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Jürgen Löhle

»Explosive Mischung«

Brägel gibt nicht auf

Lebenshilfe für Hobby-Radsportler

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft für
Verlagsservice, München

 

Inhalt

Auf leisen Sohlen

Fahrtbegleiter

Feste feiern

Frühjahrskur

Glatt gebügelt

Hokuspokus

Krise? Welche Krise?

Küchenschlacht

Mit Drive

Um die Ehre

Zwitscher, zwitscher

Der eingebildete Kranke

Die Firma

Schlemmertraining

Alter schützt … vor gar nix

… und nun zum Wetter

Viel Rauch um nichts

Camping deluxe

PA34SY678GPZ – Liebe im Netz

Sehnsucht nach Leberkäs

Quer-Treiber

Offener Brief

Macker im Acker

Stars unter sich

Ran an den Speck

Generationskonflikt

Sieger am Galibier

Rollende Trinker

Sachwerte

Alle meine Freunde

Kraft der Gedanken

Wintertage in der Jasmingrotte

Nach Plan

Auf leisen Sohlen

Was hat Radsport mit Bequemlichkeit zu tun? Zunehmend mehr – meint zumindest Brägel

Was ist das? Es klappert, als ob Metall auf Keramik trifft und kommt daher wie ein besoffener Storch? Richtig, ein Radfahrer in Radschuhen. Und zwar richtigen, also solchen, die unter dem Ballen einen mindestens drei Zentimeter dicken Klotz haben, der selbst einen normal bewegungsbegabten Menschen daherwatscheln lässt wie eben einen Storch mit Gleichgewichtsstörungen. Bei so einem Anblick brechen ängstliche Kinder gerne in Tränen aus, ihre Väter grinsen höhnisch, Frauen halten sich die Hand vor den Mund und quetschen merkwürdige Laute hervor, die nicht anerkennend klingen.

Und jetzt gleitet plötzlich Brägel zum Stammtisch wie Fred Astaire (die Älteren erinnern sich vielleicht) auf eine Bühne in New York. Kein Schwanken, kein Stolpern, nichts. An seinen Füßen trägt er Radschuhe, aber ganz seltsame. Die Dinger haben Sohlen wie Wanderschuhe, die Pedalplatte verschwindet im Profil. Man kann also ganz normal gehen. Wir wollen gerade in anerkennenden Jubel ausbrechen, als der alte Hans entsetzt aufjault: »Das sind ja Mountainbike-Schuhe.« Das Wort »Mountainbike« zieht er gequält in die Länge, als müsse er »Krötenschleim« oder »Darmspiegelung« sagen. »Möglich«, sagt Brägel, »aber saubequem.« Worauf wir diskutieren, ob Rennradfahren bequeme Seiten haben darf oder nicht.

Grundsätzlich natürlich nicht. Radfahrer definieren sich als Wuchtbrummen, die auch dann noch Härte zeigen, wenn das Tennisbüblein oder Fußballerchen über die Hitze, den Ball, den Gegner, den Biorhythmus oder das falsche Sockentextil jammert. Wir wissen genau, wo die Kotzgrenze liegt, und zwar nicht am Tresen (gut, da auch), sondern am Berg. Also ist Bequemlichkeit eher so etwas wie ein Schimpfwort. Punkt. »Quatsch«, sagt Brägel, »der alte Hans fährt doch schon seit 25 Jahren wegen seiner Lendenwirbelsäule nicht mehr Unterlenker – da kann er auch gleich einen geraden Lenker montieren. Ich habe jetzt einen.« Der alte Hans will gerade entrüstet kontern, aber der Präsident unterbricht. »Du hast was?« Und dann erklärt uns Brägel, dass er sich an sein endgeiles Gios-Carbon einen geraden Lenker hat schrauben lassen, was zwar ein wenig schwierig zu schalten, aber kommod zu fahren sei. Außerdem eben laufbare Schuhe und zum Schluss hat er noch seinen steinalten, steinharten und superschmalen Sattel, der selbst bei Profis Hodenreizungen auslösen würde, gegen ein breiteres Modell mit Gelpolster getauscht. »Fehlen nur noch Steckschutzbleche, falls es regnet«, stöhnt der Präsi, und Brägel nickt: »Hab’ ich auch.«

Darauf müssen wir erst einmal ein Hefe hell trinken. Brägel bestellt auch eins, was uns etwas beruhigt. So wie er drauf ist, hätte es ja auch ein Glas Mango-Maracuja sein können. Oder Buttermilch. Aber noch scheint nicht alles verloren, zumal er offenbar nicht plant, künftig an Radwandertagen teilzunehmen, bei denen ein 17er-Schnitt als Höllentempo gilt. Aber die Schuhe sind schlimm genug. Wir erklären Brägel, dass unser Sport in einer Zeit entstanden ist, als Männer noch Männer waren. In den Urzeiten der Tour de France sind die Jungs ohne Schaltung und mit Starrachse 400-Kilometer-Etappen auf Naturstraßen gefahren. Heute verehren wir Männer wie Tom Simpson, der sich am Mont Ventoux zu Tode getreten hat oder die vielen namenlosen Profis, die im Ziel einer Bergankunft wenigstens ein bisschen ohnmächtig werden. »Simpson war gedopt«, sagt Brägel, »und seit es EPO gibt, kippt auch keiner mehr im Ziel um.«

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Dummerweise hat der Lapp recht, aber das ist noch lange kein Grund, auf einmal als Wanderradler daherzukommen. Fehlt nur noch Licht, Klingel und ein Ständer. »Ständer nicht, das andere schon«, sagt Brägel und nimmt den alten Hans ins Visier. »Du fährst doch immer ohne Klingel, sogar auf Radwegen. Die Leute erschrecken, wenn du vorbeirast, weil dein asthmatisches Röcheln keiner hört.« Der alte Hans nickt. Stimmt, das gehört dazu: Kreischende Jungmütter, die vor Schreck beinahe in den Kinderwagen hüpfen, wenn wir unangekündigt vorbeidonnern – das ist Radsport. »Oh, ihr Kretins«, höhnt Brägel. Wir erklären dem alten Hans, dass uns Brägel nicht als Kartoffelauflauf beschimpft hat und beruhigen den Lapp. Jedenfalls sind wir gegen die Wellness-Welle. Rennräder haben unbequem zu sein, dann fährt man nämlich schneller, damit man nicht so lange drauf sitzen muss. Und gerade Lenker oder Schuhe mit Wandersohlen sehen einfach scheiße aus. Ganz abgesehen davon – man muss ja nicht am Unterlenker greifen, man darf.

Brägel lässt sich aber nicht beirren, er will es künftig einfach bequemer haben. Für uns ein ernstes Zeichen, dass eine Ära langsam zu Ende gehen könnte, zumal er mittwochs jetzt auch noch einen Yogakurs besucht und dabei die Sonne anspricht oder so ähnlich. Allerdings: Bei der letzten Ausfahrt wurde er überholt, wobei sich einer über Brägels Lenker beömmelt hat (»He, ein Birkenstock-Radler!«). Brägel sprintete hinterher und antwortete freundlich (»Noch ein Wort und ich lass’ dich deine Luftpumpe fressen«). Alles wird gut. Nur das mit den Schuhen, das muss aufhören.

Fahrtbegleiter

Es gibt viele Dinge, die man zum Radfahren definitiv nicht braucht – ein Tacho aber ist eine absolute Notwendigkeit

Brägel ist verzweifelt. Es ist kurz vor Weihnachten, der Radhändler seines Vertrauens im Urlaub, und sein Radcomputer hat den Geist aufgegeben. Offenbar ist der Sender kaputt. Und das ein paar Tage nach unserem traditionellen »Tacho-auf-Null-stellen-Fest« am dritten Advent. »Ich weiß gar nichts mehr«, jammert der Lapp, »nicht, wie weit ich fahre, nicht, wie schnell, keine Ahnung, welcher Schnitt oder wie viele Höhenmeter – und das zum Saisonauftakt, grauenhaft.« Brägel sieht aus, als stünde er kurz vor dem Suizid. »Sieh’ es einfach positiv«, sagt der alte Hans, »50 Kilometer im 19er-Schnitt sind ja nicht gerade der Brüller. Und wenn es das Ding wieder tut, kannst du die Gesamtkilometer bis dahin schätzen und ein paar dazu bescheißen.«

Brägel widerspricht zwar künstlich empört, scheint aber ein wenig beruhigt. Und wir sind mittendrin in einer Diskussion, was zum Radfahren alles dazugehört und was nicht. Keine Frage, diese kleinen Dinger am Lenker sind mittlerweile fester Bestandteil des Velos. Erwachsene Männer bekommen beinahe Weinkrämpfe, wenn der Computer streikt und am Horizont das Menetekel erscheint, dass am Ende des Jahres just diese nicht gespeicherten Kilometer zur Zielvorgabe fehlen könnten. Diese Angst ist verständlich, schließlich sind die angestrebten Jahreskilometer die wichtigste Zahl im Leben eines echten Mannes. Dass Frauen auch ohne Tacho glücklich radeln können, wissen wir, verstehen es aber nicht. Das ist einfach so. Punkt.

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Offenbar gehört inzwischen für viele auch das Handy zur Basis-Ausstattung. Der Präsident wurde kürzlich mitten im Training ganz weiß um die Nase, wühlte wie ein Irrer in seinen Trikottaschen und drehte schließlich abrupt um. »Ich hab’ mein Handy vergessen«, stammelte er und fuhr in umgekehrter Richtung davon. Ziemlich merkwürdig – zumal sich keiner von uns erinnern konnte, dass der Präsi jemals beim Training angerufen wurde. Brägel vermutet, dass der Präsident sein Mobile (Brägel sagt immer englisch korrekt »Mobeil«) zu Hause auf dem Schuhschrank hat liegen lassen und jetzt zittert, dass seine Frau die vielen SMS seiner Freundin lesen könnte. Wir vermuten, dass Brägel nur auf diese Begründung kommen kann, weil er genau weiß, wovon er spricht.

Wir schweigen aber höflich, weil man mit Handys natürlich auch Spaß haben kann. So wie neulich, als der alte Hans in sein neues Nokia gebissen hat, weil es in seiner linken Trikottasche steckte, wo sich normalerweise ein bereits ausgepackter Müsliriegel befindet. Weniger lustig sind dagegen die Marotten von so manchem Radheld, Dinge viel zu lange zu behalten. Brägel hat zum Beispiel immer noch eine ganze Kollektion von Trinkflaschen aus den Zeiten von Mapei und Fassa Bortolo, in denen sich Kolonien schwarzpockiger Schimmelpilze tummeln. Wir sind aber schon froh, dass er wenigstens seine Team-Stuttgart-Bidons nicht mehr mitnimmt. Die stammen nämlich noch aus einer Zeit, als Brägel mit Eigenurin-Doping experimentierte. Der alte Hans will freilich erfahren haben, dass Brägel die Flaschen unserer Jugendabteilung geschenkt hat. Nachdem die Kids aber erst neulich alle gesund am Stammtisch waren, kann das eigentlich nicht sein.

Ähnlich merkwürdig ist die Unsitte, Dinge beim Radfahren mitzunehmen, die an irgendwelche besonderen Ereignisse erinnern. Der alte Hans trägt immer noch sehr gerne das Trikot eines französischen Radmarathons, bei dem er 1985 den ersten Platz in der Ausländerwertung gewonnen hat, was als einziger Nicht-Franzose im Feld allerdings auch nicht allzu schwer war. Wie auch immer, das Trikot bringe Glück, sagt er, sieht aber mittlerweile aus wie die Schmusedecke eines zweijährigen Spinatessers – und riecht auch so. Brägel würde sich sicher immer noch gerne in seinen legendären Zeitfahr-Einteiler von Banesto zwängen, aber der ist beim letzten Versuch vor ein paar Wochen geplatzt. Ähnlich peinlich ist das Tragen von Angeber-Sonnenbrillen, Marke Cipollini, nur weil man seit 1999 ein Autogramm von Super-Mario hat (Präsident).

Kurzum – das meiste, was Radfahrer mit sich führen zu müssen meinen, ist überflüssiger Quatsch. Wobei Brägels Panik, ein paar Tage ohne Tacho unterwegs sein zu müssen, ausdrücklich nicht dazu zählt. Ohne Computer macht das Radfahren wirklich keinen Spaß. Das erhebende Gefühl, die 58,7 Kilometer lange Winter-Trainingsrunde im Vergleich zum gleichen Tag des Vorjahres mit einem 23,82-Schnitt statt damals mit 23,76 bewältigt zu haben, ist unvergleichlich. So was geht runter wie Öl, das sind Glücksgefühle, die man seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Wir haben uns deshalb ausnahmsweise mit Brägel solidarisch erklärt, sind in die Nachbarstadt gefahren und haben bei einem anderen Radhändler einen neuen Sender besorgt.

Der Tacho tut wieder, alles wird gut. Weihnachten ist gerettet, und das nächste Jahr gleich mit.

Feste feiern

Brägels Radclub hat Geburtstag – die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Und es ist wie immer: Vorfreude ist die schönste Freude

Das Jahr 2009 ist das Jahr der Jubiläen: 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Mauerfall, und vor 40 Jahren waren die Amis auf dem Mond – behaupten sie zumindest. Dazu ist Joseph Haydn seit 200 Jahren tot, Österreich feiert das Andreas-Hofer-Jahr, Borussia Dortmund wird 100, Jopie Heesters 106 und der Radclub stolze 15 Jahre alt. Das muss gebührend gefeiert werden, zumal Brägel feinfühlig anmerkt, »dass wir es da krachen lassen sollten, weil der alte Hans die 20-Jahr-Feier wahrscheinlich nicht mehr erleben wird«. Diese Äußerung fiel nach einer Trainingsfahrt, bei der Brägel erstaunlicherweise den Schlussanstieg als Vorletzter vor dem guten Hans bewältigte.

Natürlich haben wir alle bis auf einen herzlich gelacht, wurden dann aber doch sachlich, weil so ein Vereinsjubiläum eine ernste Sache ist. Wir einigten uns schnell auf ein Jubiläums-Komitee, dem fast alle angehören, und auf das zweite Augustwochenende als Termin. Das Programm wird grandios: Der Präsident kennt einen, dessen Tochter eine Freundin hat, deren Freundin im Kunstradverein ist und den Kehrlenkersitzsteiger beherrscht. Diese Übung hat Brägel auch schon mal versucht, allerdings aus Versehen, als er an einer roten Ampel zu spät in die Bremsen griff. Aber das ist ein anderes Thema.

Auf jeden Fall werden wir Kunstradvorführungen machen und dazu einen Ergometer-Wettbewerb. »Wer 1000 Watt schafft«, sagt der Präsident, »bekommt als ersten Preis ein Wochenende im November in meinem Wohnwagen am Bodensee.« Mal abgesehen davon, dass der November am Bodensee nicht gerade der Kracher ist, sind 1000 Watt eine Menge Holz, besonders wenn man bedenkt, dass ein guter Profisprinter die letzten Meter so mit knapp 700 Watt unterwegs ist. Alternativ, so ein Vorschlag, könnten wir Brägel auf dem Ergo vorlegen lassen, und jeder würde gewinnen, der 20 Prozent mehr Druck aufs Pedal bringe. Davon will der Präsi aber nichts wissen. »Dann müssen wir den ganzen Campingplatz mieten, und das nicht nur im November«, sagt er. Brägel schweigt. Wahrscheinlich hat er es nicht verstanden.

Weitere Programmpunkte sind: eine Einsteigerfahrt für Frauen, geführt von Brägel, und Werkstatt-Tricks vom alten Hans, der zeigt, wie man die Züge einer Unterrohrschaltung perfekt einstellt. Dazu bietet der Präsi dem Volk eine Wette an, dass er mit verbundenen Augen alle gängigen Kettenfette am Geschmack erkennt. Beim Essen sind wir uns schnell einig: Es gibt Wurst vom Grill, Pommes und diese staubtrockenen Flammkuchen für die Mikrowelle, die wir für 1,99 das Stück im Gastronomie-Großmarkt kaufen und für 7,50 unter die Leute bringen. Weil ein jung-dynamisches Mitglied noch »was Gesundes« anmahnt, wird der alte Hans einen Waschzuber seiner berühmten Schaschliksoße kochen, da sind Zwiebeln und ein paar Paprika drin, das müsste an Vitaminen reichen. Die Soße kann man über die Wurst, die Pommes oder auch über den Flammkuchen kippen, je nachdem.

Die Vorfreude ist jedenfalls groß – zumal Brägel für die Tombola einen Hauptpreis »von großem Wert« spenden will. Die Stimmung kippt ein wenig, als sich »der große Wert« als altes Telekom-Trikot mit Unterschrift von Jan Ullrich herausstellt und das jung-dynamische Mitglied nicht weiß, wer Jan Ullrich ist. Für die Älteren ist das aber schon was.

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Jetzt müssen wir nur den Schwung über den Frühling in den Sommer retten. Wird nicht ganz leicht werden, da am Horizont dunkle Wolken auftauchen. Es geht um die obligatorische Festschrift, die ein ortsansässiger Journalist nach den Vorgaben unseres Jubiläums-Komitees erarbeitet hat. Beim Probelesen von »Helden der Landstraße – 15 Jahre Radclub« haben unbeteiligte Dritte erstaunt erzählt, dass sie gar nicht wussten, dass eine so große Anzahl der besten Radfahrer der Welt Mitglied in unserem