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NESTROYANA

32. Jahrgang 2012 – Heft 3/4

Blätter der

INTERNATIONALEN
NESTROY-GESELLSCHAFT

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Erklärung über die grundlegende Richtung des periodischen Mediums:

Abonnements laufen ganzjährig und müssen eingeschrieben einen Monat vor Ablauf abbestellt werden, sonst erfolgen nach Usancen im Zeitungswesen Weiterlieferung und -verrechnung.

Siglen

CG

Johann Nestroy’s Gesammelte Werke, hg. von Vincenz Chiavacci und Ludwig Ganghofer, 12 Bde., Stuttgart 1890–1891.

SW

Johann Nestroy, Sämtliche Werke, hg. von Fritz Brukner und Otto Rommel, 15 Bde., Wien 1924–1930.

GW

Johann Nestroy, Gesammelte Werke, hg. von Otto Rommel, 6 Bde., Wien 1948–1949.

Stücke 1, Sämtliche Briefe, Dokumente, Nachträge

Einzelbände der Historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe, hg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates, Wien, München 1977–2010 (HKA).

32. Jahrgang 2012 – Heft 3/4

Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung des Magistrats der Stadt Wien, MA7 – Kultur, Wissenschaft und Forschung

INHALT

Matthias Mansky: Aufklärerische Komödien ‚à la Bernardon‘? Überlegungen zu den Diskrepanzen von Theaterkritik und Bühnenpraxis im Wien des 18. Jahrhunderts

Barbara Tumfart: Eugène Scribes Theater im Taumel der Gefühle. Emotionen in deutschsprachigen Übersetzungen des 19. Jahrhunderts

Sigurd Paul Scheichl: Sprache als Fey’rtagsgwandel und Festkleid. Eine Metapher bei Nestroy und bei Franz Michael Felder

Martin Stern: Saure Trauben oder Die Illusion „verfluchter Kerl“ zu werden. Zu Johann Nestroys Mussi Weinberl in der Posse Einen Jux will er sich machen (1842)

Maria Piok: Helmut Qualtinger als Nestroy-Interpret

Alexander Marinovic: Das is’ klassisch. Zwölf klassische Nestroy-Aufführungen auf DVD

Buchbesprechungen

Tobias Philipp von Gebler: Der Minister, hg. von Matthias Mansky. Gottlieb Stephanie der Jüngere: Der Deserteur aus Kindesliebe, hg. von Matthias Mansky (Anke Detken)

Karl Friedrich Hensler und Wenzel Müller: Taddädl der dreyssigjährige A B C Schütz, Klavierauszug, hg. von David McShane und Matthias J. Pernerstorfer (Jörg Krämer)

W. Edgar Yates: „Bin Dichter nur der Posse“: Johann Nepomuk Nestroy. Versuch einer Biographie (Karlheinz Rossbacher)

Januskopf mit Knollennase. Renate Wagner: Der Störenfried. Johann Nestroy – ein Theaterleben (Ulrike Längle)

Marie-Theres Arnbom, Kevin Clarke und Thomas Trabitsch (Hg.): Welt der Operette. Glamour, Stars und Showbusiness (Frank Piontek)

Evelyn Zechner: „Kasper saust von Sieg zu Sieg“. Sozialhistorische und soziologische Studien zu ausgewählten Puppenspielen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs (Gina Weinkauff)

Christine Bauer (Hg.): 40 Jahre Nestroy in Schwechat (Peter Haida)

Berichte

Um den 150. Todestag (Ulrike Tanzer, Marion Linhardt)

Buchpräsentation, Lesung und Gesang. W. Edgar Yates, „Bin Dichter nur der Posse“: Johann Nepomuk Nestroy. Versuch einer Biographie (Matthias Mansky)

Präsentation von Dokumenten-, Register- und Nachtragsbänden der HKA sowie des Digitalisierungsprojekts der Nestroy-Bühnenmusiken (Elfriede Schön)

Nestroy & Schnitzler: Feldkircher Literaturtage (Ulrike Längle)

Soiree im Österreichischen Theatermuseum (Renate Wagner)

Nestroy-Ring der Stadtgemeinde Bad Ischl für Nicholas Ofczarek (Arnold Klaffenböck)

Hermann Beil: Der Genius der Gemeinheit oder Österreichs größter Philosoph. Festrede anlässlich des 150. Todestages von Johann Nestroy

Soiree zur 150. Wiederkehr des Todestags von Johann Nestroy im Österreichischen VolksLiedWerk (Karl Zimmel)

Die schwarze Frau und andere pikante Theatergeschichten“. Liederabend des Ensemble DIK (Alice Waginger / Matthias Mansky)

In memoriam Kurt Kahl (Walter Obermaier)

Corrigenda zur Historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe

Programm Interdisziplinäre Ringvorlesung an der Universität Salzburg: Das Wiener Volkstheater. Aspekte – Themen – Traditionen

Ankündigung 39. Internationale Nestroy-Gespräche Schwechat 2013

Nestroy-Stücke in Wiener Theatern April–Oktober 2012

Anschriften der Autoren und Autorinnen des 32. Jahrgangs

Berichtigung

Nestroyana 2012/1–2:

Leider ist im ersten Doppelheft des heurigen Jahrgangs auf S. 90 ein Druckfehler unberichtigt geblieben: Die von Fred Walla entdeckte Nebenquelle zu Nestroys Der Unbedeutende von Michel Masson trägt den Titel L’Inévitable und nicht L’Invetable. Unter dem Titel L’Inévitable gibt es nicht nur die von Kruse übersetzte Novelle, sondern auch ein Vaudeville.

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Gewidmet Walter Obermaier

zum 70. Geburtstag

Matthias Mansky

Aufklärerische Komödien ‚à la Bernardon‘?

Überlegungen zu den Diskrepanzen von Theaterkritik

und Bühnenpraxis im Wien des 18. Jahrhunderts

I. Voraussetzungen

Während von theaterwissenschaftlicher Seite mittlerweile zahlreiche Studien zu den Wiener Theatern im 18. Jahrhundert vorliegen, gelten eingehende Untersuchungen zu den im weiteren Sinne ‚josephinischen‘ Dramatikern immer noch als literaturwissenschaftliche Forschungsdesiderate. Die Tatsache, dass man sich bei derartiger Grundlagenforschung am Rande des heutigen Literaturkanons bewegt, mag hierfür ebenso verantwortlich sein wie die ästhetische und qualitative Diskreditierung dieser Dramatiker in den gängigen Literaturgeschichten. Besonders für jene Dramatiker, die es sich gefallen lassen mussten, gemeinhin als bürgerliche Antipoden einer ‚Wiener Lachkultur‘ ausgewiesen zu werden, schien innerhalb der über Jahrzehnte ideologisch geprägten wissenschaftlichen Literatur zum Wiener Theater kein Interesse vorhanden zu sein.1 Demgegenüber haben sich neuere Untersuchungen, wie der von Johannes Birgfeld und Claude D. Conter herausgegebene Band zum Unterhaltungsstück um 1800, von der literaturwissenschaftlichen Marginalisierung zahlreicher Dramatiker dieser Zeit distanziert, indem die Unterhaltungsdramatik des ausgehenden 18. Jahrhunderts als „wichtiges Reflexionsmedium von Gesellschaft, Politik und Literatur“2 ernst genommen wird. Besonders im nur allzu oft ersichtlichen Balanceakt der Autoren zwischen dem ‚Prodesse‘ und ‚Delectare‘ korreliere die allmähliche „Professionalisierung des Theaterbetriebs“ mit einer weiterhin „ambitionierten Aufklärungsästhetik.“3

Derartige Beobachtungen legitimieren ein neues kultur-, literatur- und theatergeschichtliches Interesse an heute vergessenen Dramentexten, die in der Folge als wichtiges Quellenmaterial für eine differenziertere Betrachtung der Wiener Theaterverhältnisse im ausgehenden 18. Jahrhundert herangezogen werden sollen. Nicht zuletzt reflektieren sie die schwierigen Produktionsbedingungen der Dramatiker zwischen dem theatertheoretischen Anspruch der aufklärerischen Kritik und dem Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer. Während im Rahmen der von Hilde Haider-Pregler ausführlich dargestellten ‚Wiener Theaterdebatte‘ die Schaubühne zu einem kompensatorischen Forum einer bürgerlichen Öffentlichkeit mit moralisch-didaktischem Nutzen funktionalisiert werden sollte,4 lässt die etwas auffällige Experimentierfreudigkeit einiger Dramatiker berechtigte Zweifel an einem sich linear vollziehenden Geschmackswandel aufkommen, wie er um 1770 in den bürgerlichen Theaterjournalen und Wochenschriften euphorisch gefeiert wird.

Im folgenden Beitrag soll gezeigt werden, wie selbst Autoren wie Christian Gottlob Klemm oder Gottlieb Stephanie der Jüngere, die zumindest im weiteren Sinne als Theaterreformatoren der ersten Stunde angesehen werden dürfen, versuchen, sich den Bühnenerfolg der von der Theaterkritik vehement bekämpften Possen und Maschinenkomödien für ihre eigenen dramatischen Produkte zunutze zu machen. Die Resultate, soviel sei vorweggenommen, sind Stücke, die sich weder den Zuspruch der Rezensenten erwerben konnten noch durch eine ansehnliche Bühnenpräsenz brillierten. Dennoch erweisen sie sich in ihrer dramatischen Sonderform und im Kontext der zeitgenössischen Theaterdiskussionen als wichtige literatur- und theatergeschichtliche Dokumente.

II. Lustspiel vs. Maschinenkomödie

Die theatertheoretischen Beiträge und Schriften der österreichischen Aufklärer stehen im Kontext der maria-theresianischen bzw. josephinischen Modernisierungsprozesse, in denen die Schaubühne einem permanenten Legitimationsdruck ausgesetzt wurde, um für sozialpädagogische Zielsetzungen nutzbar gemacht zu werden.5 In Anknüpfung an Gottsched, Lessing und Diderot plädieren die josephinischen Theaterreformatoren für ein Illusionstheater, das der neu aufkommenden bürgerlichen bzw. kleinadeligen Schicht von Gelehrten und Beamten Möglichkeiten zur Identifikation anbietet. Intendiert wird in der Folge ein Lustspieltypus, der sich an den Modellen der sächsischen Typenkomödie, am rührenden Lustspiel und nicht zuletzt am Erfolg von Lessings Minna von Barnhelm orientiert.6 Im Gegensatz zu den klaren Vorstellungen eines didaktischen und empfindsamen Lustspiels wird das bis dato vorherrschende Komödienmodell der Posse, Farce oder Burleske ex negativo lediglich als jene Gattung diffamiert, die den Konventionen einer gesitteten Schaubühne nicht entspreche und die es somit zu verbannen gelte. Als krasse Opposition zu den Intentionen der österreichischen Aufklärer dürfen wohl die Maschinenkomödien oder ‚Bernardoniaden‘ Joseph Felix von Kurz’ gelten, die sich, vom Autor selbst als ‚lustiger Mischmasch‘ bezeichnet, über eine normative Poetik provokant hinwegsetzen.7 So steht an der Stelle eines kursorischen Handlungsfadens ein opulent inszeniertes ‚totales Theater‘,8 dessen fantastischer Bühnenzauber einem permanenten „Affront nicht nur gegen die Ideologie ständischer Hierarchien und des zentralistischen Absolutismus, sondern auch gegen jede tradierte Dramenpoetik mit ihren wirkungsästhetischen Ansprüchen“9 gleichkommt. Die innovativen und effektvollen Stücke Kurz-Bernardons avancieren wie die Maschinenkomödien überhaupt „zum Inbegriff jener theatralischen Form, die Schande über die Wiener Bühne gebracht hätte“,10 da sie nicht nur die Natürlichkeits- und Wahrscheinlichkeitspostulate einer Regelpoetik negieren, sondern sich auch über die ‚gesunde Vernunft‘ hinwegsetzen, indem Hexen und Geister vorbehaltlos auf die Bühne zitiert werden. Die Invektiven der aufklärerischen Theaterreformatoren suggerieren, dass gerade jene Gattung eine Beförderung des Aberglaubens und einen sittenwidrigen Einfluss auf sein Publikum zu verantworten habe und für sie aufgrund der aufwendigen Theatermaschinerie auch noch ein erhöhter ökonomischer Aufwand betrieben werden müsse:

Man belustiget sich an ungereimten Sachen, die eher des Mitleids als des Lachens würdig sind, an Thorheiten, an Zoten und Possen, an tausend Unanständigkeiten, welche feine Ohren oder scharfsichtige Augen beleidigen. Ja man lehret wohl gar auf dieser Schaubühne, die doch eine Tugendschule seyn soll, die Kunst geschickt zu stehlen, und suchet also statt Sokratischer Schüler, Anhänger des Cartouche zu bilden. Endlich muß man meistentheils sehen, daß das Laster sieget, daß Unkeuschheit, Ungerechtigkeit, oder die blinde Liebe einer unbedachtsamen Person am Beschluße die Oberhand behält. Eben so häufig müssen die Maschinen erscheinen, und alles dasjenige aus den Jahrhunderten des Aberglaubens und der Barbarey hervorbringen, was sich nur immer eine verworrene Einbildungskraft von Abendtheuren, irrenden Rittern, von Erscheinungen von Teufeln, von Hexereyen und Zauberschlößern vorstellen kann. Der großen Kosten zu geschweigen, welche dergleichen verkehrte Nachahmung der menschlichen Handlungen verursachen, so sieht jeder Vernünftige dieselben als Träume, als Hirngespinnste, als Erdichtungen an, aus denen man zum höchsten lernen könnte, daß der Teufel ein übler Gast seyn müsse, oder daß es böse Leute in der Welt gäbe.11

III. Anti-Zauberstück mit Tendenzen zur Possendramaturgie

Die Divergenzen zwischen dramentheoretischem Plädoyer und tatsächlicher theaterpraktischer Umsetzung auf der Wiener Bühne werden hingegen auch in aufklärerischen Stücken evident, so etwa in den frühen Lustspielen des zugereisten Sachsen Christian Gottlob Klemm. Klemm, 1736 in Schwarzenberg geboren, kam nach seiner Studienzeit in Leipzig und Jena 1759 nach Wien, wo er mit Die Welt (1762–63) eine Moralische Wochenschrift begründete, die sich bereits in einer frühen Phase mit der Reformierung der Wiener Schaubühne auseinandersetzte.12 Seine Position innerhalb der Theaterdebatte ist von theaterwissenschaftlicher Seite bereits ausreichend skizziert worden: Nach anfänglicher Kritik an der Wiener Bühnenpraxis schlägt er, nachdem er einen Einblick in die ökonomischen und theatralischen Rahmenbedingungen gewinnt, eine moderatere Haltung ein und entfernt sich allmählich von den radikaleren Positionen eines Joseph von Sonnenfels.13

Klemm knüpft in seinen Lustspielen durchaus an die Wiener Bühnenpraxis an, wenn er sich bemüht zeigt, Schauspielern wie dem Hanswurst-Darsteller Gottfried Prehauser Rollen auf den Leib zu schreiben, um seinen Komödien eine domestizierte Hanswurstkomik zu interpolieren. Dennoch verabsäumt er nicht, seine Stücke durch die Montage von pädagogischen Lehrsätzen und tugendhaften Bezugsfiguren zu einem didaktischen Happy End zu führen. Im Gegensatz zu seinen späteren Dramen, in denen sich eine Zunahme an empfindsam-moralischen Sequenzen konstatieren lässt, liefert Klemm mit seinem frühen Lustspiel Der Schuster, ein Goldmacher eine Aberglaubens-Satire, die sich rein oberflächlich von den Zauberpossen abzugrenzen sucht:

Die Witwe Freyin von Argant wird hier vom ehemaligen Schuster Scheer in der Alchemie und Kabbala unterrichtet. Scheer, der seiner Gönnerin zahlreiche wunderliche Grillen in den Kopf setzt, verspricht, durch den Stein der Weisen in kürzerer Zeit das Geheimnis zur Goldproduktion zu erfahren und der Freyin so zu ungeahnten Reichtümern verhelfen zu können. Diese ignoriert vorsätzlich alle Regeln der „verderblichen gesunden Vernunft“ und „Schulgelehrsamkeit“14 und möchte ihre Stieftochter Luise und ihre Anverwandte Julie mit Scheer und dem bald eintreffenden arabischen Prinzen Kosmana, bei dem es sich realiter um einen entlaufenen Kammerdiener handelt, verheiraten. In Klemms Stück erfahren die Zaubereien und fantastischen Tollheiten allerdings eine andere Akzentuierung, indem sie bald als Betrug entlarvt werden. Der Bühnenzauber, der einen wichtigen Bestandteil im Theater Kurz’ darstellt, verpufft im Handlungsgefüge Klemms zur reinen Taschenspielerei. Die ironische Haltung und Kommentierung der rationalen Figuren kompromittieren von Anfang an den Schwindel und die Unsinnigkeit der Hexereien und Zauberkräfte im Haus der Freyin und geben sie so dem Verlachen preis, bevor die Betrüger Scheer und Kosmana entlarvt werden. Am Ende ist es die aufgeklärte Bezugsfigur Lysimon, die ein didaktisches Fazit aus der Handlung zieht:

LYSIMON. Da könnt ihr sehn, Kinder, was das für Raserey ist, wenn man ohne Verstand, ohne Einsicht, nur aus Begierde reich zu werden, und verschwenden zu können, Sachen unternimmt, die man nicht versteht; wenn man von Landstreichern, von Bettlern Schätze erwartet; da sehet ihr wie die vortreflichsten Wissenschaften, die Chymie, und die Metallurgie gemißbraucht werden können.15

Nachdem schlussendlich die richtigen Paare zueinander geführt worden sind und der Freyin ihre Torheiten vergegenwärtigt wurden, muss schließlich auch ihr Diener Hannswurst erkennen, dass sich sein fantastischer Traum, ein Prinz von Arabien zu werden, als unrealistisch erweist: „O Jemine! Das ist ein Streich! O du verdammter Scheer! du verpfuschter Scheer! du scheerischer Scheer! […] O du verfluchter arabischer Schuster! hätte ich dich, wie wollte ich dich über den Leisten schlagen. O Jemine! o ich armer Hannswurst!“16

Klemms Aberglaubens-Satire ist prinzipiell als Gegenstück zu den Maschinenkomödien Kurz’ anzusehen, indem die transzendenten Geistererscheinungen gezielt abseits der Bühne in die Gemächer Scheers verlegt werden und somit jeglicher Theaterzauber aus der Komödie verbannt bleibt. Das Drama ist somit Zauberstück ohne Bühnenzauber und wird vom Autor aufgrund seiner didaktischen Lösung auch dezidiert als ‚Lustspiel‘ bezeichnet. Dennoch sind die Restbestände einer Possendramaturgie mehr als deutlich erkennbar, wenn sich Klemm mit dem Hanswurst-Prehauser, Odoardo-Weiskern (Scheer) und Burlin-Brenner (Kosmana) die Dienste der populären Wiener Typendarsteller sichert und ihnen Rollen auf den Leib schreibt, in denen sie ihre Komik voll entfalten können.17 Das Resultat ist eine eher unberechenbare Spontaneität und Dynamik im Stück, wenn die komischen Figuren in abrupten Auftritten auf der Bühne einfallen, um ihren verwirrenden Unsinn von Kabbala und Alchemie an den Mann zu bringen. Dasselbe gilt für die fantasierende Freyin, die in verzückter Euphorie alles goutiert, bevor sie in der nächsten Szene ganz konträr das Dienstpersonal derb zusammenschimpft. Auch die der Golderzeugung dienenden Experimente, die dem Publikum nicht visualisiert werden, sorgen für komische Sequenzen, etwa wenn Hannswurst hinter der Bühne versehentlich eine Tinktur in die Luft sprengt und das akustisch vernehmbare Zerspringen der Gläser einen allgemeinen Aufruhr um den furchtsamen Verursacher evoziert.

Das rein oberflächlich als Anti-Zauberstück intendierte Lustspiel birgt somit, wenn auch an mancher Stelle auf eine etwas unbeholfene Art und Weise, noch alles in sich, was die von Klemm in seinen theoretischen Schriften anfangs abgelehnte Posse an Wirkungsästhetik aufzubieten hat. Lediglich durch die didaktische Volte am Schluss kommt die Komödie einem aufklärerischen Verlachmodus nach, indem die Freyin und die inhaftierten Betrüger dem Lachen preisgegeben werden.

IV. Das gattungstypologische Paradoxon einer ‚aufklärerischen Maschinenkomödie‘

Klemm muss sein Lustspiel später selbst ein wenig verdächtig vorgekommen sein, da er es nicht in seine gesammelten Beyträge zum deutschen Theater aufgenommen hat. Sonnenfels mokiert sich hierüber in seinen Briefen über die wienerische Schaubühne, wenn er vermerkt, dass es sein Verfasser damit selbst „verurtheilt“18 habe. Christian Heinrich Schmid übernimmt Sonnenfels’ Urteil in seine Chronologie des deutschen Theaters, wo er noch etwas drastischer mitteilt, Klemm habe sich „geschämt“,19 das Stück seiner Werkausgabe zu integrieren. Hier zeigt sich bereits eine weitere Problematik der kontroversiellen Theaterdebatte, die einem bisher noch nicht grundsätzlich erforschten „komplizierte[n] Geflecht von [überregionalen,] temporären Allianzen und Gegnerschaften“20 gleichkommt, was das Heranziehen zeitgenössischer Theaterperiodika als einigermaßen objektive und neutrale Beurteilungen der Wiener Bühnengeschehnisse zusätzlich erschwert. Somit muss auch in Frage gestellt werden, ob der von den bürgerlichen Journalen gefeierte Geschmackswandel, der mit dem Tod der beiden Schauspieler Prehauser und Weiskern (1769 und 1768) und den allmählich verschärften Zensurbestimmungen (um 1770) einhergegangen sein soll, in dieser Form tatsächlich stattgefunden hat. Der Kontext der Hegemonialdebatte zwischen Wien, Leipzig und Berlin muss immer mitbedacht werden, wenn der nunmehr geläuterte Geschmack der Wiener, die sich nun scheinbar ausschließlich zum Weinen in rührenden Lustspielen und zum zustimmenden Lächeln in feineren Satiren im Theater einfänden, den Lesern kommuniziert wird.

Neben der Wiener Theaterhistorie und ihren perpetuierenden Wechseln von in den Bankrott getriebenen Pächtern und Direktionen stehen wohl auch die kontinuierlichen Abrechnungen mit Stücken, die sich scheinbar erneut einer Possendramaturgie annähern, dafür, dass das Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer mit den bürgerlichen Dramen noch keineswegs abgedeckt war. Eine Maschinenkomödie zu verfertigen, bedeute immer noch, sich „so viele Kritiker auf den Hals“ ziehen „als einer, der ein Wespennest zerstören will“,21 vermerkt der anonyme Bearbeiter des Schauspiels Der junge Greis 1773 in seiner Vorrede. Auch der Name ‚Bernardon‘ kursiert weiterhin stellvertretend für Stücke, die sich trotz der Etikettierung ‚Lustspiel‘ verschiedenster Posseningredienzien bedienen. Maria Theresia bezeichnet in einem Schreiben an ihren Sohn Ferdinand eine Komödie, bei der es sich um Stephanie des Jüngeren Lustspiel Die bestrafte Neugierde handeln dürfte, als „un peu à la Bernardon.“22 Ebenso distanziert man sich in der Wiener Realzeitung von Stephanies Stück Der unglückliche Bräutigam, dessen Gattung sein Autor bereits satirisch als „Nicht Lust- nicht Trauerspiel, man nenne es wie man will“23 ausgewiesen hat: „Was hat der Mann für eine Absicht, daß er die veralteten Spaße der Bernardone und Hanswurste wieder auf die Bühne bringt? Um Gelächter zu erregen? Bey Vernünftigen unmöglich.“24

Dennoch scheint ein gewisses Publikumsbedürfnis nach derartigen Stücken weiterhin bestanden zu haben, was Gottlieb Stephanie den Jüngeren dazu bewogen haben muss, 1773 Thomas Corneilles und Donneau de Visés La Devineresse, ou les faux enchantemens unter dem Titel Frau Marjandel oder die natürliche Zauberey für die Wiener Bühne zu adaptieren.25 Stephanie, 1741 ursprünglich als Gottlieb Stephan in Breslau geboren, hatte, ebenso wie sein älterer Bruder, den Namen Stephanie angenommen, da ihnen von ihrer Familie die Zustimmung zu einer Theaterlaufbahn versagt blieb.26 In der Folge entwickelte er sich als Schauspieler, Dramatiker und Dramaturg zu einem wichtigen Theaterpraktiker des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sein anfängliches Engagement für eine Theaterreform zeigt sich u. a. in den Vorreden zu seinen Werkausgaben, die sich in der Folge allerdings zu permanenten Rechtfertigungen und Auseinandersetzungen mit der Kritik entwickeln und die einigermaßen prekäre Situation, in die die zunehmende Verbürgerlichung des Theaters die Dramatiker hineinmanövriert hatte, aufzeigen. So schwanken die Beurteilungen seiner Stücke zwischen euphorischem Lob und diskreditierender Verachtung. Im Jahr 1773 gelang Stephanie mit seinem durch Lessings Minna von Barnhelm inspirierten Soldatenstück Der Deserteur aus Kindesliebe ein überregionaler Erfolg.27 Die empfindsamen Sequenzen und die tugendhafte Darstellung des Soldatenstandes, die, wie man im Theatralalmanach von 1774 vermeldet, „dem härtesten Manne Thränen aus den Augen“28 getrieben hätten, erhalten die allgemeine Zustimmung der Kritik. Es verwundert doch einigermaßen, wenn derselbe Stephanie nur einige Monate später die bereits erwähnte Maschinenkomödie um die betrügerische Wahrsagerin und Geisterbeschwörerin Frau Marjandel präsentiert. Im selben von Christian Gottlob Klemm und Franz von Heufeld herausgegebenen Theatralalmanach echauffiert man sich über das Drama und betont, dass „jedermann von Geschmacke“ darüber erstaunt gewesen wäre, „daß der Verfasser der Frau Marjandel und der Dichter des Deserteurs aus Kindesliebe einerley Personen wären.“29 Christian Hieronymus Moll rechtfertigt in seiner Historisch-kritischen Theaterchronik sogleich den Geschmack des Wiener Publikums: „Man kennt in Wien gar zu wohl den Werth eines Dramas, man hat Wohlgefallen an Emilia Galotti, an Thamos, am Hausvater, an der Minna, an Eugenien, man verachtet aber die Frau Marjandel und dergleichen häßliche Geburten. Es wurde nicht einmal gelacht, wohl aber viel gezischt, ein unzweydeutiges Zeichen, daß es nicht gefiel.“30

Dass der hier von Moll ausgemachte Misserfolg des Stücks nicht unbedingt für bare Münze genommen werden muss, zeigt der verteidigende Vorbericht zum 9. Band der Neuen Schauspiele, in den die Komödie aufgenommen wurde:

Ergötzung für Aug und Ohr, welches vornehmlich in Comödien dieser Art gefordert wird, ist genug darinnen zu finden. Es wurde viel belacht, ein unzweydeutiges Zeichen daß es gefiel; und allem Anschein nach, hätte es vielleicht noch oft gefallen, wenn nicht eine mehrmalige Aufführung desselben, untersagt worden wäre.

Wir glauben, der Verfaßer habe recht gehabt, da von ihm eine Maschinenkomödie verlangt ward, diesen Stof zu wählen, und ihn so wie er gethan, zu behandeln. Ohne Hexen und Teufel, brachte er doch alles hervor, was vor dem ohne sie, nicht möglich schien; auf diese Art lieferte er eine Belustigung, in einer neuen Gestalt: und ist sowas nicht auch ein Verdienst?31

Stephanies Bearbeitung fährt alles auf, was eine Maschinenkomödie an spektakulären Effekten zu bieten haben muss. Ähnlich wie bei Klemm wird der Bühnenzauber allerdings von Anfang an als Schwindel decouvriert. Das Drama stellt somit die paradoxe Sonderform einer ‚aufklärerischen Maschinenkomödie‘ dar, indem sie sich gegen den Aberglauben wendet und so rein oberflächlich eine pädagogische Intention verfolgt. Der Inhalt der Komödie ist einigermaßen simpel:

Die Hellseherin und Wahrsagerin Frau Marjandel setzt in der Beratung ihrer Kundschaft auf eine ‚natürliche Zauberei‘, für die alles andere als übernatürliche Kräfte vonnöten sind. Mit Hilfe ihrer Verbündeten spioniert sie die gesamte Umgebung aus und inszeniert durch einen ausgeklügelten Maschinenapparat alle nur möglichen Geistererscheinungen, um ihre Glaubwürdigkeit zu legitimieren. Ihr größter Gegner, der aufgeklärte Rommwald, versucht hingegen durch die verschiedensten Intrigen, ihren Schwindel zu beweisen. Die Maschinenkomödie besteht nun aus einer großen Anzahl aneinandergereihter Szenen, in denen Frau Marjandel ihren Kunden das Geld aus der Tasche lockt und mittels ihrer Zukunftsprognosen – je nach Bezahlung – Liebespaare entzweit oder vereint. Am Ende kann Rommwald Marjandels Komödienspiel aufdecken, indem er ihren als Teufel verkleideten Bruder mit seiner Pistole verwundet. Dennoch gelingt den Betrügern die Flucht.

Trotz des rational begründeten Bühnenzaubers, der sich ausschließlich in den Gemächern Marjandels abspielt, gleicht der spontane Einsatz der Theatermaschinerie samt Gesang durchaus noch den Stücken Kurz’, so etwa, wenn Marjandel mit ihren verkleideten Gehilfen eine Komödie inszeniert, die ihre Macht nachhaltig beweisen soll, indem sie der als stumme Kroatin verkleideten Brigitta die Zunge löst:

FRAU MARJANDEL (macht Beschwörungen). Abkifu! Edededunf! Caripus! Ruemenes! Afblas! Zublas! (mit steigender Stimme.) Erscheine und gieb diesem Mägdchen die Sprache, ich befehle dir es. (Es eröffnet sich die Wand, in einer Niesche steht Ursula in einer ideal[en] Kleidung, um ihren Kopf hat sie noch vier andere Köpfe.)

FRAU MARJANDEL. Wende alle deine Kraft an, löse die Zunge dieses Mägdchens, ich befehle es! (Die vier Köpfe speien Feuer.)

(Alsdenn singt Ursula.)

Diesem Kind die Sprach zu geben / Ist nur eine Kleinigkeit

Wenn sie ohne Wiederstreben / Mir in Unterthänigkeit

Dankbar wird die Füsse küssen, / Ja – [so] soll das stumme Ding

Poesie, und Musik wissen / Also kniee! Küß’ – und sing’! – […]

BRIGITTA (küßt Ursula die Füsse, alsdenn singt sie).

Wos is dos? – Wie? – O Mirakel! –

Vater hör! Mir löß’t Orakel

Tode Zung, und giebt mir Sproch.

O! – Will’s überoll erzehlen,

Wunderfrau auf ’s best’ empfehlen,

Danken ewig tausenfoch.32

Schließlich wird auch dem als Vater verkleideten Zacharias ein gesangliches Talent geschenkt, damit er sich gebührend bedanken kann, bevor er mit seiner Tochter nun eine musikalische Karriere ins Auge fasst:

ZACHARIAS. […] Hob mein Lebitog nie g’sungen / Und itzt krieg i auf a mol, Andr’e Gurgel, frische Lungen / klore Stimm wie Nachtigoll; Tuchter kum! – kniee no mol nieder, / Donk mit mir der krusen Frau.

BEYDE. Donk dir no mol guidi Frau.

BRIGITTA. Voder! – gelt; Nix mehr zu Brüder?
Nix mehr Zwivel – Knovel bau?

ZACHARIAS. Nix mehr Maxel – Itzt auf Lieder / Reisen in die Wetterau.

BEYDE. Donk dir no mol guidi Frau!33