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Nr. 52

 

Im Reich der Feuergöttin

 

von Horst Hoffmann

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Logghard, siebter Fixpunkt des Lichtboten und Ewige Stadt, hat auch am 250. Jahrestag der Belagerung allem standgehalten, was die Kräfte der Finsternis in einem wahren Massenangriff gegen die Bastion der Lichtwelt aufboten und ins Feld führten.

Somit haben die Streiter des Lichtes auf Gorgan, der nördlichen Hälfte der Welt, trotz des Debakels von Dhuannin und anderer Niederlagen gegen die vordringenden Heere der Caer eine gute Chance, sich auch weiterhin zu behaupten.

Mythor, der Sohn des Kometen, hat in der relativ kurzen Zeit, da er für die Sache der Lichtwelt kämpfte, bereits Großes vollbracht. Nun aber hat der junge Held nach seinem Vorstoß in die Schattenzone die nördliche Hälfte der Welt durch das Gorgan-Tor, das Tor zum Anderswo, verlassen.

Zahda, die Zaubermutter, nimmt sich des Bewusstlosen an, der durch das unheimliche Tor in den Ozean der Dämmerzone gespült wurde, die bereits zu Vanga, der Südhälfte der Welt, gehört.

Durch ein Gespräch von Geist zu Geist erfährt Zahda Mythors Geschichte – und die Zaubermutter beschließt, zu helfen.

Als Mythor aus magischem Schlaf erwacht, befindet er sich IM REICH DER FEUERGÖTTIN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mythor – Der Sohn des Kometen auf der Insel der Feuergöttin.

Oniak – Ein Opfer für die Feuergöttin.

Loana – Stammesmutter der Tau.

Mauni – Loanas Rivalin.

Solanga – Jägerin vom Stamm der Matu.

Prolog

 

In solchen Nächten wurden Hexen geboren.

Die Stürme peitschten Wasser und Land, trieben die Wogen in ewigem Strom, hin zum Tor ins Anderswo.

In solchen Nächten verbargen sich Menschen und Tiere, Geschöpfe des Dunkels und des Lichts. Schwarz war der Himmel, schwarz das Meer.

Zahda segelte hoch über der Barriere und antwortete der wie Finger zu ihr aufsteigenden, perlenden Gischt mit Blitzen. Mit einer Hand schleuderte sie Licht, mit der anderen gebot sie den Winden, die sie trugen, hinein ins Land ohne Namen.

In solchen Nächten erwachte das Böse.

Die Stürme zerrten an Zahdas Haar, rüttelten ihre Gewänder. Die Zaubermutter segelte im Zeichen ihres Mondes, unter ihr das sturmgepeitschte Meer, um sie herum die tobenden Elemente, vor ihr das Tor.

Denn es gab das Diesseits und das Jenseits, das Hier und das Anderswo, das Sein und Vergehen, das Jetzt und das Irgendwann.

So war es seit den Tagen von Hexe und Krieger, von Vanga und Gorgan, die einst die Welt gezeugt. So war es, seit Hexe und Krieger in Streit und Hader die Welt in zwei Bereiche teilten. Und so würde es sein, bis Vangas Töchter und Gorgans Söhne sich wieder die Hände reichten zur Besiegelung der neuen Eintracht. Bis dahin aber stand der Wall der Dämonen zwischen dem Hier und dem Dort.

In solchen Nächten wurden Prophezeiungen wahr.

Zahda kreuzte in zürnenden Winden, nur durch die Kraft der Magie geschützt, und sah das Tor von Gorgan, wo die Wasser in starkem Strang von hierhin nach dorthin flossen, in Nebeln so kalt wie der Tod.

Und sie schaute aus nach den Zeichen und Omen. Sie schleuderte ihre Blitze in die Dunkelheit, hoch aufgerichtet mit starrem Blick. Ihre Hände geboten der Finsternis, und sie sah.

Etwas trieb im nie versiegenden Strom am Tor, eine Gestalt, ausgespien und hilflos. Zahda ließ ihr Wohnboot sinken und fischte den Fremden aus dem Nass, und sie sah, dass er ein Mensch war.

Sie ließ sich von den Winden hoch in die Lüfte tragen, den Mann auf ihren starken Armen, und sie erkannte, dass er rein war, kein von Dämonen Gezeichneter.

In solchen Nächten wurde das Neue geboren.

Der Funke des Lebens glomm nur mehr schwach in ihm, der mehr war als nur ein Mann. Zahda blickte in den finsteren Himmel, und sie hörte fremde Worte, mit müder Zunge und letztem Atem hervorgebracht.

Da wiegte die Zaubermutter den Mann in magischen Schlaf, auf dass sie seinen Geist anrufen und ihm seine Geheimnisse entlocken konnte. Und ihr Entsetzen war groß, als sie vernahm, dass Kräfte am Werke waren, die sich anschickten, die Große Barriere niederzurennen und sich wieder auszubreiten über Vanga.

In solchen Nächten entschieden sich Schicksale, und Zahda erkannte, was sie zu tun hatte.

Sie wiegte den Mann in einen neuen Schlaf, den des Lernens und des Erfahrens und den des Wechselns von Ich zu Ich. Sie vollendete es und wickelte den Mann in Tücher, um ihn so erneut dem Meer und den Nebeln zu übergeben.

Zahda kreuzte über den ewigen Strömen und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

In solchen Nächten starben Helden – und neue wurden geboren.

(Aus den geheimen Gesängen der Zaubermütter von Vanga)

1.

 

Hunderte von Fackeln erhellten das Meer rings um das Totenboot, in dem Honga seine letzte Reise machte. Frauen und Männer von Tau-Tau begleiteten den Helden von der Küste der Dämmerung hinaus aufs offene Meer. Die Frauen standen aufrecht vorne in den Booten, während die Männer an den Rudern saßen und schwitzten. Mit lauter Stimme sang Loana, die Stammesmutter, die Klagelieder, und von Zeit zu Zeit fielen die anderen in die Gesänge ein. Die völlige Finsternis der Nacht war der Dämmerung des Tages gewichen. Hier, vor der Küste von Tau-Tau wie überall auf den Inseln der Dämmerzone, kannten die Menschen keine Sonne, keinen Mond und keine Sterne – nur das gelegentliche Aufblitzen der Himmelssteine.

Die Winde des Südens bliesen ins kleine, über das Totenboot gespannte Segel und trieben es weiter hinaus ins Nebelmeer. Loana stand mit ausgebreiteten Armen, wie um den wie ein Sarg geschlossenen Einbaum vor den Mächten zu schützen, die das Wasser beherrschten. Ihre Ruderer mussten Schwerstarbeit leisten, um das prächtige, mit Fetischen und Bannern geschmückte Boot der Stammesmutter auf gleicher Höhe mit dem toten Helden zu halten.

Je dichter der Nebel wurde, desto spärlicher drang das Licht der Fackeln von den anderen Booten herüber. Alle Bewegungen schienen sich zu verlangsamen, und selbst der Wind erschlaffte. Die Küste war längst nicht mehr zu sehen. Als der Wind vollends erstarb, hob Loana eine Hand, und die Gesänge verstummten.

Nur das Schlagen der Wellen war noch zu hören. Loana schwang ihre Fackel über dem Kopf, als wollte sie den Nebel durchteilen. Dann schleuderte sie das Feuer auf den pechgetränkten Sarg. Sie blieb dort liegen, und für Augenblicke war es so, als wehrte sich der Held noch im Tod dagegen, von den Flammen verzehrt zu werden. Doch schon leckten die roten Zungen über den Einbaum und hüllten ihn in einen unwirklichen Schein.

Loana gebot den Ruderern, das Schlagen einzustellen. Wie eine Statue stand sie da, ganz in ihre mit Fetischen behangenen dicken Felle gehüllt, die die klamme Kälte nicht völlig abhalten konnten. Links und rechts von ihr schälten sich Boote aus dem Nebel, und die Frauen der Insel blickten dem brennenden, schwimmenden Sarg nach, der langsam in der Ferne entschwand, bis auch der rötliche Schein nicht mehr zu sehen war.

Eine Weile herrschte Schweigen. Dann sagte Loana mit fester Stimme:

»Mögest du ins Reich der Helden eingehen und deinen Weg zu uns zurückfinden, Honga! Mögest du die Kraft mitbringen, die du brauchen wirst, um Ramoa zu besiegen und die schreckliche Gefahr von uns abzuwenden!«

»Selbst falls er zurückkehrt«, rief von einem anderen Boot eine Frau, »wird es zu spät sein, Loana! Ramoa hat sich gegen ihr eigenes Volk gewandt! Sie wird nicht eher ruhen, bis wir alle ausgelöscht sind!«

Ausgelöscht ...

Es gab keinen treffenderen Ausdruck für das, was die Insel und all ihre Bewohner bedrohte, solange die Feuergöttin am Leben war.

»Wir werden andere Helden erwählen und sie zum Feuerberg schicken«, verkündete die Stammesmutter. »Und wir werden warten auf jenen, den das Orakel uns verheißen hat!«

Damit gab sie den Ruderern das Zeichen zur Umkehr. Nur zwei Boote blieben in den Nebeln und der Stille zurück, um die Totenwache zu halten und auf die Rückkehr des Helden zu warten.

Helden, so glaubten die Tau, hatten mehrere Leben. Honga war dazu auserwählt worden, zum Vulkan aufzusteigen und die Feuergöttin zu töten, die die glühende Asche aus dem Leib der Welt nicht länger gegen die Feinde aus der Dunkelwelt, sondern gegen jene schleuderte, die zu beschützen ihre Aufgabe war.

Honga war unter allen Männern der Insel zum Helden bestimmt worden. Und als solcher würde er den Weg zurück finden – in welcher Gestalt auch immer.

 

*

 

Tau-Tau war eine der größeren Inseln der Dämmerzone, jenes Niemandslandes, das sich vom Reich der Dämonen bis hin zur Großen Barriere erstreckte, um deren Entstehung sich abenteuerliche Legenden rankten.

Die Tau wussten so gut wie nichts über Meer und Land jenseits der Barriere. Sie fragten auch nicht danach. Sie hatten genug damit zu tun, sich gegen die Schrecken zu behaupten, die ihre eigene kleine Welt für sie bereithielt. Tau-Tau maß etwa einen mal einen Vierteltagesmarsch. Der Feuerberg lag im Westen der Insel, umschlossen von einem breiten Wassergürtel. Zwischen ihm und dem Dorf lag ein breiter Streifen Dschungel, in dem es fleischfressende Pflanzen und monströses Leben gab, dem die Tau sich ebenso fernhielten wie dem Verbotenen Land im Süden, das nur unter ganz bestimmten Vorzeichen betreten werden durfte.

Der Tag war noch jung, als Loana aus ihrer Hütte trat und prüfend die Luft einsog. Es roch nach Schwefel und Feuer. Unwillkürlich blickte die Stammesmutter in die Richtung des Vulkans, dessen in stetes Glühen gehüllter Kegel selbst durch die ewige Dämmerung zu sehen war. Fernes Rumpeln kündete von Ramoas verderblichem Wirken.

Dann wendete Loana den Blick zum Meer. Alle Boote außer den beiden im Nebelmeer gebliebenen befanden sich auf Land. An diesem Tag wurde nicht gefischt. Die Frauen blieben in ihren Hütten oder beaufsichtigten die Arbeiten der Männer, deren bis zu fünfhundert Fuß lange Häuser zwischen den Hütten der Frauen lagen. Alle Gebäude ruhten auf hohen Pfählen, so geschützt vor dem garstigen Getier, das Spring- und Sturmfluten mit sich brachten.

Loana seufzte und machte sich auf den Weg zu Manea, der Orakelleserin des Stammes, die für die Zeit des Blutnebels eine Entscheidung über die Zukunft der Tau vorhergesagt hatte. Die Last der Verantwortung lag schwer auf Loanas Schultern. Als Oberhaupt aller Tau hatte sie allein die anstehenden Entscheidungen zu treffen. Über ihr stand nur die Göttin, die nicht länger zum Wohle des Stammes wirkte, ihr zur Seite die Weisen Frauen; von denen auch Manea eine war.

Ramoa musste sterben! Und noch bevor die Schwärze der Nacht die Tagesdämmerung erneut verschlang, sollte ein neuer Held bestimmt sein.

Loana schritt aus, suchte sich ihren Weg zu Maneas Hütte, vor der eine in den Untergrund gerammte Fackel niemals erlosch. Die Tau benötigten ihren Schein nicht, um zu sehen. Ihre Augen waren an das Halbdunkel gewöhnt. Ihre Ohren hörten das leiseste Geräusch, und ihre Nasen warnten sie vor Gefahr. Nichts war zu vernehmen als das Lachen und Weinen der Kinder in den Hütten und gelegentliche Befehle der Aufpasserinnen bei den Arbeitskolonnen, die an einem neuen Männerhaus bauten.

Manea erwartete die Stammesmutter in ihrer Hütte. Loana schlug die schweren Tücher zurück, die die Kälte bannen sollten und in die magische Symbole gewebt waren. Fetische bedeckten den gesamten Rahmen des Eingangs und lagen rings um die am Boden kniende Seherin ausgebreitet.

»Du kommst spät, Loana«, sagte Manea fast flüsternd, als sie kurz von den in einem Kreis vor ihren verschränkten Beinen liegenden kleinen Knochen aufblickte. »Spät, denn schon bald werden die Dinge in Fluss kommen, und auch du wirst um deine Würde zu kämpfen haben.«

»Ich bin die Stammesmutter!«, rief Loana aus.

»Und ich neige mein Haupt vor dir.« Maneas Blicke vertieften sich wieder in das Muster der Knochen, während Loana sich setzte. »Aber es werden andere kommen und deine Worte in Zweifel ziehen.«

»Wer?«, wollte Loana wissen. »Und wann?«

»Du kennst sie. Und es wird bald geschehen.«

Loana beugte sich ein Stück vor.

»Was sagt dir das Orakel, Manea?«

Die Seherin fuhr mit der flachen Hand über die Knochen und bedeutete der Stammesmutter, zu schweigen. Ihre Stimme war schwach, als sie sagte:

»An diesem Abend sollen die Weisen Frauen sich um dich sammeln, um einen neuen Helden aus den Männern zu erwählen. Dessen bedarf es nicht, Loana. Ich sah, dass Honga zu uns zurückkehren wird, noch ehe die Dämmerung der Finsternis weicht. Aber nicht alle werden in ihm den Helden erkennen. Hüte dich vor falschem Rat und falscher Freundschaft, und sei auf der Hut vor Verrat. Es gibt viele, die dich um deine Würde beneiden.«

»Das weiß ich«, entgegnete Loana ungehalten. »Was sagt dir das Orakel über die Abtrünnige?«

»Die Feuergöttin ...« Maneas altes, runzliges Gesicht umwölkte sich. Der Schein einer Kerze zauberte gespenstisch sich bewegende Schatten auf ihre eingefallene, bleiche Haut. So wie sie jetzt vor ihr saß, das lange, schwarze Haar in Strähnen und kraus bis auf die kraftlos wirkenden Schultern fallend und in ihrem dunklen, weiten Gewand, ließ sie Loana unwillkürlich an die Hexen denken, von denen es hieß, dass sie jenseits der Großen Barriere lebten und dort große Macht besaßen.

Doch auch das waren nur Legenden und Vermutungen, abgeleitet von den wirren Erzählungen jener, die sich in der Vergangenheit hierher ins Niemandsland verirrt hatten. Kein Tau hatte je eine Hexe gesehen. Vielleicht gab es sie auch gar nicht wirklich.

»Ich sehe die Feuergöttin nicht«, flüsterte Manea. »Es ist nicht anders als bisher. Etwas umgibt sie, das sie unerreichbar macht, das sie ...«

»Sie ist von Dämonen besessen!«, rief Loana aus. »Deshalb muss sie sterben. Wird sie das, Manea? Wird Honga, wenn er zu uns zurückkehrt, sie besiegen können?«

»Die Knochen geben keine Auskunft«, sagte Manea abweisend. Ihr Gesicht wurde noch verschlossener. Loana wusste, dass sie gehen musste.

Vor der Hütte atmete sie die frische Luft, die vom Meer her kam. Die Seherin war eine geachtete Frau, doch Loana war jedes Mal froh, wenn sie ihr den Rücken kehren konnte.

Honga würde zurückkehren, noch ehe die Nacht anbrach!

Dann musste sie ihn erwarten. Die Stammesmutter holte ein Dutzend Frauen aus ihren Hütten und begab sich mit ihnen zu den an der Küste liegenden Booten, während einige Jungfrauen das Heldenhaus für den Erwarteten herrichteten.

Im Westen spie der Vulkan sein Feuer hoch in den Himmel. Schwach glühende Aschewolken breiteten sich über dem Kegel aus, und glutflüssige Lava wälzte sich aus Nebenkratern hinab in den Ringsee, von wo zischend Dampfschwaden aufstiegen und die Luft mit Feuchtigkeit erfüllten. Loana hörte Schreie und sah eine der entfernteren Hütten lichterloh brennen. Asche regnete auf das Meer und den Strand nieder. Die Frauen suchten Schutz unter kieloben liegenden Booten, bis der Ausbruch vorüber war. Unter ihnen bebte die Erde. Die Schreie erstarben – auch die der Kinder, die nicht mehr aus der brennenden Hütte hatten gerettet werden können.

»Ramoa«, sagte Loana nur. Ihre Fäuste waren geballt. Ihre schmalen Augen versprühten Blitze.

»Sie hat die Macht, uns alle zu töten«, sagte Artea, die Jägerin. »Sie könnte es jetzt tun, in diesem Augenblick. Sie spielt noch mit uns.«

»Dann soll sie ihr Spiel weitertreiben, bis sie stirbt«, grollte die Stammesmutter. Ihre Stimme war nicht die einer Frau, die gerade 24 Sommer zählte, und auch der Überlebenskampf in der Dämmerzone hatte seine Spuren auf ihren scharfgeschnittenen Zügen hinterlassen. Loana zog ihre Felle über der Brust zusammen, als eine kalte Brise vom Meer herüberwehte. »Auch im Herzen des Feuerbergs ist sie nicht sicher vor einem wiedergeborenen Helden.«

Sie blickte sich unter den anderen Frauen um. Sah sie da nicht verhaltenen Widerspruch in ihren Gesichtern?

Unsinn!, dachte sie. Manea ist keine sehr gute Seherin. Und ich bin die Stammesmutter!

Sie begann die Auskunft des Orakels in Zweifel zu ziehen, als auch noch nichts geschehen war, als sich der Himmel im Osten verfinsterte und die Nebelschwaden dichter wurden. Sie verließ ihren Platz unter dem Boot und begann, unruhig am Strand auf und ab zu wandern. Die Wellen trugen den Geruch von Tang heran und schwemmten kleine Tiere an Land. Loana achtete darauf, keinem von ihnen zu nahe zu kommen, denn der Tod hatte viele Gesichter auf Tau-Tau.

Blutnebel – jener zwölfte Teil des Großnebels, in dem die Dämonen erwachten und ihre grausigen Kreaturen gegen die Inseln schickten. Noch rauschte es nicht am Himmel. Noch mochte Ramoa den fliegenden Tod von Tau-Tau fernhalten, um ihre eigenen Opfer nicht zu verlieren.

Loana lachte bitter und schickte sich an, wieder unter das schützende Boot zu kriechen, als sie die Stimmen vom Wasser hörte.

 

*

 

Sie brachten den Helden.

Aleda, die Gerberin, sprang aus dem Boot, das als erstes von den sechs Ruderern an Land gezogen wurde. Wie die Männer, trug sie schwere Stiefel, in deren Sohlen sich die Giftzähne der kleinen, überall im nassen Sand krabbelnden Ungeheuer bissen. Ein knöchellanges Fellgewand und ein Mantel schützten sie vor Kälte und dem Wind. Aleda drehte sich nur kurz zu Loana um, machte das Zeichen der Ergebenheit und half dann dabei, das zweite Boot an Land zu ziehen. Loana runzelte leicht die Stirn, als sie sie auf diese Weise Männerarbeit verrichten sah. Ihre ganze Aufmerksamkeit aber gehörte dem in Tücher gewickelten Fremden, den Aleda mit Guana, der Fischerin und Kommandantin des zweiten Boots nun behutsam an Schultern und Füßen packten und zu ihr und den anderen Frauen herübertrugen. Das Herz der Stammesmutter schlug wild. Sie musste an sich halten, um in diesem Moment nicht ihre Beherrschung zu verlieren und still stehenzubleiben, bis Aleda und Guana die reglos eingewickelte Gestalt vor ihren Füßen in den Sand legten, weit genug weg von den Wellen und dem, was sie aufs Land schwemmten.

Honga war in Tücher eingewickelt gewesen, bevor man ihn in den schwimmenden Sarg legte – in Tücher wie die am Leib des Fremden!

»Er ist es«, raunte eine von Loanas Begleiterinnen. »Der Held ist wiedergekehrt ...«

Und abermals musste die Stammesmutter ihre Gefühle bezwingen. Der Glaube an die Wiederkehr der toten Helden war so stark in ihr verwurzelt wie in ihren Stammesgenossinnen und ihren Vorfahren. Aber noch nie hatte sie es erlebt.