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Inhalt

Impressum

Vorwort

Spiel mit mir

Die anderen Engel

Der erste Besuch und das Spiel mit dem Teufel

Der zweite Besuch und das Spiel mit dem Teufel

Die große Stadt

Zwei Diamanten

Goldene Träne

Ein Leben?

Erwachen

Der betrunkene Schutzengel

Freiheit geben

In dir versunken

Verlorene Mühe

Gewaltige Gewalten!

Die Trauminsel und der Inseltraum

Danke

Die Autorin

Impressum

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2015 united p. c. Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-7103-2402-4

ISBN e-book: 978-3-7103-2413-0

Lektorat: Kim Klober

Umschlagfotos: Anne-Kathrin Seele, www.seelekind.de

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: united p. c. Verlag

www.united-pc.eu

Vorwort

Zuerst wollte ich dieses Buch in einer „neutralen Form“ schreiben. Ich wollte dem Leser so die Gelegenheit geben, sich besser in die einzelnen Geschichten hineinzufinden. Doch dann händigte ich ein erstes Exemplar meiner damaligen Vermieterin Kathy aus.

Sie wurde in die Oberschicht hineingeboren und durch ihre Herkunft ist es ihr immer möglich gewesen, sich freier durch das Leben zu bewegen. Die finanzielle Sicherheit ihrer Familie hat sie nie verlassen. Sie wusste das auch zu schätzen, dennoch versuchte sie ein – zumindest nach außen – normales „Ich-bin-eine-Intellektuelle-ich-arbeite-für-meine-Alltagsausgaben“-Leben zu führen. Das ist sehr typisch für München, auch heute noch.

Ich lernte sie kennen, indem ich mich bei ihr einmietete, als ich in den ersten Jahren der Neunziger nach Deutschland zurückkam. Ich lebte etwa ein Jahr in ihrer Wohnung und freute mich über diese literarische Gelehrte. Durch ihr Studium, so glaubte ich damals, war sie die richtige Person, der ich meinen ersten Ansatz dieses Buches geben wollte. Als sie meinen ersten Essay las, schlug sie mir das Ding allerdings um die Ohren! Sie konfrontierte mich mit vielen Tatsachen. Sie würgte über meine Art des Schreibens, schlug mir verbal alles ins Gesicht, warf mir meine eigenen Erkenntnisse, von denen ich geglaubt hatte, dass sie richtig waren, vor die Füße und gab mir Anlass, noch einmal neu anzufangen. Sie brachte auch den wichtigen Kritikpunkt ans Licht, der mich anspornte, nochmals zu beginnen. Sie meinte, dass ich nur für mich schreiben würde, dass ich niemanden in der literarischen Welt damit ansprechen würde. Ich blickte diese angetrunkene Frau lange an und stimmte langsam nickend zu, während ich fühlte, was ich zu tun hatte.

Lange Jahre konnte ich das Buch jedoch nicht beenden, da ich immer das Gefühl hatte, dass noch etwas wie ein abschließendes Erlebnis fehlte. Bis ich zum ersten Mal im realen Leben eine Zusammenführung vieler Träume erlebte und sich das wahre Feuerwerk aus Traum und Wirklichkeit über mich ergoss. Dies habe ich in der letzten Geschichte des Buches festgehalten.

In diesem Buch findet sich alles wieder, was mein Leben bis vor kurzem ausgemacht hat: Opfer, Täter, Hintergrundmänner, jene, die glauben, eine Macht zu haben, jene, die tatsächlich etwas Macht haben, und das, was Macht ausmacht. Und es gibt Fakten, die zeigen, an welcher Stelle im Universum wirklich Entscheidungen getroffen werden. Es sind Ausschnitte, die mein Leben, mich und die Menschen in meiner Umgebung prägten.

Ich habe schon seit einiger Zeit begriffen, dass jeder tatsächlich seines eigenen Glückes Schmied ist. Dass jeder Mensch, unabhängig von Status oder anderen unbeeinflussbaren Faktoren, die Samen der eigenen Glückseligkeit in sich trägt! Ich habe verstanden, dass es die Wahrnehmung der eigenen Seele ist, die jedem Menschen die Möglichkeit bietet, über sich selbst hinauszuwachsen, Grenzen zu sprengen und sich selbst jeden Tag neu zu erfinden und zu erleben.

Träume bieten eine Möglichkeit, sich mit dem eigenen Wesen auseinanderzusetzen, eine Herausforderung, sich auf sich selbst einzulassen und eine Chance, bei realistischer Betrachtung dieser glücklich zu werden.

Ich hatte sie vor allem meistens als Hilfe gesehen, heute sehe ich sie als Wegweiser. Ich habe verstanden, dass Träume nicht nur meine Wünsche, Hoffnungen oder Ängste widerspiegeln. Ich habe begriffen, dass sie meine Lehren sind – egal, welchen tatsächlichen Weg ich einschlagen werde. Ich habe durch sie erlebt, dass ich mich und wie ich mich verbessern kann. Ich habe durch diese Träume, Geschehnisse und Menschen die Notwendigkeit erkannt, mein Leben bewusster, mit mehr Eigeninitiative und mehr Engagement zu leben und zu erfahren. Ich habe durch diese Träume in meinem Leben nicht nur zum Teil tatsächlich überlebt; ich habe gelernt, das Leben zu genießen und mir meiner selbst bewusst zu werden!

Dieses Buch habe ich geschrieben, um meine Erfahrungen mit Menschen, die ähnlich denken oder Ähnliches erlebt haben, zu teilen. Ich will meine Erkenntnisse weitergeben. Neid und Hass haben hier keinen Platz!

Es ist ein Geschenk, das ich teilen will, und ich möchte es auch so verstanden wissen. Träume spielen in jedem Leben immer eine Große Rolle! Auch in meinem.

Du hast dieses Buch zu lesen angefangen; vielleicht aus Neugierde, vielleicht weil du glaubst, dass es dich aus deiner eigenen Realität entführt. Dann solltest du es nun beiseitelegen oder es jemandem geben, der bereit ist, mit mir in meine Welt einzutauchen, zu genießen, zu lachen und die Dinge, die gefallen und wichtig genug erscheinen, auf den eigenen Weg mitzunehmen.

Ich hatte nie Schwierigkeiten damit, Träume zu träumen oder auch bewusst zu erleben. Ich hatte immer Träume, die ich liebte, andere, die mich warnten, und ich lebte meine Träume aus, auch wenn es schwierig war. Schon sehr früh erinnerte ich mich an sie, jedoch fing ich erst mit neun Jahren an, sie konsequent niederzuschreiben. Träume können einen warnen, wenn man mit sich selbst, seinem Inneren verbunden bleibt.

Spiel mit mir

Ich war etwa neun Jahre alt, als meine Großmutter nicht bei unserer kleinen Familie lebte – sonst wäre vielleicht alles anders ausgegangen. Heidi war meine Klassenkameradin und sie hatte sehr viele Geschwister. Ihre Mutter führte den kleinen Korbladen im Dorf, ihr Vater war bei der örtlichen Müllabfuhr. Wir spielten gerne und oft hinter dem Korbladen, bis der Vater nach Hause kam. Ich hatte – bedingt dadurch, dass meine Eltern sich wenig für mich interessierten – sehr viele Freiheiten, war ein sogenanntes „Schlüsselkind“, wie man Kinder damals in den späten Sechzigern nannte, deren Eltern beide berufstätig waren und die sich eben selbst versorgten. Oft kam ich mit zum gemeinsamen Abendessen der Familie. Ich brauchte nur über die Straße zu laufen. Natürlich beneidete ich Heidi um ihre Familie, da ich sah, wie der Vater die Kinder beinahe nett behandelte. Ich stellte Vergleiche an: wie mein Vater mir nachts, wenn ich müde war, das Malen beibringen wollte, oder meine Mutter mich als junges Kind zwang, eine Tagesmutter zu besuchen, die mich unentwegt schlug und mir das Essen verweigerte.

Ich freute mich immer auf die Zeit mit Heidi, bis ich diesen Traum hatte. Ich hatte mittlerweile gelernt, dass ich auf meine Träume achten musste, auch wenn ich erst neun Jahre alt war.

Ich hörte aus dem Dunkel heraus jemanden sagen: „Ich bin da!“ Die Worte machten mir Angst und ich fühlte mich bedroht. Ich hörte sie wieder und wieder und wieder. Ich schrie und verlor das Bewusstsein.

Dann erwachte ich im Traum in einem Gebüsch voller Dornen. Ich fühlte mich leblos und kalt. Ich konnte nicht einordnen, was geschehen war oder wo ich genau war. Ich wollte aufstehen, doch ich konnte mich kaum bewegen. Dann wurde mir eine Hand gereicht. Plötzlich war es auch nicht mehr so kalt. Ich wollte mich an der Hand hochziehen, als sich eine Gestalt in hellem Licht zu mir herunterkniete. Sie befand sich links von mir und ich lag in diesem Gebüsch, dessen Dornen mir jedoch nicht mehr wehtaten. Ich wollte hochblicken, aber ich konnte nicht, weshalb ich neben mir das Kopfsteinpflaster ansah. Dann hörte ich die Gestalt sagen: „Du darfst es nicht dazu kommen lassen!“

Ich verstand nicht. Ich wollte nach Hause. Etwas streichelte meine linke Hand und ich wurde wieder ruhiger. Ich hörte die Stimme abermals: „Lass es nicht zu. Wehre dich, die Türe ist offen.“

Schweißgebadet erwachte ich aus dem Traum, wohl auch aufgrund des nächtlichen Streitens meiner Eltern auf dem Flur. Solche Schmerzen im Kopf wie durch diese Dornen hatte ich noch nie zuvor empfunden.

Nach dem Erwachen und im Laufe des nächsten Tages verflog das komische Gefühl und natürlich sprach ich mit niemandem über den Traum. Am späten Nachmittag war ich wieder bei Heidi zum Spielen im Hinterhof des Korbladens, zusammen mit zwei Jungs aus der Nachbarschaft und ihren anderen Geschwistern. Ich sah aus den Augenwinkeln, dass ihr Vater nach Hause gekommen war, und bereitete mich auf den Nachhauseweg vor. Dann kam plötzlich die Mutter von Heidi durch die Hintertür des Ladens und lud mich zum Abendessen auf die gegenüberliegende Straßenseite ein. Ich zögerte kurz, doch ich fühlte mich bei der Familie so wohl und ich ging davon aus, dass ich zu Hause eh kein Abendessen erwarten konnte. So ging ich mit.

Nach dem Abendessen, was im Sommer recht früh stattfand, begannen wir Kinder uns wieder Spielen hinzugeben. Eines davon war „Verstecken“. Es dauerte nicht lange und ich machte ein Versteck aus. Es befand dich im elterlichen Schlafzimmer unter dem Bett. Keiner fand mich und ich fühlte Stolz, doch irgendwie auch ein Unwohlsein. Ich erinnerte mich plötzlich an meinen Traum der vergangenen Nacht. Schnell wie der Wind kroch ich unter dem Bett hervor und öffnete die Tür. Es war mir egal – nein, ich wollte, dass man mich fand. Und da stand er. Er sagte: „Hallo, ich hab’ dich. Ich bin da!“

Ich erstarrte zur Mumie und sagte im nächsten Augenblick: „Ich muss nach Hause. Entschuldigung.“

Ich lief, was das Zeug hielt. Als ich zu Hause ankam, atmete ich schwer. Ich wusste: Wenn meine Eltern mich so sehen würden, würden sie mich verhören. Sie würden bestimmt fragen, was los sei. Ich beruhigte mich und schloss dann mit dem Schlüssel, der an einem Paketband um meinen Hals hing, auf. Die Wohnung war dunkel und meine Eltern waren nicht da.

Es war einige Wochen später, als ich wieder bei Heidi zum Spielen war. Doch ich war nun vorsichtiger. Ich vermied es, ihren Vater zu sehen oder zu treffen. Es war ein weiterer sommerlicher Tag und als ich registrierte, dass er nach Hause kam, sagte ich zu Heidi, dass ich nach Hause gehen müsse. Auch die Jungen aus unserer Nachbarschaft waren da. Ich mochte sie nicht. Ich hatte gesehen, dass Heidis Vater mit ihnen vor dem Laden an der Straße gesprochen hatte. Etwas sagte mir, dass ich mich von diesem Platz fernhalten musste.

Ich ging ohne Verabschiedung aus dem Hinterhof und wollte nach rechts. Das war die kürzeste Strecke von vielleicht 500 Metern bis zu meinem Elternhaus. Da wurde ich von zwei Seiten gepackt. Meine Arme wurden nach hinten gezerrt. Ich konnte die beiden Nachbarsjungen erkennen. Ich fluchte auf Italienisch und auf Deutsch. Ich schrie und wehrte mich, doch ich wog zu wenig, war zu klein und sie zerrten mich zurück, über die Hauptstraße des Dorfes – es kam gerade kein Auto – und hinein in den Innenhof der Wohnanlage von Heidis Familie und von dort zur Haustür. Ich befand mich immer noch im „Polizeigriff“, wie man das damals nannte. Ich war nach vorne gebeugt und wurde an beiden Seiten von den Jungen festgehalten. Da öffnete sich die Haustür und wir gingen den bekannten Flur entlang zu der Wohnung von Heidis Familie.

Er stand vor der von Zigarettenrauch vergilbten Wohnungstür, gab den Jungen Geld und hielt mich an den Haaren fest. Ich schrie den Jungen hinterher: „Sie werden euch kriegen. Ich kriege euch, Bastarde!“ Dann bekam ich einen Schlag gegen den Kopf und alles wurde dunkel.

Ich erwachte auf dem Sofa im Wohnzimmer. Der Raum lag schräg rechts vom Eingang der Wohnung und die Fenster gaben den Blick auf die Hauptstraße frei, auf der nun gelegentlich wieder ein Auto fuhr. Aus irgendeinem Grund hatte ich sofort den kompletten Grundriss der Wohnung vor meinem inneren Auge. Und da stand er auch schon im Eingang der Zimmertür.

Ich erinnere mich noch heute daran, dass mir schlecht wurde und ich mich übergeben wollte. Gleichzeitig hörte ich deutlich sämtliche Alarmglocken läuten. Ich fühlte mich trotz allem ruhig, richtete mich auf und sagte in normaler Lautstärke: „Ich werde schreien. Was Sie vorhaben, wird Ihr Leben zerstören. Das schwöre ich. Ich werde dafür sorgen.“

Ich sah sein Gesicht nur verschwommen und hörte dafür umso deutlicher seine Worte: „Dein Schreien wird niemand hören, denn alle sind weg. Und du sorgst für gar nichts mehr, wenn ich mit dir fertig bin.“ Dann sah ich ihn schemenhaft auf mich zukommen.

Ich war mit fünf Cousins aufgewachsen, die mir von klein auf beigebracht hatten, mich zu wehren, auszuweichen, mich zu verteidigen. Das wurde nun zu meinem Vorteil. Ich konnte nicht richtig sehen, wie sich später herausstellte wegen meiner Gehirnerschütterung. Als er nun versuchte, sich über mich zu beugen, stemmte ich mit aller Kraft meine kleinen Beine gegen seine Brust und trat immer abwechselnd mal mit rechts, mal mit links zu. Da ließ er von mir ab und fluchte, während er aus dem Zimmer rannte.

Ich rollte mich vom Sofa herunter. Von meinen vorherigen Aufenthalten in der Wohnung wusste ich ungefähr, wo sich was befand. Dann stand er wieder im Türrahmen, jetzt mit einem großen Messer. Wir standen uns gegenüber. Er hob das Messer und sagte: „Dem wirst du nicht entkommen, wenn du nicht tust, was ich sage.“

Mir kamen italienische Schimpfwörter meines Vaters in den Sinn, die er immer benutzte, wenn er meine Mutter schlug. Mir kamen Flüche meiner Mutter in den Kopf, wenn sie meinen Vater schlug. Und ich begann hysterisch zu lachen. Ich sah seine Verwirrung und schrie: „Glaubst du wirklich, ein Messer kann mich, eine Sizilianerin, davon abbringen dich zu töten? Du bist tot, bevor du mir etwas antust, du Schwein!“

Ich konnte sehen, dass meine Worte ihn irritierten. Trotzdem lachte er böse und meinte: „Dann lass mich dir das zeigen.“

Er rannte hinaus, den Flur entlang – und da geschah es. Ich sah die Szene aus meinem Traum. Ich hörte die Worte: „Die Türe ist offen!“ Und ich rannte los zur Wohnungstür – und sie war offen! Ich sah aus den Augenwinkeln, dass er mit einer Waffe in der Hand zurückgelaufen kam und diese auf mich richtete. Ich stürzte durch die Haustür ins Freie, keuchte, rannte durch den Innenhof, stolperte, weil ich alles verschwommen sah, und rannte weiter zur Hauptstraße. Ich blickte weder nach rechts noch nach links, überquerte hastig die Straße. Als ich auf der anderen Seite ankam, sah ich verschwommen zwei Menschen, die dort standen. Ich stolperte und sie hielten mich fest. Ich wollte dankbar um Hilfe bitten, als ich sie reden hörte: „Scheiße! Wir müssen sie zurückbringen, sonst müssen wir das Geld zurückgeben …“

Ich fing an zu schreien wie am Spieß. Das brachte die beiden Halbwüchsigen von mir ab. Ich sah kaum durch diesen Nebelschleier und wir standen in einer Art Dreieck wie Wölfe, die einander angreifen wollen, gegenüber. Ich schwankte, doch meine Stimme war so stark, dass die beiden zuhörten, als ich zitternd sagte: „Wenn ihr beiden euch nicht sofort verpisst, dann schwöre ich euch, dass ihr durch meine Hand sterben werdet. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“

Ich konnte ein Zögern erkennen und dann rannten sie weg. Zuerst stand ich da, versuchte etwas genauer zu erkennen, doch es ging nicht. Immer noch hatte ich einen Schleier vor meinen Augen. Ich rannte weiter in Richtung Zuhause. Ich lief einen Weg entlang, dessen Abgrenzung aus einer großen Hecke bestand. Dann stolperte ich. Ich wusste, dass ich kurz vor meinem Zuhause war, als ich das Bewusstsein verlor.

Es war Stunden danach, als ich in diesem Gebüsch erwachte. Ich hörte mein eigenes Ächzen. Ich fühlte überall Schmerz und sah plötzlich die Szene aus meinem Traum wieder. Ich begann hysterisch zu lachen und dann leise zu schluchzen.

Die anderen Engel

Ich war etwa elf Jahre alt. Es war gerade Winter geworden und meine Großmutter bastelte an einem Geburtstagsgeschenk für mich. Es war ein Karton, den sie zum Kleiderschrank für die Kleidung meiner Barbie-Puppe machen wollte. Er sollte in der Farbe Rot erstrahlen und meine Großmutter – Omi – bastelte jede Nacht daran, wenn sie dachte, dass ich schlief.

Meine Großmutter verteidigte mich meinen Eltern gegenüber. Sie hielt immer schützend ihre Hand über mich – selbst in der schlimmsten Zeit, als mein Vater meiner Mutter ein Ohr zertrümmerte, als ich ihn wütend von hinten angriff, er mich völlig alkoholisiert an die Wand schlug und meine Mutter im Krankenhaus landete. Meine Großmutter war der Engel meiner Realität. Dank ihr konnte ich überleben.

Ich teilte ein Zimmer mit ihr und bin heute sehr dankbar dafür, denn so konnte ich so viele liebenswürdige Eigenschaften von ihr kennenlernen. Angefangen von Geschenken, die sie heimlich für mich bastelte, bis hin zu ihren liebenswürdigen Macken. Aber vor allem hatte meine Großmutter die zarteste Haut, das wundervollste Herz, die gepflegtesten Hände und die großzügigste Seele, die ich jemals kennengelernt habe. Sie war der erste Mensch in meinem Leben, für den ich mein Leben gegeben hätte.

Es war wenige Tage bevor sie in einem Krankenhauszimmer verstarb und ich sie nicht mehr sehen durfte. Da hatte ich diese Träume in unserem gemeinsamen Raum, einem 15 Quadratmeter kleinen Zimmer mit einem Klappbett für mich und einem Bett für meine Omi, beide in Kopfrichtung zum Fenster stehend.

Ich dachte, ich sei aufgewacht. War es durch ein Geräusch passiert? Ich konnte es nicht sagen. Da ich mit dem Gesicht zur Wand geschlafen hatte, drehte ich mich um und sah auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes das Bett meiner Großmutter. Am unteren Ende konnte ich ein Licht erkennen. Zuerst glaubte ich, einer Täuschung zu erliegen, die durch Reflexionen des nicht ganz geschlossenen Fensterladens entstanden war. Doch ich ahnte schnell, dass dem nicht so sein konnte.

Das Licht umschloss eine Gestalt, die bläulich schimmerte. Obwohl ich diese Gestalt nicht genau erkennen konnte, erahnte ich just in diesem Augenblick nicht nur ihr genaues Aussehen, sondern auch wer diese Gestalt war und warum sie hier war. Ich hatte keine Angst. Ich fühlte, dass sie nicht zu mir gekommen war. Vielmehr war sie wegen meiner Großmutter hier. Als ich dies realisierte, blickte ich zu meiner Omi. Ich wollte ihr Gesicht sehen, denn ich wusste, dann würde ich alles begreifen. Ich sah also ihren Gesichtsausdruck, blickte nochmals auf die Gestalt am unteren Rande des Bettes, dann wieder zu meiner Großmutter und verstand. Sie schien im Schlafe diese Gestalt anzublicken und mit ihr zu sprechen. Vor meinem Auge verschwammen die Dinge plötzlich …

„Warum bist du nun gekommen?“, hörte ich meine Großmutter fragen. Die Frau am Bettende blickte sie seltsam an und antwortete, es sei an der Zeit, Frieden zu schließen. Sie war ungefähr 50 Jahre alt, trug einen Regenmantel und hatte einen Regenschirm bei sich. Ich wusste, ich fühlte, dass sie in dieser Kleidung gestorben war.

Meine Großmutter schien nicht glücklich darüber, dass sie gekommen war, und ich spürte, wie sie sich innerlich gegen die Anwesenheit dieser Frau wehrte. Diese jedoch war in ihrer Art sehr resolut und ich dachte bei mir, dass sie so wohl auch während ihrer Lebenszeit gewesen war. Sie blickte meine Großmutter an und meinte: „Es ist Zeit für dich zu gehen. Du kannst der Kleinen nicht helfen; sie muss lernen, ihr eigenes Leben zu leben. Sie ist stark und wird verwinden, dass du nicht mehr da bist. Sie wird ihrem Leben einen Sinn geben, mehr als du und ich es je getan haben.“

Ich fragte mich, über wen sich die beiden wohl unterhielten, wollte mich einmischen, als ich plötzlich begriff, dass ich Gegenstand dieser Unterhaltung war! Ich wollte protestieren, doch konnte nichts tun. Ich hatte das Gefühl, mit offenen Augen in meinem Bett zu liegen, dazu verdammt zu beobachten, unfähig zu handeln oder zu sprechen. Es war nicht mein Traum!

Meine Großmutter unterhielt sich noch einige Zeit mit dieser mysteriösen Dame, doch die Konversation blieb mir verborgen. Ich konnte nur die Lippenbewegungen der Frau erkennen, doch da es wohl nicht mehr um mich ging, sollte ich den Inhalt auch nicht erfahren. Das gab mir Zeit, diese Frau näher zu betrachten, wenn man das so sagen kann, denn ich fühlte sie mehr, als dass ich sie sah. Sie musste in ihrem Leben sehr hart und bitter gewesen sein und ich ahnte plötzlich, dass ich die Mutter meiner Großmutter vor mir hatte. Nachdem die Frau mit ihrem Regenschirm in der Luft herumgestikuliert hatte, verließ sie ebenso schnell die Szene, wie sie gekommen war.

Ich fühlte mich erleichtert, denn ganz geheuer war sie mir nicht gewesen. Außerdem bangte ich um meine Großmutter, die sich aber zwischenzeitlich wieder beruhigt hatte – zumindest ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Ich wollte mich gerade umwenden, um in meine eigenen Träume zurückzukehren, als ich spürte, dass die „Besuche“ noch nicht zu Ende waren.

Ich sah erneut ein Licht am Ende des anderen Bettes leuchten. Es war sehr hell und klar. Wieder konnte ich nur schemenhaft eine Gestalt erkennen, die etwas in der Hand hielt und über dem Bett meiner Großmutter auf und ab zu schwenken schien. Ich blickte nach oben, sah einen glücklichen Ausdruck im Gesicht meiner Omi und blickte zurück zu dem neuen Besucher. Es war ein Mann in einem Gewand, wie es die Menschen zur Zeitenwende getragen haben mussten. Er hatte einen Palmenzweig in seinen Händen, den er auf- und niederschwenkte. Ich fühlte seine Gegenwart, die zwar nicht für mich bestimmt war, mir jedoch Wärme vermittelte, die mir die Gewissheit gab, dass er nichts Böses von meiner Großmutter wollte. Er schien mit ihr zu sprechen und sie schien ihm zu erwidern, doch auch dieses Gespräch blieb mir unzugänglich, was mich aber nicht weiter störte. Ich fühlte vielmehr die Sicherheit, dass meine Großmutter, sollte sie gehen müssen – wohin auch immer – in seiner Obhut gut aufgehoben sein würde.

Mit diesen Gedanken und dem Gefühl der Wärme für diesen Mann wandte ich mich endgültig wieder zur Wand und lebte meine eigenen Träume weiter.

Meine Großmutter verstarb kurz nach diesem Erlebnis ohne mich im Krankenhaus. Einige Jahre später erfuhr ich in einer Unterhaltung mit meiner Mutter, dass die Frau, die ich gesehen hatte, tatsächlich meine Urgroßmutter gewesen sein musste. Ich erfuhr jedoch nicht, wer der nette Mann gewesen war.