Friedhelm Rathjen

Von

GET BACK

zu

LET IT BE

Der Anfang vom Ende der Beatles

FUEGO

Für die

Boscheler Glimmer Twins:

Bobby „Sunset“ Meyer

und

Manni „Manni“ Hensel

- Über dieses Buch -

Anfang Januar 1969 versammelten sich die Beatles in den Filmstudios Twickenham, um für ein neues Projekt zu proben und Songs aufzunehmen; dabei war anfangs nicht ganz klar, was am Ende wirklich herauskommen sollte: ein Live-Auftritt, eine TV-Show, ein Film, eine Dokumentation, vielleicht sogar ein neues Album? Diverse kuriose Ideen erwiesen sich dabei als nicht realisierbar, so etwa Live-Auftritte an so illustren Orten wie einem Amphitheater, der nordafrikanischen Wüste, an Bord eines Kreuzfahrtschiffes oder (dies ein nicht sonderlich ernstgemeinter Vorschlag John Lennons) in einer Irrenanstalt.

Was eigentlich als Neuanfang der Band gedacht war, entwickelte sich zunächst so desolat, daß es stattdessen zum Anfang vom Ende der Beatles wurde. Den Höhepunkt erreichten die Spannungen, als George Harrison nach einem Streit mit John Lennon seinen Austritt erklärte und die Aufnahmen verließ; erst nach mehreren Tagen ließ er sich zur Rückkehr bewegen, und nach einer Veränderung der Zielsetzung fanden die Beatles zu einem produktiven Miteinander zurück, doch ein Jahr später waren die Beatles Geschichte, und ihr Ende bleibt für immer mit den berüchtigten „Get-Back“-Sessions verknüpft. „Von GET BACK zu LET IT BE“ erzählt erstmals die ganze Geschichte dieser Sessions. Genaugenommen sind es zwei Geschichten, die erzählt werden, eine musikalische Geschichte, die der Entstehung des vorletzten Beatles-Albums, das von vielen bis heute für ihr letztes gehalten wird, und eine menschliche Geschichte, die des Umgangs der Beatles miteinander. Es war wirklich der Anfang vom Ende der berühmtesten und bedeutendsten Popgruppe der Welt war, aber es gab auch immer noch hochproduktive Momente. Wir sind bei der Proben- und Aufnahmearbeit der Beatles so nah dabei, wie es nur geht, und erleben, wie stümperhaft sie sein konnten, freilich auch, mit wie einfachen Mitteln sie immer noch musikalische Werte für die Pop-Ewigkeit schufen. Erst die Kenntnis dieser Sessions ermöglicht die Beantwortung des letzten ungelösten Beatles-Rätsels: warum haben sie sich denn nun wirklich getrennt?

»… in jeder Hinsicht großartig zu lesen, für Fans von “Let it be”, für alle Musiker, die hier erfahren, dass sich Beatles-Proben von Schülerbandsessions in keiner Weise unterscheiden bis hin zu allen Freunden der späten 1960er Jahre.«

Bücher in Zahlen

Anfänge

1960-1968

Am frühen Nachmittag des 10. Januar 1969 sitzen vier junge Männer samt Gefolge in der Kantine der Filmstudios von Twickenham im Westen Londons, und die Dinge zwischen ihnen stehen gar nicht gut. Die vier heißen John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr; es sind die Beatles, und zwischen zweien von ihnen knallt es mächtig – zwischen John und George. Wutschnaubend verlässt George am Ende den Schauplatz, und nicht nur den, sondern die Gruppe; er steigt bei den Beatles aus. Eine Woche lang sieht es so aus, als sei dies das definitive Ende der Beatles, dann geht es aber doch noch weiter, und zwar nicht etwa, weil Johns spontane Idee umgesetzt würde, man könne als Ersatz für George ja einfach Eric Clapton verpflichten „oder Jimi“, sondern es geht weiter, weil George sich bereit erklärt, unter bestimmten Bedingungen wieder einzusteigen. Eine dieser Bedingungen ist, dass sie aus Twickenham verschwinden.

Dass sie überhaupt in Twickenham sind, schon seit einer Woche, hat paradoxerweise gerade damit zu tun, dass Paul die Beatles wiederbeleben wollte, und zwar durch eine Rückkehr zu den Wurzeln, zum gemeinsamen Livespiel. Dieses Ansinnen geht gründlich in die Hose, das weiß jeder, der das Beatles-Album Let It Be und den gleichnamigen Film kennt, also die Dokumente dieser Sessions – oder vielmehr die angeblichen Dokumente, denn es sind in Wahrheit eher Verfälschungen. Der Streit zwischen John und George kommt im Film nicht vor, dafür aber eine Auseinandersetzung zwischen George und Paul über Details der Instrumentierung eines Songs, und folglich gilt seit dem Erscheinen von Platte und Film Paul als der Buhmann, dessen diktatorisches Gehabe die Beatles ruiniert habe.

Dabei ist es eigentlich gerade kein diktatorischer Ansatz, sondern die Gemeinschaft vier halbwegs gleichberechtigter Kumpel, die Paul mit dem Projekt hatte stärken wollen. Die Männerkumpanei war es, auf deren Basis die Beatles funktioniert haben, solange sie funktionierten; ja, eigentlich ist es nicht mal eine Männerkumpanei, sondern eine Jungsfreundschaft, herübergerettet noch aus gemeinsamen Schul- und Jugendzeiten. Seit 1957, als Paul fünfzehn war und John sechzehn, machen sie zusammen Musik; George ist seit 1958 dabei, als Vierzehnjähriger, und das, was sie machen, ist natürlich Livemusik. Die drei spielen mit verschiedenen anderen Jungs in Gruppen mit wechselnden Namen, am längsten als Quarrymen; zu den Beatles werden sie 1960 bei ihrem ersten Engagement in Hamburg, und diese eigentliche Geburtsstunde der Beatles steht im Zeichen irrwitziger Livearbeit. In Hamburg absolvieren die Beatles zwischen August und November 1960 gut hundert Auftritte im Indra Club und im Kaiserkeller, dann von April bis Juli 1961 nochmals knapp hundert Auftritte im Top Ten Club, schließlich im April und Mai 1962 knapp fünfzig Auftritte im Star-Club – und das sind keineswegs Kurzauftritte, sondern in der Regel sechsstündige Nachtschichten, durchzuhalten nur unter Zuhilfenahme diverser Aufputschmittel, und natürlich brauchen sie außerdem ein riesiges Repertoire an Songs (vor allem ihrer 50er-Jahre-Idole: Elvis Presley, Little Richard, Chuck Berry, Buddy Holly), die sie im Schlaf beherrschen. Seit dem Ausstieg des völlig unmusikalischen Bassisten Stu Sutcliffe Ende 1961 sind sie ein Quartett (noch mit Pete Best am Schlagzeug); John ist zu dieser Zeit der unbestrittene Boss (und zudem, wie sich bei den Get Back-Sessions erweisen wird, ein lausiger Bassist) und George der versierteste Sologitarrist, also übernimmt Paul, ohnehin der begabteste Multiinstrumentalist, den nicht sonderlich beliebten Bass. Zum Quintett werden sie sich erst bei den Get Back-Sessions wieder erweitern, als kurzzeitig Billy Preston zu ihnen stößt, übrigens auch er ein alter Kumpel aus Hamburg, wo er 1962 als blutjunger Pianist parallel zu den Beatles ein Engagement in der Begleitband von Little Richard hat. Ein weiterer Kumpel aus Hamburg ist der Schlagzeuger der Konkurrenzband Rory Storm & the Hurricanes, mit dem die Beatles vertragswidrig einige Sessions absolvieren: Ringo Starr. Auch er ist also schon mit John, Paul und George durchs Hamburger Fegefeuer gegangen, obgleich er erst im Sommer 1962 Mitglied der Band wird, nachdem diese Pete Best anlässlich der ersten Plattenaufnahmen auf Betreiben des Produzenten George Martin gefeuert hat.

„Mach schau!“ lautet die Anweisung, die die Beatles von ihrem ersten Arbeitgeber in Hamburg erhalten; also lernen sie, wirklich eine Schau abzuziehen. Als Liveband erobern sie nach der Rückkehr aus Hamburg ihre Heimat Liverpool; live im Studio treten sie (nach einer Pleite bei Decca) bei der Firma EMI überzeugend genug auf, um einen Plattenvertrag zu ergattern; fast live im Studio spielen sie am 11. Februar 1962 – also innerhalb eines Tages – ihr komplettes erstes Album ein. Aber damit endet fürs erste auch schon die Geschichte der Beatles als Livetruppe; rasch finden sie Gefallen an allen Möglichkeiten der Studiotechnik und nutzen sie weidlich, um ihre Musik in rasantem Tempo weiterzuentwickeln, bis hin zu komplizierten Tönen und komplexen Klangstrukturen, die sich auf der Bühne mit der damaligen technischen Ausrüstung beim besten Willen nicht mehr reproduzieren lassen. Zwar sind die Beatles über Jahre hinweg fast pausenlos auf Tour, um auf der ganzen Welt Konzerte zu geben, aber diese Konzerte haben mit den Sechs-Stunden-Gigs der Hamburger Zeiten nichts mehr zu tun: Meist spielen die Beatles nur zwanzig, dreißig Minuten lang, fertigen das Publikum mit einer Handvoll leicht runterzunudelnder Hits ab – und können sich dabei selbst kaum hören, weil dieses sehr junge Publikum unentwegt kreischt und alle musikalischen Feinheiten übertönt. So verlieren die Beatles paradoxerweise auf ihren Livetourneen die Fertigkeit, live zu spielen; und die Lust dazu ohnehin. Am 29. August 1966 geben sie in San Francisco am Ende einer frustrierenden, teils sogar von Attentatsdrohungen und politischen Verwicklungen überschatteten Welttournee ihr letztes öffentliches Konzert.

Fortan können sie sich noch mehr auf die Möglichkeiten des Studios konzentrieren, fummeln und feilen ewig an Johns fast avantgardistisch klingender Single Strawberry Fields Forever und dem ultimativen Rock-Kunst-Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, das auf Pauls Betreiben als Konzeptalbum mit Überleitungen zwischen den Songs (teilweise unter Zuhilfenahme künstlich hinzugemischter Liveeffekte) angelegt ist. Von nun an werden sie versuchen, jedes ihrer Alben nicht als bloße Sammlung von Einzelsongs, sondern als Gesamtkunstwerk zu konzipieren, bei dem zumindest einige der Songs ineinander übergehen. Mit solchen konzeptuellen Tricks, die vor allem von Paul verfolgt werden, gelingt es immer wieder, auf ihren Alben eine künstlerische Kontinuität und Einheit zu suggerieren, die so allerdings gar nicht mehr besteht. Am deutlichsten wird das auf dem Doppelalbum The Beatles von 1968 (gemeinhin als „Weißes Album“ bezeichnet), dem eigentlichen Nachfolger von Sgt. Pepper, auf dem die vier Beatles zum Teil völlig entgegengesetzte musikalische Ziele verfolgen und zudem in die große Wundertüte etliche Tracks hineinpacken, an denen nur ein oder zwei Beatles (teilweise zusammen mit Gastmusikern) mitgewirkt haben – als Gesamtalbum geht es (wenn überhaupt) nur durch geschickte Überleitungen und die richtige Verpackung auf.

So sehr aber der Abschied von den anstrengenden Livetouren die Beatles musikalisch auch beflügelt hat, eines fehlt ihnen nun doch: der alte Zusammenhalt von Kumpeln, die stets beisammen sind und alles gemeinsam tun. In den Jahren bis 1966 haben sie fast ihre gesamt Zeit miteinander verbracht, selbst Ehefrauen und Freundinnen müssen zurückstecken. Das Beatles-Prinzip war ein Rahmen, der alles aushielt, auch gelegentliche Krisen, vor allem bei John, rasche Interessens- und Geschmackswechsel bei allen vieren vertrug und aus der Summe der divergierenden Teile ein immer noch homogenes und voranstrebendes Ganzes entstehen ließ. Dieser Rahmen fehlt nun, und schlimmer noch: die Reste des Rahmens werden im Zweifel nicht mehr als Rückhalt begriffen, sondern als Zwangskorsett, das die eigene Freiheit behindert. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die vier pubertierenden Jungspunde von einst nun erwachsen geworden sind und plötzlich Interessen entwickeln, bei denen die Männerkumpanei nicht mehr unangefochten im Vordergrund steht. George, seinen Freunden einst als unbeschwerter nächtlicher Pistengänger bekannt, beschäftigt sich so nachhaltig mit östlicher Musik, Philosophie und Spiritualität, dass ihm sein Dasein als Beatle zweitrangig wird. Ringo findet Gefallen an der Schauspielerei. Paul beginnt, beeinflusst durch die Intellektuellenfamilie seiner langjährigen Freundin Jane Asher, sich für avantgardistische Kunst zu begeistern, und überredet den bisher eher an Fernsehkomikern als an künstlerischen Happenings interessierten John, sich die Aussellung einer japanisch-amerikanischen Avantgarde-Künstlerin anzuschauen. So gerät John am 9. November 1966 an Yoko Ono und findet auf diese Weise ein neues Betätigungsfeld jenseits der Beatles, und zwar sowohl in künstlerischer als auch in privater Hinsicht.

Während der langwierigen Arbeit am „Weißen Album“, die sich von Mai bis Oktober 1968 hinzieht, ist Yoko fast ständig bei John im Studio, hockt meist schweigend an seiner Seite oder nervt die anderen Beatles mit langen Monologen. Als Ringo es nicht mehr aushält, fragt er John, was das denn solle, und John erklärt ihm, Yoko und er wollten nun mal ein Leben führen, das wirklich ein gemeinsames sei, wo jeder wisse, was der andere tue. Ringo schluckt das, es hat immerhin seine Logik. Paul muss dann aber auch schlucken, als John ihm seine Theorie der „Erhöhten Aufmerksamkeit“ erläutert, die zwischen ihm und Yoko herrsche: Sie bräuchten gar nicht miteinander zu reden, denn auch so stünden sie in unablässiger Verbindung miteinander, und jeder wisse immer, was der andere wolle. Konsequenterweise verfällt John fortan in den Geschäftssitzungen der Firma Apple, die die Beatles 1967 gegründet haben, um künstlerisch unabhängiger sein und gleichzeitig dem Finanzamt ein Schnippchen schlagen zu können, gern in ausgedehntes Schweigen und lässt stattdessen Yoko reden. Auch auf Johns musikalisch-kompositorische Arbeit färbt die neue Zweisamkeit ab: Unter Yokos Einfluss entfernt John sich von den psychedelisch-verkapselten Texten der vorausgegangenen Alben und nimmt Zuflucht zu einfachen Statements und Songs, die wie musikalisch verpackte Slogans und Spruchweisheiten klingen.

Ein Wunder ist es also gewiss nicht, dass bei den enervierenden Arbeiten am „Weißen Album“ zum ersten Mal seit 1961 ein Mitglied der Beatles aus der Band ausscheidet. Merkwürdig nur, dass es ausgerechnet Ringo ist. Am 22. August erklärt er seinen Austritt, weil er sich von den anderen in der Gruppe zu wenig gewürdigt fühlt, und verschwindet erst einmal nach Sardinien, um über alles nachzudenken. Für den Moment wird das Problem gelöst, indem sich Paul kurzerhand ans Schlagzeug setzt und die Aufnahme von Back In The USSR rettet, aber auf Dauer ist das natürlich keine Lösung. Zum Glück lässt sich die heikle Angelegenheit rasch bereinigen, indem die drei übrigen Beatles Ringo anrufen und ihm beteuern, sie liebten ihn alle und er sei der beste Schlagzeuger der Welt. Mit Blumengirlanden wird Ringo am 3. September wieder in der Gruppe empfangen – gerade noch rechtzeitig, denn tags darauf, am 4. September 1968, nehmen die Beatles in den Filmstudios von Twickenham Werbefilme für die beiden Songs ihrer neuen Single, Hey Jude und Revolution, auf.

Der Kameratermin ist eine spannende Geschichte, weil die Beatles zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder vor Publikum spielen, großenteils zwar im Playback-Verfahren, aber teilweise auch live. Regisseur der Aufnahmen ist Michael Lindsay-Hogg, ein 1940 in New York geborener britischer Adelsspross, der schon 1966 die Clips für Paperback Writer und Rain mit den Beatles gedreht hatte und inzwischen mit Pop- und Rock-Filmaufnahmen gut im Geschäft ist. Zum Aufwärmen vor den Dreharbeiten spielen die Beatles ein paar Rock ’n’ Roll-Nummern, was Lindsay-Hogg besonders gut gefällt. Als er nicht lange danach mit den Beatles das Get Back-Projekt realisiert, wird er immer wieder fragen, ob sie nicht auch Rock ’n’ Roll spielen und aufnehmen wollen. Für die Beatles selbst jedoch ist im Moment die Erfahrung wichtiger, vor Publikum zu spielen. Einerseits ist es eine erfreuliche Erfahrung, denn es stellt sich heraus, dass sich ihr Publikum wie sie verändert hat und inzwischen nicht mehr aus kreischenden jungen Mädchen besteht. Andererseits behagt es insbesondere George nicht recht, dass ihm die Fans bei der Aufnahme von Hey Jude, wo alle mitträllern dürfen, doch arg auf die Pelle rücken.

Nachdem das „Weiße Album“ im Oktober 1968 endlich fertig ist, zerstreuen sich die vier nun sehr individualisierten Beatles in alle Winde. George fliegt nach Amerika, um ein Album von Jackie Lomax zu produzieren und einige Zeit mit Bob Dylan und The Band zu verbringen. Ringo zieht in ein Haus in Elstead in Surrey, das er dem Schauspieler Peter Sellers abgekauft hat; mit Sellers zusammen wird er ab Februar 1969 als Schauspieler in dem Film The Magic Christian vor der Kamera stehen. John stürzt sich mit Yoko Ono in diverse Aktivitäten: Die beiden drehen experimentelle Kurzfilme, nehmen ebenso experimentelle Schallplatten auf, lassen sich von der Polizei Drogen unterjubeln und beteiligen sich schließlich Mitte Dezember an einem Projekt der Rolling Stones namens Rock and Roll Circus, einer Mischung aus Rockkonzert und Zirkusdarbietung, die von Michael Lindsay-Hogg gefilmt wird, aber der Öffentlichkeit bis 1996 vorenthalten bleibt, weil Mick Jagger findet, The Who kämen in dem Streifen besser rüber als die Stones. John stellt für diesen Anlass eine Liveband namens The Dirty Mac zusammen, bestehend aus Eric Clapton, Keith Richards, Mitch Mitchell und ihm selbst, die eine fetzige Version der Lennon-Nummer Yer Blues vom „Weißen Album“ hinlegt, außerdem wird in erweiterter Besetzung unter Beteiligung von Yoko ein Stück namens Whole Lotta Yoko dargeboten.

Das ist, wenn man so will, Johns Rückkehr auf die Livebühne und auch ins Zentrum der Musikszene. Nach ihrem Verzicht auf weitere Konzerttourneen hatten die Beatles es zwar geschafft, sich mit Sgt. Pepper musikalisch an die Spitze der Hippie-Bewegung zu setzen, aber richtig „drin“ in dieser Bewegung sind sie doch nicht, dafür fehlt ihnen der direkte Kontakt. Als George im August 1967 das Hippieviertel Haight Ashbury in San Francisco besucht, ist er entsetzt, wie kaputt und von Drogen gezeichnet die angeblichen „Blumenkinder“ sind, und noch entsetzter, als sie ihm zurufen, er solle ihr „Führer“ sein. Das will er auf keinen Fall. Aber mit dem Abschied von der Bühne haben die Beatles zwangsläufig den Anschluss an die beginnende Festivalkultur verpasst. Zum ersten großen Rockfestival, im Juni 1967 in Monterey, werden sie zwar eingeladen, müssen den Veranstaltern der beschlossenen Bühnenabstinenz wegen aber einen Korb geben – Paul empfiehlt als Ersatz einen in London lebenden Gitarristen mit seiner Band, und Jimi Hendrix nimmt diese Steilvorlage dankend an.

Wie John, George und Ringo ist auch Paul Ende 1968 keineswegs untätig, produziert ein bisschen für das Beatles-Label Apple und trifft sich zu einer Session mit Donovan, aber im Unterschied zu John, George und Ringo will er auch das „Beatles-Ding“ unbedingt weiterführen, und zwar auf der Höhe der Zeit. John spielt wieder live, mit den Helden der Festivalära – lässt sich das nicht auch mit den Beatles machen? Die Rolling Stones veranstalten ein Filmspektakel; Cream, die sich gerade aufgelöst haben, feiern ihren Abschied mit einem Konzert, über das eine Filmdokumentation gedreht wird – wäre ein Filmprojekt nicht auch etwas für die Beatles? Immerhin hat Apple auch eine Filmabteilung, geleitet vom Produzenten Denis O’Dell, für den wiederum Michael Lindsay-Hogg werkelt, mit dem die Beatles kürzlich so gute Erfahrungen gemacht haben. Außerdem hat die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt, dass die ausschließliche Konzentration auf Studiowerkeleien dem Zusammenhalt der Beatles nicht gut tut; Paul wünscht sich etwas von der gemeinsamen Frische der ersten Jahre zurück, ihrer Liveära. Aber wie lassen sich diese Aspekte auf fruchtbare Weise zu einem stimulierenden Projekt verbinden?

So schlägt Paul den anderen Beatles schließlich einen Liveauftritt vor – keine Tournee allerdings, sondern ein einzelner, spektakulärer Auftritt, vielleicht im Fernsehen, vielleicht im Roundhouse in London (verschiedenen Quellen zufolge wird dafür intern sogar ein Termin ins Auge gefasst, angeblich der 18. oder der 20. Januar – verifizieren lässt sich das nicht). Der Auftritt soll natürlich gefilmt werden, und wenn schon gefilmt wird, dann könnten doch auch die vorbereitenden Proben gefilmt werden, für eine Fernsehdokumentation. Gespielt werden, so Pauls erste Überlegung, sollten Songs aus dem „Weißen Album“; aber dann fällt ihm ein, dass es fürs Publikum langweilig sein könnte, nur bekannte Sachen zu hören, also ändert Paul seine Idee dahingehend, dass auch neue Songs gespielt werden sollen. Von dem für das „Weiße Album“ in Betracht gezogenen Songmaterial, das zum Teil Anfang 1968 beim Maharishi in Rishikesh entstanden und dann im Mai im Haus von George als Demoversion eingespielt worden war, sind ein paar Sachen unveröffentlicht geblieben; außerdem schreibt Paul laufend neue Songs, George ebenso, nur John scheint Ende 1968 in dieser Hinsicht nicht so produktiv.

Abgemacht wird, sich am 2. Januar 1969 im Filmstudio von Twickenham zu treffen, um mit den Proben anzufangen, von Beginn an begleitet von einem Kamerateam unter der Regie von Lindsay-Hogg. So ganz klar scheint niemandem zu sein, was eigentlich bei dem Unternehmen herauskommen soll, und zu hundert Prozent dahinter steht wohl auch niemand außer Paul selbst, der sich davon die Wiederbelebung des alten Gruppengeistes verspricht. Aber die anderen erklären sich immerhin einverstanden, mitzumachen, und so nehmen sie also ihren Lauf, die berüchtigten Get Back-Sessions.

Berüchtigt nicht zuletzt deshalb, weil jeder Beatles-Fan einigermaßen zu wissen glaubt, was damals passiert ist: der Film Let It Be dokumentiert es ja. Aber das tut er eben leider nicht. In unzähligen Artikeln und Büchern sind die Vorgänge im Januar 1969 dargestellt worden, allerdings stets vereinfacht, verzerrt, tendenziös. Das ist insofern erstaunlich, als die zwanzig Proben- und Aufnahmetage, die die Beatles zwischen dem 2. und dem 31. Januar 1969 absolvieren, fast vollständig auf den Filmrollen der mitlaufenden Kameras und den Bändern der zugehörigen Nagra-Tonaufnahmegeräte mitgeschnitten worden sind. Aber vielleicht liegt genau darin das Problem: die Menge an Material ist so riesig, dass dessen penible Sichtung immens viel Mühe macht und ein fast masochistisches Durchhaltevermögen erfordert. Da ist es natürlich einfacher, ein paar flotte Halbwahrheiten abzuschreiben.

Wenigstens einmal aber soll die ganze Geschichte erzählt werden, wie sie sich zugetragen hat, bis in die Einzelheiten. In den folgenden zwanzig Kapiteln dieses Buches – eines für jeden Tag der Sessions - wird tagebuchartig alles protokolliert, was vorgefallen ist, und das ist nicht wenig. Genau genommen sind es zwei Geschichten, die erzählt werden müssen, eine musikalische Geschichte, nämlich die der Entstehung des vorletzten Beatles-Albums, das von vielen bis heute für ihr letztes gehalten wird, und eine menschliche Geschichte, nämlich die des Umgangs der Beatles miteinander, und dabei werden wir sehen, dass es tatsächlich der Anfang vom Ende war, mindestens.

Die Wiedergabe dieser Geschichten erfolgt auf folgende Weise:

1. Musik: Alle Songs, die von den Beatles (oder unter Beteiligung von mindestens einem Beatle) gespielt oder gesungen werden, sind im laufenden Text mit ihrem offiziellen Titel IN GROSSBUCHSTABEN genannt und mit einer Angabe ihrer Dauer (Minuten:Sekunden) versehen; diese Angabe der Dauer ist wichtig, um falsche Eindrücke hinsichtlich jener unzähligen Versionen von Songs zu vermeiden, die nur als kurze Schnipsel auftauchen (ein „+“ hinter der Angabe bedeutet, dass die von den Beatles an diesem Punkt gespielte Version länger war, aber nicht komplett dokumentiert ist). Songs, für die es keinen offiziellen Titel gibt, werden anhand markanter Textzeilen, die „in Anführungszeichen gesetzt“ sind, identifiziert; titellose Instrumentalstücke und Jams ohne Text werden als solche bezeichnet. Titel von Songs, die nur erwähnt, aber am jeweiligen Punkt nicht von den Beatles gespielt werden, sind kursiv wiedergegeben; das gilt auch für Songs, die im Studio-Playback abgehört oder nur von Nicht-Beatles (etwa Billy Preston) angestimmt werden, außerdem für Titel von Alben, Büchern, Zeitschriften und dergleichen.

2. Menschelei: Die Beatles interagieren durch Mimik und Gestik, vor allem aber verbal; diese Dialoge lassen sich nicht komplett mitschreiben, dafür sind sie viel zu ausführlich, außerdem ist die Tonqualität der Bänder, die mitliefen, oft katastrophal. Die Gespräche werden deshalb nur ausschnitthaft und gekürzt protokolliert, allerdings immer sinnwahrend. Vieles muss zusammengefasst werden, markante oder typische Aussagen werden aber möglichst wortgetreu übersetzt wiedergegeben, und zwar inklusive unsauberer Formulierungen, Stockungen im Redefluss und notfalls auch zusammenhangloser Redefetzen. Alle Glättungen wären dabei Verfälschungen – und hier geht es darum, erstmals ein authentisches Bild zu zeichnen.

Und damit nun Vorhang auf für die Get Back-Sessions: Kamera und Ton ab!

Auftakt

Donnerstag, 2. Januar 1969, Filmstudio Twickenham

Der Beginn der Get Back-Sessions ist in Ausschnitten im Film Let It Be dokumentiert. Zu sehen ist anfangs eine große leere Bühne in den kalten Hallen der Filmstudios von Twickenham. Vor dem Einauge der Kamera des Regisseurs Michael Lindsay-Hogg, der die Umstehenden um Ruhe bittet, beginnen gegen 9.30 Uhr die Beatles-Assistenten Mal Evans und Kevin Harrington damit, die Bühne herzurichten. In eine Ecke wird ein Klavier geschoben (es ist von einem schmuddeligen Tuch bedeckt, das vom umgedrehten Klavierhocker gehalten wird); auf dem Klavier liegen ein Gitarrenkoffer und ein Trommelfell mit dem Namenszug „The Beatles“. Mikrofone werden aufgestellt, Kabel gelegt, Verstärker und kleine Lautsprecherboxen hergerichtet; für Ringos Schlagzeug, das an der Seite bereit steht, wird mit einfachsten Mitteln eine kleine Plattform aufgebaut. Die Beatles selbst sind noch nicht da.

Die ersten Hauptakteure, die am Schauplatz eintreffen, sind John Lennon und George Harrison. John kommt nicht allein, sondern hat seine Gefährtin Yoko Ono dabei, die während der gesamten Sessions kaum von seiner Seite weichen wird – nicht unbedingt zur Freude der anderen Beatles, die lernen müssen, mit einem siamesischen Zwillingspaar in ihrer Mitte umzugehen.

Gegen 10.30 Uhr fängt Kameramann Tony Richmond die ersten Aufnahmen der beiden Beatles ein, die ihre Gitarren stimmen. John Lennon spielt ein paar Takte einer neuen Komposition, DON’T LET ME DOWN (0:22). Es ist nicht die früheste Aufnahme dieses Stücks, denn aus dem Dezember 1968 gibt es zwei Demoversionen von insgesamt etwa fünf Minuten Länge, bei denen John sich durch Teile des Textes hangelt und sich dabei mit der akustischen Gitarre selbst begleitet, doch am ersten Tag der Get Back-Sessions spielt er den Song erstmals auf der E-Gitarre. Auch George Harrison hat eine Neukomposition dabei, die er anlässlich des Stimmens seiner Gitarre kurz anspielt, nämlich ALL THINGS MUST PASS (0:25); George singt zaghaft (noch ohne Mikro) und spielt die Akkorde des Stücks, zu denen John ein paar Soloschnörkel improvisiert.

Nachdem die beiden Gitarristen ihre Gitarren gestimmt haben und schließlich auch funktionierende Mikrofone bereitstehen, versuchen sie sich an einem ersten Durchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:01). John singt sich beherzt durch den Text, George singt den Refrain mit, und dazu begleiten sie sich an den E-Gitarren mit einer für den ersten Durchlauf erstaunlichen Sicherheit. Ringo Starr, der gerade eingetroffen ist, setzt sich ans Schlagzeug und schleicht sich nach etwas mehr als einer Minute mit sicherem Gespür in den Song hinein. Am Schluss bricht das Spiel ab, weil George nicht so recht weiß, wie er sein Solo spielen soll. Nachdem mit einem „Hi Ringo“ und Neujahrswünschen der geschätzte Drummer begrüßt ist, zeigt John George kurz, wie er sich dessen Spiel vorstellt: „Das Stück ist am weitesten fertig.“ – „Das ist gut. Ich mag eine einfache Melodie.“ – „Ja.“

„Hallo! Hare Krishna!“ begrüßt George einen anwesenden Jünger der Sekte, der mit einem profanen „Hi!“ zurückgrüßt. Ringo zieht sich erst einmal zum Tee zurück. John meint, ein kleinerer Raum würde ihm besser gefallen, und George stimmt zu: „Für die Akustik wär eine kuschelige Garderobe besser.“

John scheint in guter Form zu sein, und er hat noch ein zweites neues Stück zu bieten, das er zu eigener Gitarrenbegleitung einmal durchsingt: DIG A PONY (2:23). Zwischendurch setzt er einmal kurz aus, um George, der nach dem Titel gefragt hat, Auskunft zu geben: „Yeah, Dig A Pony!“ Johns Gesang ist großteils sehr sicher, zeigt nur gelegentlich Anzeichen von Selbstparodie; gegen Ende des Durchlaufs hört John dann zu singen auf, um den anderen die Akkordfolge zu demonstrieren. Thema des kurzen Gesprächs, das folgt, ist allerdings die neue Single des Kollegen Eric Burdon, eine schrille Version des Johnny-Cash-Songs Ring of Fire, die John gefällt: „Klingt, als wär er zurück beim House of the Rising Sun!“ Ringo: „Das Konzert, das er gegeben hat – alle Schreiberlinge sagen, das war toll! Das Animals-Konzert, weißt du. Die haben sich wiedervereinigt für den Auftritt.“ Irgendetwas hat Ringo da falsch verstanden, denn Burdon hat die Animals nicht wiedervereinigt, sondern ihre letzte Formation gerade aufgelöst und lediglich ein einziges Konzert mit der Urbesetzung gegeben – aber das Comeback-Thema ist für die Beatles selbst natürlich von Belang, denn sie müssen sich zwar nicht wiedervereinigen, aber das angestrebte Livekonzert wäre doch eine Rückkehr auf die Bühne.

Aber dafür muss erst einmal geprobt werden, und es müssen Songs her. John spielt ein paar Akkorde und improvisiert dazu einen kurzen Text mit der Schlüsselzeile „Everybody got song“ (0:45), dann setzt er übergangslos zu einem weiteren kompletten Durchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:01) an, an dem George singend und spielend mitwirkt. John scherzt nebenbei, alle seine Songs bauten auf den immergleichen Akkorden auf. Kurz vor dem Ende des Stücks kommt das Spiel fast zum Erliegen, aber George rettet es mit einem Solo, das zwar keineswegs perfekt ist, doch immerhin sein Gefühl für den Song zeigt. Dem Filmteam gibt George zu verstehen, es solle lieber mit der Arbeit bis zum Nachmittag warten, wenn sie ihre Songs besser drauf hätten – aber das ist nicht unbedingt erstgemeint, denn dass die Proben länger als bis zum Nachmittag dauern werden, um präsentable Ergebnisse zu erbringen, ist ohnehin allen klar.

Das nächste Stück, das die beiden Beatles-Gitarristen – nach wie vor zu zweit – spielen, ist wieder eine Neukomposition von George: LET IT DOWN (1:49). George beherrscht seine Rhythmusgitarre und vor allem den Gesang bereits gut, aber John kommt mit seinem Versuch, eine Solostimme dazu zu spielen, nicht zurecht und witzelt, die angesetzten drei Wochen Probenzeit reichten nicht, um die Akkorde dieses Stücks richtig zu lernen – also bricht George sein Spiel ab, um John die Akkorde zu erklären. Dann setzt er allein noch einmal an, spielt einige Akkordfolgen aus LET IT DOWN (0:31), singt dazu statt des korrekten Textes die aus Johns Song entlehnte Zeile „Don’t let me down“, bricht dann aber erneut ab, weil ihm irgendetwas an seiner Gitarre nicht passt, und fragt, ob jemand einen Schraubenzieher habe.

Während George an seinem Instrument herumbastelt, nutzt John die Gelegenheit, um auf seiner Gitarre ein schroffes Riff zu improvisieren (0:48); dann muss auch er kurz nachstimmen, bevor er zwei Strophen einer alten Rock ’n’ Roll-Nummer singt und spielt, nämlich Chuck Berrys BROWN-EYED HANDSOME MAN (0:37), teilweise begleitet von George. Und wieder müssen die Gitarren gestimmt werden. Ringo sitzt schon ein ganzes Weilchen unbeteiligt dabei und will nun eine rauchen; George gibt ihm Feuer.

Sich selbst auf der Rhythmusgitarre begleitend, stimmt John die vorläufigen Eingangszeilen eines weiteren neuen Songs an, entwickelt aus einem Fragment, das schon im Februar 1968 in Indien entstanden war: „Everybody had a hard year / Everybody had a good time.“ Es handelt sich dabei um I’VE GOT A FEELING (1:00). John gelingt eine im Gesang wie auch im Gitarrenspiel sehr entspannte Fassung des Songs, aber Georges Versuche, dieser Fassung passende Tupfer auf der Sologitarre hinzuzufügen, funktionieren nicht recht, weshalb der Song vorzeitig abbricht. Es handelt sich um eines der wenigen Stücke aus den späten Beatles-Jahren, die tatsächlich noch eine Gemeinschaftsarbeit von Lennon und McCartney sind, allerdings im Sinne einer „Kombi-Komposition“: Jeder der beiden Autoren hat einen Teil geschrieben, und die beiden Teile werden dann zu einem Ganzen kombiniert. Schon vor Januar 1969 hatten John und Paul gemeinsam an der Gesamtfassung gearbeitet, aber die Version, die John hier singt und spielt, beschränkt sich weitgehend auf das, was er selbst beigesteuert hat, und unterlegt dem Stück eine entspannte Stimmung, die bei Pauls späterer Weiterentwicklung zugunsten eines drängenderen Gestus über Bord geworfen wird.

John ist ganz in seinem Element, er gibt sich locker und hat offenbar seinen Spaß am Spielen. Zu diesem Zweck spielt er als nächstes eine kurze, weitgehend instrumentale Version einer Eigenkomposition herunter, die er erst im Vormonat als Demoversion aufgenommen hatte, die aber so klingt, als sei sie schon einige Jahre älter: A CASE OF THE BLUES (0:40). Hier jammt ein John Lennon, der an die Frühzeit seiner Gitarrenbegeisterung denken lässt, und passend dazu beginnt er – nachdem wiederum die Gitarre nachgestimmt ist – mit Georges Unterstützung zu improvisieren: zunächst über die Akkorde zu I’ve Got A Feeling (0:24), dann über Blues-Standardphrasen (0:32). Die blueslastigen Klänge beim Gitarrenstimmen sind charakteristisch für die aktuelle Orientierung der Beatles, die dem Prinzip ‚zurück zu den Wurzeln’ folgt – ein Prinzip, das im Vorjahr auf Teilen des „Weißen Albums“ als Stilprinzip angewendet wurde und bei den Sessions nun zum Spielprinzip werden soll.

Aber nicht alles ist Blues. Als nächstes spielt und singt John – begleitet von George, der auch den Refrain mitsingt – zwei Strophen seines Songs CHILD OF NATURE (1:52): „On the road to Marrakesh / I was dreaming more or less / And the dream I had was you / And the dream I had was you / I’m just a child of nature / I don’t need much to set me free / I’m just a child of nature / I’m one of nature’s children“. Der Song ist nicht neu, denn im Mai 1968 waren bei den Vorbereitungs-Sessions für das „Weiße Album“ in Georges Haus in Esher mehrere Demoversionen davon entstanden, bei denen die „Straße“ aus der ersten Zeile noch nicht nach Marrakesh, sondern nach Rishikesh in Indien führte. Doch von Indien hat John Lennon erst einmal die Nase voll, und überhaupt passt der verträumte Song nicht recht ins Konzept der neuen Ungeschliffenheit. Letztlich wird eine fertige Beatles-Version des Stückes nie entstehen, aber John wird das Lied später mit neuem Text wieder aufgreifen und auf seinem zweiten Album der Post-Beatles-Ära veröffentlichen, als Jealous Guy.

George fragt derweil, wo eigentlich das Mischpult sei, ihm missfällt offenbar, dass man sich nicht im Aufnahmestudio befindet und keine vernünftige Technik zur Verfügung hat. Aber es soll ja auch nichts aufgenommen, sondern nur geprobt werden. John spielt kurz das Riff von REVOLUTION (0:06) und umreißt für die Umstehenden das ganze Vorhaben: „Wahrscheinlich schreiben wir schnelles Material gemeinsam, wisst ihr, wir alle zusammen.“ George jedoch tut das Gegenteil: Er beginnt, Bob Dylans I SHALL BE RELEASED (1:48) zu singen und zu spielen. John spielt und krächzt mit, geht dann in eine unfertig klingende Neukomposition mit fragmentarischem Text über: SUN KING (2:20+).

Es ist jetzt elf Uhr, und nach halbstündigem, einigermaßen beschwingtem Geklimper beginnen George und Ringo zu nörgeln: über die Hitze, die von den Scheinwerfern des Filmteams ausstrahlt, über den Standort des Schlagzeugs, über die ungewohnte „Tagschicht“ (die Beatles und ihre Helfer arbeiteten üblicherweise vom Nachmittag bis in die Nacht hinein). John improvisiert noch etwas über die Takte von Sun King, diesmal aber etwas härter, und leitet dann – unterstützt von George und schließlich auch Ringo – in eine rockig-schroffe Version von DON’T LET ME DOWN (4:16) über. Währenddessen erscheint Paul McCartney, von George mit Neujahrswünschen begrüßt. Paul sieht seinen alten Höfner-Bass auf der Bühne stehen, an dem noch die Liste mit der Stückfolge von ihrem letzten Liveauftritt 1966 in San Francisco klebt (im Studio verwendet er einen neueren Bass), und bemerkt laut, dass es ein Rechtshänderinstrument sei. Regisseur Lindsay-Hogg bittet die Beatles, doch ihre Verstärker etwas runterzufahren, weil er sonst Schwierigkeiten habe, mit seinen Kameramikrofonen die Gespräche aufzunehmen. George ist perplex: „Ach, du nimmst unsere Gespräche auf?“ Paul findet das eher belustigend.

John ist gerade in Spiellaune und hat offenbar keine Lust auf Gespräche, also setzt er wieder zu DON’T LET ME DOWN (3:24) an, unterstützt von George, der aber findet, ihre Gitarren seien nicht richtig gestimmt. Der Text des Songs ist noch nicht fertig, weswegen das Spiel mitunter ins Stocken gerät. Paul wirft ein beherztes „Yeah, don’t let him down, oh Lord“ ein und gibt ein paar Basstupfer zu.

Dann stimmt er singend und Bass spielend ein paar Zeilen aus einem unveröffentlichten Lied über einen „Teacher“ (0:42) an, fetzig begleitet von den drei anderen Beatles in echter Rock ’n’ Roll-Manier. Um die Instrumente nachzustimmen, werden noch ein paar Riffs und Phrasen aus Don’t Let Me Down und Sun King angespielt, doch wichtiger als die Gestimmtheit ihrer Gitarren ist die Stimmung der Beatles selbst. John und George sind unzufrieden mit der offenen Bühne und der ständigen Anwesenheit von Außenstehenden, während Paul das Setting mit der etwas lahmen Bemerkung verteidigt, sie seien wie eine probende Bluesband, die sich dran gewöhnen müsse, dass Leute reinkommen und rausgehen. George möchte lieber erst ein paar neue Songs einstudieren, bevor das Filmteam alles mitschneidet, und John möchte das Schlagzeug näher heranziehen lassen, damit Ringo besser beteiligt werden kann; dieser Wunsch wird tatsächlich erfüllt. Etwas verklausuliert meint George: „Ich glaube nicht, dass dies ein sehr akustisch guter Ort ist. Wir werden ziemlich viel Echo haben. Wir könnten uns eine PA [Lautsprecheranlage] besorgen wie im Top Ten in Hamburg – wisst ihr, mit Binson-Echo.“ Paul, der offenbar für Raumwahl und Aufbau verantwortlich ist, verteidigt sich: „Wenn euch irgendwas Gutes einfällt, machen wir das vielleicht einfach.“ Improvisation ist also das Prinzip. Paul improvisiert die Basslinie eines alten Buddy-Holly-Songs, MAILMAN, BRING ME NO MORE BLUES (0:18), und skandiert dazu als eine Art Sprechgesang: „Vielleicht gibt’s sogar einen besseren Raum – hier im Gebäude – den wir nut-zen könn-ten.“

John ist immer noch in Spiellaune und fragt, ob Paul nicht mal mit ihm singen will. Paul ist einverstanden, also versuchen sie sich an I’VE GOT A FEELING (3:40+), diesmal in der von Paul ausgearbeiteten dynamischeren Version – Johns Versuch, zwischenzeitlich zu der entspannteren Fassung zurückzukehren, die er eine halbe Stunde zuvor ohne Paul geprobt hatte, misslingt. Der erste Versuch, das Stück in kompletter Besetzung durchzuspielen, ist naturgemäß von etlichen Unsicherheiten geprägt, und mehrmals hakt es. Aber der Grundstein zur weiteren Arbeit ist gelegt. Während der nächsten guten halben Stunde wird intensiv an I’VE GOT A FEELING gearbeitet: Kritische Stellen werden einzeln durchgegangen, dabei probeweise in verschiedene Richtungen weiterentwickelt, und zwischendurch wird der Songs mehrmals komplett oder in größeren Partien durchgespielt, teils instrumental, teils auch mit dem inspirierten Wechselgesang von Paul und John, der später die Endfassung des Songs kennzeichnen wird. Im Frühstadium des Herumprobierens witzelt John, er müsse noch herausfinden, was er am Ende spielen soll, damit es interessant klingt: „Du bist der Gitarrist, also bitte!“ Meint er Paul?

Klar wird jedenfalls, dass Paul weiß (oder wissen soll), wo es langgeht. John schlägt vor, dass George bei diesem Stück Leadgitarre spielen solle, aber dazu muss sich George von Paul (der zu diesem Zweck eine akustische Gitarre zur Hand nimmt) erst zeigen lassen, wie die Middle Eight (das überleitende Mittelstück) funktioniert. George, der auch eigene Ideen beitragen möchte, fragt die anderen, was sie von dem (noch unveröffentlichten) Jackie-Lomax-Album halten, das er produziert hat und auf dem Paul und Ringo mitspielen. John gibt zu, es sich nur „so irgendwie halb angehört“ zu haben, und deshalb spielt und singt George (unterstützt von Ringo) einen Song aus dem Album, SPEAK TO ME (1:50). Für die Arbeit an I’ve Got A Feeling wirft das Stück allerdings keine Ideen ab. Etwas mehr Erfolg hat George, als er sich kurz darauf bei der Detailarbeit an I’ve Got A Feeling an einen Dylan-Song erinnert und eine Zeile daraus singt: Sogleich improvisieren alle vier Beatles ein Weilchen über MIGHTY QUINN (QUINN THE ESKIMO) (1:03), ein Stück, das sie nicht nur in der Manfred-Mann-Version, sondern auch schon von den unveröffentlichten Basement Tapes kennen, die Bob Dylan mit The Band eingespielt hatte; George hat die Aufnahmen von seinem neuen Freund Bob bekommen und an die Kollegen weitergegeben.

Aber die Arbeit am eigenen neuen Song hat Vorrang und wird auch nicht dadurch aus der Bahn geworfen, dass George, dessen Gitarre inzwischen völlig verstimmt ist, andeutet, es handele sich um ein Plagiat von Otis Reddings Hard To Handle. Paul hat sich kurz zuvor erkundigt, ob es möglich sei, ihre Proben per Playback abzuhören, um den Klang zu überprüfen, was allerdings schwierig ist, da noch keine Lautsprecheranlage vorhanden ist, aber schließlich kann Paul per Kopfhörer die Tonspur der Filmkamera abhören. Vielleicht als Reaktion darauf verändert sich etwas später die Tonabmischung, allerdings zum Schlechteren, Georges Gitarre ist plötzlich zu laut und Johns Gesang zu leise. Durch die Detailarbeit hat außerdem der Spielfluss etwas gelitten, die Proben konzentrieren sich auf immer kürzere Fragmente, doch John und George versuchen über harte Riff-Improvisationen wieder in Fluss zu kommen.

Paul, der sich für die Organisation der Probensessions weitgehend (wenn auch nicht bis ins letzte Detail) verantwortlich fühlt, hat sich schon zuvor kurz aus dem Improvisationsspiel ausgeklinkt, um mit Regisseur Lindsay-Hogg, dem Filmproduzenten Denis O’Dell und dem langjährigen Beatles-Produzenten George Martin (der sich hier weitgehend mit der Rolle eines Gasts begnügen muss) über die Nachteile des Übungsraums und dessen Akustik zu sprechen. Paul möchte einen geeigneteren Raum suchen, doch der wird nie gefunden. Lindsay-Hogg hat andere Interessen, er will von Paul wissen, an welchem „spektakulären Ort“ denn nun das Konzert stattfinden werde, das aus den Proben hervorgehen soll – aber Paul bekundet, ihn interessiere im Moment eher der Schauplatz des Mittagessens.

Um die Mittagszeit diskutiert Paul erneut die Lage mit Lindsay-Hogg und außerdem mit dem Tontechniker Glyn Johns, der aber nicht so recht weiß, wie am besten zu verfahren sei, und die Frage zusätzlicher technischer Ausrüstung gern auf George Martin abwälzen möchte. Als Lindsay-Hogg Glyn Johns auf die technische Ausrüstung anspricht, mit der die beiden im Dezember 1968 den Rolling Stones Rock and Roll Circus (unter Beteiligung von John und Yoko) über die Bühne gebracht hatten, mäkelt Paul herum, die Tonqualität jener Aufnahmen sei „furzig“. Seine Gesprächspartner widersprechen und laden ihn ein, die Originalbänder abzuhören, aber dazu hat Paul keine Lust und brüstet sich stattdessen damit, was für eine gute Aufnahme von Yer Blues, das absichtlich im Klo aufgenommen wurde, die Beatles im Jahr zuvor trotz mieser Raumakustik hinbekommen hätten. Lindsay-Hogg erklärt sich daraufhin wortreich bereit, alles mitzumachen, was die anderen wollen.

Er selbst will zu diesem Zeitpunkt, dass die Beatles ihr Konzert bei Fackellicht in einem antiken Amphitheater in Nordafrika vor „zweitausend Arabern und Freunden“ geben, aber Paul erwidert, das sei nicht drin: Ringo (der ungern fliegt) weigere sich kategorisch, im Ausland aufzutreten; man könne höchstens wieder Jimmy Nicol engagieren, der 1964 einmal den erkrankten Ringo vertreten hatte – aber das ist nur ein Witz von Paul, und damit ist die Sache mit dem Amphitheater erledigt. Da Glyn Johns einen Openair-Sound dennoch toll findet, wird als eine realistischere Möglichkeit erwogen, irgendwo in England im Freien zu spielen – mit guten Heizaggregaten, so Paul, könne man das selbst im englischen Winter hinkriegen; auch Regen sei nicht weiter schlimm, wenngleich er die Gefahr berge, dass ein paar Leute durch Starkstromschläge ums Leben kommen.

Der reiseunwillige Ringo unterhält sich derweil mit Denis O’Dell, der nicht nur die Beatles-Probendokumentation produziert, sondern auch den Spielfilm The Magic Christian, der in den folgenden Wochen ebenfalls in den Twickenham-Studios gedreht werden soll. Ringo, neben Peter Sellers Hauptdarsteller des Films, glaubt, dass die Dreharbeiten schon am 17. Januar beginnen sollen, doch O’Dell sagt ihm, der Drehstart sei um eine Woche auf den 24. verschoben worden. Ringo meint, in zwei Wochen seien die Beatles mit ihren Proben und dem geplanten Konzert wohl fertig, und lässt sich vom Fortschritt beim Kulissenbau für den Film berichten. Inzwischen sind Paul und Lindsay-Hogg bei unverfänglichen Gesprächsthemen angelangt: Zigarren und Whisky und ihre besten Quellen dafür.

Derweil stimmt John schon seine Gitarre, die Proben gehen also weiter. Während der nächsten zwanzig dokumentierten Minuten wird weiter an I’VE GOT A FEELING gearbeitet, und zwar zunächst – sozusagen zum Warmwerden und natürlich zum Stimmen der Instrumente – an einzelnen kleinen Passagen. Paul schlägt George vor, er solle ein paar Schnörkel in sein Spiel einbauen; George tut das, legt ein paar Riffs hin, meint dann aber, dies ewige Herumgebastele an einem einzigen Song finde er nicht so gut, besser wäre es, zunächst alle neuen Songs, die die einzelnen Beatles zu bieten haben, zum Kennenlernen einmal kurz durchzuspielen. Dass dieser Vorschlag von George kommt, ist nicht verwunderlich. Er ist kein Spontangitarrist, der aus dem Augenblick heraus improvisieren und Ideen entwickeln kann, schon gar nicht unter den Augen neugieriger Zuhörer. Lieber tüftelt er an neuem Songmaterial allein für sich zu Hause herum – auch einer der Gründe, weshalb ihm die ganze Probenorganisation in Twickenham missfällt. Paul gibt ihm recht und will bereits einlenken, aber John meint, ein bisschen könnten sie schon noch weitermachen, und so spielen die vier I’VE GOT A FEELING (3:40) einmal komplett durch. Der Song steht nun, alle Elemente sind an ihrem Platz, wenn auch das Ganze noch ein bisschen roh und ungeschliffen klingt – der Gesang von John und vor allem der von Paul ein wenig überdreht, Georges Leadgitarre stellenweise etwas uninspiriert. Aber vor allem John und Paul äußern sich zufrieden und fangen nach kurzer Detailarbeit noch einmal mit einem Durchlauf von I’VE GOT A FEELING (3:25) an, der aber nach knapp einer Minute in reine Gitarrenklangeffekte nach Katzenjammermanier zerfällt. Die Luft ist raus. Paul meint: „Lasst uns einen andern Song machen, neue Akkorde lernen.“ John möchte zwar immer noch weitermachen, aber Paul winkt ab – sie sollten sich aufschreiben, was sie erarbeitet haben, und damit gut. George möchte gerne eine Aufnahme des Songs mit nach Hause nehmen (zum Üben, klar), und Paul meint, dafür müsste ein Band der Kamera-Tonspur wohl ausreichen.

Thema erledigt – neuer Song. John spielt solo und instrumental sein SUN KING (0:30), aus dem er übergangslos eine Soloversion von DON’T LET ME DOWN (0:39) entwickelt. George möchte gern mitmachen und unterbricht John, um zu fragen, was er denn dazu singen soll. Die nächste halbe Stunde gehört der Arbeit an Johns neuem Song, wobei zunächst die von George aufgeworfene Frage nach dem Gesangsarrangement im Vordergrund steht. Auch Paul beteiligt sich an der Diskussion, doch kommt dabei nichts heraus. Folglich singen und spielen John und George zunächst eine provisorische Version von DON’T LET ME DOWN (2:45), an der Paul und Ringo sich nicht beteiligen. Nach dem vorzeitigen Abbruch dieser Version klagt John, er wisse nicht so recht, wie er die verschiedenen Teile des Songs vernünftig anordnen soll; währenddessen spielt er unablässig Akkorde aus Sun King, von George mit bluesigen Riffen unterstützt. Es hat den Anschein, als wolle John in diesem Stadium die beiden Songs unbedingt miteinander verbinden oder begreife Sun King sogar als Teil von Don’t Let Me Down. Das führt leider dazu, dass Johns Versuche, etwas aus Don’t Let Me Down zu machen, weit weniger stringent klingen als die mit George und Ringo am Vormittag gespielte Version – die Sun King-Akkorde tragen eine schleppend-schläfrige Stimmung in den Song, die nicht dazu passt. John, George und Paul probieren, ob sie gemeinsam wenigstens den Refrain etwas aufpeppen können, aber John findet das Ergebnis nicht so „natürlich wie heute Morgen“. Paul meint, es wäre gut, wenn man ein Piano einbauen könnte. John: „Wie soll das funktionieren?“ Paul überlegt, vielleicht könne George den Bass übernehmen, bei Julia auf dem „Weißen Album“ habe ein Gitarrist schließlich auch genügt, doch findet John begreiflicherweise, eine Gitarre allein sei für den Sound dieses Stücks „nicht heavy genug“. Aber probieren könne man’s ja mal, ansonsten müsse man halt noch jemanden dazuholen.