„Wir waren wie Marionetten“ So beschreibt S. E. Dagyab Kyabgön Rinpoche seine Situation im Tibet als junger Tulku vor und während des Einmarsches der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Er ist ein wichtiger Zeitzeuge, der ungeschönt sowohl seine Kindheit als eine Art „spiritueller Gefangener“ im Kloster als auch die berechtigte Aversion der Osttibeter gegenüber der Zentralregierung in Lhasa beschreibt. Dass die Chinesen 1951 zunächst ganz höflich nichts als heißes Wasser von den Tibetern erbaten, brachte ihnen viele Sympathien ein.
Doch irgendwann blieb es nicht mehr dabei, 1959 spitzte sich die Situation so zu, dass Rinpoche um sein Leben bangte. Er flüchte – und mit ihm viele tausende Tibeter – nach Indien und fühlt sich seitdem als Heimatloser.
Tibet glich nach 1959 und erst Recht Mitte der 60er während der Kulturrevolution (wie China auch) einer Hölle auf Erden. Diese Zeit beschreibt der Sinologe Helmut Forster unterstützt von erschütternden Fotos des Vaters der tibetischen Journalistin Woeser.
Zwei Artikel in dieser Ausgabe behandeln das wichtige Thema „Pilgern“:
Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche erörtert die Bedeutung der vier wichtigsten buddhistischen Heiligtümer in Indien, und Victor Chan reflektiert über die Konzepte des Pilgerns in Tibet selber.
In der Kulturrubrik beleuchtet Thilo Götze Regenbogen die Arbeiten des zeitgenössischen tibetischen Künstlers Ang Tsherin Sherpa. Tamara von Rechenberg berichtet vom verborgenen tibetischen Königreich Mustang; sie hat dort den italienischen Restaurator Luigi Fieni, den Kronprinzen von Mustang und den jungen Gyalchung Palbar Rinpoche interviewt. Ihr haben wir es auch zu verdanken, dass wir im Mittelteil dieser Ausgabe ihre wunderschöne Farbfotos aus Mustang genießen können.
In der neuen Rubrik „Who is who im Tibethaus“ hat Marina Pan diesmal unseren Ehrenpräsidenten Prof. Dr. Klaus Jork interviewt, der ganz offen über seine Erfahrungen und Gedanken spricht.
Last not least möchte ich meine Freude zum Ausdruck bringen, dass Tibethaus Deutschland vom 13. bis 16. Mai 2014 seinen Schirmherrn, den 14. Dalai Lama, zu Gast haben wird. Die Terminzusage auf unsere Einladung hin kam überraschend früh, und wir werden in den nächsten Monaten rund um die Uhr beschäftigt sein. Seine Heiligkeit wird sich zunächst im Ruhrgebiet aufhalten (organisiert von unserem Kooperationspartner Sascha Hellen) und anschließend in Frankfurt.
Mitte 2014 werden wir auch einen weiteren wichtigen Termin haben: die Feier anlässlich der 30jährigen Zusammenarbeit mit S. E. Dagyab Rinpoche. Dem Rückblick auf diese fruchtbaren Jahre wird unser kommendes Tibethaus Journal gewidmet sein, das schon im Mai erscheinen wird.
Haben Sie Freude beim Lesen!
Ihre
Elke Hessel
EDITORIAL
IMPRESSUM
TIBETHAUS DEUTSCHLAND IN FRANKFURT
BIOGRAPHIE
Wir waren wie Marionetten | S. E. Dagyab Kyabgön Rinpoche
·Es war fraglich, ob ich die nächsten Meter überleben würde | Rinpoches Leben in Lhasa, der Aufstand vom 10. März und die Flucht
·Heimatlosigkeit | Die ersten Jahre im Exil
·Wie ist die Situation heute und was können wir tun? | Fragen und Antworten
BUDDHISMUS
Die Stärkung des Vorrats an Verdienst und Weisheit | Über die Bedeutung der vier wichtigsten buddhistischen Heiligtümer in Indien | Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche
HEILKUNDE
Warum wir chronisch leiden? | Die Sichtweise der tibetischen Medizin | Christine Koch
PERSÖNLICHKEIT + GESELLSCHAFT
Achtsame Gespräche | Antje Boijens
KUNST + KULTUR
Ang Tsherin Sherpa, ein Meister der tibetischen Gegenwartskunst | Thilo Götze Regenbogen
Mustang – mein wohl längster Weg zu einem Interview | Tamara von Rechenberg
·Interview mit Restaurator Luigi Fieni
·Interview mit dem Kronprinzen von Mustang, Jigme Singhe Palbar Bista
·Interview mit dem jungen Gyalchung Palbar Rinpoche in seiner Residenz in Lo Manthang
WISSENSCHAFT
13. Konferenz der „International Association for Tibetan Studies“ (IATS) in Ulaanbaatar | Elke Hessel
Material und Botschaft | Ganzkörperporträts tibetischer und indischer Meditationsmeister in ungebranntem Ton | Petra Förster
TIBET
Verbotene Erinnerungen | Tibet während der Kulturrevolution | Helmut Forster
Tibetische Konzepte des Pilgerns | Victor Chan
Die Arbeit des Dagyab e. V. | Elke Hessel
TIBETHAUS
Achtsamkeit bei allen Verrichtungen | Who is Who im Tibethaus | Fragen von Marina Pan an Prof. Dr. Klaus Jork
SERVICE
Buchbesprechung
Studienprogramme im Tibethaus – Ein Zwischenbericht
Wöchentliches Programm im Tibethaus Deutschland – Januar bis Juli 2014
Programmübersicht Januar bis Juli 2014
Service + Kontakt
Der Tibethaus Verlag
IMPRESSUM
Herausgeber:
Tibethaus Deutschland e.V.
Kaufunger Straße 4
60486 Frankfurt am Mainy
Tel. +49 (0) 69. 71913595
Fax +49 (0) 69. 71913596
info@tibethaus.com
www.tibethaus.com
Bankverbindung:
Tibethaus Deutschland
Frankfurter Volksbank
BLZ 501 900 00
Konto 610 001 4295
BIC: FFVBDEFF
IBAN: DE81 5019 0000 6100 0142 95
Redaktion:
Elke Hessel, Gisela Behr,
Karin Herber-Schlapp
Kalligraphien von Puntsok
Tsering Duechung
Layout + Realisation:
cct: werbeagentur, Heidelberg
http://cct-heidelberg.com
Bildnachweis:
Copyright-Vermerke jeweils
bei den Abbildungen, bzw. den
Anmerkungen
Druck:
abcdruck GmbH
Heidelberg
abcdruck.de
Titelfoto:
© Tamara von Rechenberg
Erscheinungsweise:
halbjährlich (Dezember und Juli)
Auflage: 1000 | ISSN 2193-8148
Einsendeschluss für Beiträge:
1. September | 1. April
Das „Chökor Tibethaus Journal“ wird an die Mitglieder des Vereins kostenlos, an alle weiteren Interessenten zum Abonnementspreis von 15 Euro pro Jahr in Deutschland und 18 Euro pro Jahr im Ausland abgegeben. Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers.
Seit Ende 2005 existiert das Tibethaus Deutschland in Frankfurt a. M.
Das Institut ist hervorgegangen aus einem schon seit über 20 Jahren bestehenden gemeinnützigen Verein, dessen Mitglieder über ganz Deutschland verteilt waren.
Seine Heiligkeit der XIV. Dalai Lama hat im selben Jahr die Schirmherrschaft übernommen; diese großzügige Geste gewährt er nur in ganz seltenen Fällen.
Das Tibethaus Deutschland versteht sich als ein Begegnungs- und Studienzentrum, eine Art „tibetisches Goethe-Institut“. Besucher und Mitglieder – egal ob buddhistisch orientiert oder nicht – können hier die alte und moderne Kultur Tibets kennenlernen, studieren und in einen fruchtbaren, anregenden Austausch eintreten. Das Institut sieht eine wesentliche Aufgabe darin, eine Brücke zwischen Tibet und dem Westen zu schlagen, aber auch zwischen dem Westen und Tibet. Finanziert wird es ausschließlich über Mitgliedsbeiträge, Spenden und Kursbeiträge.
Über 300 Seminare, Workshops und Vorträge im Jahr in den Bereichen Buddhismus, Persönlichkeit + Gesellschaft, Kunst + Kultur, Heilkunde und Wissenschaft bieten ein vielfältiges, fundiertes Angebot. Auch die Tibeter im Rhein-Main-Gebiet sehen das Tibethaus als wichtigen Treffpunkt an.
Sein spiritueller Leiter, S. E. Loden Sherab Dagyab Rinpoche, ist einer der höchsten tibetisch-buddhistischen Würdenträger. Geboren 1940 in Osttibet, erwarb er den Abschluss des Doktors der Philosophie an der Klosteruniversität Drepung. Rinpoche kam 1966 nach Deutschland auf Einladung der Universität Bonn, wo er bis zu seiner Emeritierung 2004 als Tibetologe arbeitete.
Der Geschäftsführende Vorstand besteht zur Zeit aus einem Tibeter und einer Deutschen, der Aufsichtsrat aus zwei Tibetern und fünf Deutschen.
Wir verstehen Kulturarbeit als Bildungsarbeit und als Erweiterung des eigenen Horizonts. Zweimal im Jahr organisieren wir hauseigene Ausstellungen mit tibetischen und westlichen Künstlern (mit dem Schwerpunkt auf Förderung der Künstler vor Ort) sowie Kooperationsausstellungen mit Museen und Galerien. Zusätzlich finden regelmäßig Workshops in traditioneller tibetischer Malerei, Veranstaltungen über modernen tibetischen Film, über Musik und zu Reisen in Tibet statt.
Das Konzept des Dialogs, des Gemeinschaftlichen und der Inspiration in Zusammenarbeit mit anderen asiatischen Künstlern, Schriftstellern und Musikern, insbesondere Chinesen, wie es in der Ausstellung „Kalligraphie im Dialog“ bereits umgesetzt wurde, soll in Zukunft weiter ausgebaut und vertieft werden. In der Vergangenheit sind Vertreter von Nachbarländern Tibets oder Vertreter anderer Religionen zu Themenabenden ins Tibethaus eingeladen worden (z.B. aus Indien, Bhutan, Nepal und der Mongolei, bzw. der Themenabend Islam und Buddhismus).
Wir bieten z.B. Vorträge und Seminare zu Methoden der Stressbewältigung, Sterbe- und Trauerbegleitung (im März 2013 hat der Aus- bzw. Weiterbildungskurs für buddhistisch orientierte Sterbebegleitung begonnen) und Wirtschaftsethik an, um die Teilnehmer beruflich und privat zu unterstützen. Der Ansatz ist für Buddhisten und Nichtbuddhisten gleichermaßen konzipiert.
Regelmäßig (inzwischen wöchentlich) erhalten wir Besuch von Kindergärten, Schulklassen, Studenten, die „hautnah“ etwas über Tibet und den Buddhismus erfahren wollen. Im Austausch über Tibet, seine Kultur und Religionen wird so neues Wissen vermittelt, die Wahrnehmung, das Unterscheidungsvermögen und das Verständnis für (oft nur scheinbar) Fremdes geschärft.
Lichtbildvorträge, Frage- und Antwortsequenzen, didaktisches Material ergänzen die zielgruppenspezifische Vermittlung. Unsere erfahrenen hauseigenen deutschen und tibetischen Referenten bieten auch Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer oder Fachschaften an. Die Integrationsdezernentin der Stadt Frankfurt Dr. Nargess Eskandari-Grünberg hat für dieses Projekt die Schirmherrschaft übernommen.
Unter der Leitung von Dagyab Rinpoche sind in mehr als 25 Jahren anerkannte westliche Lehrer, Fachleute und Übersetzer ausgebildet worden.
Das solide, breit gefächerte buddhistische Programm in Theorie und Praxis ist für interessierte Nichtbuddhisten wie für langjährig praktizierende Buddhisten ein attraktives Angebot. Studienprogramme, Seminare durch Gastlehrer und hauseigene Lehrer sowie wöchentliche offene Meditationsgruppen haben sich etabliert.
Das aktuelle dreijährige Grundlagen-Studienprogramm wird von 125 Teilnehmern (davon mehr als 30 Fernstudenten) besucht.
Zu unserer großen Freude war im November 2013 S. E. Professor Samdhong Rinpoche unser Gast und hat äußerst tiefgründige Unterweisungen über die Leerheitskonzepte im Mahayana gegeben.
Dieser Bereich ist die Schnittstelle zwischen Universitäten und Forschungsinstituten einerseits sowie an Buddhismus und Tibet Interessierten andererseits. Wir bieten wissenschaftliche Vorträge oder Themenabende zu tibetologischen, gesellschaftlichen, religions- oder sprachwissenschaftlichen, aber auch neurowissenschaftlichen Themen an, teilweise als Kooperationsveranstaltungen mit der Universität Frankfurt.
In Basiskursen und Vorträgen in Zusammenarbeit mit westlichen Medizinern und tibetischen Ärzten werden die grundlegenden Zusammenhänge der tibetischen Heilkunde anschaulich erklärt. Gesundheitsvorsorge und das Erkennen der primären und sekundären Ursachen von Krankheit stehen dabei im Vordergrund. Kurse in Hatha-Yoga und tibetischem Yoga sind ebenfalls Teil dieses Bereichs.
Unser Verlag hat bisher über 60 Bücher und Schriften publiziert. Wir verfügen über allgemeine Bücher zum Mahayana-Buddhismus, buddhistische Kommentare und viele, seltene Übersetzungen buddhistisch-tantrischer Originaltexte aus dem Kanon der Klosteruniversitäten.
Bibliothek
Neben umfangreicher westlicher Literatur zu Tibet und allen Traditionen des Buddhismus finden sich auch Werke mit tibetischen Originaltexten und -kommentaren.
Tibeter und ihre deutschen Freunde treffen sich im Tibethaus zum Neujahrsfest, zur Feier des Geburtstags S. H. des Dalai Lama und an anderen hohen tibetischen Festtagen. Manche führen auch ihre Gebete z.B. für Kranke oder Verstorbene in unserem Lhakang durch.
Tibetische Wissenschaftler referieren und diskutieren bei uns im Rahmen von Podiumsdiskussionen (nur auf Tibetisch) über westliche und tibetische Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft (z.B. über Genforschung, über Neurowissenschaft, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede).
Tibetische Sonntagsschule: Tibetische Kinder erhalten zweimal im Monat Unterricht in tibetischer Schrift und Sprache, geleitet von Puntsok Tsering Duechung.
Wir sind immer noch auf der Suche nach einem eigenen größeren Haus, in dem es Platz gibt für größere Veranstaltungen, Seminare, Ausstellungen, eine deutsch/englisch/tibetische Fachbibliothek, ein – das ist ein Fernziel – Tibet-Museum (es wäre das erste in Deutschland, und wir sind bereits im Besitz von außergewöhnlichen tibetischen Kulturschätzen aus Nachlässen).
Dagyab Rinpoches Unterweisungen sollen für alle zugänglich gemacht werden
Das Tibethaus Deutschland möchte Dagyab Rinpoches sämtliche Unterweisungen, die er seit 1984 gegeben hat, systematisch digitalisieren und katalogisieren, archivieren und transkribieren.
Katalogisierung und Digitalisierung
Ein Großteil der Aufnahmen, die bis Mitte der 90er gemacht worden sind, befinden sich auf ca. 300 Audio-Kassetten, deren Haltbarkeit begrenzt ist und die deshalb umgehend digitalisiert werden müssen. Dabei müssen die Kassetten katalogisiert und archiviert werden. Eine professionelle Digitalisierung kostet je nach Länge zwischen EURO 5,- und EURO 15,- pro Kassette.
Transkriptionen
Beginnend mit Rinpoches aktuellen Seminaren sollen nach und nach auch die zurückliegenden Unterweisungen systematisch in Schriftform gebracht werden. Bisher sind sie nur punktuell abgeschrieben worden.
Mitarbeiter/innen gesucht!
Für die Archivierung und insbesondere für die Transkriptionsarbeit werden erfahrene SchülerInnen von Rinpoche dringend gesucht! Wer sich eine Mitarbeit vorstellen kann, möge sich bitte melden bei Willi Maassen und Inge Jansen, die das Projekt koordinieren. Außerdem bitten wir dringend um Informationen über bereits geleistete Transkriptionen.
maassenjansen@googlemail.com
Tel. 0228. 319432
Finanzielle Unterstützung
Wir bitten auch um eine finanzielle Unterstützung insbesondere des Digitalisierungsprojektes.
Frankfurter Volksbank
Tibethaus Deutschland e.V.
BLZ: 501 900 00
Kontonummer: 6200010076
Stichwort: Digitalisierung
Ralf Bauer, Baden-Baden
Dr. Alex Berzin, Berlin
Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck, Würzburg
Prof. Dr. Michael von Brück, München
Carsten Graaf, Meerbusch
Kelsang Gyaltsen, Gesandter S. H. des Dalai Lama, Genf
Prof. Dr. Manfred Hensel, Heidelberg
Prof. Dr. Adelheid Herrmann-Pfandt, Marburg
Ehrw. Doboom Rinpoche, New Delhi
Prof. Dr. Klaus Sagaster, Bonn
Prof. Dr. Peter Schwieger, Bonn
Dr. med. Tashe W. Thaktsang, Radolfzell
Prof. Dr. Robert Tenzin Thurman, New York
Ph. D. Tsetan Dolkar Khyunglho, Atlanta
S. H. DER 14. DALAI LAMA WIRD AUF EINLADUNG DES TIBETHAUS DEUTSCHLAND VOM 14 BIS 16. MAI 2014 NACH FRANKFURT KOMMEN!
Wir sind darüber äußerst glücklich und werden in den nächsten fünf Monaten – das ist die Zeit, die uns zur Vorbereitung bleibt – alles tun, um unserem Gast gerecht zu werden. Große Unterstützung bekommen wir bei allen logistischen, technischen und sicherheitstechnischen Dingen von Sascha Hellen, HERAUSFORDERUNG ZUKUNFT. Anfang des Jahres werden wir mehr wissen und die Neuigkeiten regelmäßig kommunizieren.
Hier sind die Termine, die bereits feststehen:
S. H. der Dalai Lama wird zusammen mit namhaften Vertretern der Weltreligionen in einer geisteswissenschaftlichen Diskussionsrunde zusammenkommen zum Thema:
Ethik ohne Religion?
Die Herausforderung der Weltreligionen durch eine säkulare Gesellschaft
Zeit: Donnerstag, 15. Mai 2014
(9.30-11.30 Uhr)
Des Weiteren wird er einen öffentlichen Vortrag halten zum Thema:
„Braucht Mitgefühl ein starkes Selbstbewusstsein?!“
Grundlegende Orientierungen in der modernen Gesellschaft
Zeit: Donnerstag, 15. Mai (14-15.30 Uhr)
Freitag, 16. Mai: Abends wird es das erste Tibethaus-Benefiz-Konzert
geben mit deutschen, internationalen und tibetischen Künstlern.
Mehr Informationen, auch die Anmeldemodalitäten, finden Sie spätestens ab Mitte Januar unter folgender Webpage: www.dalailama-frankfurt.info
S. E. Dagyab Kyabgön Rinpoche hat im Sommer auf Bitten seiner Schüler einen Vortrag (und keine Unterweisung, wie er betonte) über einige seiner persönlichen Jugenderinnerungen gehalten. Er hat dabei – wie schon so oft – „kein Blatt vor den Mund genommen“, aus der Innenperspektive das komplexe Geschehen in Tibet rund um den Einmarsch der Chinesen nach Tibet beleuchtet und damit einmal mehr den romantisch trüben Blick auf das „Alte Tibet“ geklärt. Wir haben die Darlegungen transkribiert und veröffentlichen sie hier in ganzer Länge, unterteilt in vier Abschnitte: seine Zeit in Osttibet, in Lhasa, im Exil und zusätzlich die an den Vortrag anschließenden Fragen der Zuhörerschaft und seine Antworten dazu.
S. E. Dagyab Kyabgön Rinpoche
Generell finde ich, dass in den buddhistischen Zentren im Westen und auch manchmal im Tibethaus die sozialen Gegebenheiten Tibets vernachlässigt werden. Wir sind schließlich ein Kulturinstitut und kein buddhistisches Zentrum, daher sollten wir breitgefächerte Informationen vermitteln. Wir wollen Tibet, die tibetische Kultur und die sozialen Strukturen darstellen. Ich möchte diesmal aus dieser Perspektive berichten, denn manche Menschen aus dem Westen denken, einzig der tibetische Buddhismus mache Tibet aus.
Wie manch anderer Tibeter so bin auch ich durch drei verschiedene Lebensabschnitte gegangen: Zunächst lebten wir unter mittelalterlichen Bedingungen, dann erfuhren wir die schwierige Situation von Flüchtlingen, und nun üben wir in den unterschiedlichen Ländern als Deutsche, Engländer oder Amerikaner etc. einen Beruf aus.
Ich habe nicht vor, ausführlich über mich zu berichten, weil es – besonders aus buddhistischer Sicht – nichts zu erzählen gibt. Als Dreiundsiebzigjähriger habe ich jedoch einige Erfahrungen ansammeln können.
Meine Heimat liegt in der chinesischen Provinz Sichuan. Aus tibetischer Sicht befindet sich die Gegend, in der ich geboren wurde, in Tibet, ganz im Osten an der chinesischen Grenze. Aber bei uns war es nicht anders als im Mittelalter in Europa, wo es verschiedene Reiche gab: Wie ihr wisst, waren Ostpreußen, Polen, Tschechien, auch teilweise Frankreich, manchmal unter dieser, manchmal unter jener Herrschaft. Z.B. hatten wir Tibeter im achten Jahrhundert unter dem König Thrisong Detsen China bis zur damaligen Hauptstadt Chang‘an erobert. Umgekehrt haben auch früher schon die Chinesen Macht über Tibet ausgeübt, und auch die Mongolen sind bis nach Zentralasien vorgedrungen.
Tibet ist seit den 1930/40er Jahren offiziell oder inoffiziell ein geteiltes Land, d.h., die Autonome Region Tibet wird ja bis heute als tibetisches Territorium bezeichnet, die Gebiete außerhalb, also Kham und Amdo in Osttibet, waren schon unter chinesischer Herrschaft. Dennoch sagen wir in Kham und Minyak nicht, ich bin in China geboren, sondern in Tibet.
Wie überall in solchen Grenzgebieten gibt es eine Vermischung der Rassen. In meiner Familie gibt es auch chinesisches Blut. In meiner väterlichen Familie wurde Neujahr nach chinesischer Tradition gefeiert und chinesische Dekorationen verwendet.
Die nächste größere Grenzstadt war Dartsedo, chin. Kangding, wo ich ein Jahr und neun Monate in einem bestimmten Kloster lebte. Aber ich möchte gar nicht über meine Reinkarnation usw. sprechen, sondern die sozialen Gegebenheiten schildern.
Bevor wir in Dartsedo lebten, war meine Mutter dort als Dienerin tätig. Von ihr erfuhr ich, dass die Bevölkerung halb chinesisch und halb tibetisch war. Ihr Hauptinteresse galt Geschäften. Es wurden viele Güter aus China transportiert, und die Tibeter verkauften Naturprodukte wie Wolle etc. an die Chinesen. Diese Stadt war sehr interessant und beliebt, aber sie stand eindeutig unter chinesischer Herrschaft. Wir mussten in unserer Heimat Steuern an die Chinesen abführen, obwohl unsere Identifikation ganz und gar tibetisch war. Der zentraltibetische Herrschaftseinfluss reichte nicht bis dorthin.
Um eine Gegebenheit mit spirituellem Hintergrund zu erwähnen: Der Gouverneur von Dartsedo war Chinese, gleichzeitig aber ein sehr traditioneller Buddhist. Sein Hauptlehrer war ein Rinpoche aus meiner Gegend, aus dem Giwakha Kloster. Alles musste auf seine Anordnung hin und mit seiner Zustimmung passieren, auch die Anerkennung meiner Reinkarnation war davon betroffen. Deshalb mussten wir solange in Dartsedo bleiben, bis er aus Chamdo zurückgekehrt war, wo er sich aus medizinischen Gründen aufhielt.
Man konnte damals zu Fuß gehen oder in einer Sänfte getragen werden, er als Herrscher ließ sich natürlich tragen. Ich kann mich daran erinnern, ihn im Alter von fünf Jahren in einer Halle in einem einstöckigen Gebäude getroffen zu haben. Er schenkte mir unter anderem eine Buddha-Statue aus Porzellan, wie es sie sonst in Tibet nicht gab. Ich sah sie aber nur als Spielzeug an, und die Erwachsenen hatten Angst, sie könnte zerbrechen.