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Ingeborg Schober

Pop-Tragödien

Die spektakulärsten Fälle von den Beach Boys bis Nirvana

FUEGO

Über dieses Buch

Die Pop-Geschichte ist voll von Pop-Tragödien. Von Künstlern, deren Leben zwischen musikalischen Höhenflügen und persönlichen Katastrophen hin und her schwankte. Von Musikern, die an ihrem Erfolg, ihren Ängsten, ihren Drogen scheiterten.

Ingeborg Schober erzählt mit viel Insiderwissen die zehn spektakulärsten Fälle von den Beach Boys bis Nirvana. Der „Gott der 80er Jahre“, Falco, kommt dabei ebenso vor wie der in Vergessenheit geratene Begründer der elektronischen Musik Leon Theremin. Der anarchistische Punk Sid Vicious von der Sex Pistols steht gleichberechtigt neben der „singenden Nonne“ Soeur Sourire; die legendäre Sängerin von Velvet Undergound Nico wird ebenso porträtiert wie die Nicht-Sänger Milli Vanilli.

Die zehn packenden Stories zeigen die dunkle Seite der Glitzerwelt.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Leon Theremin - Die elektronische Odyssee

Soeur Sourire - Eine singende Nonne gerät aus der Bahn

Beach Boys - Bad Vibrations?

Nico - Zu viel Schönheit zerstört

Badfinger - Zwei Erhängte und ein verschwundener Sarg

Sid Vicious - Der Punk und seine Heroin-Queen

Falco - »Ich wünsch' mir kühne Träume und ein wildes Leben«

Nirvana - Kurt Cobain und seine erfolgreiche Witwe

Bob Geldof - LIVE AID und eine zerstörte Familie

Milli Vanilli - Superstars für zwei Jahre

Danksagung

Quellenhinweise

Über die Autorin

Über Fuego

Impressum

Vorwort

»If I swallow anything evil, put your fingers down my throat

and if I shiver, please give me a blanket,

keep me warm, let me wear your coat.

No one knows, what it's like to be the bad man

To be the sad man behind blue eyes...«

(»Behind Blue Eyes«, The Who – Limp Bizkit)

Die verflixte Siebenundzwanzig ist ein magischer Geburtstag für Popmusiker. Wer dieses Lebensjahr überstanden hat, ist vorerst auf der sicheren Seite. Ob Brian Jones, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison oder Kurt Cobain – und auch viele weniger bekannte wie Gram Parsons oder Pete Ham von Badfinger: Viele starben mit siebenundzwanzig und wurden zu Legenden, um die sich der Mythos der »viel zu früh Verstorbenen« rankt. Von ihnen weiß man, dass ihr Leben von Ruhelosigkeit und Leichtsinn, Hedonismus und Hyperaktivität, Lebensgier und Selbstzerstörung, von einem manischen-depressiven Auf und Ab geprägt war – und auch von der Unfähigkeit, mit dem Erfolg umzugehen. Manch einer lebte ein schnelles, exzessives Leben auf der Überholspur, weil er ahnte, dass ihm nicht viel Zeit blieb – und nicht umgekehrt. Nicht umsonst gestand Falco: »Meine Midlife-Crisis hatte ich mit Siebenundzwanzig.« Die Twenty-Somethings sind nicht erst seit der Generation X eine selbstmordgefährdete Altersgruppe.

Natürlich macht der frühe Tod die Tragödie noch tragischer. Doch wie tragische ein Leben sein kann, das fast ein ganzes Jahrhundert dauert, zeigt die verwickelte Lebensgeschichte des russischen Erfindergenies und Musikers Leon Theremin (1896 – 1993), der die elektronische Musik begründete und zum Spielball der Weltpolitik wurde. Oder das von Beach Boy Brian Wilson, der als Einziger des ganz und gar nicht surf-fröhlichen Familien-Clans nach jahrelangen Therapien einen Weg fand, sich mit seinem Ich zu versöhnen. Und welche Ironie des Schicksals, wenn Nico, nach weitgehend gelungener Drogentherapie, wegen eines Hitzschlags vom Fahrrad fällt und stirbt.

Ich wollte ein Jahrhundert Pop-Geschichte erzählen, anhand von Tragödien, die auch die jeweilige Zeit und Gesellschaft reflektieren. Manche sind an zeittypischen Tabus gescheitert, der Doppelselbstmord von Soeur Sourire und ihrer Freundin hat mit der Stellung von Kirche und Religion in den frühen 1960er Jahren zu tun. Milli-Vanilli-Mitglied Robert Pilatus wiederum war der gnadenlosen »Hinrichtung« in den heutigen Medien nicht gewachsen, Sid Vicious und Nancy Spungen, die glücklosen Kinder der No-Future-Generation, saßen dem Mythos der Punkbewegung auf. Die zehn Geschichten dieses Buches bilden einen Bogen von 1896 bis 2004 und einige dieser Künstler wie die Beach Boys, Nico, Falco oder Kurt Cobain beeinflussen bis heute die Popmusik.

Manche Geschichten gehen in diesem Buch da weiter, wo sie in anderen aufhören, wie nach der Abblende im Film. Bisweilen sind bis über den Tod hinaus mehrere Schicksale miteinander verknüpft. Die Überlebenden werden posthum in die Tragödie mit hineingezogen (wie etwa die Kinder von Badfinger) oder profitieren sogar davon (wie etwa die Cobain-Witwe Courtney Love). Und die Biografien greifen ineinander, denn die Pop-Welt ist ein in sich geschlossener Kosmos, ein Stromkreislauf, in dem auch negative Energien weiterwirken und andere tangieren. Die Wege der Stars kreuzen sich oft zufällig und nach Ablauf eines Lebens gibt es gleich mehrere Opfer.

Etliche Schicksale stehen exemplarisch für andere: Die Beach Boys etwa sind genau so eine Familiengruppe wie die Jackson Five, von denen der unglückselige Michael Jackson nach einer langen Kette von Erfolgen und Skandalen nur noch unter Dauermedikation leben konnte und schließlich genau daran sterben musste – ehrgeizige und künstlerisch gescheiterte Eltern trimmen ihre Kinder ohne Rücksicht auf deren Psyche zum Star-Ruhm. Auch die gnadenlose Vermarktung von naiven Musikern wie Badfinger oder Reißbrett-Gruppen à la Milli Vanilli durch gerissene Geschäftemacher mit Dollarzeichen in den Augen wiederholt sich immer aufs Neue.

Die Ursache der Konflikte, die zur Tragödie führen, liegen bei fast allen in der Kindheit und einer unstillbaren Sehnsucht nach Liebe. Wenn der Lebenszug entgleist, ist meist auf die eine oder andere Weise die Liebe schuld, die Sucht nach Liebe, falsch verstandene Liebe, Selbstliebe und Selbsthass – und das ewige, oft zwanghafte Buhlen um Anerkennung. Ruhm, Geld und Drogen sind nur das Beiwerk, die Faktoren, die das Drama erhöhen und ihm im Gegensatz zum Scheitern Normalsterblicher Glamour verleihen. Die größten Helden versagen im Alltag und im Privatleben, siehe den fast heilig-gesprochenen Spenden-Apostel »Sir« Bob Geldorf, der mit seiner Eifersucht in seiner Familie eine Tragödie auslöste. Oder der zutiefst empfundene Verrat wie bei Falco, dem ein »Kuckuckskind« untergeschoben worden.

Natürlich gäbe es noch mindestens dreißig weitere, ähnliche Schicksale zu erzählen, aber eben ähnliche; auch sie gingen um Liebe, Drama, Kunst und Wahnsinn. Meine Auswahl ist bewusst eine subjektive, die auf mehreren Kriterien basiert. Deshalb spielte dabei nicht unbedingt Bekanntheitsgrad oder künstlerischer Stellenwert eine Rolle, sondern eine Lebensgeschichte, die nicht nur die Musikwelt bewegte. Ich wollte Pechvögel auf der schiefen Bahn des Lebens zeigen, die unter einem schlechten Stern geboren oder zum Spielball des Schicksals geworden waren und die bis heute die Gemüter erregen. Manche kennt kaum einer wie Leon Theremin (aber viele kennen seine Nachfolger wie Moog); manche sind fast vergessen wie Badfinger (im Gegensatz zu ihrem Welthit »Without You«); andere sind so noch nie erzählt worden wie etwa das Vorleben von Milli Vanilli. Einige der Stars, deren trauriges Ende ich hier schildere, habe ich persönlich kennengelernt, mit Falco oder Bob Geldorf etwa habe ich lange Gespräche geführt.

In letzter Zeit wird der Begriff »Wahrheit« im Zusammenhang mit Enthüllungsbüchern reichlich überstrapaziert, wobei das Wort Wahrheit allein nicht auszureichen scheint und mit Attributen wie die »goldene«, die »ganze«, die »ultimative« verstärkt wird. Aber die Wahrheit über schillernde Stars ist und bleibt eine trügerische. Die meisten haben ab einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Karriere ein Image-gerechtes Leben mit vorfabrizierten Biografien und medientauglichen Lebenslügen gelebt. Was ist also die Wahrheit? Selbst die intensivsten Recherchen bringen eines nicht zutage – die bitteren und schäbigen Momente des Todes, in denen sie alle mit ihrer Verzweiflung und ihren Ängsten alleine waren.

»What a wicked game to play to make me feel this way

What a wicked thing to do to make me dream of you

What a wicked thing to say you never felt this way

What a wicked thing to do to make me dream of you

No, I don't wanna fall in love (this world is only gonna break your heart)

… Nobody loves no-one.«

(»Wicked Game«, Chris Isaac)

Ingeborg Schober

Leon Theremin

Die elektronische Odyssee

Lev Sergeyevich Termen: *1896 - †1993

Nur wenige haben die Popkultur des 20. Jahrhunderts so nachhaltig beeinflusst wie Professor Leon Theremin. Und vermutlich hat keiner einen höheren Preis dafür bezahlen müssen wie das russische Genie. Was wir heute als elektronische Popmusik von Synthi-Pop bis Techno kennen, wäre ohne den begabten Cellisten Leon Theremin und sein elektro-akustisches Ätherwellengerät nicht denkbar. Seit den 1960er Jahren, seit der Pionierzeit der elektronischen Musik, nennt man sein Instrument - den Therminvox oder Aetherophon - einfach Theremin. Sein schicksalhaftes Leben war mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dem Kommunismus und Kapitalismus, den beiden Großmächten Russland und USA auf tragische Weise verknüpft. Und es war abenteuerlicher, als es sich jeder Hollywood-Autor für eine James-Bond-Folge auszudenken vermag. Theremin war ein musikalischer Held - und ein Spion.

Theremin wurde am 15. August 1896 als Lev Sergeyevich Termen in St. Petersburg geboren. Seine Vorfahren stammten von den rebellischen Albigensern aus Frankreich ab, die sich im 13. Jahrhundert dem Papst widersetzten. Viele flohen nach Russland, wo sich die Gruppe Theremin nannte, im übertragenen Sinn »die Reinigung der Seele«. Unter jenen, die 1793 nach St. Petersburg kamen, waren Rebellen, Mönche, Priester, Künstler und Philosophen. Viele nahmen ein schreckliches Ende in Kriegen, Aufständen, durch Hinrichtungen, waren Flüchtlinge mit einem harten Schicksal, eines, das sich auf seltsame Weise für Lev wiederholen sollte. Sein Großvater war Physiker am Hof des Zaren, sein Vater Sergei Emilievich Theremin ein angesehener Anwalt, die adelige Mutter Yevgenia Antonova Orzhinskaya, polnisch-russischer Herkunft, galt als Liebhaberin der Musik und der Künste. Das Familienwappen bestand aus Lilien und einer Krone, einem Schild, auf dem die Insignien von Jesus Christus von zwei Olivenzweigen gekrönt wurden. Das mittelalterliche Motto der französischen Vorfahren stand auf einem Band: »ne plous, ne moeins« - »nicht mehr, nicht weniger.« Lev wuchs wohl behütet im zaristischen Russland auf, die Eltern, die jüngere Schwester Helena Sergeyevna und die Großeltern lebten in einer noblen Fünfzimmerwohnung in der Nicolayevska Straße 50 in St. Petersburg. Lev war sehr wissbegierig und an mechanischen Dingen interessiert. Oft stöberte er mit seinem Vater auf dem Flohmarkt und konnte mit sieben Jahren bereits dessen goldene Uhren reparieren. Vor allem aber faszinierte ihn das neue Phänomen Elektrizität. Er bekam Klavierunterricht und lernte mit neun Jahren auch das Cello. Er liebte Musik, aber die ewige Überei nervte ihn, weil er nicht ausdrücken konnte, was in ihm vorging: »Mir wurde klar, da klaffte eine Brücke - zwischen der Musik selbst und der Reproduktion von ihr - ich wollte beides verbinden.« Diese Vision sollte einen Großteil seines Lebens bestimmen. Der begabte Gymnasiast durfte im Schullaboratorium experimentieren, richtete sich zuhause ein eigenes, kleines mit optischen Apparaturen ein und im Gemüsegarten des elterlichen Sommerhauses ein Observatorium. Dort entdeckte er mit 15 Jahren einen neuen Stern, womit er die Astronomische Gesellschaft beeindruckte. 1914 schloss Lev das Gymnasium mit der Silbernen Medaille ab und begann ein Doppelstudium: das eines Physikers und Mathematikers und das eines Cellisten am Konservatorium von St. Petersburg.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde St. Petersburg 1914 zu Petrograd und 15 Millionen junge Männer wurden eingezogen. Der renommierte Professor Ioffe bewahrte Lev vor seinem Fronteinsatz. So kam er an die Militär-Ingenieurs-Schule in Petrograd und wurde zu Kriegszwecken auf dem Gebiet der noch jungen Radiotechnik vereinnahmt. Mit der Abdankung von Zar Nikolaus II. am 15. März 1917 und der Oktoberrevolution kamen die Bolschewiki und ihr Führer Lenin an die Macht und die Hauptstadt wurde nach Moskau verlegt. Lev, der wegen seiner adeligen Abstammung nun ein Volksfeind war, überlebte die Kriegswirren als Radiotechniker der Roten Armee und Ingenieur und Konstrukteur eines Volkskommissariats für Post und Telegrafie. Prof. Ioffe heuerte ihn für das neu gegründete Polytechnikum an, eine Geheimeinrichtung für militärische Forschung und Entwicklung. Solange es nach Lenins Wünschen lief, hatten sie dort nichts zu befürchten. Lev experimentierte mit Röntgenaufnahmen, Hypnose, atomaren und molekularen Strukturen.

Bei seinen Studien über elektromagnetische Wellen zum Zwecke der Weiterentwicklung des Radios fand er heraus, dass der menschliche Körper wie eine Antenne funktioniert, wenn er in ein radiomagnetisches Feld gerät. Kunstinteressiert wie er war, machte er aus diesem »Nebenprodukt« seiner Arbeiten das erste funktionstüchtige, elektronische Musikgerät, das ohne Tastatur arbeitete - quasi eine reale Variante der »Luftgitarre«. Das futuristisch anmutende Instrument Aetherophon war monophon, also nur in der Lage, einen Ton zur selben Zeit zu spielen. In den Höhen klang es wie die Nachahmung einer Geige, in den Tiefen eher wie ein Cello.

Im November 1920 präsentierte Lev Termen seine Erfindung bei einem Konzert, ein Jahr später meldete er das russische Patent dafür an. Im März 1921 wurde er zu einer Privatvorführung für Lenin in den Kreml gebeten. Lenin, der schon 1918 gesagt hatte, dass die Elektrizität Gott ersetzen würde, dass die Bauern sie anbeten sollten, »denn sie werden die Macht der Obrigkeiten durch sie zu spüren bekommen, mehr als die Macht des Himmels«, wollte den begabten Techniker kennenlernen. Lev: »Ich hatte Angst, aber er war ein netter, kleiner, freundlicher Mann - er hat mich wie einen Sohn behandelt.« Lev führte auch seinen »elektrischen Wachmann« vor, ein Alarmsystem, das losging, wenn man sich dem geschützten Gegenstand näherte. Lenin gab daraufhin eines seiner Lieblingsbonmots zum Besten: »Sozialismus ist Sowjetmacht plus Elektrizität.«

Lev Termen ging in Lenins Auftrag auf Propagandareise durch die Sowjetunion. Zum Auftakt der Tournee organisierte er ein ambitioniertes Programm mit Tanz, Musik und Licht - ein Vorläufer späterer Multimediashows - und die Presse nannte ab da das Aetherophon »Termens Stimme« oder einfach nur Termenvox.

Nach Lenins Tod am 21. Januar 1924 wurde Stalin der neue Machthaber und die Zustände im Land verschlechterten sich noch mehr. Lev hatte seinem Studienfreund Alexander Pavlovich Constantinov einen Job im Institut besorgt und kümmerte sich um die seit der Oktoberrevolution verarmte Familie. Alexanders Schwester Katia verliebte sich in ihn. Sie heirateten am 24. Mai 1924 und zogen zu Levs Eltern. Im September bekam Lev eine Patentnummer für seinen Termenvox und sein Alarmsystem wurde inzwischen in Hochsicherheitszonen eingesetzt wie etwa in der Staatsbank Gosbank und dem GOHRAN. Dort lagerten Tonnen beschlagnahmter Kirchengüter aus Gold, Silber, Diamanten und Juwelen.

Das Fernsehen befand sich damals im Frühstadium und wurde zu Levs neuem Forschungsgebiet. Gleichzeitig baute Prof. Ioffe bei Auslandsreisen kommunistische Kontakte im Ausland auf. Deutschland schien nach dem 1. Weltkrieg besonders gut für diese Operation geeignet. Ioffe verkaufte deshalb Termens Patente auch an M. J. Goldberg und Söhne GmbH in Berlin, die die Sowjetunion mit medizinischem Gerät belieferte. 1925 wurde Lev Termen auf seine erste Berlinreise geschickt. Er reichte dort in der amerikanischen Botschaft die schriftliche Bitte um ein Patent in Amerika ein und nannte sich fortan Leon Theremin. Stalin erkor den Kosmopoliten, der Französisch und Deutsch sprach, zum künstlerischen Diplomaten, der mit seinem Termenvox und einer Künstlertruppe das Ausland bereisen und um Sympathie für sein Land werben sollte. Damit er sich nicht absetzen würde, musste Ehefrau Katia als Faustpfand zuhause bleiben. Theremin trat in Berlin, Frankfurt, London und Paris auf, lernte Künstler und Wissenschaftler kennen. Er war ein Showman, der gern Prominente für Fotos vor den Apparat lockte, die ihn ausprobieren durften. In der englischen Presse hieß es, er habe für seine Erfindung in Amerika die Summe von 50.000 Dollar angeboten bekommen. Die befristeten Visen für Amerika wurden am 25. November 1927 für Theremin und seinen Geschäftspartner Goldberg ausgestellt. Vor der Amerikareise durfte Katia zu ihrem Mann nach Paris, der bereits im März für weitere London-Konzerte zurückkehren sollte.

Leon Theremin kam am 20. Dezember 1927 an Bord der »Majestic« in Ellis Island, New York, an. Interessanterweise hatte er sich als »Single« in den Bordpapieren eingetragen. Es waren die wilden Zwanziger Jahre und in den New Yorker Jazzkneipen pulsierte das Leben. Alle wollten sich amüsieren, über die Stränge schlagen, Neues ausprobieren. Für Theremin war das aufregend und inspirierend und das optimale kulturelle Klima für seine musikalischen Visionen. Eine kommunistische Zeitung in Amerika beschrieb ihn damals so: »Er sieht wie ein Junge aus, groß, schlank, hellbrünettes Haar, schmaler Schnurrbart, blaugraue Augen, ein Künstler- und nicht Wissenschaftlergesicht ...«. Da noch keine sowjetische Botschaft in den USA existierte, schlug er sein Hauptquartier im Hotel Plaza Annex auf. Nach seinem Auftritt in der Metropolitan Opera am 31. Januar 1928 wurde er bei Berühmten, Wissenschaftlern und Exil-Russen herumgereicht, gab bei der Firma RCA eine Privatvorführung für deren Ingenieure und Mitarbeiter. Inzwischen waren seine Erfindungen, das Alarmsystem und der Theremin, in den USA patentiert und Rudolf Wurlitzer sponserte eine Amerikatournee.

Im Mai bat er das Polytechnikum in Russland schriftlich um eine zwei- bis dreimonatige Verlängerung seines USA-Aufenthalts, seine Frau sollte per Schiff nach New York kommen. Mittlerweile hatte er 30 Musikschüler und gab, den amerikanischen Kommunisten zuliebe, am 21. Juli ein Konzert für 25.000 Arbeiter im Coney Island Stadium mit einer Balletttruppe, die orientalische und russische Tänze aufführte. Dabei spielte er Musik von Wagner, Tschaikowsky, Meyerbeer und Rubinstein. Katia traf eine Woche später mit einem begrenzten Besuchervisum in New York ein. Doch das Verhältnis der beiden hatte sich abgekühlt, und als Katia einen Job in New Jersey bekam, zog sie dort alleine hin.

Denn Leon Theremin hatte sich in die junge, begabte und schöne Cellistin Clara Reisenberg verliebt, die sich während der politischen Unruhen in Russland mit ihrer älteren Schwester Nadia nach Europa abgesetzt hatte. 1928 lernte sie über die russische Gemeinde Theremin kennen und besuchte ihn im Plaza Hotel. »Ich traf diesen faszinierenden Mann und hörte in der Luft diese ätherischen Klänge. Er war so charmant und interessant.« Fast noch mehr faszinierte sie aber das Instrument Theremin und sie beherrschte es auf Anhieb wie von Geisterhand. Zu ihrem 18. Geburtstag überraschte sie Theremin mit einer magischen Torte. »Es war eine Geburtstagstorte mit elektrischen Kerzen, die sich nach dem Theremin-Prinzip von allein zu drehen begann, wenn ich näherkam. Und dann feierten wir im Ritz. Er liebte elegante Plätze.«

Ende der 1920er Jahre erlebte die Börse einen ungeahnten Höhenflug, selbst das einfache Volk war im Aktienfieber. Die RCA-Aktie stieg allein in diesem Jahr von 85 Punkten auf 420, die Firma baute 500 Exemplare des sogenannten RCA-Theremin. Er kostete 129,85 Dollar, denn das Ziel war »ein Theremin in jedem Haus, für jedermann, als gängiges Hausmusikinstrument«. Entsprechend irreführend war die RCA-Werbung, die dem Käufer suggerierte, der Apparat würde wie eine Art Musikbox auf Handbewegung irgendein gewünschtes Musikstück spielen. Leon Theremin lernte die Gesetze der freien Marktwirtschaft schnell - zu schnell - und sah sich schon als reicher Mann. Er verkaufte separate Patentverträge in aller Herren Länder und verlor bald den Überblick über seine Verträge, Vorschüsse, Beteiligungen, Tantiemen und Optionen. Eine besondere Bedeutung bekam ein Geschäftsunternehmen von ihm in Panama, damals eine der wichtigen Operationsbasen eines kommunistischen Spionagerings, um amerikanische Militäreinrichtungen in der Kanalzone zu infiltrieren. Theremins Firma transportierte sensible Papiere nach New York. Ein riesiges Firmengeflecht entstand mit Bankkrediten, in das viele Mitglieder der kommunistischen Partei involviert waren. Sie betrieben wiederum Konten, über die sie durch komplizierte Transaktionen die Gelder zu Spionagezwecken lenkten. Doch der überhitzte Börsenmarkt stand kurz vor dem Zusammenbruch, der »Schwarze Freitag« am 25. Oktober 1929 sollte Unmengen von Firmen und Kleinaktionäre in den Konkurs treiben und eine weltweite Wirtschaftskrise auslösen. Die offizielle Einführung des Gerätes Theremins am 23. September 1929 auf der Radio World's Fair in New York war von Theremin her also denkbar ungünstig, auch wenn das »Instrument der Gefühle«, wie sein Erfinder es nannte, erst einmal als Novität Furore machte.

Anfang 1930 begann Theremin ein sonntägliches Radioprogramm, bei dem er meist persönlich live spielte, klassische Stücke von Chopin bis Rachmaninow. Das legendäre Ziegfeld Theatre mit seinen berühmten Tänzerinnen studierte eine Theremin-Nummer ein, auch die Marx Brothers führten kurzfristig einen Sketch damit auf. Hollywood-Stars wie Charlie Chaplin schafften sich einen Theremin an und die ersten 78er-Platten erschienen mit dem Theremin als Hauptinstrument. Es hielt überall Einzug - auf Schulparties, in Clubs, Theatern, in der Kirche, bei großen Festen, Umzügen und Benefizbällen. Theremin träumte nach wie vor von einem reinen Theremin-Orchester und trat mit einer neunköpfigen Truppe als Ten Victor Theremins im April 1930 in der Carnegie Hall auf.

Trotz seines ersten Tantiemen-Schecks war der Erfinder Ende 1930 so gut wie pleite und verschuldete sich immer mehr. Denn inzwischen kämpfte RCA ums Überleben, das Gerät verkaufte sich nicht und Vorläuferpatente anderer Erfinder und Musiker zogen kostspielige Rechtsstreitigkeiten nach sich. RCA fror Theremins Gelder komplett ein. Das Ehepaar Lucie Bigelow Rosen - sie Gesellschaftsdame und Studentin in Theremins Orchester, er ein Anwalt und Bankier - wurden seine Mäzene, als sie in Theremins Hotel Erfindungen wie das drahtlose Mikrofon entdeckten. Sie boten ihm eines ihrer Stadthäuser in Manhattan für eine niedrige Miete an. Im Dezember 1930 eröffnete er in dem vierstöckige Gebäude an der 37th West 54th Straße sein »Theremin Studio«.

Lucie Rosens Ambition war es, in Theremins Haus einen Salon einzurichten, einen Treff für Avantgarde-Künstler, und bald gingen Musiker wie Tommy Dorsey, Benny Goodman, Glenn Miller und George Gershwin aus und ein. Theremin gründete mit Musikern und Tänzern ein experimentelles Multimedia-Ensemble für ähnlich funktionierende, elektronische Saiteninstrumente, die allein durch Bewegungen elektronische Musik- und Lichtimpulse auslösten. Auch Clara Reisenberg gehörte dazu. Der Erfinder hatte eine Drehscheibe für Tänzer entwickelt, das sogenannte Terpsitone. Darauf stehend sollten sie mit der kleinsten Fingerbewegung Musikimpulse auslösen, doch es erforderte solche Körperkontrolle, dass es kaum einer schaffte. Beryl Campbell, damals Tänzerin in seinem Ensemble, dazu: »Er versuchte mithilfe unserer Körper eine Melodie zu kreieren. Schon wenn man einen Finger bewegte, veränderte man den Sound. Schwierig.«

Theremins Visum wurde zwar zum achten Mal verlängert, doch er musste Erfolge vorweisen, denn im Kreml interessierte man sich nicht für künstlerische Experimente, sondern für gute Auslandsgeschäfte. Er war gezwungen kommerzielle Dinge zu erfinden und deshalb ständig auf der Suche nach dem Goldenen Ei. Viele Ideen waren unausgegoren, aber sehr visionär, wie etwa die drahtlose Schreibmaschine, mit der man über lange Distanzen Botschaften verschicken konnte, also eine Art Faxgerät, ein portables Fernsehsystem, sogar die Idee eines Vorläufers des Internets und der elektronischen Post gehörten zu seinen Projekten. Nach der Entführung und Ermordung von Charles Lindberghs Baby im März 1932 entwickelte er unter anderen einen Babyalarm, ein Einbruchsalarmsystem für Läden und Heimtresore, die automatische Tür, elektronisch gesteuertes Spielzeug, eine impulsgesteuerte Schaufensterbeleuchtung, einen Metalldetektor, eine Sprinkleranlage, Verkehrswarn- und Autopilotsysteme für Autos, Züge und Schiffe, die alle auf dem Prinzip der unsichtbaren, elektromagnetischen Lichtschranke basierten. Für alle Erfindungen gründete er mit verschiedenen Geschäftspartnern diverse Firmen. Die US-Regierung beauftragte ihn mit einer Alarmanlage für amerikanische Gefängnisse, zuerst für das ehemalige Militärgefängnis Alcatraz Island bei San Francisco, später erarbeitete er ein Sicherheitssystem für das Sing Sing Gefängnis in Ossining, New York.

1933 heiratete Clara zu seiner großen Enttäuschung den Anwalt Robert Rockmore, den sie seit ihrem 14. Lebensjahr kannte. Im Jahr darauf eröffneten in Washington und New York die sowjetischen Botschaften und ab da stand Leon Theremin ständig unter Beobachtung russischer Agenten. Jede Woche musste er sich in einem schäbigen Café an der Fifth Avenue mit zwei Konsulatsangestellten treffen. Sie nötigten ihn, schon frühmorgens Wodka zu trinken. »Ich fand heraus, dass man nicht so schnell betrunken wird, wenn man vorher reine Butter schluckt. Ich habe bis zu einem halben Pfund davon hinuntergewürgt.« Man zwang ihn zur Industriespionage, »es ging um Flugzeugbau, doch die meisten Informationen waren fast jedem zugänglich, also nicht wirklich geheim.«

1935 bewarb sich die achtzehnjährige, farbige Kunststudentin Grace Lavinia Poole Williams für das neu gegründete American Negro Ballet. Sie kam aus Philadelphia, hatte irisch-afroamerikanische Vorfahren, sprach sechs Sprachen und war sehr belesen. Sie hatte seit ihrer Kindheit Ballettunterricht und bekam ein Stipendium an der New York Art Students League für Malerei und Aktzeichnen. Der Ballettgründer Von Grona befasste sich mit dem Terpsitone und Lavinia schaffte es einigermaßen, damit umzugehen. Leon Theremin verliebte sich in sie. Anfang 1938 beschlossen Lavinia und Leon heimlich zu heiraten: Er war 41, sie 21. Die Sowjets waren einverstanden, also wurden in der Botschaft die Papiere für die Eheschließung ausgestellt, nicht aber im Standesamt von New York registriert. Damals bekam ein Ausländer durch eine Ehe nicht automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Doch die Ehe stand von Anfang an unter einem ungünstigen Stern. Gemischtrassige Ehen waren im damaligen Amerika ein absolutes Tabu und viele Freunde und Gönner wandten sich von Theremin ab. »Ich habe ihn unendlich geliebt«, so Lavinia, »er war ein so begabter Mann ... und er hatte diese wundervollen, blauen Augen.« Später erklärte Theremin, er und Lavinia hätten auf Kinder verzichtet, denn sie wären amerikanische Staatsbürger geworden, »und ich träumte davon, in die Sowjetunion zurückzukehren«. Der Gedanke, in Amerika endlich die Zelte abzubrechen, war verlockend. Theremins Zeit in Amerika war geborgte Zeit auf ein auslaufendes Visum. Er war ins Visier des FBI geraten und war längst vom Kapitalismus enttäuscht, kämpfte mit enormen Finanz- und Steuerproblemen und hatte Heimweh. Zur gesellschaftlichen Ächtung wegen seiner Ehe mit Lavinia kam auch, dass die Rosens nicht mehr auf ihre Mietrückstände warten wollten und ihn baten, das Haus zu räumen.

Die Nachrichten aus Moskau wiederum klangen auch nicht beruhigend. Einige Freunde von ihm waren als »Verräter« hingerichtet worden, Stalin herrschte mit stählerner Hand. Doch Theremin hatte die Hoffnung, dass er als Träger amerikanischer Industriegeheimnisse problemlos in seinen alten Job bei Prof. Ioffe im Polytechnikum zurückkehren könnte. Was ihm fehlte, war nicht nur das Geld für die Heimreise, sondern absurderweise ohne gültige Papiere auch ein offizieller Weg. Ersteres beschaffte er sich durch ein Geschäft mit den Rosens, die für 10.000 Dollar eine Genehmigung für den Bau der Theremin-Geräte zu Privatzwecken erwarben und als einzige über seine geplante Ausreise eingeweiht waren. Letzteres regelte der russische Geheimdienst, der seine Agenten mit gefälschten Papieren auf eigenen Frachtschiffen ein- und ausschmuggelte. Die Mitreise seiner Frau Lavinia hatte man jedoch abgelehnt, sie sollte später folgen. Deshalb dachte sie, die »zu ihrem eigenen Schutz« nicht in seine Pläne eingeweiht war, automatisch an eine Entführung, als am Donnerstag, den 15. September 1938 Theremin zu Hause von einer Eskorte von Männern abgeholt wurde. »Ich war im Studio, als sie kamen, um ihn nach Russland zu bringen. Er bat mich, ihm nicht zu folgen, und ich sollte auch nicht versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen.« Theremins New Yorker Freunde waren über sein Verschwinden schockiert, denn mit ihm waren auch alle Geräte, Instrumente, Pläne und Papiere verschwunden.

Sein Abreisetermin war wohl kein Zufall, denn an diesem Tag wurden die Schlagzeilen von den weltweit dramatischen, politischen Veränderungen beherrscht. Alles sah nach einem 2. Weltkrieg aus. Viele Schiffsreisen nach Europa wurden abgesagt, die Passagen storniert. So pompös und glamourös Theremins Ankunft in New York gewesen war, so still und geheim war sein Abschied und so enttäuschend seine Ankunft in Leningrad.

Es war nicht mehr die Stadt und das Land, das er verlassen hatte. Er war in die Falle gegangen. Fast alle seine alten Kontakte waren in Ungnade gefallen, verschleppt, verschollen, getötet. Wer noch da war, stand unter strenger Überwachung und musste mit dem gleichen Schicksal rechnen. Für sie alle war Leon Theremin ein heißes Eisen, er bekam keine Arbeit, hatte kein festes Zuhause. Der NKWD, Vorläufer des KGB, hatte ihn längst in seinen Fängen. Am 10. März 1939 wurde Theremin vom Geheimdienst verhaftet und kam in das berüchtigte Moskauer Gefängnis Butyrka. Sein ganzes Hab und Gut wurde beschlagnahmt. »Ich wurde Tag und Nacht verhört«, es gab Foltermethoden wie Schlafentzug und Hunger. Ohne Prozess wurde »Lev S. Termen als Mitglied einer konterrevolutionären Vereinigung« zu acht Jahren Konzentrationslager im schlimmsten GULAG, das es gab, verurteilt, in Kolyma, Magadan, in der Tundra, wo 400.000 Gefangene unter unmenschlichen Umständen in der Goldmine schufteten. Er hatte Glück im Unglück, dass er im Straßenbau und nicht in der Mine beschäftigt wurde, wo manche nur ein paar Monate überlebten. Zu seinem Erstaunen befanden sich fast alle Mitglieder der Leningrader und Moskauer Philharmoniker unter den Gefangenen, mit denen er bald für die Aufseher Konzerte organisierte: »Wir spielten Ravels ›Bolero‹.«

1940 wurde er nach Moskau zurückgebracht und arbeitete fortan in einer Art Luxusgefängnis mit anderen Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern an Geheimprojekten für das Militär. Nachdem am 22. Juni 1941 Hitler die Sowjetunion überraschend angriff, wurde Theremin dem Team seines Ex-Professors Ioffe unterstellt, der an der Entwicklung einer russischen Atombombe arbeitete.

In den USA versuchten die Freunde um Clara Rockmore vergeblich, den verschollenen Erfinder ausfindig zu machen. Theremins Noch-immer-Ehefrau Lavinia trat mit der renommierten Katherine Dunham Company in den Filmen »Stormy Weather« und »Carnival Of Rhythm« auf und hatte alle Hoffnung aufgegeben. »Ich dachte, er wäre seit Jahren tot, und das war sehr schwer für mich.« 1948 heiratete sie ihren langjährigen Verehrer Shannon Yarborough, bekam die Töchter Sharron und Sara und eröffnete eine Kinder-Tanzschule in Brooklyn. 1953 wurde sie nach Haiti eingeladen, um mit der National Folklore Troupe zu arbeiten, und gründete dort das Haitianische Institute Of Folklore And Classic Dance. Ihr Mann folgte ein Jahr später, aber die Ehe ging schief. Sie ließen sich scheiden, blieben jedoch ein Leben lang gute Freunde.

Es war eine unglaubliche Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet in diesen dunklen Jahren Theremins, als der Physiker in Russland als verschollen galt, sein Instrument in Hollywood Furore machte. Es begann mit dem Hitchcock-Thriller »Spellbound«, für den der Filmkomponist Mikos Rozsa einen Oscar bekam. 1945 setzte Rozsa den Theremin erneut für Billy Wilders »The Lost Weekend« ein. Und Regisseur Robert Siodmak verwendete ihn für die Musik zu seinem Film »The Spiral Staircase«. Unzählige folgten wie »The Fountainhead«, »Impact«, »Devil Weed«, »Let's Dance« oder »The Day The Earth Stood Still«. Die irrwitzigste Szene dazu lieferte der US-Komiker Jerry Lewis in seinem Film »Delicate Deliquent«.

Unter den Langspielplatten, die mit Theremin-Musik erschienen, war das Album von Harry Revel/Leslie Baxter »Perfume Set To Music« mit Platz 7 in den Billboard-Charts besonders erfolgreich. In den 1990er Jahren erlebte der Theremin in Musik und Film eine wahre Renaissance: Die überirdischen Töne geisterten durch die Soundtracks der Science-Fiction- und Katastrophenfilme von Roland Emmerich und Steven Spielberg, in »Ed Wood« war er ebenso zu hören wie 1996 in »Mars Attacks«. Bands wie Portishead, Père Ubu, Tesla oder Ex-Talking-Head David Byrne bedienten sich daraufhin ebenfalls des exotischen Instruments.

Während man ihn im Westen für tot hielt, entwickelte Theremin für Stalins Geheimdienst die größte Waffe des Kalten Krieges - die »Wanze«. Sie wurde in der amerikanischen Botschaft in Moskau getestet, später wurden damit unter anderem Gespräche von Churchill mit Roosevelt und Eisenhower abgehört. Der Professor wurde dafür mit dem Stalin-Preis, der höchsten Auszeichnung des Landes, geehrt und am 27. Juni 1947 zum freien Mann erklärt, aber seine Akte war damit längst nicht geschlossen. Der Preis beinhaltete 20.000 Dollar und eine Zweizimmerwohnung in der Moskauer Wohnsiedlung Leninsky. Doch sein Pass galt nur für Moskau, er durfte weder nach Leningrad reisen noch offiziell Post bekommen. Seine Familie hatte seit 1938 nichts mehr von ihm gehört. Auch ansonsten war die Freiheit trügerisch: Er bekam keine Arbeit, seine musikalischen Forschungen waren ihm untersagt. Deshalb kehrte er freiwillig zum Geheimdienst zurück. Auch die Bitte, endlich seine Frau Lavinia einreisen zu lassen, wurde abgelehnt. Stattdessen legte man ihm eine neue Ehe mit einer Frau aus der Organisation nahe. Er entschied sich für die jüngste und hübscheste, die sechsundzwanzigjährige Maria Feodorovna Guschina. Am 24. Juni 1948 wurden die Zwillingsschwestern Helena und Natalia geboren und seine kränkelnde Frau verließ die Organisation.

Nach Stalins Tod am 5. März 1953 kam Chruschtschow an die Macht. Theremin musste sich erneut anpassen, um zu überleben. Der NKWD, der mittlerweile zum MWD umbenannt wurde und seit 1954 KGB hieß, blieb weiterhin sein Arbeitgeber. Obwohl Theremin am 14. Oktober 1957 völlig rehabilitiert wurde, durfte er sich weder mit seiner Familie in Verbindung setzen noch bekam er seine Zeugnisse, Unterlagen und Papiere. Damit war er eine anonyme Person ohne Chancen auf ein eigenständiges Leben - und er wurde weiterhin beschattet. Da seine Erfindung, die Wanze, die schlimmste Krise des Kalten Krieges zwischen Amerika und der UdSSR ausgelöst hatte, war nun auch der amerikanische Geheimdienst hinter ihm her. Denn der CIA war 1952 auf die Lauschangriffe in der amerikanischen Botschaft in Moskau gestoßen.