Christoph Geisselhart

Maximum Rock

The Who

Die Geschichte der verrücktesten Rockband der Welt

Band 2

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www.hannibal-verlag.de

Impressum

Eine Hannibal-Originalausgabe

© 2012 Koch International GmbH/Hannibal, A-6600 Höfen

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Lektorat und Korrektorat: Manfred Gillig-Degrave

Buchdesign und Produktion: bürosüd°, München

Coverdesign: bürosüd°, München

Epub: buchsatz.com

ISBN 978-3-85445-297-3

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags nicht verwertet oder reproduziert werden. Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen und Mikroverfilmungen sowie die ­Einspeicherung und Verarbeitung in ­elektronischen Systemen.

Inhalt

Vorwort

Zweites Buch: Rock Is Dead – Long Live Rock (1971 bis 1978)

1.: „Let‘s See Action“: Wieder auf Tour und ein gelungener Rückblick mit Meaty Beaty Big And Bouncy

Erster Einschub: Meaty Beaty Big And Bounc

2.: „Join Together“: Deutscher Frühherbst und Swiss Connections – so aufregend kann ein stilles Who-Jahr sein

3.: Schizophrenie im Quadrat: Der Sprung zurück in die Modkultur und ein zukunftsträchtiges Doppelalbum

Zweiter Einschub: Quadrophenia

4.: Odds & Sods: Bandsalat auf der Bühne, Schätze aus der Rumpelkammer und endlich der Tommy-Film

Dritter Einschub: Odds And Sods

5.: Lauter Nullen, oder was? Über geplatzte Träume, verrückte Hunde und das Malen nach Zahlen

Vierter Einschub: The Who By Numbers

6.: „However Much I Booze“: Neue Schlammschlachten, Alkoholexzesse, eine Tour fürs Finanzamt und der Pakt mit dem Teufel

Bildstrecke

7.: „The Punk And The Godfather“: The Who touren weiter, ihre Erben machen Radau, und dunkle Boten tauchen auf

8.: Who Are You: Vom Erlöschen des Mondes und von einem Stein, der einiges ins Rollen bringt

Fünfter Einschub: Who Are You

9.: „Not to be taken away“: Rekonstruktion eines unglücklichen, aber nicht unerwarteten Todes

„A Cork Modyssey“: Nachwort von Irish Jack

Credits

Quellen

Lesen Sie weiter im dritten Band

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Vorwort

Nachdem der erste Band von Maximum Rock erschienen war, stellten mir Fans, Journalisten und auch Musiker immer wieder zwei Fragen, die ich an dieser Stelle beantworten möchte. Zum einen wollte man wissen, ob ich mit jemandem­ von The Who persönlich bekannt sei, und zum anderen, was mich als bildender Künstler dazu bewogen hat, eine dreibändige Biografie über eine britische Rockgruppe zu verfassen, die trotz ihrer allgemeinen Popularität in Deutschland kaum über den Status einer Kunst- und Kultband für anspruchsvolle Rockmusikliebhaber hinausgekommen ist.

Die erste Frage ist relativ schnell beantwortet. Ich bin mit keinem der beiden­ überlebenden Mitglieder von The Who – Pete Townshend und Roger Daltrey – privat verbunden, noch durfte ich die Verstorbenen Keith Moon oder John Entwistle zu meinen persönlichen Bekannten zählen. Nachdem ich alles über meine Lieblingsrockband gelesen, alles verfügbare Bildmaterial angeschaut und ihre Wegbegleiter, Freunde und Kollegen befragt hatte, konnte ich jedoch ein ausführliches und recht tiefgehendes Interview mit dem dreiundsechzigjährigen Bandleader Pete Townshend führen, das im dritten Band nachzulesen sein wird. Da spricht der geniale Schöpfer der unsterblichen Zeilen „hope I die before I get old“ („My Generation“), der Rockopern Tommy (1969) und Quadrophenia (1973) sowie vieler internationaler Hits über seine Vorstellungen von Gott und Spiritualität, über autodestruktive Kunst und die Disziplin des Komponierens, über Musikbusiness und iTunes, über sein großes Lebensprojekt Lifehouse, die Erfindung seiner Musikkompositionssoftware, das letzte Who-Album, Endless Wire (2006) – und natürlich über The Who und Roger Daltrey, seinen Partner im bald fünfzigjährigen Ringen um „eine Musik, die die Zuhörer dem Himmel näher bringt“.

Diesem Himmel muss ich mich wohl nahe gewähnt haben, als ich mit Maximum Rock begann; denn hätte ich gewusst, was im Verlauf der nächsten Jahre auf mich zukommen sollte, hätte ich sicherlich nie damit angefangen. Und hier setzt die zweite Frage an, die sich etwas schwieriger beantworten lässt.

Ich bin, wie erwähnt, nicht Musikjournalist von Beruf, sondern bildender Künstler. Zwar hatte ich schon einmal über einen längeren Zeitraum hinweg an einem Buch gearbeitet und schließlich, nach achtzehn Monaten, einen Roman veröffentlicht. Danach fehlte mir freilich für viele Jahre die Kraft und die Freude an diesem einsamen Geschäft, das vor allem einen krummen Rücken­ einbringt und den Erfinder einer Gedankenwelt oft mehr vom wirklichen Geschehen entfremdet, als ihm gut tut.

Anfang der neunziger Jahre begegnete ich zufällig einem Jugendfreund ­wieder, der ebenfalls Künstler geworden war. Wir stellten fest, dass wir beide nicht weiterkamen in unserer künstlerischen Entwicklung. Also schlossen wir uns zusammen. Wir gaben uns einen Fantasienamen, unter dem wir gemeinschaftlich agierten wie Musiker in einer Rockgruppe. Wir erschufen über­lebensgroße Gemälde, wie sie einer von uns alleine nie hätte malen können, und unsere Ausstellungen eröffneten wir mit Performances, bei denen es mitunter so laut und so turbulent zuging wie bei einem Rockkonzert. Trotzdem konnte niemand so recht verstehen, warum wir lieber zu zweit malten als allein, denn wir stritten uns häufig und zerfetzten nicht selten die Leinwand, auf der wir seltsamerweise ideale, manchmal sogar fast kitschige Figuren eher herauskratzten als mit Pinsel und Farbe ausarbeiteten. Wir meinten, wir praktizierten­ rock on canvas, Rockmusik auf der Leinwand, und zwar hauptsächlich aus einem Grund: Wir malten zu zweit um Klassen besser als allein.

Ich denke, die Entwicklung der Rockmusik in den sechziger und siebziger­ Jahren ist das Ergebnis vergleichbarer kreativer Prozesse zwischen zwei, drei oder mehr Menschen. Sie werden dadurch ausgelöst, dass sich ungleiche Individuen auf der Suche nach Harmonie zusammentun und ihre internen künstlerischen Auseinandersetzungen vor einem Publikum austragen – offensiv, aber in geregelten, reproduzierbaren, kunstvollen Abläufen. Mit der elektronischen Musik wurde die kreative Spannung innerhalb von Künstlergruppen­ sogar physikalisch messbar, in Volt und Watt; The Who haben mit ihrer ausgeprägten Verschiedenartigkeit die musikalische Reibungsenergie wohl auf eine Weise kultiviert wie keine andere Rockgruppe. Wahrscheinlich hat mich das angezogen. Ich fühlte eine große Neugier und Sehnsucht, nachzuspüren, wie die kreativen Abläufe bei den Rockmusikidolen aus meiner Sturm- und Drangzeit funktioniert hatten, und als The Who 2006 endlich wieder nach Deutschland kamen und ich immer noch keine Biografie über sie finden ­konnte,­ die mir die unverändert machtvolle Energie dieser Gruppe schlüssig erklärte,­ begann ich abermals die Malerei mit der Schreibarbeit zu tauschen.

Ich hoffe, der Leser wird mir nachsehen, dass meine Geschichte der interessantesten Rockband aller Zeiten so voluminös geworden ist. Halbe Sachen passen wohl nicht zum Gegenstand meiner Beschreibung: The Who sind nicht zuletzt ob ihres künstlerischen Eigensinns so tief und so weit vorgedrungen, dass sie ihre Fans fortwährend und innig berühren, und an dieser künstle­rischen Freiheit habe ich mir ein Beispiel genommen.

Letztlich ist es ein Mysterium, was Menschen dazu bewegt, die Welt mit Dichtung, Malerei und Musik auszugestalten. Diesem Mysterium, das man gleichwohl erfahren und beschreiben kann, habe ich mit meinem Epos über die Helden meiner Jugend ein Denkmal zu setzen versucht.

Christoph Geisselhart

Zweites Buch: Rock Is Dead – Long Live Rock (1971 bis 1978)

„Man erwartete von uns, dass wir ,My Generation’ spielten und unsere Gitarren zerschlugen.“

John Entwistle

„Ich hab’ so viele Downers genommen, Tabletten, Mandrax, dass ich weiß: Ich werde sterben.“

Keith Moon in seiner Rolle als verrückte Rock’n’Roll-Nonne in Zappas Roadmovie 200 Motels (1971)

Erfolgreich zu sein ist für Künstler oft eine teuflische Falle. The Who hatten nach ihren Erfolgen im Sommer 1971 einen Gipfel erreicht, von dem aus es eigentlich nur noch bergab gehen konnte. Soeben war ihr heute legendäres Rockalbum Who’s Next erschienen (siehe Band eins dieser Biografie), das die Hitparaden erstürmte. Who’s Next wurde die erste und bislang einzige Nummer eins der Gruppe, und alle Kritiker lobten das Album in den Himmel, obwohl sein musikalischer Schöpfer Pete Townshend es zunächst nur als eine Art Abfallprodukt betrachtete, das die glanzvolle Ausgangsidee seines multimedialen und futuristischen Musikkonzepts Lifehouse, mit dem er dem Niedergang der Rockmusik Einhalt gebieten wollte, höchstens ansatzweise widerspiegelte.

Aus heutiger Sicht ist Petes Enttäuschung nachvollziehbar. Damals gab es in der Tat wenige Menschen, die sich kritisch damit auseinandersetzten, dass der Rock’n’Roll seine Glaubwürdigkeit und die magnetische Anziehungskraft einzubüßen drohte, die er als führende Kraft und unüberhörbare Stimme der Jugendbewegung einstmals unangefochten besessen hatte. Rock’n’Roll stand zwar immer noch für sternhelle Ideale wie Gerechtigkeit, Rassengleichheit oder spirituelle Befreiung, doch mit der kommerziellen Ausbeutung von Rockmusik und Pop gerieten solche immateriellen Werte spürbar ins Abseits.

Zudem zeigte sich, dass der Starkult teilweise beschämende Auswirkungen gezeitigt hatte. Der naive Umgang mit Drogen und Alkohol hatte die ersten Toten gefordert, und die Innovationsfähigkeit der bis dahin unbesiegbar erscheinenden elektrischen Musikrevolution kam mit der einziehenden Dekadenz allmählich zum Stillstand. Im Tonstudio wurde nach und nach so ziemlich alles möglich, was sich die Musiker wünschten. Das war bequem und mochte künstlerisch befriedigend sein; die Massen freilich wollten ihre Idole weiterhin live sehen, wollten unverändert der energiegeladenen Heilswirkung teilhaftig werden, die sensible Musiker wie Pete Townshend bei Rockkonzerten­ aufspürten und wachzurufen verstanden. Um den gewaltigen technischen Aufwand zu finanzieren, den solche Rockmusikmessen in Fußballstadien oder Eissporthallen nötig machten, entfernte sich der Rock’n’Roll allerdings noch weiter­ von seinem Ausgangspunkt wie von seinen Zielen.

Man könnte auch sagen, die Rockmusik war dabei, sich von ihren Wurzeln­ abzukoppeln. Das Gewaltige der Musik – und des Rock’n’Roll im Besonderen­ – ist ja ihre Unmittelbarkeit. Jede Musikaufführung lässt uns am Schöpfungs­prozess teilhaben, während andere Kunstformen wie Literatur oder Malerei den mystischen Prozess der Kunsterzeugung von der späteren Rezeption eindeutig trennen. Das Ereignis der Klanggewinnung bei einem Konzert findet dagegen im selben Moment statt, in dem wir es hören – das ist, als blickten wir einem Maler beim Bearbeiten der Leinwand über die Schulter oder hörten­ den Dichter denken. Und zwar jetzt! Die Gleichzeitigkeit von Schöpfung und Kunstgenuss bei Anwesenheit des Schöpfers und des wahrnehmendem Beobachters ist ein unerhörter metaphysischer Vorgang, den Mystiker aller Kul­turen­ in anderen Zusammenhängen als spirituelle Gipfelerfahrung bezeichnen. Eine Zeitlang dachte man sogar, die Wucht der elektrischen Jugendmusik könne die westliche Welt aus ihrer religiösen Krise befreien. Doch dann kam das Kapital, suchte nach Wegen, das Heilmittel zu konservieren und reproduzierbar zu machen; die Musiker begannen die Annehmlichkeiten in den Tonstudios zu schätzen und die Strapazen von Tourneen zu scheuen, und die vor purer elektrischer Energie bebenden, schlecht beleuchteten, rauchgeschwängerten Bretterbühnen der Klubs und Kneipen rentierten sich nicht mehr. Wie konnte der Rock’n’Roll in dieser veränderten Welt überleben?

The Who wählten nach einigen sogar durchaus erfolgreichen Versuchen, sich dem Wandel der Zeit anzupassen, letztlich die einzig passende Möglichkeit für eine Rock’n’Roll-Band der ersten Stunde: Sie traten live auf. Roger, John und Keith sorgten unablässig dafür, dass die Musik, die Pete in gedeihlicher, aber synthetischer Umgebung komponierte, nicht nur aus der Konserve kam, sondern vor allem auf den Bühnen der Welt zu hören war. Und das war gut so.

Der Sommer 1971, mit dem der nächste Abschnitt in der Geschichte der Who beginnt, markierte auch ziemlich exakt die Halbzeit der vierzehnjährigen Ära des Trommelgenies Keith Moon in der Gruppe. Sieben Jahre zuvor, am 2. Mai 1964, hatte er seinen ersten offiziellen Auftritt mit The Who gefeiert. Die Leser des ersten Bands werden sich vielleicht noch an die wenig erfolgverheißenden Begleitumstände dieser Veranstaltung erinnern: Es war die Geburtstagparty eines unbekannten Mädchens in einer namenlosen Kneipe in West-London; der Strom fiel aus, und Keith spielte das erste und fast einzige Schlagzeugsolo seines Lebens. Ein paar Tage später begannen die Plattenaufnahmen unter dem Namen The High Numbers – unter der Aufsicht ihres tablettensüchtigen PR-Managers, des Modpriesters Peter Meaden, und misstrauisch beäugt von einem Talentsucher im Auftrag der Plattenfirma, bei dem sich Keith am Schlagzeug gegen einen bebrillten Konkurrenten namens Brian Redman aus Liverpool durchsetzen musste.

In den sieben Jahren seither hatten Keith Moon und die Who fast alles erreicht, was der Rock’n’Roll einem Mensch zu bieten hat – und wovon die Band bis heute profitiert. The Who – und mit ihnen die gesamte Jugendmusik­ der sechziger und siebziger Jahre, die man damals noch pauschal Rock’n’Roll oder Rock nennen durfte, ohne sich in cool klingenden musikalischen Gattungsbegriffen oder Subordinationen verheddern zu müssen – schienen in den Augen ihres Songwriters Pete Townshend in eine fatale Sackgasse gestolpert. Doch kaum wurde ihm das in ganzer Wucht bewusst, begannen The Who schon wieder an einem neuen Konzeptalbum zu arbeiten, dessen Titel die Ära des Niedergangs in eine absurde ­Formel gießen sollte: Rock Is Dead – Long Live Rock. Pete wollte in diesem Doppelalbum ähnlich wie in seinem gescheiterten Lifehouse-Projekt die Geschichte der Gruppe und der Rockmusik insgesamt aufarbeiten. ­­

Allerdings entwickelten sich die Prozesse im Studio abermals fort von der Anfangsidee, und The Who besannen sich schon bald wieder darauf, den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem verkündeten Ende des Rock’n’­­­Roll und seiner unversehrten Lebendigkeit auf der Bühne auf ihre eigene unnachahm­liche Weise hochleben zu lassen – trotz eines zunehmend im Nebel von Drogenabhängigkeit, ­Alkoholismus und Schizophrenie versinkenden Keith Moon, der sein persönliches Dilemma schließlich nur noch durch ungehemmte Bühnen­aktivität einigermaßen beherrschen konnte. Und als auch diese Möglichkeit ­ausschied, erlahmte seine schier übermenschlich scheinende Energie. Keith Moon verabschiedete sich in den Rock’n’Roll-Himmel, bevor der erste analoge Drumcomputer in Serienproduktion gehen konnte. Als der erst einmal auf dem Markt war, brauchte man theoretisch keinen Schlagzeuger mehr, um im Studio autark Platten aufnehmen zu können. Und tatsächlich wählten auch einige Rockbands diesen für ihre Drummer so schmachvollen Weg der Musikerzeugung, wodurch die Dynamik des selbstredend schwierigeren gemeinschaftlichen Kreativ­prozesses zugunsten von musikalischer Perfektion und Wirtschaftlichkeit ­weiter in den Hintergrund gedrängt wurde.

Dass beherzte Aktionen wie die des Trommelgenies Keith Moon von ­elementarer Wichtigkeit waren, um den Rock’n’Roll am Leben zu erhalten, schien im Sommer 1971 aber noch unzweifelhaft; Showdrummer wie er ­galten­ als die Herzschrittmacher ihrer Musik. Und so ließen The Who sieben weitere­ Jahre auf der Bühne lautstark Taten sprechen, ehe der Tod des verrücktesten Rockstars aller Zeiten die Welt um Vieles ärmer und stiller machen sollte.

Nun aber genug der Vorrede zum zweiten Buch: Let’s see action!