnen, und das aus gutem Grund. Öffentlich zu reden, ist eine Form des Ausdrucks. Sie reden über ein bestimmtes Thema, und welches Thema das auch sein mag, es lässt mehr Rückschlüsse auf Sie zu als die Rede selbst. Doch ich rede über die Dinge, über die ich auch schreibe, und das kann so ziemlich alles sein. Mich selbst als freischaffenden Denker zu bezeichnen – so nichtssagend sich das auch anhören mag –, wäre korrekt, doch wenn ich das sagen würde, hielte man mich garantiert für arbeitslos, was ich wohl auch denken würde, wenn das ein Fremder in einem Flugzeug zu mir sagte. Jedoch ist freischaffendes Denken der Grund dafür, dass ich im Flugzeug sitze. Ich habe meinen alten Beruf vor Jahren an den Nagel gehängt, zwei Bestseller geschrieben und wurde engagiert, um nach Brüssel zu fliegen und dort über Ideen aus diesen Büchern zu sprechen.

All das erkläre ich im Flugzeug meiner neu gewonnenen Freundin. Ihre erste Frage – eine, die ich an diesem Punkt der Unterhaltung häufig höre – lautet: »Wenn Sie einen Vortrag halten, stellen Sie sich dann Ihre Zuhörer nackt vor?« Sie meint es halb scherzhaft, beäugt mich aber auch kritisch. Sie will eine Antwort. Ich möchte gern sagen, dass ich das natürlich nicht tue. Niemand tut das. Man wird Ihnen niemals nahelegen, sich die Menschen nackt vorzustellen, wenn Sie in einem Vorstellungsgespräch oder beim Zahnarzt sitzen, und das aus gutem Grund. Nackt zu sein oder sich jemanden nackt vorzustellen, macht die Dinge nicht einfacher, sondern komplizierter, was mit ein Grund dafür ist, dass wir Kleidung erfunden haben. Obwohl es ein sehr schlechter Ratschlag ist, scheint er als allgemeiner Tipp für öffentliches Reden haften geblieben zu sein.

Ich habe viele Experten gefragt, und niemand wusste, wer diesen Rat als Erster gegeben hat, auch wenn einiges für Winston Churchill[1] spricht, der behauptet haben soll, es helfe ihm, sich das Publikum nackt vorzustellen. Doch er war auch bekannt dafür, jeden Tag eine Flasche Champagner und einiges an Brandy getrunken zu haben. Bei dieser Menge Alkohol muss man sich das Publikum möglicherweise nackt vorstellen, allein um wach zu bleiben. Wir Normalsterblichen (Churchill konnte erstaunlich viel Alkohol vertragen) werden keinen einzigen Profiredner finden, der uns den Rat gibt, sich jemanden nackt vorzustellen, oder vor der Rede Brandy zu trinken. Doch wenn Sie einem Freund erzählen, dass Sie wegen der Präsentation nervös sind, die Sie am nächsten Tag in Ihrem Job halten müssen, tauchen die nackten Menschen innerhalb von 30 Sekunden auf. Ich kann nicht erklären, warum. Es scheint, als würde ein schlechter Rat, der aber lustig klingt, besser haften bleiben als ein langweiliger guter Rat – ganz egal, wie sinnlos der lustige Ratschlag auch ist.

In Hunderten von Vorträgen auf der ganzen Welt sind mir all die gruseligen, tragischen und peinlichen Dinge passiert, vor denen man sich so fürchtet. Ich wurde von einem betrunkenen Publikum in einer Bostoner Bar in die Zange genommen. Ich habe in New York City einen Vortrag vor leeren Stühlen und einem gelangweilten Hausmeister gehalten. Mein Laptop ist vor einem Moskauer Auditorium heruntergefallen. Ein Mikrofon starb während einer Keynote in San Jose, und ich musste hilflos zusehen, wie die Pariser Manager, die mich angeheuert hatten, während meiner Rede im Konferenzraum einschliefen. Das Geheimnis, solche Ereignisse zu verarbeiten, besteht darin, zu erkennen, dass sie jeder vergisst, sobald sie geschehen sind – bis auf eine Person: ich selbst. Niemanden sonst interessiert es sonderlich.

Während ich dort oben rede, erinnere ich mich daran zurück, wie ich in der 25. Reihe des Auditoriums saß, oder in der Ecke eines Sitzungssaals oder in irgendeinem langweiligen Kurs an der Uni, und verzweifelt versuchte, nicht ins Tagträumen zu verfallen oder einzuschlafen. Die meisten Menschen, die gerade irgendwo auf der Welt einer Präsentation folgen, hoffen, dass die Sprecher bald zum Ende kommen. Mehr wollen sie nicht. Sie urteilen nicht so viel, wie Sie vielleicht denken, weil sie der Vortrag nicht so sehr interessiert, wie Sie vielleicht glauben. Das zu wissen, hilft enorm. Wenn es zu einer Katastrophe kommt, wenn etwas explodiert oder wenn ich stolpere und hinfalle, widmet mir das Publikum mehr Aufmerksamkeit, als ich 30 Sekunden zuvor hatte. Und solange mir mein Missgeschick nicht allzu viel ausmacht, kann ich die neu gewonnene Aufmerksamkeit nutzen und etwas Gutes mit ihr anfangen – was auch immer ich als Nächstes sage, das Publikum wird es garantiert nicht vergessen. Und wenn schon sonst nichts, liefert mein Missgeschick dennoch jedem im Publikum eine lustige Geschichte, die er weitererzählen kann. Die Lacher über diese Geschichte bringen der Welt mehr Gutes, als irgendetwas in meiner Präsentation (oder jedes anderen Vortrags an diesem Tag) wahrscheinlich hätte erreichen können.

Wenn also bei meinem nächsten Vortrag in Philadelphia meine Schuhe in Flammen aufgehen oder ich einige Stufen hinunterstürze und mit dem Gesicht voran im Gang lande, kann ich aus dem Geschehenen etwas Gutes herausziehen. Ich bin nun Teil einer Geschichte, die häufiger erzählt werden wird als alles, was in anderen Vorträgen in diesem Monat diskutiert wird. Die Geschichte wird immer besser und skandalöser, je häufiger sie erzählt wird, und irgendwann tauchen auch Betrunkene und Nackte darin auf. Und das Beste daran ist, dass ich das Recht habe, die Geschichte zu erzählen, wenn es zu einer kleineren Katastrophe kommt. Ich kann eine vermeintliche Katastrophe nutzen, um der nächsten zu entkommen: »Sie denken, das sei peinlich? Also, letztens in Philadelphia ...« Und weiter geht’s.

Wollen Sie gut in dem sein, was Sie machen, müssen Sie zuerst die Vorstellung von Perfektion über Bord werfen. Jedes Mal, wenn ich da oben stehe, weiß ich, dass ich Fehler machen werde. Und das ist okay. Wenn man untersucht, wie wir jeden Tag miteinander reden, und das gilt auch für Vorträge, sieht man, dass selbst die besten Redner Hunderte von Fehlern machen. Michael Erard, Autor von Um (Anchor), einer Studie über das Reden, hat (frei übersetzt) Folgendes anzubieten:

Sie [Fehler] treten durchschnittlich alle zehn Wörter auf ... Wenn man durchschnittlich 15.000 Wörter pro Tag spricht, sind das etwa 1.500 verbale Patzer täglich. Hören Sie sich aufmerksam zu, wenn Sie das nächste Mal etwas sagen. Sie st-st-stottern, Sie vergessen die Worte, Sie überschlagen sich (und wenn Sie schreiben, verdrehen Sie die Buchstbaen – und lssn se vllcht sgr wg). Ein Großteil dieser Fehler bleibt unbemerkt oder wird einfach beiseite geschoben, doch alle sind faszinierend, sowohl hinsichtlich der Gründe, warum man sie ignoriert, als auch, warum man sie bemerkt.

Wenn man sich Martin Luther King, Malcolm X oder Winston Churchill anhört und dann die unbearbeiteten Skripten dieser Reden ließt, findet man einige Fehler. Allerdings sind das Fehler, die wir üblicherweise ignorieren, weil wir bei gesprochener Sprache unglaublich viel verzeihen.[2] Sätze werden mittendrin abgebrochen und Satzteile wiederholt, doch wir korrigieren solche Fehler ständig in unseren Köpfen, und das gilt selbst für fanatische Redner. Solange die Nachricht ankommt, übersehen wir naturgemäß viele Dinge. Lincoln hatte eine schrille Stimme. Dale Carnegie einen Südstaatenakzent. Cicero hyperventilierte. Barbara Walters, Charles Darwin, Winston Churchill und sogar Moses stotterten, lispelten oder hatten andere Sprachstörungen, doch das war nicht das Ende ihrer Karriere, weil sie interessante Dinge mitzuteilen hatten. So oberflächlich einem öffentliche Reden erscheinen mögen, die Geschichte lehrt uns, dass Menschen mit klaren Ideen und starken Argumenten diejenigen sind, an die wir uns erinnern.

Ich weiß, dass ich die ganze Zeit über kleine Fehler mache. Ich kann es nicht verhindern. Abgesehen davon ist Perfektion bei einem Vortrag langweilig! Tyler Durden sagt irgendwo im Film Fight Club, er hätte aufgehört, perfekt sein zu wollen, weil der quälende Zwang zur Perfektion ihn daran hindere zu wachsen. Man nimmt Chancen nicht mehr wahr, d.h., man hört auf zu lernen. Ich möchte nicht perfekt sein. Ich möchte nützlich sein, ich möchte gut sein, und ich möchte nach mir selbst klingen. Perfekt sein zu wollen, steht diesen Dingen im Weg. Außerdem erinnern Fehler oder Stolperer an verschiedenen Stellen jeden wieder daran, wie schwer es ist, da vorne zu stehen. Fehler kommen vor – entscheidend ist aber, wie Sie Ihre Fehler ausbügeln, und da gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Vermeiden Sie den Fehler, keine Fehler machen zu wollen. Sie sollten hart daran arbeiten, alles über Ihren Stoff zu wissen, doch Ihnen sollte auch klar sein, dass Sie nicht perfekt sein können. Dann werden Sie nicht am Boden zerstört sein, wenn kleinere Dinge schiefgehen.

  2. Denken Sie daran, dass Ihre Reaktion auf einen Fehler die Reaktion des Publikums definiert. Wenn ich Wasser über meine Hose schütte und darauf reagiere, als würde die Titanic untergehen, sieht es das Publikum – und mich – als Tragödie. Doch wenn ich cool bleibe, oder, noch besser, wenn ich es lustig finde, sieht es das Publikum genauso.

Ein anschauliches Beispiel für einen meiner eigenen Fehler bietet die Keynote, die ich im März 2008 auf der Web 2.0 Expo vor 2.000 Teilnehmern hielt. Mir wurden zehn Minuten Redezeit zugestanden, und da man durchschnittlich zwei bis drei Wörter pro Sekunde spricht, sind das gerade einmal 1.500 Wörter (600 Sekunden × 2,5 Wörter pro Sekunde). Zehn Minuten klingt hart, aber viele große Reden der Geschichte waren wesentlich kürzer, einschließlich Lincolns Gettysburg-Rede und Jesus’ Bergpredigt. Es ist viel Zeit, wenn man weiß, was man sagen will. Ich bereitete meine Rede vor, übte sie ordentlich ein und erschien früh, um alles noch mal durchzugehen, bevor die Teilnehmer eintrafen. Die Technik-Crew zeigte mir die Bühne, das Rednerpult und die Fernbedienung zur Steuerung meiner Folien. Unter der Bühne stand eine Countdown-Kontrolluhr, die mir die verbliebene Zeit anzeigte. Nett.

Die Technik-Crew wies unerbittlich auf eine Tatsache hin: Die Fernbedienung besaß nur eine Vorwärts-Taste. Wenn ich zu einer vorherigen Folie zurück wollte, musste ich über das Mikrofon darum bitten. Ich hatte so etwas noch niemals zuvor erlebt. Alle Fernbedienungen lassen einen vor- und zurücknavigieren – warum um alles in der Welt sollte man auf eine Zurück-Taste verzichten? Ich habe niemals eine Antwort bekommen.[3] Doch weil meine Rede so kurz war und ich sowieso nur selten zurückblättern muss, irritierte mich das nicht weiter. Ich machte eine mentale Notiz, um nicht versehentlich die Taste der Kamikaze-Fernbedienung zu drücken. Ein Kinderspiel, dachte ich.

Während ich also hinter der Bühne stand, und dem letzten Redner vor mir (Edwin Aoki von AOL) zuhörte, sah ich die riesige Menschenmenge in der Dunkelheit. Pressefotografen und Filmteams knieten in den Gängen, leicht zu erkennen an Lichtreflexionen ihrer Linsen. Aokis Vortrag endete mit Applaus, und Brady Forrest, Mitveranstalter des Events, ging auf die Bühne, um mich anzukündigen. Ich war aufgedreht und bereit. Ich hatte geübt. Ich kannte meinen Stoff, ich hatte gute Ideen und lustige Geschichten. Ich war sicher, es würde großartig werden. Ich hörte meinen Namen, betrat die Bühne und hielt direkt auf das Rednerpult zu. Meine Augen hingen an der Fernbedienung, das Einzige, was ich brauchte, bevor ich anfangen konnte. Ich legte meine Finger sorgfältig auf die Seite der Fernbedienung, damit ich nicht versehentlich die Taste drückte (zu sehen in Abbildung 1.1). Schließlich war ich bereit, loszulegen.

Live auf der Web 2.0 Expo. Sie können die Kamikaze-Fernbedienung in meiner linken Hand erkennen.

Abbildung 1.1 Live auf der Web 2.0 Expo. Sie können die Kamikaze-Fernbedienung in meiner linken Hand erkennen.

Mein Gehirn kam auf Touren, und ich schaute über die Menge hinweg, um mich zu orientieren. Auf ihrem Weg zurück zur Mitte des Raums blieben meine Augen an der Kontrolluhr hängen, die eine Überraschung für mich bereithielt. Anstelle der von mir erwarteten 10 Minuten – den 10 Minuten, die ich geplant, vorbereitet und geübt hatte – blieben mir nur noch 9 Minuten und 34 Sekunden. Sechsundzwanzig meiner kostbaren Sekunden waren verschwunden.

Ich gebe zu, dass hier in der Behaglichkeit dieses Buchs, ohne Publikum und ohne Druck, 26 Sekunden nichts sind, worüber man sich beklagen müsste. Das reicht gerade mal, um sich die Schuhe zu binden. Doch in diesem Moment, in dem ich gerade loslegen wollte, war ich überrascht. Ich konnte mir nicht vorstellen, wo ich 26 Sekunden verschwendet hatte, (Später erfuhr ich, dass Bradys Vorstellung und mein Weg über die große Bühne dafür verantwortlich waren.) Und während ich versuchte, mir auf diese überraschende Zahl einen Reim zu machen, verstrich weitere Zeit. Mein Gehirn – nicht so klug, wie es zu sein glaubt – bestand darauf, direkt an Ort und Stelle, live auf der Bühne, Detektiv spielen und noch mehr kostbare Zeit verschwenden zu müssen. Ich weiß nicht, warum mein Gehirn das tat, doch es macht viele seltsame Dinge, die ich im Nachhinein ergründen muss.

In der Zwischenzeit schweife ich ab. Bla bla Innovation bla Kreativität bla. Ich bin normalerweise keine Plaudertasche, doch für 15 Sekunden kann ich über ein mir vertrautes Thema so plappern, dass es sich anhört, als würde ich nicht plappern. Das gab meinem Gehirn gerade genug Zeit, um seine sinnlose Untersuchung der Geschehnisse zu stoppen. Nachdem ich wieder konzentriert war, musste ich noch mehr Zeit aufwenden, um einen halbwegs eleganten Spagat zwischen meinem Geplapper und dem ersten Punkt des von mir vorbereiteten Materials hinzubekommen. Endlich wieder auf dem richtigen Weg, wenn auch eine ganze Minute zurück, drückte ich auf die Fernbedienung, um zur nächsten Folie zu springen. Doch ich hielt die Taste zu lang, und zwei Folien flogen vorbei.

Wir alle besitzen Reservetanks voller Kraft, die uns helfen, wenn etwas schiefgeht, doch hier waren meine Tanks leer. Ich hatte nicht den Mut, meine Rede zu unterbrechen und die Techniker über das Mikrofon – als würden man mit den Göttern da oben sprechen – zu bitten, zurückzugehen, hilflos wartend, während die Uhr immer mehr meiner kostbaren Zeit auffraß. Also drückte ich weiter, tat mein bestes und floh von der Bühne, als meine zehn Minuten abgelaufen waren.

Für mich war es ein Desaster. Ich fand nie meinen Rhythmus und konnte mich an den Großteil des von mir Gesagten nicht mehr erinnern. Doch als ich mit einigen mir bekannten Leuten aus dem Publikum sprach, entdeckte ich etwas sehr Interessantes. Nicht nur dass es keinen kümmerte, es wurde überhaupt nicht bemerkt. Das Drama spielte sich hauptsächlich in meinem Kopf ab. Wie es Dale Carnegie (frei übersetzt) in Public Speaking for Success[4] schrieb:

Gute Redner wissen, nachdem sie die Rede gehalten haben, dass es vier Versionen der Rede gibt: diejenige, die sie gehalten haben, diejenige, die sie vorbereitet haben, diejenige, die laut Zeitungen gehalten wurde, und diejenige, die sie im Nachhinein gern gehalten hätten.

Sie können sich das zehnminütige Video der Rede ansehen und sich selbst ein Urteil bilden.[5] Es ist keine tolle Präsentation, aber sie ist auch nicht so schlecht. Welche Fehler und Mängel es auch immer gibt, sie sind in meinem Kopf größer als in Ihrem. Mein Kampf auf der Bühne an diesem Abend lehrte mich eine Lektion: Verplane niemals die gesamte vorgegebene Zeit. Hätte ich nur für neun anstatt für zehn Minuten geplant, hätte mich die Uhr nicht interessiert, oder wie seltsam die Fernbedienung ist – oder wie lange es dauert, die Bühne zu überqueren.

Und häufig sind die Dinge, die den Sprecher verfolgen, das genaue Gegenteil dessen, was die Zuhörer interessiert. Sie wollen unterhalten werden. Sie wollen lernen. Und das Wichtigste ist: Sie wollen, dass Sie Ihre Sache ordentlich machen. Viele Fehler, die Sie während eines Vortrags machen können, ändern nichts daran, dass diese Wünsche erfüllt werden. Die Fehler, die Sie machen, bevor Sie Ihr erstes Wort sagen, sind von größerer Bedeutung. Dazu zählen solche Fehler, wie keine interessante Meinung zu vertreten, nicht klar über die eigenen Argumente nachzudenken und nicht über Möglichkeiten zu reflektieren, diese Argumente Ihrem Publikum zu vermitteln. Das macht den Unterschied aus. Wenn Sie herausfinden, wie Sie diese Dinge richtig machen, spielt alles andere kaum mehr eine Rolle.



[1] Ich habe über ein Dutzend Experten befragt, und obwohl keiner den Ursprung dieses Rats kannte, spürte Richard I. Garber eine Erwähnung in James C. Humess Buch The Sir Winston Method (Quill) auf, die Churchill damit in Verbindung bringt.

[2] Einige Redner sind formeller als andere, d.h., es gibt Beispiele für perfekte Reden (doch diese sind eher unüblich). Ich habe mir Greatest Speeches of All Time, Vol. I und Vol. II, angehört, und viele Reden unterstützen diese These.

[3] Für die Reden bei einigen großen Veranstaltungen werden mehrere Computer mit den gleichen Vortragsfolien eingerichtet, nur für den Fall, dass einer abstürzt. Damit das funktionieren kann, wird die Fernbedienung an dieses System angeschlossen und nicht mit einem der Computer verbunden. Daher die seltsame Fernbedienung.

[4] Public Speaking for Success (Tarcher), Seite 61.

[5] Im Video können Sie nach 84 Sekunden meinen Gesichtsausdruck sehen, als zwei meiner Folien vorbeifliegen: http://www.blip.tv/file/856263/.