Peter Sawicki

Mahatma Gandhi

Ein indischer Patriot

Impressum

ISBN: 978-3-86408-121-7 (epub) // 978-3-86408-122-4 (pdf)

Korrektorat: Anne Kirschbaum

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Inhalt

Vorwort

Prolog: Der Beginn des Wendepunkts

1. Gandhis junge Jahre – von der Kolonie in die Hauptstadt des Empire

1.1 Kindheit und Schulzeit

1.2 Studium in London

2. Der Anwalt der Kulis – Gandhi in Südafrika

2.1 Der Advokat der indischen Minderheit

2.2 Entstehung des Satyagraha

3. Die gewaltfreie Revolution – der lange Weg zu Indiens Unabhängigkeit

3.1 Der Sabarmati-Aschram

3.2 Auftakt zur Nichtzusammenarbeit

3.3 Ein sinnbildlicher Staatsstreich

3.4 Pakt mit dem Vizekönig

3.5 Erfolge und politische Fehlentscheidungen

3.6 „Quit India“

4. Der unlösbare Konflikt mit Pakistan – Gandhis letzter Akt

4.1 Ein letzter Sieg

4.2 Am Hass gescheitert

5. Schattenseiten einer großen Seele

Epilog: Gandhis Erbe – in der Heimat ausgeschlagen, vom Ausland gepriesen

Vorwort

„Möchte man als Biograph einem derart großen Mann Gerechtigkeit zukommen lassen, müsste man ihm eigentlich ebenbürtig sein.“ Mit diesen Worten soll sich Jawaharlal Nehru, erster Premierminister des demokratischen Indiens, über Mohandas Karamchand, genannt „Mahatma“ – „die große Seele“, Gandhi geäußert haben.1

Albert Schweitzer wiederum bezeichnete den Inder aufgrund seiner Lehre des gewaltfreien Widerstands als Reinkarnation Buddhas.2 Angesichts dieser Einschätzungen erscheint eine gebührende Würdigung dieses Mannes in Form einer Biographie geradezu unmöglich.

Und dennoch, trotz dieser enormen Glorifizierung – oder möglicherweise eben deshalb – sind nicht erst seit Gandhis gewaltsamem Tod im Jahr 1948 eine Vielzahl von Biographien, Aufsätzen und Beiträgen über ihn erschienen, sowohl von indischen als auch internationalen Autoren. Zu seinen Ehren sind Opern komponiert und ein Oscar-gekrönter Film produziert worden, Literaten und Schriftsteller haben sich immer wieder mit ihm befasst.

In seinem Heimatland ist der Name Mahatma Gandhi bis zum heutigen Tage allgegenwärtig. Sein Geburtstag, der 2. Oktober, ist dort ein gesetzlicher Feiertag. Am 30. Januar hält das gesamte öffentliche Leben still, wenn anlässlich des Todesdatums Gandhis ebenfalls an ihn erinnert wird. Zahlreiche Institute und öffentliche Einrichtungen sind nach ihm benannt worden. In ganz Indien stößt man zudem auf Monumente, die an Gandhi und sein Wirken erinnern, und wenn Staats- und Regierungschefs in das südasiatische Land reisen, ist es traditioneller Brauch, dass sie an Gandhis nationaler Gedenkstätte Raj Ghat in Delhi einen Kranz niederlegen.

Gandhi selbst sagte über sich, dass sein Leben selbst seine Botschaft sei,3 sowohl an die Zeitgenossen als auch an nachfolgende Generationen. Zwar sind viele Aspekte seines Lebens ausschließlich im Kontext seiner Zeit zu beurteilen und auf die heutige Epoche kaum übertragbar, dennoch ist Gandhi keineswegs lediglich eine Figur aus den Geschichtsbüchern: Die Faszination um ihn dauert bis heute an und nährt das Bedürfnis, immer wieder einen Blick auf das Leben des wohl bekanntesten Inders zu werfen, denn auch seinem Ideal der Gewaltlosigkeit fühlen sich Millionen Menschen rund um den Globus verbunden.

Prolog: Der Beginn des Wendepunkts

Der Tag brach gerade erst an, als sich am 12. März 1930 am Rande Ahmedabads im Nordwesten Britisch-Indiens eine Menschenmenge vor einem vorwiegend aus Bambusholz errichteten Bungalow einfand. Die 78 Männer warteten einige Augenblicke, bis schließlich der Mann aus dem schlichten Haus heraustrat, dessentwillen sie sich dort zusammengeschart hatten. Von ihm erwarteten die Anwesenden – und mit ihnen Millionen weiterer Inder – nicht weniger, als dass er seinem Volk den Weg zur Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht ebnen möge.

Genau dazu wollte Mohandas Karamchand Gandhi nun einen grundlegenden Beitrag leisten. Mit den an seinem Domizil versammelten Menschen brach er gegen 6.30 Uhr auf, um einen der ungewöhnlichsten politischen Feldzüge zu führen, den die Welt bis dahin erlebt hatte.

Dabei erweckte Gandhi äußerlich kaum den Anschein eines politischen Freiheitskämpfers. Er war 60 Jahre alt, dürr, kahlköpfig, bebrillt und zahnlos. Gekleidet war er in ein weißes, selbstgesponnenes Lendentuch, als Gehstütze benutzte er mitunter einen dicken Holzstock. Gandhis politische Gegenspieler auf Seiten des Empires zeigten sich zu dieser Zeit wenig beeindruckt von ihm und seinem Einsatz für die Freiheit Indiens. Für Lord Irwin, Generalgouverneur und Vizekönig der Kolonie, kam Gandhi mit seinem Wirken nur „albern“ daher, Winston Churchill sollte ihn wenig später gar als „halbnackten Fakir“ diffamieren.4

Doch Gandhi, von seinen Anhängern Mahatma, die „Große Seele“, genannt, war in der Lage, zahlreiche Menschen auf seine Seite zu ziehen. Die 78 Männer, die an jenem Märzmorgen vor seinem Bungalow erschienen, waren nur ein Bruchteil derer, die auf ihn und seine Kampagne vertrauten. Den Marsch, den er anführte, hatte Gandhi als ein wesentliches Symbol für das Unabhängigkeitsstreben des indischen Volkes geplant. Er sollte darlegen, mit welcher Ungerechtigkeit Großbritannien über den südasiatischen Subkontinent regierte, und dass die Kolonialisierung Indiens seit jeher weitgehend den Kolonialherren, kaum aber dem kolonisierten Volk zugutegekommen war.

Als Zielort des Marsches bestimmte Gandhi das Dorf Dandi im heutigen Bundesstaat Gujarat im Westen des Subkontinents. Die Ortschaft war ungefähr 390 Kilometer von Gandhis Haus entfernt und direkt am Arabischen Meer gelegen. Vor allem jedoch verfügten die dortigen Küsten über besonders reichhaltige Salzvorkommen. Das weiße Gold sollte bewusst als Instrument zur Erlangung der Selbstständigkeit Indiens eingesetzt werden.

Gandhi war der Meinung, dass es die Ausbeutung der Inder am besten widerspiegelte, denn er hielt Salz zusammen mit Luft und Wasser für die bedeutsamsten Lebensnotwendigkeiten eines Menschen. Trotzdem war es Indern in der Kolonie verboten, eigenes Salz zu sammeln, geschweige denn damit Handel zu treiben. Sie waren darauf angewiesen, es in britischen Lagerhäusern zu teils horrenden Preisen zu erwerben, denn die Kolonialmacht konnte durch ihr Monopol die Steuersätze für Salz beliebig in die Höhe treiben. Vor allem die Ärmsten litten unter dieser Preisspirale.

Am Ende des 24-tägigen Marsches las Gandhi am Strand von Dandi gemeinsam mit seiner Gefolgschaft Salz auf und opponierte somit gegen die Steuer.

Von diesem symbolischen Akt erhoffte er sich, sein Volk weitflächig zu gewaltlosen Protesten animieren und Großbritannien schließlich zum Einlenken bewegen zu können. Die britischen Behörden hatte Gandhi zuvor in einem höflichen Schreiben von seinem Vorhaben in Kenntnis gesetzt, ebenso wie zahlreiche nationale wie ausländische Medien. Der „Salzmarsch“ sollte der Welt die Entschlossenheit der Kampagne aufzeigen – und den festgefahrenen Unabhängigkeitsbestrebungen der Inder neuen Auftrieb verleihen.5

Gandhi hatte Erfolg: Schon bald sah man in der Sonne Indiens vielerorts Schüsseln mit Meerwasser stehen, aus dem durch Verdunstung Salz gewonnen wurde.

1. Gandhis junge Jahre – von der Kolonie in die Hauptstadt des Empire

1.1 Kindheit und Schulzeit

Nachdem der Sepoy-Aufstand weite Teile Britisch-Indiens in den Grundfesten erschüttert hatte, brachen Ende der 1860er Jahre wieder ruhigere Zeiten in der Kolonie an. Bei den Geschehnissen, die 1857 ihren Anfang nahmen, hatten indische Söldner, die Sepoys, eine Rebellion gegen die Briten angezettelt. Etwa zwei Jahre sollten vergehen, ehe sich die Lage nach blutigen Kämpfen wieder beruhigte. In der Konsequenz entzog die britische Krone der East India Company alle Herrschaftsbefugnisse über Indien und übernahm selbst die Regentschaft über den Subkontinent. Indien wurde zur Kronkolonie und somit formell Teil des Empires.6