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Titel der englischen Originalausgabe: In Defence of Dogs. Penguin Books Ltd., London, 2011. © John Bradshaw 2011.

Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Gagneur und Gisela Rau © 2012 für die deutsche Ausgabe: Kynos Verlag Dr. Dieter Fleig GmbH Konrad-Zuse-Straße 3 • D-54552 Nerdlen/Daun

Telefon: +49 (0) 6592 957389-0

www.kynos-verlag.de

Bildnachweis

Titelbild: Thorsten Lukaszczyk

Alle Zeichnungen Alan Peters

eBook-Ausgabe der Printversion

ISBN-eBook: 978-3-942335-90-4

ISBN der gedrucketen Ausgabe: 978-3-942335-80-5

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Für Alexis (1970 – 1984),

einen wahren Hund

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Danksagung

Einführung

KAPITEL 1 Woher kommt der Hund?

KAPITEL 2 Wie aus Wölfen Hunde wurden

KAPITEL 3 Warum Hunde – leider – wieder zu Wölfen gemacht wurden

KAPITEL 4 Zuckerbrot und Peitsche – Die Wissenschaft des Hundetrainings

KAPITEL 5 Wie aus Welpen Familienhunde werden

KAPITEL 6 Liebt Ihr Hund Sie?

KAPITEL 7 Intelligenz bei Hunden

KAPITEL 8 Komplizierte unkomplizierte Gefühle

KAPITEL 9 Eine Welt der Gerüche

KAPITEL 10 Probleme der Rassehundezucht

KAPITEL 11 Hunde und die Zukunft

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Index

Vorwort

Der erste Hund, in den ich mich als Kind verliebte, war einer, den ich nie kennengelernt habe: Ginger, der Cairn Terrier meines Großvaters. Ginger, ein typischer langbeiniger Vertreter seiner Rasse, lebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und es trennten ihn nur wenige Generationen von seinen arbeitenden Vorfahren. Als ich geboren wurde, war Ginger bereits lange tot, und ich wuchs in einem Haushalt ohne Haustiere auf. Aber die Geschichten, die ich über Ginger hörte, brachten ihn mir so nah, dass es fast so war, als hätte ich einen eigenen Hund.

Mein Großvater war von Beruf Architekt, und er liebte Spaziergänge. Den Weg zu seinem Büro in der Industriestadt Bradford und zurück nach Hause ging er stets zu Fuß, ebenso wie zu den von ihm entworfenen Kirchen und Fabrikgebäuden. Vor allem aber wanderte er zur Entspannung: in den Heidelandschaften von Yorkshire, im Lake District oder im Snowdonia-Nationalpark. So oft es ihm möglich war, nahm er Ginger auf seine Spaziergänge mit. In der Familie waren sich alle darüber einig, dass es genau dieses Training war, dem Ginger seine für die Rasse überdurchschnittlich langen Läufe verdankte. Eigentlich sieht er auf den Fotos, die ich von ihm habe, wie ein typischer Cairn Terrier aus, und nicht wie der Cairn Terrier, der 1939 für die Rolle des Toto im Film Der Zauberer von Oz ausgewählt wurde. Erst viel später, als ich begann, mich aus beruflichen Gründen für Rassehunde zu interessieren, fiel mir auf, wie sehr sich diese Rasse in den dazwischen liegenden Jahrzehnten verändert hatte und dass unter anderem die Läufe in dieser Zeit erheblich kürzer geworden waren. Ich bezweifle, dass viele der modernen Cairn Terrier Freude an dem hohen Maß an sportlicher Aktivität hätten, die mein Großvater offensichtlich so liebte, obwohl die heutigen Cairn Terrier im Vergleich zu anderen Rassen weniger anfällig sind für Erbkrankheiten.

Ginger hatte den echten Yorkshire-»Charakter«, und in der Familie kursierten unzählige Geschichten über ihn. Was mich jedoch am allermeisten verblüffte, war die Freiheit, die er genießen durfte, obwohl er in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum lebte. An jedem Mittag, etwa zur Essenszeit, wenn mein Großvater im Büro war, durfte Ginger alleine einen Spaziergang durch die Nachbarschaft unternehmen. Dabei folgte er anscheinend immer derselben Routine: Zunächst überquerte er die Straße zum Lister Park, wo er an Laternenmasten schnupperte, andere Hunde traf, und im Sommer versuchte, die Leute auf den Parkbänken dazu zu überreden, ihre Sandwiches mit ihm zu teilen. Als Nächstes überquerte er die Trambahnschienen in der Manningham Lane und trottete zur Rückseite der Imbissbude. Er brauchte nur ein wenig an der Hintertür zu kratzen, und schon erhielt er einige Stückchen Backteig und einige verunglückte Pommes frites. Danach lief er in der Regel direkt wieder nach Hause, wobei er über eine sehr belebte Kreuzung musste. Dort stand, wenn man der Familie glauben darf, normalerweise ein Verkehrspolizist, der den mittäglichen Verkehr regelte, und dieser hielt tatsächlich sämtliche Autos an, damit Ginger die Kreuzung wohlbehalten überqueren konnte.

Viele Jahre bin ich nicht in Bradford gewesen, aber nach den Verhältnissen in anderen Städten zu urteilen, stehen wahrscheinlich heute rund um den Lister Park unzählige Abfalleimer für Hundekot, die meisten der Hunde, die dort ausgeführt werden, sind angeleint, und die städtischen Hundefänger von Bradford sind angehalten, alle Hunde, die wiederholt durch den Park oder die angrenzenden Straßen streunen, einzufangen. Trambahnen gibt es natürlich schon lange nicht mehr, und längst sind Polizisten, die den Verkehr regeln, durch Ampeln abgelöst worden, aber ich habe meine Zweifel, ob es auch nur einer der heutigen, ganzkörpergepanzerten »Freunde und Helfer«, selbst wenn er es wollte, wagen würde, ein Auto anzuhalten, damit ein kleiner brauner Terrier die Straße überqueren kann.

Es sind nun ungefähr 70 Jahre vergangen, seit Ginger durch die Straßen streunen und bei jedem, den er traf, seinen Charme versprühen durfte, einschließlich der lokalen Ordnungshüter. Und im gleichen Zeitraum hat sich – fast unbemerkt – die Einstellung der Gesellschaft gegenüber unseren vierbeinigen Freunden enorm verändert.

Diese Einstellung war während meiner Kindheit und Jugend in den 1970er Jahren in Großbritannien noch relativ locker. Mein erster Hund, ein Mix zwischen einem Labrador und einem Jack Russell Terrier, der auf den Namen Alexis hörte, war ebenfalls ein Herumtreiber. Allerdings hatte er mehr Interesse an den weiblichen Vertretern seiner Spezies als an den Snacks der Mittagspäusler. Zwar bemühten wir uns nach Kräften, ihn in unserer Nähe zu halten. Jedoch gelang es ihm immer wieder, auszureißen, und so kam es, dass er – anders als Ginger – mehrmals im Tierzwinger der Polizei landete (zu dieser Zeit war in Großbritannien immer noch die Polizei für Streunerhunde zuständig). Aber niemand schien sich daran zu stören.

Heutzutage stößt man, speziell in den Städten, kaum noch auf eine solche Toleranz gegenüber Hunden und ihren Verhaltensweisen, und auf dem Land ist die Hundehaltung immer mehr auf dem Rückzug. Nach vielen Jahrtausenden, in denen der Hund von allen Tieren der engste Gefährte des Menschen war, ist nun in vielen Ländern, auch in den USA, die Katze zum beliebtesten Haustier avanciert. Warum ist das so?

Zunächst einmal erwartet man, dass man Hunde heute viel besser unter Kontrolle hat als dies früher der Fall war. Schon immer gab es eine große Anzahl an Fachleuten, die den Hundebesitzern sagen, wie sie sich um ihre Hunde kümmern sollen. Als ich meinen zweiten Hund übernahm, einen Labrador-Airedale-Terrier-Mix mit dem Namen Ivan, war ich entschlossen, aus ihm einen besser erzogenen Hund zu machen als Alexis. Ich entschied mich, mich ein wenig mit Hundetraining zu beschäftigen, war dann aber geschockt, als ich sah, welchen Ansatz die damaligen Trainer verfolgten. Da war zum Beispiel Barbara Woodhouse, für die ein Hund ein Wesen war, das man permanent dominieren musste. Ich sah das einfach nicht ein – Sinn und Zweck eines Hundes als Haustier ist doch, dass er unser Freund wird, nicht unser Sklave. Bei meinen Recherchen fand ich heraus, dass dieser Trainingsansatz ursprünglich von Oberst Konrad Most stammte, einem Polizeibeamten und Pionier auf dem Gebiet des Hundetrainings. Dieser hatte vor über 100 Jahren die Behauptung aufgestellt, dass ein Mensch einen Hund nur dann kontrollieren kann, wenn der Hund von der körperlichen Überlegenheit des Menschen überzeugt ist. Er leitete diese Idee aus den Berichten zeitgenössischer Biologen über wilde Wolfsrudel ab. Zu dieser Zeit glaubte man, dass jedes Rudel von einem einzigen Wolf dominiert wird, der die anderen Wölfe einzig und allein dadurch kontrolliert, dass er bei ihnen Furcht erzeugt. Die Biologie, die zu dieser Zeit mein Beruf war, stand plötzlich im Widerspruch zu meinem Bauchgefühl, das mir sagte, wie meine Beziehung zu meinen Hunden eigentlich sein sollte.

Zu meiner Erleichterung löste sich dieses Dilemma im Laufe der letzten zehn Jahre von selbst auf. Heute wissen wir, dass das Wolfsrudel, stets als Maßstab für die Interpretation des hündischen Verhaltens herangezogen, ein harmonischer Familienverband ist. Gestört wird diese Harmonie einzig und allein durch den Eingriff des Menschen. Infolgedessen haben die aufgeklärtesten modernen Trainer den Einsatz von Strafen weitgehend abgeschafft und stützen sich nun auf Methoden, die auf dem Belohnungsprinzip beruhen und ihre Wurzeln in der vergleichenden Psychologie haben. Dennoch beherrschen die Trainer der Alten Schule immer noch die Medien, weil – wie ich denke – ihre konfrontativen Methoden sehr publikumswirksam sind.

Zwar zeigen moderne Trainingsmethoden – zumindest stellenweise – mehr Mitgefühl für die Hundeseele. Dennoch leidet die physische Gesundheit der Hunde. Die Anforderungen an unsere Familienhunde in Bezug auf Hygiene, Kontrolle und Verhalten werden immer höher, aber die Zucht von Hunden, die man für diese immer anspruchsvollere Nische für geeignet hält, wurde in die Hände von Enthusiasten gelegt, deren Hauptziel darin besteht, Hunde zu produzieren, die gut aussehen. Obwohl Ginger reinrassig war und einen Stammbaum hatte, war er nur ungefähr zehn Generationen von den schottischen und irischen Rattenfängern entfernt, die keiner bestimmten Zuchtlinie angehörten und infolgedessen ein langes und gesundes Leben führten. Heutzutage läuft der Cairn Terrier Gefahr, zum Opfer von Inzuchtpraktiken für den Ausstellungsring zu werden, geplagt von über einem Dutzend Erbkrankheiten wie beispielsweise dem anscheinend extrem schmerzhaften Legg-Calvé-Perthes-Syndrom.

Biologen wissen nun wesentlich mehr darüber, wie Hunde wirklich funktionieren, als dies noch vor zehn Jahren der Fall war. Diese neuen Erkenntnisse sind jedoch nur sehr langsam zu den Hundehaltern durchgedrungen und haben in der Tat das Leben der Hunde selbst noch nicht wesentlich verändert. Nachdem ich über 20 Jahre lang das Verhalten von Hunden studiert und auch in ihrer Gesellschaft gelebt habe, hatte ich das Gefühl, es sei an der Zeit, darzustellen, was der Hund wirklich ist: nicht die Karikatur des Wolfs im Hundepelz, bereit, seinen ahnungslosen Besitzer beim ersten Anzeichen von Schwäche zu dominieren, nicht der Trophäenjäger, der Schleifen und Auszeichnungen für seinen Züchter gewinnt, sondern der echte, der wahre Hund, das Haustier, das einfach nur ein Familienmitglied sein und das Leben genießen will.

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Danksagung

Fast 30 Jahre lang habe ich das Verhalten von Hunden erforscht, zunächst am Waltham Centre for Pet Nutrition, dann an der Universität von Southampton und schließlich am Institut für Anthrozoologie der Universität von Bristol. Einiges von dem, was ich über Hunde gelernt habe, beruht auf meinen persönlichen Beobachtungen, vor allem zu Beginn meiner Forschungen, aber sehr viele Erkenntnisse habe ich durch die Zusammenarbeit und den Austausch mit zahlreichen Kollegen, Studenten und Doktoranden gewonnen. Ihnen verdanke ich einen großen Teil der in diesem Buch beschriebenen Grundlagenforschung, obwohl ich selbstverständlich die volle Verantwortung für die hier dargestellten Interpretationen übernehme. In grober chronologischer Reihenfolge möchte ich nennen: Christopher Thorne, David Macdonald, Stephan Natynczuk, Benjamin Hart, Sarah Brown, Ian Robinson, Helen Nott, Stephen Wickens, Amanda Lea, Sarah Whitehead, Gwen Bailey, James Serpell, Rory Putman, Anita Nightingale, Claire Hoskin, Robert Hubrecht, Claire Guest, Deborah Wells, Elizabeth Kershaw, Anne McBride, Sarah Heath, Justine McPherson, David Appleby, Barbara Schöning, Emily Blackwell, Jolanda Pluijmakers, Theresa Barlow, Helen Almey, Elly Hiby, Sara Jackson, Elizabeth Paul, Nicky Robertson, Claire Cooke, Samantha Gaines, Anne Pullen und Carri Westgarth sowie viele weitere, deren Zahl so groß ist, dass ich sie hier nicht alle auflisten kann. Zwei Menschen möchte ich besonders erwähnen: Nicola Rooney, die in den letzten 12 Jahren unermüdlich auf höchstem Niveau das Verhalten und die Gesundheit von Hunden erforscht hat und die soziale Seele meiner Forschungsgruppe war, außerdem Rachel Casey, die wohl führende britische Tierverhaltensforscherin und unbestreitbar eine rastlose Vorkämpferin auf dem Gebiet des evidenzbasierten Hundetrainings und der Verhaltenstherapie. Mein Dank geht ebenfalls an die School of Veterinary Medicine der Universität von Bristol und insbesondere an die Professoren Christine Nicol und Mike Mendl sowie an Dr. David Main, der das Anthrozoology Institute und seine Forschungen in maßgeblicher Weise unterstützt hat.

Basis unserer Forschungsarbeiten war selbstverständlich die Zusammenarbeit mit buchstäblich Tausenden von Hundehaltern und ihren Hunden, denen ich hier ebenfalls meinen Dank aussprechen möchte. Darüber hinaus wurde ein großer Teil unserer Forschung erst durch die Einrichtungen und die Mitarbeit der führenden britischen Tierschutz- und Tiervermittlungsorganisationen möglich: Dogs Trust, Blue Cross und die Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA).

Mit zahlreichen weiteren Wissenschaftlern und Hundeexperten habe ich mich nur kurz austauschen können, aber ihre Veröffentlichungen waren für mich eine wertvolle Quelle der Inspiration. Viele von ihnen konnte ich in den Anmerkungen am Ende des Buches gebührend erwähnen. Wie viele andere wissenschaftliche Forschungszweige umfasst das systematische Studium des hündischen Verhaltens eine Vielzahl von Ansätzen und Meinungen, und mitunter können diese recht eindringlich formuliert sein. Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen kynologischer Forschung und der volkskundlichen Auffassung vom Hund: Wissenschaftler sind bereit, Beweise aus anderen Quellen zu evaluieren und ihre Meinungen zu revidieren, wenn diese Evaluationen ihnen Anlass dazu geben. Die Kynologen sind nicht dafür zuständig, mit Meinungen hausieren zu gehen und sie als Tatsachen zu verkaufen. Sie komplettieren lediglich einen Fundus an Wissen, der niemals vollständig ist und der durch den permanenten Dialog zwischen zahlreichen Experten kontinuierlich an Stärke gewinnt. Ihnen allen möchte ich danken, auch denen, deren Ansichten inzwischen angezweifelt oder als unzeitgemäß betrachtet werden. Der Fortschritt der Wissenschaft gründet darauf, dass eine Hypothese durch eine andere ersetzt wird, die besser zur Datenlage passt; wäre die erste Hypothese nicht der Stimulus für den kreativen Gedanken gewesen, hätte sich die zweite Hypothese niemals entwickelt.

Es war nicht leicht, all diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in einem Buch von überschaubarem Umfang zusammen zu fassen. Dank der Unterstützung meines Agenten Patrick Walsh sowie Lara Heimert, meiner Redakteurin bei Basic Books, habe ich es geschafft, eine breitere Leserschaft anzusprechen als die akademische Gemeinschaft, für die ich in der Vergangenheit hauptsächlich geschrieben habe.

Mit Überraschung und großer Freude stellte ich fest, wie die Zeichnungen meines alten Freundes Alan Peters meinen Beschreibungen von Hunden und Kaniden Leben einhauchen. Er ist nicht nur ein begnadeter Künstler, sondern auch ein sehr fähiger Jagdhundeausbilder (und Falkner). So war er in der Lage, seinen langjährigen Erfahrungsschatz über die Bewegungen und Interaktionen von Hunden in seine Aufgabe einfließen zu lassen.

Und nun zu meiner Familie. Meine Ehefrau Nicky war für mich in all den Jahren meiner akademischen Karriere eine unverzichtbare Quelle der Unterstützung, vor allem aber in dem Jahr, in dem dieses Buch entstand – ich kann ihr nicht genug danken. Dank gebührt auch meinem Bruder Jeremy, ohne dessen Ermutigung ich dieses Buch überhaupt nicht begonnen hätte. Danken möchte ich auch Netty, Emma und Pete, die mein Gedächtnis durch Musik erfrischt haben; ebenso Tom und Jez, die das Gleiche mit Bier, Rioja und Cricketspielen getan haben.

Einführung

Der Hund ist über die Dauer von mehreren Zehntausend Jahren für uns zu einem treuen Gefährten geworden. Überall auf der Welt leben heute Hunde in der Gemeinschaft mit Menschen, oft als vollwertiges Familienmitglied. Für viele Menschen ist eine Welt ohne Hunde undenkbar.

Und dennoch befinden sich Hunde heute unverschuldet am Rande einer Krise, und sie kämpfen, um mit den immer schneller stattfindenden Veränderungen der menschlichen Gesellschaft Schritt zu halten. Noch vor etwas mehr als 100 Jahren mussten die meisten Hunde arbeiten, um leben zu können. Und jede Rasse und jeder Typus hat sich über Tausende von Jahren und eine entsprechende Anzahl von Generationen hinweg perfekt an die Aufgabe, für die sie bzw. er gezüchtet wurde, angepasst. Zu allererst waren Hunde Werkzeuge. Ihre Beweglichkeit, ihre geistige Flexibilität, ihre wachen Sinne und ihre beispiellose Fähigkeit, mit Menschen zu kommunizieren, boten die perfekten Voraussetzungen, sie für die vielfältigsten Aufgaben einzusetzen: Jagen, Hüten, Wachen und viele andere, und jede Aufgabe war eine wichtige Komponente für die Wirtschaft. Kurzum: Hunde mussten sich ihren Lebensunterhalt verdienen, und wenn man einmal von den wenigen Schoßhündchen absieht, die die Reichen sich als Spielzeug hielten, war die Gesellschaft von Hunden eher eine beiläufige Erscheinung, aber nicht ihr eigentlicher Daseinszweck. Dann, vor einigen Dutzend Generationen, begannen die Dinge sich zu ändern. Und diese Veränderungen finden nach wie vor in immer schnellerem Tempo statt.

Tatsächlich gibt es immer mehr Hunde, von denen man nicht erwartet, dass sie jemals arbeiten. Ihre einzige Funktion besteht darin, ein Haustier in einer Familie zu sein. Viele der Rassen, die ursprünglich Arbeitshunde waren, haben sich erfolgreich an diese neuen Bedingungen angepasst, andere wiederum eignen sich schlecht für diese neue Rolle. So überrascht es vielleicht, dass keine der Rassen, die zu den beliebten Familienhunden zählen, speziell und exklusiv für diesen Zweck gezüchtet wurden. Bisher haben die Hunde ihr Bestes gegeben, um sich an die zahlreichen Veränderungen und Einschränkungen anzupassen, die wir ihnen auferlegt haben – speziell unsere Erwartung, entweder gesellig und umgänglich zu sein, oder aber dezent und unaufdringlich – je nachdem, wie wir sie uns gerade wünschen. Die Kluft, die dieser Kompromiss mit sich bringt, wird jedoch größer. Während die menschliche Gesellschaft sich weiter verändert und die Bevölkerungsdichte auf unserem Planeten immer mehr zunimmt, gibt es Anzeichen dafür, dass die Popularität von Hunden als Haustiere ihren Gipfel erreicht hat und dass ihre Anpassung an einen weiteren Lebensstil zu einem Kampf werden könnte, speziell in urbanen Umgebungen. Schließlich können Hunde, da sie lebendige Wesen sind, nicht alle zehn Jahre neu entworfen werden, als wären sie Computer oder Autos. In der Vergangenheit, als Hunde hauptsächlich auf dem Land bestimmte Funktionen erfüllten, hat man sie einfach so genommen, wie sie waren. Heute hingegen leben viele Haushunde in fest umgrenzten, urbanen Umgebungen, und man erwartet von ihnen, dass sie wohlerzogener sind als das durchschnittliche Kind und gleichzeitig so eigenverantwortlich wie ein Erwachsener. Als ob diese Verpflichtungen noch nicht reichen würden, zeigen viele Hunde noch immer das angepasste Verhalten, das ihnen entsprechend ihrer ursprünglichen Funktion zugedacht war: Wesenszüge, von denen der Mensch nun verlangt, dass der Hund sie ablegt (oder von denen er sich wünscht, sie hätten niemals existiert). Der Collie, der Schafe hütet, ist der beste Freund des Schäfers. Der Collie hingegen, der als Haustier gehalten wird und versucht, die Kinder zu hüten und der Fahrrädern nachjagt, ist der Alptraum seines Besitzers. Die neuen, unrealistischen Standards, für die viele Menschen sich Hunde halten, resultieren aus einem von mehreren grundlegenden Trugschlüssen darüber, was Hunde sind und für welche Aufgaben sie geschaffen wurden. Wir müssen lernen, ihre Bedürfnisse und ihr Wesen besser zu verstehen, wenn wir wollen, dass der kleine Platz, den sie in der menschlichen Gesellschaft einnehmen, nicht noch kleiner wird.

Unsere rasch wechselnden Erwartungen sind nicht die einzige Herausforderung, vor der Hunde heute stehen. Auch die Art und Weise, wie wir heutzutage ihre Vermehrung kontrollieren, stellt eine große Gefahr für ihr Wohlergehen dar. Über eine lange Zeit wurden Hunde gezüchtet, um Rollen zu übernehmen, die die Menschen ihnen zudachten. Dabei war es unwesentlich, ob es sich um Hüten, Apportieren, Wachen oder Transportieren handelte; es zählten die Stabilität und Funktionalität des Hundes, nicht dagegen Typ oder Aussehen. Im späten 19. Jahrhundert dagegen wurden Hunde in in sich geschlossenen Zuchtgruppen zusammengefasst, die sich voneinander isoliert fortpflanzen sollten, und jeder Zuchtgruppe wurde von den Zuchtverbänden ein dezidiertes Idealerscheinungsbild bzw. ein »Rassestandard« zugeordnet. Für viele Hunde hat diese starre Kategorisierung keine guten Folgen gehabt; vielmehr hat dies dazu geführt, dass sie ihrem Bedürfnis nach Anpassung an ihre neue Hauptrolle als Lebensgefährte nicht nachkommen konnten. Züchter streben nicht danach, das perfekte Haustier zu züchten, sondern sie möchten einen perfekt aussehenden Hund produzieren, der im Vorführring erfolgreich ist. Diese Siegerhunde werden als prämierter Bestand angesehen und leisten einen extrem unverhältnismäßigen genetischen Beitrag für die nachfolgende Generation. Die Folge sind »reine« Rassen, deren idealisiertes Aussehen über ihren schlechten Gesundheitszustand hinwegtäuscht. In den 1950er Jahren wiesen die meisten Rassen noch eine gesunde genetische Variationsbreite auf. Bis zum Jahr 2000, nur 20 bis 25 Generationen später, war bei vielen Zuchten die Inzucht schon so massiv betrieben worden, dass Hunderte von genetisch bedingten Missbildungen und Gesundheitsschäden aufgetreten waren, die das Wohlbefinden jedes reinrassigen Hundes potenziell gefährden können. In Großbritannien wurde die wachsende Kluft zwischen den Hundezüchtern und denjenigen, die sich um das Wohlergehen der Hunde sorgten, im Jahr 2008 bekannt. Die Folge hiervon war, dass sich die Wohltätigkeitsorganisationen von Crufts, der größten nationalen Hundeausstellung, zurückzogen. Auch der Fernsehsender BBC, der die Veranstaltung überträgt, sagte seine Teilnahme ab. Solche Proteste sind zwar ein guter Anfang, aber die Hunde selbst werden davon keinen Nutzen haben, solange die durch exzessive Inzucht hervorgerufenen Probleme nicht behoben sind und in der Hundezucht nicht das Aussehen des Hundes, sondern wieder seine Gesundheit und seine Rolle in der Gesellschaft im Vordergrund stehen.

Wenn sich das Schicksal der Hunde zum Besseren wenden soll, dann müssen wir Menschen letztendlich unsere Einstellung zu ihnen ändern. Die Fülle der modernen Forschungsergebnisse zum Thema Hund konnten bisher die vorgefassten Meinungen weder der Experten noch der normalen Hundehalter in Frage stellen. Ein großer Teil der bisherigen Debatte, ob nun über die Verdienste der Auszucht gegenüber denen der Inzucht oder die Effizienz von Trainingsmethoden, hat nicht viel mehr gebracht als die Untermauerung und erneute Untermauerung etablierter Meinungen. Dies ist der Punkt, an dem das wissenschaftliche Verständnis wichtig wird, denn es kann uns sagen, wie Hunde wirklich sind und welche Bedürfnisse sie wirklich haben.

Die Wissenschaft ist ein wichtiges Hilfsmittel, um Hunde zu verstehen, aber leider hat die kynologische Forschung nicht nur positive Beiträge zum Wohlergehen von Hunden geleistet. Die kynologische Wissenschaft, die in den 1950er Jahren ihren Anfang nahm, hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine rationale Perspektive auf die Frage zu entwickeln, was es bedeutet, ein Hund zu sein – eine Perspektive, die angeblich objektiver ist als die traditionelle, auf den Menschen konzentrierte bzw. vermenschlichende Sicht auf die hündische Natur. Trotz dieses Versuchs zur Differenzierung haben Kynologen jedoch gelegentlich genau die Tiere missverstanden, deren Wesen sie bestrebt waren aufzudecken, und sie haben sogar anderen die Lizenz dazu erteilt, eben diesen Tieren Verletzungen zuzufügen.

Die Wissenschaft hat, ohne es zu wollen, den Hunden sehr geschadet, indem sie die Methoden der vergleichenden Zoologie auf Studien zum hündischen Verhalten angewendet hat. Die vergleichende Zoologie ist eine gut etablierte und im Allgemeinen geschätzte Vorgehensweise, um über den direkten Vergleich zwischen verschiedenen Spezies das Verhalten und die Anpassung einer bestimmten Spezies zu verstehen. Spezies, die eng miteinander verwandt sind, jedoch unterschiedliche Lebensformen haben, können mit den Mitteln der vergleichenden Zoologie oft besser verstanden werden, da diese unterschiedlichen Lebensformen sich in ihrem Aussehen und im Verhalten widerspiegeln; das Gleiche gilt für Spezies, die gleiche Lebensformen haben, jedoch genetisch nicht verwandt sind. Diese Methode war und ist sehr erfolgreich, wenn es darum geht, die Mechanismen der Evolution im Allgemeinen aufzudecken, speziell in einer Zeit, in der wir in der Lage sind, Ähnlichkeiten und Unterschiede auf der Verhaltensebene mit den unterschiedlichen DNAs der verschiedenen Spezies zu vergleichen und so die genetische Basis von Verhaltensmustern präzise zu bestimmen.

Obwohl der Einsatz der vergleichenden Zoologie in der Regel harmlos ist, hat sie Hunden doch erheblich geschadet, denn ein Experte nach dem anderen hat ihr Verhalten so interpretiert, als hätte sich dieses, unter der Oberfläche, nur geringfügig gegenüber dem ihres Vorfahren, des Wolfs, geändert. Wölfe, die üblicherweise immer als bösartige Tiere dargestellt werden, und denen man nachsagt, dass sie stets nach Dominanz über ihre Artgenossen streben, wurden bislang als das einzig glaubwürdige Modell für das Verständnis des hündischen Verhaltens hingestellt.1 Diese Hypothese führt unweigerlich zu dem Trugschluss, dass jeder Hund permanent versucht, seinen Besitzer zu kontrollieren – es sei denn, dieser hält seinen Hund unnachgiebig in Schach. Die Verschmelzung des hündischen und des wölfischen Verhaltens wird nach wie vor in Büchern und im Fernsehen im großen Stil propagiert, aber die neuesten Forschungen zu Hunden und Wölfen haben gezeigt, dass dies nicht nur unbegründet ist, sondern auch, dass Hunde, die mit ihren Haltern in einen Konflikt geraten, in der Regel von Angst angetrieben werden, nicht von einem übersteigerten Bedürfnis nach Dominanz. Da sich dieses grundlegende Missverständnis in fast jede Theorie über das Verhalten unserer Hunde eingeschlichen hat, wird es auch das erste Thema sein, das ich in diesem Buch anspreche.

Trotz der fehlerhaften Anwendung der vergleichenden Zoologie könnten neuere wissenschaftliche Entdeckungen, sofern sie korrekt eingesetzt werden, den Hunden erheblich zugute kommen. In den 1970er und 1980er Jahren war es in der kynologischen Forschung sehr ruhig geworden, aber in den 90er Jahren konnte man eine Wiederbelebung dieses Forschungszweigs feststellen, die bis heute angehalten hat. Nachdem über einen Zeitraum von fast 50 Jahren das Thema Haushund fast völlig vernachlässigt worden war, ist nun das außergewöhnlich gestiegene wissenschaftliche Interesse am Haushund teilweise der Tatsache zu verdanken, dass Hunde heute eine wichtige Rolle bei der Suche nach illegalen Substanzen wie Sprengstoff oder Drogen spielen (und die sie weitaus effizienter erschnüffeln können als jede Maschine). Damit gepaart ist die Erkenntnis, dass der Mensch besser verstehen muss, wie Hunde diese Aufgaben ausführen. Das vermehrte Interesse ist außerdem darauf zurückzuführen, dass sich die Aufmerksamkeit einiger Primatenforscher von Schimpansen auf Haushunde verschoben hat, da sie versucht haben, neue Einblicke in die Art und Weise zu erlangen, wie das tierische und das menschliche Gehirn arbeiten. Ein weiterer Beitrag kam von Tierärzten und anderen Klinikern, die die Therapien für die Behandlung von Verhaltensstörungen bei Hunden verbessern möchten. Und schließlich sollte man nicht vergessen, dass auch viele Biologen Hundeliebhaber sind. Sobald das Berufsstigma des Arbeitens mit sogenannten künstlichen Tieren überwunden ist, sind diese Wissenschaftler oft bestrebt, ihre Fähigkeiten dafür einzusetzen, das Leben der Hunde zu verbessern.

Indem wir die Vorhänge weiter zurückziehen, die das Innenleben der Hunde verdecken, ist die neue Schule der kynologischen Wissenschaft mehr und mehr in der Lage, dem durchschnittlichen Hundehalter neue Wege aufzuzeigen, wie er seinen Hund sehen und mit ihm kommunizieren kann. Dank der Bemühungen dieser neuen Gemeinschaft von Wissenschaftlern haben wir nun ein erheblich verbessertes Verständnis dafür, wie das Hundegehirn arbeitet, speziell darüber, wie Hunde Informationen über die Welt um sie herum sammeln und interpretieren und wie sie emotional auf unterschiedliche Situationen reagieren. Ein Teil dieser Forschung hat erstaunliche Unterschiede zwischen Hunden und Menschen aufgedeckt, was nahe legt, dass es für Hundebesitzer sowohl wünschenswert als auch möglich ist, wie ein Hund zu denken, anstatt einfach nur davon auszugehen, dass der Hund alles, was sein Besitzer spürt und fühlt, ebenfalls spüren und fühlen muss.

Obwohl die neue Wissenschaft über das Hundeverhalten das Potenzial besitzt, die Rolle des Hundes in der menschlichen Gesellschaft wieder auf den richtigen Weg zu bringen, sind bislang nur wenige Forschungsergebnisse außerhalb der schwer verständlichen akademischen Texte verfügbar gemacht worden. In diesem Buch möchte ich versuchen, die aufregenden neuen Entwicklungen der kynologischen Forschung für den Durchschnittsleser – und Hundeliebhaber – zu übersetzen. Dabei muss ich so manche weit verbreitete Wahrheit über Hunde und darüber, wie wir mit ihnen interagieren sollten, über den Haufen werfen. In der ersten Hälfte des Buches werde ich darlegen, dass die neuesten Darstellungen über den Ursprung des Hundes ein ganz anderes Bild der hündischen Natur zeichnen als dies vor etwa 20 Jahren der Fall war, wobei ich bestätige, dass der Wolf in der Tat der einzige Vorfahr des Hundes ist. Hunde sind vermutlich aus der Wolfs-DNA hervorgegangen, jedoch bedeutet dies nicht, dass sie gezwungen sind, sich wie Wölfe zu verhalten oder wie Wölfe zu denken. Tatsächlich hat die Domestikation das Denken und Handeln der Hunde in einem solchen Ausmaß verändert, dass solche Vergleiche auf dem Weg zu einem echten Verständnis unserer Haustiere eher ein Hindernis als eine Hilfe sein können.

Die neuesten Hundeverhaltensforschungen haben dramatische Auswirkungen auf uns Menschen und auf die Wahl der besten und humansten Methoden für das Hundetraining. Eine Warnung möchte ich gleich vorausschicken: Dieses Buch ist kein Trainingshandbuch. Eher soll es aufzeigen, woher die modernen Ideen über das Hundetraining kamen, sodass Hundebesitzer selbst wirksam beurteilen können, ob die von ihnen ausgewählten Trainingshandbücher oder Trainer wirklich wissen, wovon sie sprechen.

Nachdem ich also die Geschichte der Abstammung des Hundes aufgerollt habe, werde ich das untersuchen, was man salopp als die »Intelligenz« des Hundes bezeichnen könnte. Wissenschaftler haben in der letzten Zeit ihre Aufmerksamkeit auf die Arten von Meinungen gelenkt, die die Hundebesitzer von den emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten ihrer Hunde haben, und ihre Erkenntnisse beweisen, wie präzise – aber auch wie falsch – diese Meinungen sein können. Es ist ein wesentlicher Aspekt der menschlichen Natur, nicht nur Tieren, sondern auch unbelebten Objekten Gefühle zuzuschreiben; so spricht man z.B. von einem »wütenden Sturm« oder von der »grausamen See«, und doch war es bis vor einigen Jahrzehnten völlig offen, welche Emotionen verschiedene Tiere haben. Zahlreiche Wissenschaftler haben darüber hinaus Emotionen schlicht und einfach für zu subjektiv gehalten, um sie für seriöse Studien heranzuziehen. Während die Intelligenz von Tieren seit mehr als 100 Jahren erforscht wird, hielt es bis etwa zum Ende des 20. Jahrhunderts kaum jemand für nötig, Hunde zu erforschen. Seitdem hat die Forschung die Art und Weise, wie wir über die Psyche der Hunde denken, beträchtlich verändert. Die neue kynologische Forschung hat aufgedeckt, dass Hunde intelligenter und gleichzeitig dümmer sind als wir denken. Sie haben z.B. dank ihrer extremen Sensibilität für unsere Körpersprache die fast verblüffende Fähigkeit zu erraten, was ihr Mensch im nächsten Moment tun wird, aber sie sind auch im Augenblick gefangen, unfähig, die Konsequenzen ihres Handelns auf die Vergangenheit oder die Zukunft zu projizieren. Wenn Hundebesitzer in der Lage wären, die Intelligenz und das Gefühlsleben ihres Hundes als das anzuerkennen, was es ist, statt als das, was sie sich vorstellen, dann würden Hunde nicht nur besser verstanden, sondern auch besser behandelt.

So wie die kynologische Wissenschaft menschliche Ansichten über die Psyche des Hundes erklären kann, so kann sie auch Auskunft darüber geben, wie Hunde die Welt um sie herum wahrnehmen und interpretieren. Physisch gesprochen: Ein Hund und sein Besitzer leben im selben Haus, gehen zum Trainieren in denselben Park, reisen im selben Auto, treffen dieselben Freunde und Bekannten. Die Art der Informationen, die im Hundegehirn und im Menschengehirn ankommen, ist jedoch in jeder der beschriebenen Situationen vollkommen unterschiedlich. Wir Menschen sind visuelle Wesen; Hunde verlassen sich in erster Linie auf ihren Geruchssinn. Wir bezeichnen hohe Töne, die wir nicht hören können (z.B. die Rufe von Fledermäusen) als »Ultraschall«; Hunde würden sich, wenn sie es könnten, über unsere Unfähigkeit, diese Geräusche wahrzunehmen, lustig machen; sie selbst können sie perfekt hören. Um die Welt unserer Hunde vollständig verstehen zu können, muss die Wissenschaft uns erklären, was Hunde wahrnehmen können und was nicht, was sie als angenehm empfinden und was sie ablehnen würden, wenn sie könnten. Ich nehme z.B. an, dass Ihr Hund nie ein Problem mit den Farben hatte, die Sie für die Inneneinrichtung Ihres Hauses ausgewählt haben, aber seine empfindliche Nase hat vermutlich den Geruch der trocknenden Farbe als sehr unangenehm empfunden.

Obwohl sich unser Mangel an Verständnis für die Natur des Hundes oft negativ auf ihr Wohlbefinden auswirkt, ist das nichts gegen die Probleme, die wir für Zuchthunde durch übermäßige Inzucht geschaffen haben. Rigide Rassestandards ermutigen Züchter darin, sämtliche Wesenzüge zu eliminieren, die nicht zum »perfekten« Typ passen. In der Theorie sollte dies die Züchter in die Lage versetzen, Merkmale auszuwählen, die gesunde und ausgeglichene, wenn auch relativ homogene, Tiere hervorbringen, aber in der Praxis hat dies zum Auftreten einer großen Palette von Erbschäden geführt, die das Wohlbefinden vieler Hunde in sehr vielen Rassen beeinträchtigen. Glücklicherweise kann die Wissenschaft dabei helfen, die Hundezucht wieder in richtige Bahnen zu lenken. Zwar würde es den Rahmen dieses Buch sprengen, wenn ich hier eine detaillierte Abhandlung zur Hundegenetik schreibe. Dennoch widmet sich das vorletzte Kapitel den zugrundeliegenden Prinzipien, die Züchter beachten sollten, und es betont, welche Zuchtpraktiken direkte Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Hunde haben.

In den abschließenden Kapiteln des Buches beleuchte ich, wie die Wissenschaft den Hunden helfen kann, sich an das Leben im 21. Jahrhundert anzupassen. Momentan liegt ein Großteil des Augenmerks in der Hundezucht darauf, Hunde eher mit oberflächlichen als mit praktischen Wesensmerkmalen auszustatten. Viele Familienhunde sind im Grunde Hunde, die von den Züchtern aussortiert wurden, weil diese davon ausgehen, dass sie nicht die Perfektion erreichen, die der Rassestandard vorschreibt; die Welpen, die so aussehen, als würden sie niemals die Champions im Vorführring sein, sind die, die dann zu Familienhunden werden. Haben die Bedürfnisse des Haushundes nicht ein wenig mehr Aufmerksamkeit verdient? Als Hundehalter und Hundeliebhaber müssen wir konstruktiv darüber nachdenken, wie man Hunde züchtet, deren Hauptzweck nicht darin besteht, Schafe zu hüten, erlegtes Wild zu apportieren oder Preise auf Ausstellungen zu gewinnen, sondern wie Hunde zu wertvollen, folgsamen, gesunden und glücklichen Haustieren werden können.

Dieses Buch stellt meinen Versuch dar, ein besseres Verständnis und eine größere Wertschätzung für die spezielle Rolle zu fördern, die Hunde in der menschlichen Gesellschaft spielen. Wenn wir diese Ziele erreichen können, werden sie dazu beitragen, unsere Beziehung zu unseren geliebten Gefährten über die kommenden Jahrzehnte aufrechtzuerhalten und zu stärken.

1 Woher kommt der Hund?

»Der Wolf im Wohnzimmer« – ein eindringliches Bild, das Hundehaltern immer wieder bewusst macht, dass ihr getreuer Gefährte unter seinem Pelz ein Tier und kein Mensch ist. In der Tat sind Hunde Wölfe, zumindet, was ihre DNA betrifft: Der genetische Code von Wölfen und Hunden ist zu 99,96% identisch. Folgt man dieser Logik, könnte man ebenso gut sagen, dass Wölfe Hunde sind, aber erstaunlicherweise behauptet das niemand. Wölfe werden im Allgemeinen als wilde, urzeitliche Vorfahren dargestellt, wohingegen Hunde leicht in die Rolle des künstlichen, gezügelten und unterwürfigen Abkömmlings des Wolfs gedrängt werden. Dabei punkten Hunde allein zahlenmäßig in der modernen Welt um ein Vielfaches gegenüber den Wölfen. Welchen Vorteil haben wir also aus der Erkenntnis, dass Hunde und Wölfe einen gemeinsamen Vorfahren haben? In zahlreichen Büchern, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln sowie TV-Sendungen über das Verhalten von Hunden wird behauptet, dass, wenn wir den Wolf verstehen, wir den Schlüssel zum Verständnis des Haushundes haben. Ich denke darüber anders: Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel zum Verständnis des Haushundes zunächst einmal im Verständnis des Haushundes, und eine wachsende Anzahl von Wissenschaftlern weltweit teilt diese Auffassung mit mir. Wir sollten den Hund als eigenständiges Tier analysieren und nicht als einen unbedeutenden Ableger des Wolfs. Nur so haben wir die Gelegenheit, ihn – wie zu keinem Zeitpunkt zuvor – wirklich zu verstehen und unsere Beziehung zu ihm zu verbessern.

Gewiss ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass Hunde viele grundlegende Eigenschaften mit anderen Vertretern der Hundefamilie, den Kaniden, zu denen auch der Wolf gehört, gemeinsam haben. Hunde sind die Nachfahren der Kaniden, und sie verdanken dieser Entwicklung Eigenschaften wie ihre grundlegende Anatomie, ihren feinen Geruchssinn, ihre Begabung zum Apportieren und ihre Fähigkeit, dauerhafte soziale Bindungen einzugehen. In gewisser Weise kann also der Vergleich zwischen Hunden und ihren wild lebenden Vorfahren sehr aufschlussreich sein. Betrachtet man hingegen den Wolf als den einzig möglichen Referenzpunkt, dann leidet unser Verständnis von Hunden.

Zunächst einmal unterscheiden sich Hunde von Wölfen oder anderen Kaniden dadurch, dass sie sich an ein Leben in der Gemeinschaft von Menschen angepasst haben – das Ergebnis der Domestikation. Die Domestikation hat die Hunde verändert, und so scheinen sie viele subtile und komplexe Facetten des Wolfsverhaltens abgelegt zu haben. Übrig bleibt ein Tier, das zwar immer noch als Kanide, aber nicht mehr als Wolf erkennbar ist. Durch die Domestikation hat sich der Hund mehr als jede andere Spezies verändert, und es gibt heute Hunde in einer Vielzahl von Typen und Größen. Unter den Haushunden finden wir mehr Größenvariationen als beim gesamten Rest der Hundefamilie zusammen. Dies ist jedoch keineswegs die einzige tiefgreifende Auswirkung der Domestikation. Die für uns und auch für die Hunde vielleicht wichtigste Auswirkung besteht in der Fähigkeit der Hunde, eine Bindung zu uns aufzubauen und uns zu verstehen, und das in einem Ausmaß, zu dem kein anderes Tier in der Lage ist. Daher spielt das Verständnis dessen, was während der Domestikation passiert ist, eine entscheidende Rolle für das Verständnis des Hundes.

Um unseren Haushund in vollem Umfang zu verstehen, müssen wir über den Domestikationsprozess und selbst über den Wolf hinaus blicken und die gesamte Entwicklungsgeschichte des Hundes betrachten. Wir müssen wissen, woher der Hund stammt und auch, wie alle seine Vorfahren waren, nicht nur sein engster lebender Verwandter, der Wolf. Es ist natürlich für uns letztendlich nicht möglich, genau zu wissen, wie sich die Urahnen des Haushundes verhalten haben, egal ob wir nun seine unmittelbaren Vorfahren betrachten, also die Wölfe, die vor über 10.000 Jahren lebten, oder seine entfernteren Urahnen, soziale Kaniden, die die Vorläufer des Wolfs waren und im Pliozän vor mehreren Millionen Jahren lebten. Diese Kaniden sind alle ausgestorben. Wir können uns jedoch eine vage Vorstellung davon machen, wie ihr Verhalten war, indem wir das Verhaltensrepertoire studieren, das für die heutigen sozialen Kaniden charakteristisch ist. Tatsächlich würde eine detaillierte Untersuchung zum Verhalten dieser Spezies nicht nur über die frühesten Vorfahren des Hundes Aufschluss geben, sondern uns auch helfen herauszufinden, warum, abgesehen vom Wolf, keiner dieser Kaniden erfolgreich und dauerhaft domestiziert werden konnte.

Durch DNA-Analysen konnte zweifelsfrei festgestellt werden, dass der Hund einzig und allein (oder zumindest fast gänzlich) vom Grauwolf, Canis lupus, abstammt. Die erste umfassende Sequenzierung der mütterlichen DNA von Hunden, Wölfen, Kojoten und Schakalen, die 1997 veröffentlicht wurde, erbrachte keine Beweise dafür, dass Hunde Vorfahren in einer anderen Spezies haben als in der des Grauwolfs.1 Keine der zahlreichen, seitdem durchgeführten Untersuchungen konnten dies widerlegen. Allerdings besteht immer noch ein relativ großer Mangel an väterlicher DNA, da diese schwieriger zu analysieren ist. Es ist also immer noch möglich, dass einige Hundetypen über die väterliche Linie von anderen Kaniden abstammen.

Genetisch gibt es sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen Hund und Wolf, aber die bloße Tatsache, dass zwei Spezies eine erhebliche Überschneidung in ihrer DNA haben, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie das gleiche Verhalten zeigen. Es ist sogar so, dass viele Tiere mit ähnlicher DNA sich drastisch voneinander unterscheiden, speziell was das Verhalten betrifft. Diese Erkenntnisse verdanken wir der DNA-»Revolution«, die es uns ermöglichte, die Genome von Menschen, Hunden, Katzen und einer zunehmenden Anzahl anderer Spezies zu sequenzieren. Viele dieser Sequenzen zeigen einen bemerkenswert hohen Grad an Übereinstimmung. Beispielsweise ist Ihre DNA zu 25% ihrer Länge mit der Ihres Hundes identisch, was vielleicht nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass Sie beide zur Gattung der Säugetiere gehören; etwa dieselben 25% finden sich bei Mäusen. Die restlichen 75% erklären, warum Hunde, Mäuse und Menschen sehr unterschiedlich aussehen und sich auch unterschiedlich verhalten.

Bei Spezies, die noch viel enger miteinander verwandt sind als wir mit Hunden, kann es vorkommen, dass die gesamten DNA-Sequenzen identisch sind, und es ist eine verlockende Annahme, dass sie daher auch das gleiche Verhaltensrepertoire zeigen. Die DNA steuert jedoch nicht das Verhalten direkt; vielmehr ist es so, dass sie die Struktur von Proteinen und anderen Zellbestandteilen definiert, sodass eine winzige Veränderung in der DNA riesige Veränderungen im Verhalten bewirken kann. Es gibt zum Beispiel keinen »Bauplan« für das Gehirn; jede Nervenzelle des Gehirns bildet sich aus Interaktionen zwischen Tausenden von DNA-Sequenzen. Modifiziert man nur einen »Buchstaben« in diesen Sequenzen, so könnte dies entweder enorme Einflüsse auf die Gehirnfunktionen haben, oder aber gar keine. Wir wissen im Moment einfach noch nicht genug über das Zusammenspiel zwischen DNA und Verhalten. Nehmen Sie beispielsweise zwei eng miteinander verwandte Affenarten: den Schimpansen und den Bonobo. Gemeine Schimpansen und Bonobos haben eine zu 99,6% übereinstimmende DNA, und dennoch könnte das Sozialverhalten dieser beiden Großaffenarten unterschiedlicher nicht sein. Gemeine Schimpansen sind Allesfresser, oft jagen sie andere Affenarten, und ihre Sozialverbände basieren auf Koalitionen zwischen männlichen Tieren, die in höchstem Maße aggressiv gegenüber Außenseitern sind und diese sogar töten können, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten. Bonobos hingegen sind Vegetarier, sie leben in Verbänden, die sich hauptsächlich aus Gruppen miteinander verwandter weiblicher Tiere zusammensetzen. Sie zeigen selten Aggression, und es ist niemals beobachtet worden, dass sie in freier Wildbahn andere Tiere getötet haben. Die beiden Spezies sind also genetisch fast identisch, aber es gibt riesige Unterschiede auf der Verhaltensebene.

Ebenso wie bei Bonobos und Schimpansen ist die DNA von Hunden und Grauwölfen fast vollständig identisch. Es gibt jedoch kaum einen Grund anzunehmen, dass sie deshalb auch dieselbe Sozialordnung haben müssen. Tatsächlich sind durch die Domestikation scheinbar viele Details des wölfischen Verhaltens beim Hund verloren gegangen, und das verbliebene Verhaltensrepertoire hat viel mit etwas entfernter verwandten Spezies gemeinsam, wie beispielsweise dem Kojoten, Canis latrans, und sogar einigen noch entfernteren Verwandten derselben Familie, darunter der Goldschakal, Canis aureus.

Schon sehr früh erkannten Biologen die Unterschiede zwischen dem Verhalten der Hunde und dem der Wölfe. Viele dieser Unterschiede manifestieren sich im Sozialleben: Hunde sind beispielsweise ganz klar keine Rudeltiere (obwohl sie sich mitunter zu Gruppen zusammenschließen), und sie sind im Vergleich zu Wölfen sehr viel besser dazu fähig, Beziehungen zu Menschen einzugehen. Im Laufe der Jahre zeigten sich viele bedeutende Biologen, darunter auch der Nobelpreisträger Konrad Lorenz und sogar Charles Darwin, beeindruckt von der Flexibilität des hündischen Verhaltens sowie von den enormen Größenunterschieden zwischen den kleinsten und den größten Rassen. Beide vertraten die Ansicht, dass Haushunde eine Art Hybrid zwischen zwei oder sogar mehreren Kanidenarten sein müssen. In seinem hervorragenden Buch So kam der Mensch auf den Hund (Man Meets Dog) argumentiert Lorenz, dass Wölfe von ihrer Natur her überaus autark sind, Hunde im Gegensatz dazu ihre Sympathien großzügig und unterschiedslos an jedermann verteilen und dass daher seiner Überzeugung nach die meisten Rassen, die ihren Ursprung in Europa hatten, überwiegend vom Schakal abstammten. Später nahm er wieder Abstand von dieser These, nachdem er erkannt hatte, dass es keine Belege für spontane Einkreuzungen zwischen Hunden und Schakalen gibt (wogegen diese zwischen Hunden und Wölfen durchaus vorkommen), und dass die Details des Schakalverhaltens nicht zu denen des Hundes passen (das Heulen der Schakale ähnelt zum Beispiel überhaupt nicht dem von Hunden).