cover

Wilhelm Schmeisser

Peter P. Eckstein

Ralf Hafner

Gerfried Hannemann

Jörg K. Stengel

Handbuch Wertorientiertes Finanzmanagement

Dieses Buch widmen wir

Univ.-Prof. Dr. Günter Müller-Stewens, St. Gallen

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-86764-585-0 (EPUB)

ISBN 978-3-86496-998-0 (EPUB)

ISBN 978-3-86496-999-7 (EPUB)

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015

Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz

Coverbild: Olga Yakovenko – iStockphoto.com

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Vorwort

Gemäß dem ökonomischen Rationalprinzip der Betriebswirtschaftslehre gilt es, mit einem gegebenen Aufwand den maximalen Ertrag bzw. mit minimalem Aufwand einen gegebenen Ertrag zu erreichen. Dies ist sowohl an der Börse bzw. im Kapitalmarktsektor als auch im Industriebetrieb (Realwirtschaft) gängige Praxis und Maßstab für ein wirtschaftliches Handeln. Während in der kapitalmarktorientierten Finanzierungstheorie, sprich an der Börse, vor allem anhand von Rendite und Risiko der Erfolg im Aktienportefeuille gemessen wird, ist es für einen Industriebetrieb essentiell, eine langfristige Rendite mit seinen Geschäftsfeldern bzw. in seinem (Technologie-)Portefeuille zu erzielen. Innovationen sind der Garant und das Risiko, die für den Fortbestand des Unternehmens stehen bzw. den Fortbestand des Industriebetriebes gewährleisten.

Das Portfoliomanagement ist für beide Erfolgsmodelle, Börse und Industriebetrieb, eine grundlegende Methode und Instrument auf dem Weg sowohl die Rendite als auch die internationale Innovationswettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Obwohl sich die Rahmenbedingungen im Finanzsektor „Börse“ in vielerlei Hinsicht von denen der Realwirtschaft eines Industriebetriebes unterscheiden, wird der Begriff Portfoliomanagement, aus Unwissenheit oder Gedankenlosigkeit in verschiedenen Funktionen der Betriebswirtschaft, z.B. Marketing, Strategisches Management, Finanzwirtschaft, Bankbetriebswirtschaftslehre, Rechnungswesen, Controlling usw., synonym verwendet und nicht klar voneinander abgegrenzt.

Ähnliche Probleme wie bei den Portfolioansätzen gelten auch für die Unternehmensbewertungsmodelle. Oft ist nicht geklärt, welche Finanzierungstheorien welche Unternehmensbewertungsmodelle bevorzugen und warum. Hier eine gewisse argumentative Klärung zu erzielen ist u.a. Aufgabe dieses Lehrbuches.

Auch dieses Mal wollen wir es nicht versäumen, uns für die gute Betreuung unseres Buches durch Herrn Dr. Jürgen Schechler beim UVK-Verlag zu bedanken.

Berlin/Nürnberg

Die Verfasser

Die Autoren

Prof. Dr. Dr. s.c. Peter Eckstein lehrt Statistik und Mathematik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin.

Prof. Dr. Ralf Hafner lehrt International Business mit Schwerpunkt Finance and Accounting an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin.

Prof. Dr. Dr. sc. Gerfried Hannemann ist emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehre der Hochschule Anhalt und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin.

Dora Höhne, Master of Science im Studiengang Finanzdienstleistungen-Risikomanagement, freie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Berlin.

Simon Ohlmeier, Bachelor of Arts (HTW) sowie Master of Science (FU-Berlin), freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kompetenzzentrum Berlin.

Vincent Petsch, Bachelor of Arts (HTW) und London (Westminister Business School) sowie Master of Finance, Accounting, Corporate Law & Taxation (HTW), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kompetenzzentrum Berlin, arbeitet bei KPMG als Unternehmensberater im Bereich Management Consulting.

Prof. Dr. habil. Wilhelm Schmeisser, Professor an der HTW Berlin für Betriebswirtschaft und Direktor des Kompetenzzentrums „Internationale Innovations- und Mittelstandsforschung“, Berlin.

Natalia Stefanenko, Bachelor of Arts, Master of Science im Studiengang Finanzdienstleistungen-Risikomanagement, freie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Berlin.

Dipl.-Kfm. M.Sc. (Math.) Jörg K. Stengel, Unternehmensberater, freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kompetenzzentrum Berlin. Jörg K. Stengel ist anerkannter Aktuar AVÖ, Aktuar DAV, Schwerpunkt ist zurzeit die betriebliche Altersversorgung.

Inhaltsübersicht

Inhalt

  1. Von der „Traditionellen Finanzierungslehre“ zum „Wertorientierten Finanzmanagement“
  2. Eine Banknote als Ausgangspunkt historischer und datenanalytischer Betrachtungen
  3. Unternehmensbewertung
  4. Quantitative Bewertung von Synergiepotenzialen im Rahmen der Unternehmensbewertung auf Basis von Merger and Acquisition-Transaktionen
  5. Zur Widersprüchlichkeit der Portfolio Selection Theory im Vergleich zum strategischen, wirtschaftsprüferorientierten Portfoliomanagement einer Konzernbilanz
  6. Wert-/Erlössicherung im Exportgeschäft mit Devisenforwards

Abkürzungsverzeichnis

AktG Aktiengesetz
BCG Boston Consulting Group
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BRIC Brasilien, Russland, Indien, China
c.p. ceterius paribus
DCF Discounted Cashflow
DRS Deutsche Rechnungslegungs-Standards
e.V. eingetragener Verein
EDV Elektronische Datenverarbeitung
EG Europäische Gemeinschaft
EstG Einkommensteuergesetz
F&E Forschung und Entwicklung
GE Geldeinheiten
GF Geschäftsfeld
GmbHG GmbH-Gesetz
HGB Handelsgesetzbuch
i.d.F. in der Fassung
IC Invested Capital
IDW Institut der Wirtschaftsprüfer
IFRS International Financial Reporting Standards
KStG Körperschaftsteuergesetz
LBO Leveraged-Buy-out
M&A Mergers and Acquisitions
MBI Management-Buy-in
MBO Managment-Buy-out
MVA Market Value Added
MVP Minimum-Varianz-Portfolio
NOPAT Net Operating Profit After Tax
PIMS Profit Impact of Market Strategy
SGE strategische Geschäftseinheit
SGF strategisches Geschäftsfeld
UmgrStG Umgründungssteuergesetz
UmwG Umwandlungsgesetz
WACC Weighted Average Cost of Capital

1 Von der „Traditionellen Finanzierungslehre“ zum „Wertorientierten Finanzmanagement“

von Wilhelm Schmeisser und Dora Höhne

Wissensziele

1.1 Finanzierungstheorien, deren terminologische Grundlagen, Logik und Ziele

Im Buch Schmeisser, W./Hannemann, G./Krimphove, D. u.a. (2012): Finanzierung und Investition, UTB basics, München, wird im ersten Kapitel von drei Finanzierungstheorien ausgegangen, und zwar von der traditionellen Finanzierungslehre, der kapitalmarktorientierten Finanzierungstheorie und der neo-institutionalistischen Finanzierungstheorie. Hier wird Schmidt, R./Terberger, E. (1997) und Schäfer, H. (2002) gefolgt. In diesem Handbuch werden jetzt fünf Finanzierungstheorien diskutiert (vgl. Abb. 1.1 und 1.2). Es kommen in diesem Buch zum Einen die Behavioral Finance-Theorie und das Wertorientierte Finanzmanagement als weitere Finanzierungstheorien hinzu. Hintergrund der Erweiterung der Finanzierungstheorien sind mehrere Hypothesen, die dieses Buch leiten:

(These 1): Die unterschiedlichen Sichtweisen der Finanzierungstheorien geben nicht nur die Spannweite der Beschreibung, Analyse, Erklärung und Gestaltungsmöglichkeiten von Finanzierungsphänomen wider, sondern bestimmen besonders, welche Instrumente und Methoden eines industriell geprägten, wertorientierten Finanzmanagements angewendet werden müssen, beispielsweise bei der Unternehmensbewertung das Ertragswertverfahren und der Economic Value Added (EVA)-Ansatz sowie die Segmentberichterstattung, um die Portfoliomethode zur Analyse der Segmente im Rahmen der Erfolgsanalyse, als Teil der Finanzanalyse, durchzuführen (nicht nach der Portfolioselektion-Theorie nach Markowitz, die nur für Aktien gilt, aber für Industriebetriebe mit ihren Geschäftsfeldern bzw. mit ihren Segmenten nicht anwendbar ist, da bei Geschäftsfeldern auf Synergieeffekte maßgeblich Wert gelegt wird).

(These 2): Es wird davon ausgegangen, dass sich das wertorientierte Finanzmanagement aus der traditionelle Finanzlehre entwickelt hat, und zwar erstens durch den güter- und leistungswirtschaftlichen Bezug des Erfolgsmodells Industriebetrieb, zweitens durch den Shareholder Value-Ansatz, und drittens durch den International Financial Reporting Standard (IFRS), der zumindest die rechnungswesensorientierte Basis des wertorientierten Finanzmanagements bildet (vgl. Abb. 1.3).

(These 3): Die kapitalmarkttheoretischen Finanzierungstheorien, die auf volkswirtschaftlichen Grundüberlegungen beruhen, brillieren zwar durch ihre mathematischen Modelle wie die Portfolio Selection Theory oder die Discounted Cashflow-Verfahren bei der Unternehmensbewertung, blenden aber die „Realwirtschaft“ mehr oder weniger aus und können deshalb nur begrenzt auf betriebswirtschaftliche Fragestellungen angewandt werden. Hinzu kommt, dass über das Erfolgsmodell Börse bei den kapitalorientierten Finanzierungstheorien z.B. bei Hedgefonds, die eine 1000%-Rendite gegenüber Ländern, Währungen und sanierungsbedürftigen Unternehmen anstreben (ansonsten ist bereits bei 18% Rendite der rechtliche Tatbestand des Wuchers gegeben), eine gewisse „Piraterie“ auf globalen, nicht regulierten Finanzmärkten betreiben.

(These 4): Sowohl bei den Banken im Firmenkundengeschäft, beim Rating, im Rahmen von Mergers and Acquisitions-Aktivitäten von internationalen Unternehmen, aber auch in der Wirtschaftsprüfungspraxis werden Unternehmen nach dem wertorientierten Finanzmanagement beurteilt.

(These 5): Zum besseren Verständnis des wertorientierten Finanzmanagements und als modellmäßige Grundlage zur Reflexion des Buches wird die kapitalmarktorientierte Finanzierungstheorie ausführlich zugrunde gelegt, aber auch der Behavioral Finance-Ansatz behandelt, um das Spannungsfeld des betriebswirtschaftlichen Finanzmanagements deutlicher hervorzuheben und die Probleme der nicht-regulierten Finanzmärkte durch Schattenbanken wie Bad Banks, Hedge-Fonds, Private-Equity-Modelle mit internationalen, legalen Steuerhinterziehungsmodellen durch Banken deutlicher herauszuarbeiten.

1.1.1 Traditionelle Finanzierungstheorie

In der Literatur wird der Begriff Finanzierung, aber auch der der Investition und deren Zusammenhang unterschiedlich beschrieben und definiert. Die traditionelle Finanzierungslehre wählt den Industriebetrieb als Erfolgsmodell und Ausgangspunkt ihrer wissenschaftlichen Betrachtungen. Ziel des Industriebetriebes ist es, im Sinne der klassischen volkswirtschaftlichen Auffassung, eine größtmögliche Bedürfnisbefriedigung oder maximale Nutzenerzielung der Konsumenten zu erreichen. Der historische Hintergrund der traditionellen Finanzierungstheorie ist, dass vor über 150 Jahren auch in Deutschland Industriebetriebe wie Siemens, AEG, Bosch, Bayer, BASF, Krupp und Thyssen, später Mercedes-Benz, VW oder BMW die junge Wissenschaft Betriebswirtschaftslehre stark geprägt haben. Der Industriebetrieb dient mit seinem Geschäftsmodell dabei der Güter- bzw. Sachzielerzeugung der Volkswirtschaft und damit der Bevölkerung.

Massenproduktion und Massenvertrieb (Marketing) erfordern umfangreiche Investitionen und ziehen entsprechende Finanzierungsprobleme nach sich. Die leistungswirtschaftliche Sphäre mit Beschaffung/Logistik, Materialwirtschaft, Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Absatz erfordern laufend Investitionen, die zu finanzieren sind. Die Finanzierung wird dabei als Hilfsfunktion des Betriebes angesehen, die für die Investitionen zur Sachzielerstellung notwendig ist. Die Finanzierung nimmt dabei folgende Aufgaben wahr:

1.1.2 Kapitalmarktorientierte Finanzierungstheorie auf der Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen

Die Maximierung des Nutzens der oder des Konsumenten im Sinne der utilitaristischen Philosophie ist die Grundlage der Kapitalmarkttheorie. Die Güterversorgung der Volkswirtschaft durch das Unternehmen wird per Prämisse wegdefiniert, und es geht nur noch um den „Nutzen“ der Gelderhaltung bzw. Geldvermehrung mittels des Erfolgsmodells Börse, die symbolisch für den idealen, volkswirtschaftlichen Markt mit allen seinen Gütern steht. Die Börse, die durch ein ideales Portfolio im Sinne der Portfolio-Selection-Theory abgebildet werden kann, bestimmt wiederum, so die Annahme, die „Realwirtschaft“ der Volkswirtschaft bzw. die leistungswirtschaftliche Sphäre des Industrieunternehmens. Wenn in der traditionellen Finanzierungslehre noch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Investitionen und die Kapitalaufbringung mittels der Hilfsfunktion Finanzierung im Vordergrund des Industrieunternehmens standen, so werden diese Aufgaben des Finanzmanagements durch die Theoreme von Modigliani/Miller wegdefiniert. Nach Modigliani/Miller sind auf einem idealen Markt „Börse“ Investitions- und Finanzierungsentscheidungen gleich, und deshalb nur noch Geldanlageentscheidungen des Investors (z.B. des Hedge-Fonds). Der ideale Markt, die Börse, die mehr oder weniger dem Portfolio des (Konzern-)Unternehmens entsprechen soll, muss nach mathematisch-wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen gesteuert und gestaltet werden. D.h. ohne Synergieeffekte eines „normalen“ Industrieunternehmens, wobei auch die Argumentationen eines wertorientierten Strategischen Managements eines Industrieunternehmens keine Rolle spielen.

Die Logik der Portfolio Selection Theory und der Kapitalmarkttheorie sind derartig verknüpft, dass behauptet wird, dass Menschen meist sparen wollen und können. Mit einer Transformation von Teilen des Einkommens in Aktien sichern sie sich ihren zukünftigen materiellen Wohlstand bzw. höheren Nutzen

Im Zentrum der Portfolio Selection Theory steht die Frage des privaten, individuellen Anlegers oder Investors, welche Geldbeträge er in die einzelnen Aktienanlage-möglichkeiten binden will oder soll. Bei diesem Entscheidungsproblem spielen Rendite und Risiko unter verschiedenen Daten- und Erwartungskonstellationen eine entscheidende Rolle, insbesondere:

Kritisch muss dazu angemerkt werden, dass man versucht hat, die Überlegungen zu den Aktienportefeuilles auf die Problematik von Industrieunternehmen zu übertragen, was unweigerlich schief gehen musste und schief gegangen ist, wie die Banken- und Finanzkrise dies 2007 bis heute belegt. Beispiele hierfür sind Fragen wie diese:

1.1.3 Neo-institutionelle Finanzierungstheorie auf der Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen

Im Gegensatz zur neoklassischen oder kapitalmarktorientierten Finanzierungstheorie, die Investition und Kapitalnehmer sowie Finanzierung und Kapitalgeber separiert betrachtet, führt die neo-institutionalistische beide Seiten, d. h. die Investitions- und Finanzierungsseite wieder bewusst zusammen. Die volkswirtschaftliche Vorstellung in dieser Theorie beruht auf der Einsicht, dass Finanz- und Gütertransaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten nicht vollkommen marktmäßig durchgeführt werden können. Wobei der unvollkommene Markt zentrale, kostengünstige und effiziente Organisations- und Kontrollfunktionen in der Ausprägung des Unternehmens übernimmt und erzeugt, und dies alles zum höchsten Gesamtnutzen einer Volkswirtschaft. Demnach gehören unternehmerische Bereitstellungen der Güterversorgung durch Industriebetriebe, aber auch staatliche oder sonstige Formen von Unternehmenszusammenschlüssen zu den besondere Formen des Marktversagens aus kapitalmarktorientierter Sicht, aber sind „empirisch“ unvermeidbar. Nach North (1988, S. 207) wird unter Institutionen im Finanzsystem ein System von rechtlichen Regelungen, Kontrakten, Verträgen, Zustimmungsverfahren und ethischen Verhaltensregeln zwischen Banken, Versicherungen und Finanzintermediäre verstanden, das den Gläubigerschutz garantiert. Gerade in Situationen, wenn man glaubt, dass man anderen kein Vertrauen schenken darf, sind die Institutionen und rechtlichen Verträge wegen der Unvollständigkeit der Information und der Nicht-Rationalität der Akteure kaum zu vermeiden.

In der neo-institutionellen Finanzierungstheorie wird aus volkswirtschaftlicher Sicht die Existenz von Unternehmen begründet bzw. warum es aus der Sicht der Property-Right-Theory nicht-marktmäßige Koordinationsmechanismen, wie Unternehmen existieren.

Kritisch ist anzumerken, warum nicht diskutiert wird, dass nur Industriebetriebe ein langfristiges Innovationsmanagement mit langfristigen Investitionen betreiben können, aber keine Börse; und dass der Wettbewerb durch wertorientierte Geschäftsmodelle/ Strategische Geschäftsfelder, die technologisch orientiert sind, von Industriebetrieben strategisch-langfristig und global geführt werden müssen. Also Tatsachen, die das Erfolgsmodell „Börse“ nie leisten kann und wird. Ein Innovationswettbewerb kann über die Börse marktmäßig nicht abgewickelt noch langfristig finanziert werden. Deshalb sind Markt- bzw. Börsenmodelle für langfristige, technologische Innovationswettbewerbe von Industriebetrieben nicht geeignet.

1.1.4 Behavioral Finance auf der Basis volkswirtschaftlicher und verhaltenswissenschaftlicher Überlegungen

Phänomene wie den Bank-Run in Griechenland, dass z.B. sehr viele Griechen ihre Euros von ihren Banken holen und zu Hause verstecken bzw. ins Ausland überweisen, ist vielleicht nicht immer volkswirtschaftlich rational zu verstehen, aber aus der Sicht der Menschen, die einen Grexit fürchten, erklärbar.

Als Facebook an die Börse ging, kauften sehr viele Internet-Freaks Facebook-Aktien, ohne beurteilen zu können, ob der Preis der Aktie zu hoch oder zu niedrig war. Es genügte für sie, dass Facebook ein Programm für sie entwickelt hatte, das sie benutzten. Also Grund genug, Facebook-Aktien zu kaufen.

1996 kauften sehr viele Bürger T-Aktien, da sie davon ausgingen, dass der Wert dieser Aktie nie fallen könnte, sie die Aktie immer zu einem hohen Preis verkaufen könnten und sie sicher immer hohe Dividenden ausgeschüttet bekommen würden. Als die TAktie um 90% sank, beschwerten die Aktionäre bzw. Bürger sich bei Politikern und bei der Regierung, klagten gegen das Unternehmen und wollten ihre Verluste ersetzt bekommen; gleichzeitig stiegen sie aus dem Aktiengeschäft aus und legten ihr Geld wieder in Sparbüchern an.

Die verhaltenswissenschaftliche Finanzierungstheorie beschreibt, analysiert und erklärt das Verhalten der Menschen als volkswirtschaftlich nicht rational und fragt danach, welche Konsequenzen man aus einem derartigen Verhalten ziehen könnte. Beispielsweise spielen Mitläufer- und Machtaspekte beim Kauf von Aktien und/oder Unternehmen eine bedeutende Rolle und nicht utilitaristische Überlegungen.

Fazit: Die Behavioral Finance-Theory untersucht irrationales Anlageverhalten und systematisiert Anomalien am Kapitalmarkt als Resultat von volkswirtschaftlich irrationalem Verhalten.

Aspekte/ Kriterien Der Industriebetrieb als Objekt der betriebswirtschaftlichen Finanzierungstheorie
Traditionelle Finanzierungslehre Corporate Finance / Wertorientiertes Finanzmanagement
Wissenschaften/ wissenschaftlicher Hintergrund Betriebswirtschaft / Rechtswissenschaften Betriebswirtschaft / Rechtswissenschaften / Mathematik
Erfolgsmodell Industriebetrieb Industriebetrieb
Grundannahmen Massenproduktion und Massenvermarktung zur Versorgung der Volkswirtschaft→ Investitionen in derjeistungswirtschaftlichen Sphäre“ bestimmen die Finanzierung unter Beachtung des finanziellen Gleichgewichts, um Konkurs / Insolvenz zu vermeiden Neben Massenproduktion bestimmen Internationalisierung, Mergers and Acquisitions und Innovationsmanagement die Investitionen und die Finanzierung unter Beachtung des Internationalen Cash Managements und des Währungsmanagements zur Erzielung des Shareholder Value
Ausgewählte Modelle und Aspekte
  • Bilanz, Gewinn-und Verlustrechnung, Finanzbudgetierung
  • Unternehmensbewertungsmodelle:
    1. Substanzwertverfahren
    2. Ertragswertverfahren
  • Finanzierungsoptionen in den unterschiedlichen Unternehmenslebenszyklen
  • IFRS-Bilanzanalyse als Finanzanalyse
  • Internationales Cash Management und Währungsmanagement
  • Unternehmensbewertung aus Shareholder-Value-Perspektive
  • Portfoliomanagement auf der Grundlage des Segmentberichts der Konzernjahresabschlussanalyse und des Synergiemanagements

Abb. 1.1: Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien

Aspekte/ Kriterien Volkswirtschaftliche „Finanzmarkte“ als Objekt der betriebswirtschaftlichen Finanzierungstheorien „Menschliches Verhalten“ als Objekt der Behavioral Finance
Kapitalmarktorientierte Finanzierungstheorie Neo – institutionalistischer Finanzierungsansatz
Wissenschaften/wis senschaftlicher Hintergrund Volkswirtschaft / Neoklassik / Mathematik / Statistik Volkswirtschaft / Institutionsökonomische Ansätze Verhaltenswissenschaften / Psychologie / Soziologie
Erfolgsmodell Finanzmärkte ohne Realwirtschaft Finanzmärkte mit Institutionen Verhalten des Menschen bei finanziellen Problemstellungen
Grundannahmen
  • Vollkommene Informationen aller Marktteilnehmer
  • Homo oeconomicus als „rationaler Mensch“
  • Investirons- gleich Finanzierungslösungen am Markt
  • Keine Institutionen um Investoren zu schützen
  • Unvollkommene Informationen über die Finanzmärkte
  • Institutionen wie Banken, Versicherungen, Verträge sollen Marktteilnehmer schützen (Kreditsicherungsinstrumente)
  • Der Mensch entscheidet bei Finanzierungsproblemen nicht rational
  • Mitläufer-, Steuer-und Machtaspekte etc. spielen eine bedeutende Rolle bei der Finanzierung
Ausgewählte Modelle und Aspekte
  • Marktinvestitionen in Aktien auf der Grundlage des Portfoliomanagementansatzes von Markowitz
  • Absicherung mittels Optionen und Future von „Privat-Kapital“ in Aktien
  • Unternehmensbewertung als DCF-Verfahren
  • Theorie der Verfügungsrechte
  • Transaktionskostenansatz
  • Principal - Agent - Ansatz
  • Unternehmensbewertung als DCF-Verfahren und EVA-Verfahren
  • Irrationales Anlageverhalten als Grundlage der Behavioral Finance
  • Systematische Anomalien am Kapitalmarkt als Resultat von irrationalem Verhalten
  • Kennzahlenanomalien
  • Drei - Faktoren - Modell von Fama und French

Abb. 1.2: Wertorientiertes Finanzmanagement im Vergleich zu anderen Finanzierungstheorien

1.2 Wertorientiertes Finanzierungsmanagement

Das „Wertorientierte Finanzierungsmanagement“ geht vom Unternehmensziel (The Goal of the Firm) bzw. vom wertorientierten Geschäftsmodell aus (vgl. Apple-Beispiel unten), um hohe Umsätze, Cashflows oder EBITs und einen hohen Unternehmenswert, z.B. in Form von EVAs, zu erzielen. Ansonsten muss das Portfoliomanagement seine Geschäftsmodelle/strategischen Geschäftsfelder bzw. Segmente überprüfen, ob diese noch im Konzernportfolio gehalten werden können oder eliminiert werden müssen. Mittels der Konzernunternehmensbewertung und der Bewertung jedes einzelnen Geschäftsfeldes kann das Konzernportfolio überprüft werden. Gleichzeitig wird zu jedem einzelnen Geschäftsfeld eine Analyse des Strategisches Managements durchgeführt, inwiefern Überlegungen zum PIMS, der Erfahrungskurve, Synergieeffekte und ein kritischer Strategiediskurs hierbei mitberücksichtigt wurden. Es ergeben sich daraus Fragen gemäß IFRS, ob sich im internationalen Jahresabschluss bzw. Finanzcontrolling Strategieüberlegungen widerspiegeln (vgl. Abb. 1.3 und das Apple-Beispiel).

„Apple Computer (AAPL) ignited the personal computer revolution in the 1970s with the Apple II and reinvented the personal computer in the 1980s with the Macintosh. But by 1997, it looked like it might be nearing the end for Apple. Mac users were on the decline, and the company didn´t seem to be headed in any real direction. It was at that point that Steve Jobs reappeared, taking back his old job as CEO of Apple, the company he cofounded in 1976. To say the least, things began to change. In fact, between then and September 2009, the price of Apple´s common stock has climbed by over forty-one-fold!

How did Apple accomplish this? The company did it by going back to what it does best, which is to produce products that make the optimal trade-off between ease of use, complexity, and features. Apple took its special skills and applied them to more than just computers, introducing new products such as the iPod, iTunes, the sleek iMac, the MacBook Air, iPod Touch, and iPhone along with its unlimited “apps”. Although all these products have done well, the success of the iPod has been truly amazing. Between the introduction of the iPod in October 2001 and the beginning of 2005, Apple sold more than 6 million of the devices. Then, in 2004, it came out with the iPod Mini, about the length and width of a business card, which has also been a huge success, particularly among women. How successful has this new product been? By 2004, Apple was selling more iPods than its signature Macintosh desktop and notebook computers.

How do you follow up on the success of the iPod? You keep improving your products and you keep developing and introducing new products that computers want. With this in mind, in March 2009, Apple unveiled its latest version of the iPod Shuffle. At the half the size of the previous generation iPod Shuffle, it has 4 GB of the storage, it is able to hold up to 1.000 songs, and is less than the size of a house key. It even has a new feature called Voiceover that, with the press of a button, tells you the song title or artist.

How did Apple make a decision to introduce the original iPod and now the tiny iPodShuttle? The answer is by identifying a costumer need, combined with sound financial management. Financial management deals with the maintenance and creation of economic value or wealth by focusing on decision making with an eye toward creating wealth. As such, this text deals with financial decisions such as when to introduce a new product, when to invest in new assets, when to replace existing assets, when to borrow from banks, when to sell stocks or bonds, when to extend credit to a customer, and how much cash and inventory to maintain. All of these aspects of financial management were factors in Apple´s decision to introduce and continuously improve the iPod, iPod Shuffle, and iPhone, and the end result is having a major financial impact on Apple. ” (Keown, A. J./Martin, J. D./Petty, J. W.: Foundations of Finance, The Logic and Practice of Financial Management. 7th Edition, Pearson, Boston, New York, San Francisco 2011).

Das wertorientierte Finanzmanagement wird hier als Weiterentwicklung der traditionellen Finanzierungstheorie verstanden. Das Erfolgsmodell „Industriebetrieb“ ist sowohl Grundlage einer allgemeinen, internationalen Betriebswirtschaftslehre, eines wertorientierten Strategischen Managements einschließlich eines technologieorientierten Innovationsmanagements mit einem axiomatischen Geschäftsmodell als auch einer Shareholder Value-orientierten Finanzierungstheorie, die auf Rappaport (1986) zurückgeführt wird.

Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Das wertorientierte Finanzmanagement basiert auf einen internationalen, betriebswirtschaftlichen operativen und strategischen Hintergrund mit ausgewählten Aspekten der Rechtswissenschaften, der Finanzmathematik, Mathematik und Statistik.

Grundannahmen: Wie in der traditionellen Finanzierungstheorie wird von der Investitionsseite bzw. der leistungswirtschaftlichen Sphäre des Industriebetriebes ausgegangen, die aber nicht nur ein operatives Working Capital Management in der Beschaffung/Logistik, Produktion, Marketing permanent optimieren muss (vgl. wertorientiertes Geschäftsmodell durch ein Lean-Management bei Toyota), sondern auch strategisch den Industriebetrieb ausrichten muss, z.B. durch den „Integrierten Berliner Innovationsansatz“ (vgl. oben das Apple-Beispiel bzw. Schmeisser 2013, S. 48 ff.). Neue intuitive Geschäftsmodell-Innovationen sind permanente Herausforderungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich und in der automatisierten Produktion („Digitale Industrie“), die enorme Investitionen nach sich ziehen und dabei in ein wertorientiertes Geschäftsprozessmodell im Sinne der Lean-Management-Philosophie zu implementieren sind (Schmeisser/Höhne u.a., 2015). Strategien zur Verwirklichung der internationalen Massenproduktion mit internationalen Wertschöpfungsketten und der Umsetzung der Erfahrungskurve bei der internationalen Massenvermarktung stehen dabei im Fokus.

Weiter stehen ausgewählte finanzwirtschaftliche Modelle und Aspekte des Rechnungswesens nach IFRS beim (Finanz-)Controllings im Fokus:

Bei den unterschiedlichen Unternehmenslebenszyklusphasen des Konzerns helfen neben den Zahlen des Rechnungswesens auch ausgewählte Argumentationsaspekte des Strategischen und des Innovations-Managements (z.B. Synergieeffekte, Realisierung der Erfahrungskurve, Suche nach neuen Geschäftsmodellen, Strategische Bilanzanalyse usw.).

Abb. 1.3: Aspekte eines „Wertorientierten Finanzmanagements“

Aufgaben/Fragen

Zu diesem Kapitel gibt es Aufgaben mit Lösungen. Diese finden Sie unter www.uvk-lucius.de/finanzmanagement

Ausgewählte Literatur zu diesem Kapitel

Brem, A. Heyd, R. / Schmeisser, W. (2015): Internationale Betriebswirtschaftslehre, UVK, München

Hungenberg, H. (2011): Strategisches Management in Unternehmen: Ziele – Prozesse – Verfahren. 6. Aufl., Wiesbaden

Müller-Stewens, G. / Lechner, S. (2011): Strategisches Management, 4. Aufl. Schäffer Poeschel, Stuttgart

Rappaport, A. (1986): Creating Shareholder. The New Standard for Business Performance. New York. London

Schmeisser, W. (2013): Terminologische Grundlagen zum Innovationsmanagement sowie zu den Innovationstheorien. In: Schmeisser, W. / Krimphove, D. / Hentschel, C. / Hartmann, M. (2013): Handbuch Innovationsmanagement, UVK-Verlag, München, S.17–52

Schmeisser, W. / Andresen, M. / Kaiser, S. (2012) Personalmanagement, UTB basics, Kapitel 1 und 3, Finanzorientiertes Personalmanagement

Schmeisser, W. / Clausen, L. (2009): Controlling und Berliner Balanced Scorecard, Oldenburg Verlag, München

Schmeisser, W. /Hannemann, G. / Krimphove, D. u.a. (2012): Finanzierung und Investition, UTB basics, München, Kapitel 1,

Schmeisser, W. / Höhne, D. u.a. (2015): Wertorientierte Geschäftsmodelle (2015), UVK, München

2 Eine Banknote als Ausgangspunkt historischer und datenanalytischer Betrachtungen

von Peter P. Eckstein

Wissensziele

Aus dem Studium des Essays sollen Sie die Erkenntnis gewinnen, dass

2.1 Historische Notizen und mathematische Einblicke

Sie werden sich vermutlich in einem ersten Augenblick etwas verwundert und fragend die Augen reiben, wieso und warum gerade die in der Abbildung 2.1 dargestellte und von 1991 bis zur Einführung des „Euro“ im Jahre 2002 sich im Umlauf befindende Banknote „Zehn Deutsche Mark“ einen Zugang zum wertorientierten Finanzmanagement ermöglichen soll. Nun, die Antwort auf diese verwunderliche Frage liegt so offenkundig auf der Hand, wie es die allein auf der Vorderseite der Banknote indizierten Botschaften vermutlich nicht sein werden.

Abb. 2.1: 10-Mark-Banknote

Die augenscheinliche Kernbotschaft der abgebildeten Banknote wird einerseits durch das verbale Geldwert-Etikett „Zehn Deutsche Mark“ in seiner numerischen Kennzeichnung „10“ mittels der beiden arabischen Ziffern 1 und 0 und andererseits durch ein Bildnis des genialen deutschen Mathematikers, Astronomen und Geodäten Carl Friedrich GAUß (*1777, †1855) vermittelt. Das Bildnis von GAUß, das in einer seitenverkehrten Darstellung auf einem Gemälde des dänischen Malers Christian Albrecht JENSEN (*1792, †1870) aus dem Jahr 1840 beruht, wird zudem noch durch weitere interessante Botschaften ergänzt. Im Kontext der nachfolgenden Abhandlungen sollen dabei einmal nur die Zahl 10 und die vermutlich leicht zu übersehende mathematische Funktion in Gestalt eines glockenförmigen Graphen einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Letztere kann aus historischer Sicht als eine Würdigung der mathematischen Leistungen von GAUß interpretiert werden.

Der etymologische Ursprung des Substantivs Zahl liegt im althochdeutschen Wort „zala“ und kann semantisch mit „eingekerbtes Merkzeichen“ übersetzt werden. Die umgangssprachliche Redewendung „von dem, der einiges auf dem Kerbholz hat“ kann als ein bildhaftes Gleichnis dafür angeführt werden, das seit je her vor allem Schulden, erbrachte Leistungen oder Lieferungen in einer einfachen und fassbaren Form in Gestalt von „Kerben“ oder „Strichen“ vermerkt wurden. Eine Betrachtung der Abbildung 2.2 weckt auch heute noch Erinnerungen an die eigene Gymnasialzeit, als beim gemeinsamen Besuch mit Freunden in einem Schalkauer Wirtshaus eine Menge von bestellten Bieren mit Hilfe von „gebündelten Strichen“ auf einem Bierdeckel vermerkt wurde.

Abb. 2.2: Bierdeckel

Im Blickwinkel zahlenbezogener Wortursprungserklärungen soll zudem noch vermerkt werden, dass das deutsche Wort „Zahl“ dem griechischen Wort „arithmos“ und dem lateinischen Wort „numerus“ entspricht. Letzteres gewährt wiederum einen Zugang zu den beiden lateinischen Begriffen „numen“ und „nummus“, die bei den „alten Römern“ einerseits eine Gottheit und andererseits eine Münze bezeichneten. Nicht nur im „alten Rom“, sondern auch heute noch ist der Zahlenbegriff auf das Engste mit dem Geld- und Finanzwesen verwoben. Allein die verbale Formulierung vom „Zahlen eines Beitrages“ bzw. vom „Bezahlen einer Rechnung“ deutet auf diesen semantischen und sachlogischen Verbund hin.

Die Art und Weise, wie die acht Striche auf dem Bierdeckel in der Abbildung 2.2 vermerkt wurden, gewährt analog zur Abbildung 2.3 einen anschaulichen Zugang zu den fünf Fingern einer menschlichen Hand bzw. zu den zehn Fingern beider Hände eines Menschen, die seit je her als ein natürliches Zählmaß vor allem für kleine Mengen fungierten.

Abb. 2.3: Natürliches Zählmaß

Augenscheinlich symbolisiert im Kontext der hand- und fingerbezogenen Anzeige das „Strichbündel“ IIII die fünf gespreizten Finger der rechten Hand und in logischer Konsequenz das „Strichbündel“ III die drei gespreizten Finger der linken Hand. Es leuchtet zumindest intuitiv ein, dass diese Art und Weise der Beschreibung einer sehr großen Menge von Elementen hinsichtlich der Anzahl der zugehörigen Elemente bzw. ihres „Umfanges“ umständlich, unübersichtlich und mitunter problematisch ist.

Diese ernüchternde Charakteristik trifft auch für die römischen Zahlen zu, die gleichsam wie „zahlreiche Kerben auf einem langen Kerbholz“ oder „zahlreiche Striche auf einem Bierdeckel“ aus historischer und zahlentheoretischer Sicht als klassische Beispiele für ein sogenanntes Additionssystem anzusehen sind.

Zur Erläuterung römischer Zahlen sind in der Abbildung 2.4 einmal nur die meistbenutzten römischen Ziffern in ihrer Gliederung nach Grund- und Hilfszeichen einschließlich ihrer sogenannten dezimalen Wertigkeit zusammengestellt.

Abb. 2.4: Römische Ziffern

Gemäß Abbildung 2.4 liefert wegen V + III = VIII ein römischer Abakus, der in seiner wörtlichen Übersetzung aus dem Griechischen und Lateinischen die Bezeichnung für ein „Rechenbrett“ ist, ein Ergebnis, das formal mit dem viergliedrigen Ziffernsymbol „VIII“ und verbal mit dem Zahlwort „acht“ etikettiert wird und in seiner Transkription mittels arabischer Ziffern wie folgt notiert werden kann: 5 + 3 = 8.

Man schrieb in der damals üblichen Art und Weise in römischen Zahlen MDIII das Jahr „eintausendfünfhundertdrei“ als der Mönch Gregor REISCH (*um 1470, †1525) als ein Vertreter der philosophischen Schule der scholastischen Realisten eine Enzyklopädie mit dem Titel „Margarita philosophica“ verfasste, die in ihrer lateinischen Übersetzung eine „Perle der Philosophie“ ist und als das älteste gedruckte Handbuch der mittelalterlichen Wissenschaften gilt.

Abb. 2.5: Typus arithmeticae

In der Abbildung 2.5 ist unter dem Titel „Typus arithmeticae“ die Arithmetik, die ihrem griechischen Wortursprung gemäß die „Kunst im Umgang mit Zahlen“ ist, durch eine weibliche Person bildhaft dargestellt. In dieser bildhaften Darstellung wacht „Arithmetica“ in ihrem mit den beiden Zahlenfolgen 1, 3, 9, 27 und 1, 2, 4, 8 geschmückten Gewand als eine Schiedsrichterin über einem Rechenwettstreit, der an getrennten Tischen von zwei „arithmetischen Wettstreitern“ ausgetragen wird.

Interessant ist dabei, dass die beiden Zahlenfolgen auf dem Gewand der „Arithmetica“ ihrem Wesen nach geometrische Zahlenfolgen sind und allgemein für alle natürlichen Zahlen n = 1, 2, 3, … mit Hilfe der Gleichung

an = a1·qn−1

dargestellt werden können, wobei sich für a1 = 1 und q = 3 die erstgenannte Zahlenfolge 1, 3, 9, 27 und für a1 = 1 und q = 2 die letztgenannte Zahlenfolge 1, 2, 4, 8 ergibt. Die konstante Größe

kennzeichnet für n ≥ 2 den Quotienten q zweier benachbarter Zahlen einer geometrischen Zahlenfolge. Geometrische Folgen bilden wiederum das mathematische Fundament der sogenannten Zins- und Zinseszinsrechnung.