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WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE AUS DEM TECTUM VERLAG

Reihe Geschichtswissenschaft

WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE AUS DEM TECTUM VERLAG

Reihe Geschichtswissenschaft

Band 27

Günter Wermusch

Die Lausitzer

Von der ersten europäischen Gemeinschaft bis zu den „eingewanderten“ Slawen

Tectum Verlag

Günter Wermusch

Die Lausitzer.

Von der ersten europäischen Gemeinschaft
bis zu den „eingewanderten” Slawen

Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag:

Reihe: Geschichtswissenschaft; Bd. 27

© Tectum Verlag Marburg, 2015

ISBN: 978-3-8288-6312-5

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter
der ISBN 978-3-8288-3633-4 im Tectum Verlag erschienen.)

ISSN: 1861-7468

Umschlagabbildung: „Slawische“ Götterfigur (Exponat im Archäologischen Freilichtmuseum Groß Raden), Fotografie: Dietmar Wetzel

 

 

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www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt

VORWORT

1Rätselhafte Funde

1.1Das Gold von Eberswalde

1.2Das Grab von König Hinz

ERSTER TEIL: AUS VORGESCHICHTLICHER ZEIT

2Die Helden von Troja

2.1Wer waren die Bewohner von Troja?

2.2Έneter und Paphlagonier

2.3Andere Verbündete

2.4Danaër und Dardaner

2.5Der „erfundene“ Hektor

2.6Die verhängnisvolle Botschaft

2.7Der Name „Troja“

2.8Labyrinthe

2.9Ilias, Ilion

3Geografische Rätsel

3.1Stimmt Homers Geografie?

4Die Lausitzer

4.1Der Aufbruch der Lausitzer

4.2Zeugnisse der Lausitzer Kultur

4.3Biskupin

5Die Große Wanderung

5.1Atlantis

5.2Der Klimasturz – Folge eines Meteoriteneinschlags?

5.3Der Treck nach Süden

5.4Artefakte aus der Lausitzer Kultur

6Die Invasoren aus der Nähe besehen

6.1Bürstenköpfe und Hörnerhelme

6.2Philister und Belzebub

6.3Der zweimal erschlagene Riese

6.4Goljadь und Galindai

6.5Noch einmal: die Philister

ZWEITER TEIL: SLAWEN UND GERMANEN

7Wann und woher die Slawen gekommen sein sollen

7.1Enea Silvio de‘ Piccolomini

7.2Wer schrieb die „Germania” des Tacitus wirklich?

7.3Wie es deutsche Humanisten mit den Slawen hielten

7.4Was man im 18. Jahrhundert von den Slawen wusste

7.5Ersterwähnungen der Slawen

7.6Die Venethi des Jordanes

7.7Von den Römern gemacht?

7.8Schubladenhistorie

8Wie der Name „Slawen“ entstand

8.1Drei Silben

8.1.1Das Präfix skla

8.1.2Das Präfix slo

8.1.3Das Wort sьrbъ

9Wer bewohnte Germanien?

9.1Die Jastorfer

9.2Ungereimtheiten

9.3„Ungermanisches Wortgut“

9.4Samo: Vom Kaufmann zum König

9.5Andere Stämme

DRITTER TEIL: VENETISCH, KELTISCH, ALTEUROPÄISCH

10Erkenntnisse

10.1Die späte Einsicht eines Sprachforschers

10.2Das unausrottbare Phantom: Die Illyrier

11Véneter und Kelten

11.1Slawische Kelten?

11.2Erstes Volk Europas?

11.3Keltische Véneter?

11.4Der Stadtname

12Vénetische Schriftdenkmäler

12.1Die Tavolette alfabetiche

12.2Dubiose Übersetzungen

12.3Eine Schreibgriffelinschrift

12.4Der Stein von Padua

12.5Die „Urne“ von Canevói (Bl 1)

12.6Inschriften auf Urnen

12.7Am Rand der Straßen

12.8Ideologische Abwege

13Was Namen belegen

13.1Orts- und Flurnamen

13.2Unwiderlegte Argumente des Martin Žunkovič

13.3Vénetische Namen in Oberitalien

14Erdichtetes Keltisch

14.1Väter und Söhne?

14.2Die Inschrift von Nimes

14.3Die Haustafel von Alesia

14.4Die Inschrift von Vaison-la-Romaine

14.5Die Tafel von Autun

14.6Die „göttliche Widmung“ von Glanum

14.7Der Tiegel von Couchey

14.8Die Inschrift von Genouilly

14.9Die Inschrift von Todi – eine Bilingue?

14.10Was ist keltisch?

15EVRISES und ESVS

15.1Die Nautenstele

15.2Jesus in Frankreich?

16Alteuropäisch

16.1Urheimat in den galizischen Karpaten?

16.2Tendenz zur Unveränderlichkeit

17Resümee

NACHWORT

Vorwort

Zweifeln kann man an allem, und unter zehnmal
zweifelt man neunmal
gewiss mit vollem Recht.

(J. N. Nestroy)

In der Schule haben wir gelernt, das heutige Deutschland sei schon immer von germanischen Stämmen besiedelt gewesen. Nur in historisch begrenzter Zeit, nämlich etwa vom sechsten bis zum zwölften Jahrhundert, hätten in Mitteldeutschland, dem heutigen Ostdeutschland, Slawen gewohnt. Die seien von irgendwoher eingefallen, was man später in „lautlos eingesickert“ korrigierte. Denn für kriegerische Auseinandersetzungen fanden sich weder in Chroniken, noch in archäologischen Befunden irgendwelche Nachweise. Andere Slawenstämme seien seit dem sechsten Jahrhundert in den Raum der Balkanhalbinsel sowie in Polen, Böhmen, Mähren und die Slowakei eingerückt.

Wie aber kommt es, dass im Gebiet zwischen Elbe/Saale und Oder mehr als vier Fünftel aller Ortsnamen slawischer Herkunft sind? Noch deutlicher wird es bei den Flurnamen. Gleiches trifft auf die erwähnten anderen Regionen zu.

Von den Germanen gibt es keine Schriftzeugnisse. Und wie die Festlandkelten parlierten, hat man versucht zu rekonstruieren, allerdings mit sehr lückenhaftem Erfolg. Wie war das überhaupt mit den Germanen? Räumten sie tatsächlich während der großen Völkerwanderung von Ende des vierten bis Ende des sechsten Jahrhunderts all ihre Gebiete in Nord- und Mitteldeutschland?

Für die Herkunft der Germanen fand der Geschichtsschreiber Jordanes Mitte des sechsten Jahrhunderts nur eine Erklärung: Sie sollen einst von der Insel Skandza (Skandinavien, das damals noch für eine Insel gehalten wurde) „wie aus einer Werkstatt der Nationen“ ausgefahren sein. Jedenfalls sah er das für die Goten so. Wann dieses „einst“ gewesen sein soll, erfährt man bei Jordanes nicht.

Belassen wir es dabei, dass der hellenistische Philosoph Poseidonios (135-51 v. Z.) den Namen „Germanen“ für Barbarenstämme nördlich der Alpen gebrauchte.

Das war nicht mehr und nicht weniger als ein zusammenfassender Begriff ohne „völkische“ Zuweisung. Außer den Germanen werden zu Poseidonios’ Zeiten noch die Kelten erwähnt. Daraus entstand letztlich das Grundmuster: Kelten und Germanen.

Um das Jahr 150 verfasst der griechische Gelehrte Klaudios Ptolemaios (um 90-um 165) ein Werk mit dem Titel „Geographiké hyphégesis“ (Lehrbuch des Erdkartenzeichnens).

Es führt 69 Stämme und 94 Ortschaften in Germanien auf. Weitere Angaben finden sich besonders bei Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Z.), dem Griechen Strabo (64 v. Z.-um 20 n. Z.), bei dem römischen Offizier Vel-leius Paterculus (Ende des 1. Jh. v. Z.- erstes Viertel des 1. Jh. n. Z.) und dem Lexikographen Gaius Plinius Secundus (23-79). Bei Caesar ist vor allem das um das Jahr 50 v. Z. verfasste Werk „De bello Gallico“ (Über den Gallischen Krieg) ein wichtiges Zeitzeugnis. Von anderen antiken Schriftstellern sei hier abgesehen. Aus den Werken dieser Männer waren ungefähr die Siedlungsgebiete der in Germanien ansässigen Stämme ersichtlich, stets bezogen auf die jeweilige Zeit, über die sie schrieben. So schien es auf den ersten Blick, doch war der nicht immer der richtige. Beispielsweise dürften sich die Angaben des Ptolemaios etwa auf die Spanne von der Zeitenwende bis zum Jahr 150 erstreckt haben. Ptolemaios stützte sich in erster Linie auf die Itinerare (Reisebeschreibungen) von Kaufleuten und Heerführern. Die konnten inzwischen veraltet sein; so mancher Stamm war in einem anderen aufgegangen, neue waren entstanden.

Die vorliegende Abhandlung widmet sich in erster Linie den von der Geschichtsschreibung arg vernachlässigten Vénetern, einem Verbund von Volksstämmen, dessen Entstehung der Autor auf die Lausitzer Kultur zur Mitte des zweiten Jahrtausends v. Z. zurückführt. Die Véneter galten – und gelten bis heute – als Randfiguren der Historie.

Mit den Slawen wollte (und will) man sie auf keinen Fall zusammenbringen. Schließlich war vor dem sechsten Jahrhundert von Slawen nie die Rede. Erst da sei das „Volk“ der Slawen in Süd- und Mitteleuropa eingewandert.

Das ganze Konstrukt vom lautlosen Einsickern eines Volkes der Slawen wird – obwohl nie nachgewiesen – von der institutionalisierten Wissenschaft seit Jahrhunderten krampfhaft aufrechterhalten. Das Dogma ist zum Grundpfeiler der „germanischen“ Geschichtsschreibung geworden. In diesem Buch soll versucht werden, dem entgegenzutreten; denn ein Volk der Slawen hat es ebenso wenig gegeben wie ein Volk der Germanen oder Kelten.

Der Autor ist sich bewusst, dass er einem in den slawischen Sprachen unkundigen Leser über weite Strecken Geduld abverlangt. Dennoch ist es unverzichtbar, um sich nicht den Vorwurf der Oberflächlichkeit einzuhandeln. Der mag in den zuweilen arg vergröberten historischen Darstellungen berechtigt sein, in linguistischen Deutungen jedoch kaum. Freilich müssen manche dieser Deutungen, besonders wo sie sich auf historische Zusammenhänge von vor über drei Jahrtausenden beziehen, als hypothetisch betrachtet werden. Aber was an der Geschichtsschreibung über jene Zeiten ist nicht Hypothese?

Treten wir also eine Reise an, die uns zurückführt bis auf den Aufbruch der Lausitzer im 14. Jahrhundert v. Z. und in den Krieg um Troja. Versuchen wir zu rekonstruieren, welcher Sprache man sich zu dieser Zeit bediente.

Das vorangestellte Kapitel „Rätselhafte Funde“ soll der Einstimmung auf die Thematik dienen.

Bei den Zeitangaben in diesem Buch wurde das Kürzel v. Z. für „vor der Zeitenwende“ gewählt. Es ist loyaler als die Variante „vor Christus“, also v. Chr. In beiden Fällen ist die Zeit vor dem Jahr Null gemeint, das von der Kirche mit dem der Geburt Christi gleichgesetzt wurde. Es ist nicht mehr als ein Fixum, denn das wirkliche Geburtsjahr Jesu Christi stimmt mit dem Jahr Null nicht überein.

1Rätselhafte Funde

Die Archäologie kann die Tonne finden,
aber dennoch den Diogenes verfehlen.

(Sir Mortimer Wheeler)

1.1Das Gold von Eberswalde

Der Kalender zeigt Freitag, den 16. Mai 1913, als zwei Bauarbeiter im Direktorenbüro des Messingwerks von Eberswalde (ca.70 km nördlich von Berlin) vorstellig werden. Einer von ihnen hält mit beiden Händen einen Krug umklammert, über den er ein Tuch gelegt hat. Beim Ausheben einer Baugrube hatten sie ihn entdeckt. Sie hoben den Deckel ab und trauten ihren Augen nicht.

Bis zum Rand ist der Tonkrug mit Gold gefüllt: Trinkschalen, Arm-und Halsringe, aufgewickelte Drähte, ein kleiner Barren und Bruchstücke (Schmelzreste). Mit zitternden Händen breitet der Chef des Messingwerks, Aron Hirsch, die Stücke auf dem Konferenztisch aus und lässt sich telefonisch mit dem Direktor des Berliner Völkerkundemuseums, Professor Carl Schuchhardt, verbinden. Gleich am nächsten Morgen wird Schuchhardt mit dem museumseigenen „Ford“ nach Eberswalde chauffiert.

Angesichts der auf dem Tisch ausgebreiteten Schätze gerät der dreiundfünfzigjährige Wissenschaftler völlig aus dem Häuschen. So etwas war auf deutschem Boden noch nie entdeckt worden. Von den beiden Bauarbeitern lässt er sich die Fundstelle zeigen und bedankt sich mit festem Händedruck bei den ehrlichen Männern. Dann packt er den Schatz zusammen und nimmt auch den Tonkrug mit.

In Berlin versammelt Schuchhardt seine Experten um sich, lässt den Schatz wiegen. 2,594 Kilo zeigt die Waage, und es handelt sich um schönstes Gold mit einem Reinheitsgrad von 99 Prozent.

Damit übertrifft der Fund von Eberswalde sogar den Goldanteil des „Priamos-Schatzes“, den Heinrich Schliemann in Troja geborgen hatte. Für das Gold hätten die beiden Ausgräber bei jeder Bank den Gegenwert von 9 000 Goldmark erhalten – und wären sofort in Haft genommen worden. Nach dem Gesetz steht ihnen jedoch die Hälfte des Fundwertes zu, und die wird ihnen ausgezahlt, ein Betrag, der nach heutigen Maßstäben einem Sechser im Lotto gleichkommt. Datiert wurde der Goldschatz zuerst auf die Zeit um 1100 v. Z.

Wieso? Schuchhardt meinte, aufgrund von Begleitstücken bei ähnlichen Goldfunden in Dänemark, Schweden und Nordwestdeutschland den Zeitraum zwischen 1200 und 1000 v. Z. ansetzen zu dürfen.1

Hinzu kamen die in den Verzierungen der Goldschalen anzutreffenden Symbole, die sich als Sterne, Sonnen und Räder (Sonnenräder)deuten ließen. Woher stammte der Goldschatz von Eberswalde?

Im nördlichen Mitteldeutschland sowie in Norddeutschland hat es zu keiner Zeit Goldvorkommen gegeben. Ergo musste der Schatz importiert worden sein.

Der Berliner Historiker Fritz Horst datierte 1984 den Schatz auf das sechste Jahrhundert v. Z. und verwies bei der Herkunft auf „wahrscheinlich Siebenbürgen“ und den „Hallstattcharakter“, was auf „Beziehungen zum Süden“ hindeute.2 Indes passte ganz und gar nicht dazu, dass der Schatztopf Schmelzreste von Gold enthielt. Kein Händler aus einer anderen Region wird die bei Goldschmiedearbeiten angefallenen Reste des Edelmetalls mitliefern.

Die Goldringe konnten mit dem Haarschmuck der Semnonen in Verbindung zu bringen sein.

Gab es im sechsten Jahrhundert v. Z. im Gebiet des nachmaligen Norddeutschlands Semnonen? Und waren sie Germanen?

Für das Jahr 5 n. Z. erwähnt der römische Offizier Gaius Velleius Paterculus die Semnonen als nördlich des Mittelelbe-Havel-Gebiets ansässigen Stamm. Aber das war fast ein Jahrtausend nach der Zeit, auf die man schließlich den Goldfund von Eberswalde datierte.

Goldfunde sind auch mit modernsten Verfahren nicht datierbar.

Anhaltspunkte könnten – außer Vergleichen mit anderenorts gefundenen Artefakten –Untersuchungen von organischen Stoffen des Grabungsumfelds liefern.

Doch anno 1913 steckte die von dem Amerikaner Andrew E. Douglass (1867-1962) entwickelte Jahrringanalyse (Dendrochronologie) noch in den Kinderschuhen.

Die Radiokarbonmethode (C14-Methode) gibt es erst seit 1946, absolut verlässlich ist sie ebenso wenig wie die Dendrochronologie. Mit der Thermolumineszenz-Methode, die seit Ende des vorigen Jahrhunderts in Gebrauch ist, lässt sich auch das Alter von Keramik bestimmen. Allerdings ist dieses Verfahren sehr kostenaufwändig und wird in erster Linie für den Nachweis von Fälschungen angewandt.

Mit anderen Worten: Das Alter des Fundes von Eberswalde, das man am Ende auf das neunte Jahrhundert v. Z. korrigierte, beruht auf einer Hypothese.3

ABBILDUNG 1: DER GOLDSCHATZ VON EBERSWALDE

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(Foto: Archiv Klaus Goldmann)

1.2Das Grab von König Hinz

Drei große Steinhügel in der Feldmark des Dörfchens Seddin zwischen Perleberg und Pritzwalk (in der Prignitz, im Norden der Mark Brandenburg) hatte Leopold von Ledebur im Jahre 1844 in seinem Buch „Die heidnischen Alterthümer des Regierungs-Bezirkes Potsdam“ erwähnt.

Von mehreren geht die Sage, daß innerhalb derselben ein König oder Fürst der Obotriten in einem goldenen Sarge ruhe.“

Ledebur (1799-1877) war Direktor des Berliner Museums der vaterländischen Alterthümer undder ethnographischen Sammlung. Sein Hinweis fand kaum Beachtung. Es war damals nicht anders als heute.

Für archäologische Untersuchungen fehlte das Geld, und außerdem – was hätte die Freilegung eines obodritischen, ergo slawischen, Fürstengrabes schon bringen sollen? Das allgemeine Interesse galt der germanischen Vergangenheit.

Im Juni 1888 machte Friedrich Raguse, Pfarrer und Amateurarchäologe aus einem Dorf in der Prignitz, das Märkische Museum in Berlin auf einen Hügel aufmerksam, von dem ihm Leute erzählt hätten, dass darin ein Bischof im goldenen Sarg bestattet wäre. Wahrscheinlich meinten die biederen Prignitzer, das Interesse eines Pfarrers wäre eher mit der letzten Ruhestätte eines geistlichen Oberhaupts zu wecken als mit der eines Fürsten. Seinem Brief legte Raguse eine Skizze bei, in der er auf weitere „Merkwürdigkeiten“ in der Region, darunter die Reste eines Burgwalls, aufmerksam machte. Wiederum handelte es sich um die Seddiner Feldmark. Nun war es zu damaliger Zeit kein leichtes Unterfangen, in die doch etliche Meilen von Berlin entfernte Prignitz zu reisen.

Der Bau von Eisenbahnen und befestigten Straßen ging in der so genannten Gründerzeit zwar munter voran, doch war man bei einer Reise in die Ostprignitz noch überwiegend auf Pferd und Wagen angewiesen.

So kam es denn dahin, dass der Berliner Völkerkundler Eduard Krause erst im Sommer 1896 mit zwei Arbeitern nach Seddin aufbrach. Dort stand er grübelnd vor den drei großen Hügeln, von denen ihm Seddiner Bauern erzählten, dass der größte davon, „Hinzerberg“ genannt, den „Geldschrank“ sowie den Sarg von König Hinz mit dessen goldenem Schwert berge. In einem der beiden anderen Hügel, dessen Steine für den Haus- und Wegebau bereits zur Hälfte abgetragen waren, hätten Arbeiter 30 Jahre zuvor einen goldenen Armreif gefunden. Der wäre sogleich als „Fingerring des Riesenkönigs Hinz“ identifiziert worden. Bei der Frage, wo denn der Armreif hingekommen wäre, traf Krause auf Achselzucken.

Im „Hinzerberg“ wollte nun der Besitzer des Landstücks, ein Bauer namens Garlin, den Geldschrank des Königs finden. Der Hügel war 12 Meter hoch und hatte einen Durchmesser von 90 Metern.

Den Besitzer des Areals interessierte nicht die Historie, sondern der Schatz, den er zu finden hoffte. Die Leute von Seddin schilderten Garlin als einen hoffnungslos verschuldeten Mann, dessen Zuhause die Dorfschänke sei. Eduard Krause beschwor ihn, jede Auffälligkeit beim Abbau der Steine sofort nach Berlin zu melden, und reiste ab. Vier Wochen später war Garlin pleite und musste die Arbeiten einstellen. Schließlich verkaufte er das Landstück mit den Hügeln an die Straßenbaufirma von Wilhelm Neudecker.

Ende September 1899 erhielt Eduard Krause Post aus Seddin. Neudecker schrieb, seine Arbeiter wären am Fuß des Hügels auf eine Kammer gestoßen, wollten „nicht daran gehn“, und er warte auf den Besuch der Herren aus Berlin.

Die Arbeiter hatten den Verschluss-Stein wieder vor die Höhle gesetzt, und Neudecker ließ Krause wissen, er hätte die „Schatzkammer“ Tag und Nacht bewachen lassen.

Hinter dem Verschluss-Stein erstreckte sich kreisförmig eine Höhle von 1,60 m Höhe und 2 m Durchmesser. Die Wände waren rotgetüncht. Krause blickte auf ein mit der Spitze nach oben im Sand steckendes Bronzeschwert und drei Tongefäße, ein großes und zwei kleinere. Er öffnete sie. Dem großen Gefäß entnahm er eine prachtvoll verzierte Urne aus getriebener Bronze mit Leichenbrandresten. Sie war 32,5 cm hoch. Die beiden anderen Urnen enthielten ebenfalls Leichenbrandreste. Neben den Urnen lagen die Grabbeigaben: eine Schale, ein Trinkgefäß, ein Rasiermesser, eine Tüllenaxt, ein Tüllenmeißel, ein Kamm, eine Bartzange, eine Pfeilspitze und elf Ringe. Alles aus Bronze.

Gegenstände aus Gold fanden sich in der Grabkammer nicht, nur zwei – allerdings stark korrodierte – Nadeln aus Eisen. Hatten Neudecker oder seine Arbeiter das Gold an sich gebracht? Neudecker wies einen solchen Verdacht ungefragt von sich.

Eduard Krause ließ die Fundstücke in Kisten mit Holzwolle verpacken und auf das Fuhrwerk laden.

In Berlin fand man heraus, dass die große Urne die Brandreste eines Mannes und die zwei kleinen die von Frauen enthielten. Zu genaueren Datierungen kam man erst etliche Zeit später. Hiernach stammten die Reste in der Bronze-Urne von einem Mann zwischen 30 und 40 Jahren. Von den in den beiden kleinen Urnen bestatteten Frauen konnte eine nicht einmal 20 Jahre alt geworden sein. Sie mussten offenbar ihrem Gemahl in den Tod folgen.

Von solch einem Ritus war aus der Zeit der slawischen Obodriten (wird um ca. 800 bis um ca. 1180 angesetzt) nichts bekannt.

Die hätten auch keine Eisennadeln als Schatz gehütet, denn Eisen war zu ihrer Zeit längst allgemein im Gebrauch.

Heute wird das „Hinzergrab“ als bronzezeitliches Hügelgrab aus dem neunten oder achten Jahrhundert v. Z. gedeutet.

Albert Kiekebusch, nachmaliger Direktor des Märkischen Museums in Berlin, wies 1928 das Grab von Seddin einem „germanischen Heerkönig“ zu. Denn, so folgerte er: „Es unterliegt doch aber wohl keinem Zweifel, daß es schon Germanen gab, bevor ein griechischer oder römischer Schriftsteller über die Germanen schrieb.4Damit hatte Kiekebusch möglicherweise Recht. Für germanische Fürsten waren allerdings Körpergräber und keineBrandbestattungen typisch.

Das „Königsgrab” von Seddin ist wegen seiner Größe einzigartig in Mittel- und Nordeuropa. Man hat errechnet, dass sein Rauminhalt 30 000 Kubikmeter betrug. Wieviel tausend Wagenladungen Steine und Erde mussten nur für diesen einen Hügel herangeschafft worden sein?Bei Neudorf, einer Nachbargemeinde von Seddin, liegen die Reste einer uralten Burgwallanlage. War sie der Sitz von „König Hinz“?

ABBILDUNG 2: DIE BRONZEURNE VON SEDDIN

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(Nach einem FotoArchiv Klaus Goldmann)

1Carl Schuchhardt: Der Goldfund vom Messingwerk bei Eberswalde. Berlin 1914

2Lexikon früher Kulturen, Bd. 1. Leipzig 1984, S. 228

3Vgl. ANTIKE WELT. Mainz. Sonderausgabe 1993, S. 38.

4Albert Kiekebusch: Das Königsgrab von Seddin. Augsburg 1928, S. 41

ERSTER TEIL:

Aus vorgeschichtlicher Zeit

2Die Helden von Troja

Nach Cato stammen die Veneter
von einem trojanischen Volk.

(Strabo: Geographika II, 1, 130)

Er gilt als der antike Dichter schlechthin, jener Mann namens Homer, der die „Ilias“, das Epos über die letzten 50 Tage im Trojanischen Krieg, und die „Odyssee“ verfasst haben soll. Ansonsten wusste man schon in der Antike nichts über ihn.

Umso mehr schoss die Fantasie ins Kraut. Insgesamt sind neun Lebensbeschreibungen des Epikers überliefert, die jedoch alle erst kurz vor und nach der Zeitenwende entstanden. Nicht weniger als sieben Städte erheben Anspruch, Homers Heimat gewesen zu sein. Am wahrscheinlichsten wäre noch das ionische Smyrna – das heutige Izmir – an der Westküste Kleinasiens, sofern man den Krieg um Troja als historische Tatsache anerkennt. Das taten fast alle antiken Autoren. Der griechische Philosoph Anaxagoras (um 500-428 v. Z.) gehörte zu den wenigen, die bezweifelten, dass dieser Krieg überhaupt stattgefunden hat. Ihm fehlte es einfach an Belegen. Die waren tatsächlich kaum zu erbringen.

Anhand der archäologischen Befunde haben sich die meisten Forscher darauf geeinigt, dass der Trojanische Krieg historische Tatsache ist und sich im 13. oder 12. Jahrhundert v. Z. zugetragen haben muss.

Näher will man sich nicht festlegen; denn über so weit zurückliegende Zeiträume hilft auch die Radiokarbonmethode nicht weiter. Da muss man schon mit Toleranzen zwischen plus und minus 100 Jahren rechnen.

Lassen wir es erst einmal dabei, um uns im fünften Kapitel der Frage noch einmal zu widmen. Das Epos selbst habe der Grieche Homer etwa zur Mitte des achten Jahrhunderts v. Z. niedergeschrieben, heißt es fast einmütig in modernen Abhandlungen.

Allerdings ist das nicht mehr als eine Hypothese. In dieser Zeit waren die Griechen nach fast 300 Jahren Unterbrechung erst wieder zu einer Schriftsprache gekommen. Nicht minder hypothetisch ist die Annahme, dass der Verfasser der „Ilias“ und „Odyssee“ ein Grieche war.

2.1Wer waren die Bewohner von Troja?

Die Bayreuther Philosophin Gertrud Kahl-Furthmann publizierte 1967 ein Buch mit dem Titel „Wann lebte Homer?5

Sie stellte darin die These auf, die Sprache der Troër sei das Griechische gewesen (S. 171). Anderenfalls hätte Homer das vermerkt.

Das ist weit hergeholt. Das Griechische der homerischen Epen gab es im 13. oder 12. Jahrhundert v. Z. noch gar nicht. Bestenfalls ließe sich von Mykenisch sprechen. Dass aber andererseits die Troër die Sprache der Achaier kannten, erklärt sich schon aus den Handelsbeziehungen.

Schließlich gerät Kahl-Furthmann in Widerspruch mit sich selbst. Während sie einerseits annimmt, bei den Menschen, die um 1900 v. Z. in die Troas und in Griechenland eingewandert seien, müsse es sich um „stammverwandte Völkerschaften“ handeln (S. 171), sieht ihr Bild an anderer Stelle (S. 103) gar nicht so aus.

Es geht um die bei Homer geschilderte Verbrennung der im Krieg Gefallenen. „In mykenischer Zeit wurden die Toten im Vaterlande im allgemeinen beerdigt und nicht verbrannt. Die Bekanntschaft mit dem Verbrennungsverfahren aber ist bei den Achäern durch die Beziehungen, welche zwischen Mykene und Troja lange vor dem Trojanischen Kriege herrschten, zu verstehen. Bei dem offensichtlich freiheitlichen Geiste der mykenischen Fürsten konnten ausländische Anregungen von dem einen oder anderen angenommen werden.“Folglich waren die Troër Ausländer und keine Stammesverwandten der Griechen. Sie pflegten ihre Toten zu verbrennen und die Asche sowie die Knochen in Urnen zu bestatten.

Bei dem Epos selbst handelte es sich nicht um eine Kriegsberichterstattung in allen Details, sondern um das Werk eines Dichters. Homer hat es in einer nichtmykenischen Sprache verfasst. Es wurde erst später ins Griechische übersetzt.

Im Übrigen sind Homers Epen erst in Fassungen auf uns gekommen, wie sie um und nach 600 v. Z. auf den Feiern zu Ehren der Göttin Athene, den so genannten Pan-Athenae-Festen, von attischen Sängern, den Aoiden, zur Laute vorgetragen wurden. Ergänzt durch diese oder jene Überlieferungen entstand das Werk so, wie wir es kennen.

ABBILDUNG 3: DAS GEBIET UM TROJA

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(Aus: Troja. Heinrich Schliemanns Ausgrabungen und Funde. Berlin 1982)

2.2Έneter und Paphlagonier

Zehn Jahre währte der Krieg Trojas und seiner Verbündeten mit den Achaiern/Danaёrn bereits, als es zu den entscheidenden 50 Tagen kam. Bis zu den bei Homer geschilderten letzten Kämpfen in Troja selbst hatten sich die Angriffe der Achaier gegen Trojas anatolische Bündnispartner gerichtet.

Die „Ilias“ bricht mit dem Tod Hektors und dem Totenfest ab. Über den Ausgang des Krieges erfährt man erst aus der „Odyssee.“

Offenbar ist die Teilung in die zwei Bücher erst später erfolgt.

Für unsere Untersuchung wesentlich ist erst einmal, dass wir in der „Ilias“ auf die historisch erste Erwähnung der Vénetertreffen.

Am Ende des zweiten Gesangs, wo von den Kriegern der Troër bzw. Dardaner und ihren Bundesgenossen die Rede ist, heißt es (851-852): „Weiter gebot Paphlagonen Pylaimenes, trotzigen Herzens, Her aus der Eneter Lande, wo wild aufwachsen die Mäuler...“.

In der Fassung, in welcher die „Ilias“ um das Jahr 600 und später niedergeschrieben wurde, kannten die Griechen das alte Ϝ (Ϝ) das den Laut U bzw. V oder W wiedergab, nicht mehr.

Sie ersetzten es durch Έ, das etwa einem He entspricht.

In der Übersetzung der „Ilias“ von Johann Heinrich Voß (1751-1826), aus der hier zitiert wird, ist dies nicht berücksichtigt, er schrieb von Enetern.Paphlagonien war eine Landschaft in Anatolien südlich des Schwarzen Meeres. Homer zufolge war ein vom Heerführer Pylaimenes befehligtes Truppenaufgebot der Paphlagonier den Troërn zu Hilfe geeilt.

Strabo (XII, 3) schreibt: „Das jedoch, worin die meisten übereinstimmen, ist, dass die Έneter der bedeutendste Stamm der Paphlagonier waren...“.

Allerdings steht es bei Homer anders. Er sagt, die Paphlagonier kamen aus dem Land der Έneter.

Eine Fehlübersetzung von Johann Heinrich Voß?

Nein, Strabo gebraucht fast die gleichen Worte, wo er Homer zitiert.

Der griechische Gelehrte Zenodotos (erste Hälfte des dritten Jahrhunderts v. Z.), der die erste wissenschaftliche Ausgabe von Homers Werken besorgte, schreibt denn auch: „Fern von Έnete her“ kamen die Paphlagonier. Mit anderen Worten: Die Paphlagonier kamen aus einem Land derΈneter. Federfuchserei? Nein, es ist durchaus nicht gleichgültig, ob die Έneter aus Paphlagonien kamen oder die Paphlagonier aus dem Land der Έneter.

In nachhomerischer Zeit werden die Troër bei dem griechischen Elegiker Kallinos von Ephesos (7. Jahrhundert v. Z.) Teukrer, eigentlich Teykroi (Τεΰκροι), genannt. Der Sage nach soll ein König namens Teukros über das Land geherrscht haben, wo sich die Flüsse Simois und Skamander vereinigt in das Meer ergießen und sich der Berg Ida in einer Ebene verliert. Von Teukros habe das dort ansässige Hirtenvolk den Namen Teukrer erhalten. Der König gab seine Tochter einem Königssohn namens Dardanos von der Insel Samothrake zum Weib und als Brautgabe einen Teil seines Landes. Der Enkel des Dardanos sei Tros gewesen; nach dem habe sich das Land schließlich Troas genannt, und seine Bewohner wurden zu Troërn. Unter Ilos, dem ältesten Sohn des Tros, sei die Burg Ilion erbaut worden. So erfährt man es aus dem „Bellum Troianum“, dem aus sechs Büchern bestehenden Werk eines gewissen L. Septimius, das erst im vierten Jahrhundert nach der Zeitenwende verfasst wurde. Septimius beruft sich unter anderem auf den Annalisten Diktys von Kreta, der Augenzeuge der Vorgänge in Troja gewesen sein soll.

Das „Bellum Troianum“ des Septimius war die wichtigste Quelle der im Mittelalter verbreiteten Trojasagen. Hiernach machte sich gar das Volk der Franken anheischig, von den Troёrn abzustammen, womit denn der Nibelungenheld Hagen von Tronje sozusagen zu einer Wiedergeburt des Priamos-Sohnes Hektor wurde.

Natürlich sind Teukros, Ilos, Tros und Dardanos frei erdichtete Sagenhelden. Das betrifft auch den König Danaos und seine fünfzig Töchter, die Danaïden, sowie Danaë, die liebliche Tochter des Königs Akrisios von Argos. Anspruch auf trojanische Herkunft erhoben zuerst die Römer. Nach einer schon im siebenten Jahrhundert v. Z. nachweisbaren Sage soll Aeneas, der große Held von Troja, die letzten Troër in langer Irrfahrt nach Italien gebracht haben. Das erscheint denn doch übertrieben. Das Volk der Troër reduzierte sich ja nicht auf die Verteidiger der Burg. Wahrscheinlicher wäre, dass die Vornehmsten unter der Führung des Aeneas in Italien landeten. Bei den alten Römern war Troia gewissermaßen der Inbegriff für uradlige Herkunft. Der römischen Überlieferung zufolge soll Aeneas nach der Landung in Italien Lavinia, die Tochter des Königs von Latium, geehelicht und mit der eine Tochter namens Ilia gezeugt haben.

Ebenso heißt es, der greise Antenor sei nach nicht minder langer Irrfahrt mit seinen Getreuen in Italien gelandet und habe dort das Reich der Véneter, das heutige Venetien (Veneto) gegründet. Dieser Antenor ist bei Homer ein troischer Edler, dem Menelaos – König von Sparta und gehörnter Gemahl der Helena – nach dem Sieg über Troja das Leben schenkte, weil er einst bei ihm zu Gast weilte.

Strabo (XII, 3, 8) ist wie immer vorsichtig: „Einige behaupten, auch Antenor und dessen Söhne hätten an diesem Zuge teilgenommen und sich im Winkel des Adriatischen Meeresangesiedelt.“

2.3Andere Verbündete

Die Phryger führt Homer (II, 819-877) ebenso als Verbündete von Troja an, wie die ’Eneter, Dardaner, Myser, Lyker, Pelasger, Paionier, Maionen, und die Karer. Aber wieso Phryger? Gab es die denn schon als östliche Nachbarn der Troër?

Die Dardaner waren selbst Troër. Nach Strabo (XIII, 1, 28) bewohnten sie die Stadt Dardanos an der Landspitze von Dardanis. Aber das sei nur ein alter und gering geschätzter Anbau gewesen.

Geführt wurden die Dardaner von Aeneas sowie Akamas und Archilochos, den Söhnen des Antenor. Doch weshalb nannten sie sich Dardaner und ihre Stadt Dardanos? Diese Groborientierung sei vorangeschickt, wenn wir uns nun mit der (wahrscheinlichen) Identität der Troër befassen.

Die Frage hat zahlreiche antike Autoren beschäftigt, darunter auch Strabo, wenn er (XII, 8, 573 f.) schrieb: „Selbst die Troer, die von einem kleinen Anfange aus sich so vergrößert hatten, dass sie sogar Könige der Könige waren, geben dem Dichter [Homer] und seinen Auslegern Gelegenheit zu der Frage, was man denn [eigentlich] Troja nennen müsse? Denn er nennt zwar alle gemeinschaftlich Troer, die ihnen im Kriege beistanden, wie andrerseits ihre Gegner Danaer und Achäer; aber wir werden doch wahrhaftig Paphlagonien oder Karien oder das an dieses grenzende Lykien nicht Troja nennen wollen.“

Vergeblich sucht man in Geschichtsbüchern oder Nachschlagewerken nach einer Antwort auf die Frage, wer denn die Troër bzw. Dardaner waren, woher sie stammten, in welcher Sprache sie sich verständigten. Wie schon gesagt, dürfen wir in Homers „Ilias“ kein Geschichtswerk sehen, wenngleich der Trojanische Krieg tatsächlich stattgefunden haben wird. Der brach jedoch nicht aus, weil Paris, zweitgeborener Sohn des Priamos, dem Spartanerfürsten Menelaos die teure Gattin ausgespannt hatte.

Hinter diesem Krieg standen vor allem handfeste ökonomische Gründe. An den Dardanellen gelegen, kontrollierte Troja den Seeweg nach Osten. Von den Schiffen, die diese Meerenge passierten, wurden Zölle erhoben, natürlich nicht in Geld. Die ersten Münzen wurden erst im siebenten Jahrhundert v. Z. in Lydien geprägt. Bis dahin dienten Gold und Silber in Gewichtseinheiten als Zahlungsmittel.

Macht und Reichtum verdankten die Troër somit eben dieser Passage am Eingang des Seewegs nach Osten. Trojas Verbündete in West- und Mittelanatolien verfolgten die gleichen Interessen. Entweder handelte es sich um Völkerschaften, die an der Küste der Propontis (des heutigen Marmarameeres) lagen, oder sie genossen Vergünstigungen bei der Verschiffung ihrer Waren in den Osten.

2.4Danaër und Dardaner

Die Troër bzw. Dardaner waren selbst ein vénetischer Volksstamm. Sie müssen sich in der gleichen Sprache verständigt haben wie die vénetischen Paphlagonier.

Analysieren wir ein paar Begriffe aus der Geschichte des Kampfes um Troja, wird dies deutlich. Dabei kommt man wiederum nicht umhin, über Homers „Nationalität“ nachzugrübeln.

Strabo setzt die Danaër schlechthin mit den Gegnern Trojas gleich.

Sie werden auch nur bei Homer als solche erwähnt. Sie waren kein Volksstamm, sondern es war der Name für diejenigen, die an der Pforte zum Seeweg nach Osten Abgaben zu entrichten hatten. Dafür stand das Wort dan, wie es noch heute in den slawischen Sprachen (dań, dan’) für Tribut, Abgabe gebräuchlich ist.

Die Danaër waren also schlichtweg die Abgaben- bzw. Zollpflichtigen, was ja dieAchaier ebenso waren.

In seinem Epos „Aeneis“ (II, 49) legt der römische Dichter Vergil (70 bis 19 v. Z.) dem vor dem Trojanischen Pferd warnenden Apollon-Priester Laokoon die Worte in den Mund: „Quidquid idest, timeo Danaos et dona ferentes.“