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Ingo Sens

Bier für Rostock

Die Geschichte der Hanseatischen Brauerei

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HINSTORFF

Inhalt

Vorwort: Spuren suchen – Spuren finden

1 Auftakt. Über das Brauen in der Hansestadt Rostock zwischen Hochmittelalter und Industrieller Revolution (1200–1850)

Mecklenburg, die Hanse und das Bier

Vom Brauen in Rostock zwischen 1250 und 1850

2 Julius Meyer oder »Mahn & Ohlerich«? Die Gründung der Rostocker Brauerei (1850/1869–1878)

Bier

Zur Vorgeschichte von M&O (1850–1878)

Die Kröpeliner-Tor-Vorstadt (KTV)

Die Übernahme der Meyer’schen Brauerei. Die Gründungsväter

Friedrich Ohlerich. Ein Lebensbild

Georg Mahn. Ein Lebensbild

3 Die ersten Jahre (1878–1889)

Wachstum und Ansehen

Technik, Baugeschehen und Biersorten

4 Familienunternehmen oder Aktiengesellschaft (1889–1914)

Von der oHG zur AG

Expansion

Bis zum Ersten Weltkrieg (1904–1914)

5 Krieg, Krisen und Expansion (1914–1933)

Zwischen Weltkrieg und Inflation (1914–1923)

Die Bilanz des Krieges in Rostock

Die Goldenen Zwanzigerjahre (1924–1928/29)

Die »Philharmonie« im Patriotischen Weg

In der Weltwirtschaftskrise (1929–1933)

6 Die Brauerei unterm Hakenkreuz (1933–1945)

Neue Rahmenbedingungen

M&O bis zum Kriegsausbruch

Die Brauerei im Zweiten Weltkrieg

Guido von Oertzen. Ein Lebensbild

7 Von der Aktiengesellschaft zum Volkseigenen Betrieb. Die Rostocker Brauerei in den Nachkriegsjahren und im System der Planwirtschaft (1945–1990)

Die Brauerei von Mai bis Dezember 1945. Die Demontage der Anlagen

Wiederaufbau. Die Brauerei von 1946 bis 1948

Die Verstaatlichung

Der VEB Rostocker Brauerei im System der Planwirtschaft (1948–1990)

Die Brandkatastrophe von 1967

VEB Getränkekombinat »HANSEAT« Rostock

8 In der Marktwirtschaft. Die Rostocker Brauerei zwischen Reprivatisierung und Gegenwart (1990–2015)

Die Brauerei in der Wende-Zeit

Konsolidierung. Zur neuen Firmenphilosophie

Auf dem Weg ins neue Jahrtausend

Von »Brau und Brunnen« zur »Radeberger Gruppe«

Die Marken der Hanseatischen Brauerei Rostock

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Spuren suchen – Spuren finden

Wer mit offenen Augen und einigem Interesse an regionaler Geschichte Städte in Mecklenburg oder Vorpommern durchstreift, eventuell sogar Archive und Bibliotheken aufsucht, stößt noch heute auf zahlreiche Zeugnisse eines alten Rostocker Unternehmens, der Brauerei Mahn & Ohlerich.

Hier eine langsam ausbleichende Reklame an maroden Häuserwänden, dort – in einer nostalgischen Kneipe – ein fürsorglich gepflegtes Emailleschild aus längst vergangenen Tagen. In alten Büchern sind ganzseitige Produktanzeigen des Unternehmens zu finden. Passionierten Modelleisenbahnern dürfte der M&O-Waggon ein Begriff sein.

Und obwohl es nun schon mehr als sechs Jahrzehnte zurückliegt, dass unter dem Namen Mahn & Ohlerich produziert wurde, erinnern sich ältere Rostocker immer noch liebevoll an das Kürzel »M. & O.«, denn dieses war »in ganz Mecklenburg alles andere als ein Geheimzeichen. Jedermann (und nicht nur jeder Mann!) [wusste], daß man M. & O. t r i n k t. [...] Daher [erklärte] sich die Volkstümlichkeit des Zeichens, und daher stellte sich das in ähnlichen Fällen auch sonst nachweisbare sprachliche Bedürfnis ein, statt des langen Namens eine Abkürzung zu wählen, statt ›Mahn und Ohlerichs Bier‹ einfach zu sagen ›M. & O.‹«1

Wie sehr dieser Name noch nach Jahrzehnten im Rostocker Bewusstsein präsent war, beweist allein schon die Tatsache, dass ein im November 2011 auf den Markt gebrachtes Bier im Retrogewand sich »Mahn & Ohlerich« nennt und seitdem eine Erfolgsgeschichte schreibt.

Viele Jahrzehnte nahm das Unternehmen »die erste Stelle unter den mecklenburgischen Grossbrauereien […] ein, […] weit über die Grenzen Mecklenburgs hinaus rühmlichst bekannt«.2 Und nicht nur das, die Brauerei zählte zu den größten Industrieunternehmen in Rostock und ganz Mecklenburg sowie zu den führenden Brauereien Norddeutschlands.

Aber um dies wirklich zu verstehen, müssen wir uns in die Anfangstage der Stadt Rostock begeben und langsam ins 19. Jahrhundert vorarbeiten. Ich darf den Leser also auf eine kleine Zeitreise mitnehmen.

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Gewerbliches Brauen im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

1

Auftakt. Über das Brauen in der Hansestadt Rostock zwischen Hochmittelalter und Industrieller Revolution (1200–1850)

Mecklenburg, die Hanse und das Bier

Als im ausgehenden 12. Jahrhundert Mönche und ihnen folgend ab etwa 1200 deutsche Kaufleute und Siedler dauerhaft in die Landstriche kamen, die bald Mecklenburg werden sollten, führten sie zahlreiche Kulturtechniken mit sich. Darunter befand sich nicht zuletzt das Wissen von der Bierherstellung – die Braukunst.

Bier galt ihnen vor allem als nahrhaftes Lebensmittel. Es wurde nördlich der Alpen von nahezu jedem und zu jeder Tageszeit getrunken. Es war ein Alltagsgetränk, ein Grundnahrungsmittel. Ja, sogar Schwangeren und Stillenden reichte man es in Gestalt einer besonders malzreichen Variante, dem »Ammenbier«, zur Kräftigung. Und in der damaligen Heilkunde fand Bier als beruhigendes und stärkendes Heilmittel bei der Behandlung Kranker Anwendung. Auch in der Küche diente der Gerstensaft als Grundlage oder Zutat für so manches Gericht. So war die Biersuppe – hergestellt aus Dünnbier – bis ins 19. Jahrhundert hinein ein beliebtes Frühstück (!) für Jung und Alt, für Arm und Reich. Kein Radikalabstinenzler oder Gesundheitsfanatiker bereitete dem Biertrinkenden ein schlechtes Gewissen.

In Zeiten mangelhafter hygienischer Verhältnisse und keimbelasteten Trinkwassers war Bier oftmals die einzige Form, Wasser ohne Gefahr für die Gesundheit zu sich zu nehmen. Durch das Kochen der Würze, seinen Alkoholgehalt und dem niedrigen pH-Wert ist es eine einigermaßen »sichere Flüssigkeit«. Ansonsten diente Bier in den katholischen Jahrhunderten als »flüssiges Brot« in der vorösterlichen Fastenzeit. Die Regeln erlaubten nur eine Mahlzeit und diese für gewöhnlich in den Abendstunden. Während der Verzehr von Fleisch, Milchprodukten, Alkohol (Wein) und Eiern verboten war, fiel Bier nicht unter diese Bestimmungen. Es galt: »Was flüssig ist, bricht kein Fasten.«

Traditionelles Hauptgetränk der Christenheit ist bekanntlich der Wein. Aufgrund der klimatischen Bedingungen im Norden Deutschlands musste er umständlich aus seinen Anbaugebieten im Süden hierher gebracht werden, was ihn teuer, sehr teuer machte. Ersatz fand der Norddeutsche im Bier. Dies galt insbesondere für die mecklenburgischen Regionen, denn hierzulande verhielt es sich so, wie Ernst Boll zutreffend beschreibt, dass »Wein [...] nur mit großen Kosten vom Auslande zu beziehen [war], und daß der Versuch, ihn in Meklenburg selbst zu gewinnen, gänzlich mißrieth. [...] Im Allgemeinen blieb man daher unter allen Ständen beim Biertrinken, selbst bei festlichen Gelegenheiten. [...] Selbst die feinschmeckende katholische Geistlichkeit mußte sich mit Bier begnügen, und noch im J[ahre] 1610 wird in der revidirten Klosterordnung für die drei protestantischen Landesklöster verordnet, daß jede Domina alle vier Wochen zwei Tonnen Bier und eine halbe Tonne Cofent, die Unter-Priorin 1 ½ T. Bier und ½ T. Cofent, die anderen Jungfrauen aber jede 1. T. Bier und ½ T. Cofent erhalten sollen.«3 Vom Brauen hinter mecklenburgischen Klostermauern und dem ansehnlichen Bierkonsum der Mönche und Nonnen zeugt heutzutage u. a. die Ruine des Wirtschaftsgebäudes des Doberaner Münsters (gegründet 1186). In diesem imposanten Gemäuer befanden sich Mälzerei und Brauerei des Klosters. Die Größe des Hauses lassen auf eine beachtliche Produktionsmenge schließen.

Auf ihrem Zug nach Osten trafen die zuwandernden Deutschen auf die hier seit dem 8. Jahrhundert lebenden slawischen Stämme und die ihrerseits eine lange und eigenständige Brautradition besaßen. Diese Slawen oder Wenden brauten ihr Bier gleich den deutschen Brauern aus verschiedenen Getreidesorten wie Gerste, Hafer, Hirse, Roggen oder Weizen, das jedoch, wie archäologische Funde belegen, bereits unter Verwendung von Hopfen. Die immer wieder nach Mecklenburg vorstoßenden Dänen nutzten ihn ebenfalls. Dieses Wissen brachten dann wohl die dänischen Zisterziensermönche mit, die die Führung des 1172 gegründeten Darguner Kloster übernahmen.

Die Wenden hatten den Hopfen früh kultiviert und bauten ihn – besonders im Raum des heutigen Parchim – zunächst für den Eigenverbrauch später auch für den Handel umfangreich an. Vom 13. bis ins 15. Jahrhundert sollen es vor allem diese wendische Hopfenbauern gewesen sein, die ihre Waren auf den Märkten der Hansestädte Lübeck oder Wismar anboten. Auch Brauer in Hamburg, Rostock und Stralsund bezogen ihren Hopfen von dort. Slawischer Hopfen war also begehrt.4

Zwar kannte man im deutschen Kulturraum dieses »Kraut« und seine Wirkungen schon seit längerer Zeit – seit dem 8. Jahrhundert wurde Hopfen hier angebaut – aber sein Bier würzte der deutsche Brauer traditionell mit einer regional unterschiedlichen Kräutermischung, »Grut« genannt.5 Erst im 12. Jahrhundert begann in den deutschsprachigen Regionen langsam die Nutzung des Hopfens für die Produktion von Bier. Es brauchte noch bis ins 16. Jahrhundert, dass sich das Hopfenbier endgültig durchsetzte.

In den Städten Mecklenburgs gingen die Bürger ab Mitte des 13. Jahrhunderts vom häuslichen zum gewerblichen Brauen über. Vorzugsweise in den Seestädten wurde aus dem »Haustrunk« eine im Laufe der Jahre wichtige Handelsware. »Das Bier mancher Städte erlangte [...] einen bedeutenden Ruf. [...] Ganze Schiffsladungen meklenburgischen Bieres sollen früher nach Schweden, Dänemark und Rußland gegangen sein, und auch zu Lande soll eine bedeutende Ausfuhr desselben stattgefunden haben.«6 Neben Bier aus Rostock und Wismar hatte sich das Güstrower »Kniesenack« vor allem in Mecklenburg selbst einen überragenden Namen erworben. Diese Entwicklung in den Städten stand längere Zeit in Konkurrenz zum klösterlichen Brauen. Aber mit Einführung der Reformation in Mecklenburg (1523–1549) und der darauf folgenden Säkularisierung der Klöster hatte dies ein ziemlich abruptes und endgültiges Ende. Die Auswirkungen dieser Zäsur indes reichen bis in die jüngste Gegenwart:

Als 1991 ein dänischer Braukonzern in Dargun eine Brauerei errichten ließ, wollte er hier an die klösterliche Vergangenheit anknüpfen und nannte das neue Unternehmen »Darguner Klosterbrauerei« mit dem »Darguner Klosterbräu« als Hauptprodukt. Diese Namensgebung passte allerdings einigen bayerischen Klosterbrauern überhaupt nicht. Sie strebten in einem bundesweit Aufsehen erregenden Musterprozess die Änderung des Namens an. Ihre Argumentation zielte u.a. auf die durch die Reformation abgebrochene Tradition des Klosterbrauens in Dargun (1552 säkularisiert). Die Kläger bekamen Recht und 1998 wurden aus der Klosterbrauerei die »Darguner Brauerei« und aus dem »Klosterbräu« das »Darguner Pilsner«.

Die Braukunst in Mecklenburg wurde endgültig ein städtisches Gewerbe. Allein die Städte besaßen das Privileg, Bier zum Verkauf, das heißt für den Markt, zu brauen. »Auf dem Lande«, so Boll, »durften nur Ritterschaft, Amtleute und Geistliche Bier für den eigenen Bedarf brauen, aber nichts verkaufen.«7

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Die Kogge (auch: der Koggen): Haupttransportschiff der Hanse

Überhaupt entwickelten sich die aufblühenden nord- und nordostdeutschen Hansestädte seit etwa 1300 zu Zentren des Bierhandels und der Braukunst. Allen voran die Hafenstädte an Nord- und Ostsee, die günstig zu »weinlosen« Regionen lagen und im Besitz des größten damaligen Transportmittels, der Kogge, waren. Hier wurde Bier zu einem der einträglichsten Exportgüter. Der Bierhandel der Hanse reichte von Holland, Flandern, England und Nord- und Osteuropa bis nach Portugal und Italien. So war Bremen um 1300 ein Handelsplatz für Bier größten Ausmaßes mit einer Ausfuhr nach den Niederlanden, auf die britischen Inseln und nach Skandinavien.

Die hansischen bzw. hanseatischen Kaufleute handelten aber nicht nur mit Bier, sondern sie brauten selbst, und dies mit einem Ausstoß weit über den Eigenbedarf hinaus. Die Brauhäuser der Handelsherren waren vornehmliche »Handels-Brauereien«. Hamburg mit seinen rund 600 Brauhäusern8 um 1500 und einem Volumen von rund 25 Millionen Litern galt als das »Brauhaus« der Hanse. Diesen Titel beanspruchte im Übrigen auch Wismar. Und in den Augen der Zeitgenossen war Rostock das hansische »Malzhaus«.

Ein Spruch im Stadtarchiv von Reval charakterisiert [...] die Hansestädte als: ›Lübeck ein Kaufhaus, Köln ein Weinhaus, Braunschweig ein Zeughaus, Danzig ein Kornhaus, Hamburg ein Brauhaus, Rostock ein Malzhaus, Lüneburg ein Salzhaus‹ […].
Rostocker Anzeiger vom 7. Januar 1928.

In Wismar beispielsweise produzierten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mehr als 180 Brauherren etwa 50 000 Tonnen besten Bieres.9 Das sind rund sechs Millionen Liter, von denen allein ca. 4,6 Millionen Liter in den Export nach Flandern, England und Skandinavien gingen. Den Rest tranken die Wismaraner selbst. Ihr jährlicher Verbrauch soll sich im 16. Jahrhundert auf 320 Liter pro Kopf belaufen haben. Gerade die einheimischen Seeleute stellten eine wichtige Konsumentengruppe dar, denn Bier war nicht nur als Ware sondern auch als Proviant an Bord. Angeblich bis zu zwölf Liter (!) trank ein Matrose auf einer Hansekogge täglich!

Diese enormen Mengen konnten zustande kommen, da das »Alltags«-Bier »dünn« war, d. h. verhältnismäßig arm an Alkohol. Daneben gab es aber auch Starkbiere, die zu besonderen Anlässen und zum Zwecke des Rausches ausgeschenkt wurden. Eine Gemeinsamkeit hatten alle Biere: Sie waren trübe, also ungefiltert, und – in unserem heutigen Verständnis – obergärig.10

Nicht nur in Bremen, Hamburg, Wismar oder Rostock auch in den Hafenstädten Stralsund, Greifswald, Stettin und Danzig wurde kräftig und vor allem gut gebraut. Ebenso gab es Biere aus dem Binnenland wie die Braunschweiger Mumme oder das Einbecker Bier, das einer ganzen Biersorte – dem Bockbier – bis auf den heutigen Tag seinen Namen gab, die sich einen legendären Ruf erwarben und Liebhaber weitab von der Heimat fanden.

Der »internationale« Erfolg norddeutscher »Export«-Biere beruhte insbesondere auf ihrer Qualität. Durch die Verwendung von Hopfen und einen im Vergleich höheren Alkoholgehalt verfügten sie über einen herausragenden Geschmack. Dass das so blieb, dafür sorgten Brauordnungen, in denen nicht nur Mengen und Preise geregelt wurden, sondern auch die Zutaten, die verwendet werden durften. Ein Schwur der Brauherren vor dem Rat sicherte die Einhaltung dieser Ordnungen.

Die herausragende Bedeutung des Bieres bzw. der Braukunst spiegelte sich unmittelbar in der Sozialstruktur der Hansestädte und deren Stadtbild wider. Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit bildeten die Brauherren gemeinsam mit den Kaufleuten die politisch und wirtschaftlich dominierende Oberschicht in diesen Städten. Viele Brauherren waren ratsfähig. In Wismar beispielsweise stellten Mitte des 15. Jahrhunderts die Brauer 22 der 24 Ratsherren. Das Recht, Bier (für den Handel) zu brauen – die Braugerechtigkeit –, lag nicht in den Händen einzelner Personen mit besonderen Befähigungen, sondern war an ein Grundstück, das die Braugerechtigkeit besaß, gebunden. Sein Besitzer konnte dieses Recht entweder selbst oder über beauftragte Brauer wahrnehmen. Grundeigentum in der Stadt setzte den Besitz des Bürgerrechts voraus. Außerdem waren Gebäude und Braugerätschaft sehr teuer. Es waren demzufolge nur Vermögende in der Lage, dies zu leisten. Mit wenigen Ausnahmen traten daher vor allem die reichen, im Fernhandel aktiven Kaufleute als Besitzer von Brauhäusern – als Brauherren – auf. Allerdings brauten diese zumeist nicht persönlich, sie ließen brauen. Die Arbeiten erledigten von ihnen beschäftigte hochqualifizierte Braumeister und erfahrene Brauknechte u. U. gemeinsam mit mehr oder weniger zahlreichen Hilfskräften. Während der Brauherr beispielsweise als Ratsherr oder Bürgermeister öffentliche Ämter bekleidete und sich um die Geschäfte kümmerte, zeichneten sich seine Mitarbeiter für die Abwicklung des gesamten Brauvorgangs vom Mälzen des Getreides bis zum Abfüllen des Bieres in Fässer verantwortlich.

In der Hand des Braumeisters lag, durchaus als eine Art Geheimwissen, die Rezeptur. Selbst hatte sich der (Handwerker-) Stand der Braumeister seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entwickelt. Schrittweise entstand ein exklusiver Personenkreis, der seine Privilegien streng bewachte, das Wissen hütete und nur nach Überwindung hoher Hürden den Zugang von Nachwuchsbrauern ermöglichte. Begleitet wurde diese Entwicklung durch ein außerordentliches Standes- und Selbstbewusstsein dieser Berufsgruppe.

In den Brauereien wurde mit großen, offenen Feuern gearbeitet. Dadurch ging von ihnen eine nicht unerhebliche Brandgefahr aus. Aus diesem Grunde mussten die Brauhäuser solide und massiv in (Back-) Stein ausgeführt sein. Darüber wachte der Rat. In den Hansestädten des Nordens zählten diese Gebäude zur höchsten Kategorie der Profanbauten, die (absteigend) in »Häuser«, »Buden« und »Keller« unterteilt wurden. Ein solches Haus gab dem Besitzer außerdem die Möglichkeit, seinen Wohlstand architektonisch auszudrücken. Häufig schmückten reich verzierte Giebel das Haus, hinter dessen Mauern gebraut wurde.11

Sie prägten mit ihren prächtigen Brau-, Wohn- und Geschäftshäusern nicht nur das Stadtbild der Hansestädte nachhaltig, darüber hinaus nahmen die Brauherren einen ebenso großen Einfluss auf die Entwicklung der kommunalen Infrastruktur. Brauer benötigen prinzipiell gutes Wasser und davon sehr viel. Ein durchschnittlicher Brauvorgang verbrauchte im späten Mittelalter mehr als 15 Kubikmeter Wasser.

Mit dem steigenden Bierausstoß wuchsen also der Wasserbedarf und -verbrauch stetig an. Bald konnte an vielen Orten die traditionelle Wasserversorgung aus Wasserläufen, Teichen, Seen oder Brunnen diese Nachfrage sowohl quantitativ als auch qualitativ nicht mehr angemessen befriedigen. In Lübeck beschränkte daraufhin im 15. Jahrhundert der Rat die Zahl der Sude auf 40 pro Brauer und Jahr.

Die Wasservorkommen gelangten an ihre Grenzen und verschmutzten durch versickernde oder direkt eingeleitete Schmutz- und Abwässer zunehmend. Unangenehmer Geschmack und Geruch des Trinkwassers führten ihrerseits zu einer Zunahme des Bierkonsums, was dann den Wasserbedarf der Brauer weiter anwachsen ließ. Aus dieser Spirale kamen die Städte nur durch neue Formen der Wasserversorgung heraus. So entstanden vornehmlich auf Initiative der Brauer seinerzeit moderne »Wasserkünste«, wie in Lübeck (1294) oder Wismar (ab 1563), mit deren Hilfe ausreichende Mengen sauberen Wassers aus Wasserfassungen vor den Toren in die Städte geleitet wurden.

Vom Aufschwung des Braugewerbes der Hanse profitierten nicht nur die Brauherren, sondern dank der steigenden Steuereinnahmen auch die Städte und über die zahlreichen Aufträge weitere Gewerbe und Berufsgruppen. So erfuhr beispielsweise das Böttcher- oder Küferhandwerk durch die wachsende Bierbrauerei eine nicht unerhebliche Blüte. »Namentlich in den Seestädten bildeten [die Böttcher] im 14. Jahrhundert eine wichtige Zunft [...] Auch den Kupferschmieden half die so vielfältig in Stadt und Land betriebene Brauerei [...] sehr auf.«12

Insbesondere in oder für Mecklenburg ergab sich ein weiterer erfreulicher Wirtschaftseffekt. Mit der Durchsetzung des Hopfenbieres und der enormen Produktion vorzugsweise in den Hafenstädten entstand eine große Nachfrage nach Hopfen. Im Anschluss an die wendischen Anbautraditionen kultivierten die Mecklenburger diese Pflanze in zahlreichen Hopfengärten außerhalb der Stadtmauern. Ein Zentrum war Parchim, das in der Frühen Neuzeit von hunderten Gärten dieser Art umgeben gewesen sein soll. Der hier geerntete Hopfen wurde u. a. nach Hamburg, Lübeck, Rostock und Stralsund geliefert.Wismar verfügte in dieser Zeit über 148 Hopfengärten auf seiner Feldmark und doch reichte die Ernte nicht aus, den Bedarf der Brauer zu befriedigen. Es musste Hopfen aus Thüringen importiert werden, was die Handelsbeziehungen der Stadt ausweitete. Im östlichen Landesteil galt Neubrandenburg als ein Zentrum des Hopfenanbaus. Der Neubrandenburger Hopfen wurde auf den Märkten »allem anderen Hopfen weit vorgezogen und am liebsten gekauft«. Seinen hervorragenden Ruf besaß er, »wegen seiner Kräfte, unter anderem auch darum, daß er gar rein und blätterlos gepflückt wird«.13

Vom Brauen in Rostock zwischen 1250 und 1850

In den Jahren um 1180 ließen sich Kaufleute und Handwerker u. a. aus Sachsen und Westfalen auf einem Hügel am westlichen Ufer der Warnow nur wenige Kilometer von ihrer Mündung in die Ostsee nieder. Die hier entstehende (Hafen-) Siedlung, in der auch Holsteiner, Dänen und Slawen ein Zuhause fanden, besaß spätestens seit 1189 einen Markt und ihr Stadtrecht bestätigte der Landesherr 1218. Zwischen 1259 und 1283 wurde die Stadt Mitglied der Hanse – das »Wendische Quartier«.

Es ist davon auszugehen, dass die ersten Rostocker Bierproduzenten – wie es ursprünglich üblich war – Brauerinnen waren. Sie blieben es etwa bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, solange nur für den Eigenbedarf gebraut wurde. Dann entwickelte sich das Braugewerbe unter männlicher Domäne. Um das Jahr 1260 herum fand der Hopfen erstmalig Verwendung. Dieser wichtige Rohstoff wurde in der Stadt an der Warnow zunächst in Hopfengärten vor den Toren angebaut. Später musste Hopfen zusätzlich aus anderen Regionen, vor allem Mecklenburgs, herbeigeschafft werden.

Noch im 13. Jahrhundert entwickelte sich das Brauhandwerk zu einem besonderen Gewerbe und zu einem bedeutenden Zweig innerhalb der Wirtschaftsstruktur Rostocks. An der Schwelle zur frühen Neuzeit war Bier das wichtigste Exportgut der Stadt. Wie in den anderen Hansestädten auch war die Braugerechtigkeit bis in die Frühe Neuzeit an einzelne Grundstücke (Häuser) gebunden. Dadurch blieb die Zahl der Brauhäuser relativ konstant. Ihre Besitzer kamen aus den Kreisen der Fernkaufleute und Großhändler, denn nur sie waren in der Lage, das notwendige Kapital aufzubringen.14 Die Brauherren handelten u.a. mit Bier, Hopfen und Malz. Das eigentliche Bierbrauen übernahmen in Rostock freie, hier nicht in Zünften organisierte Lohnarbeiter, die sogenannten »Schopenbrauer«.15 Ihren Namen hatten diese Brauknechte von der Schöpfkelle der Brauer, der »Schope«.

Ansonsten verhielt es sich wie in den Hansestädten überhaupt: »Der Besitz eines Brauhauses und die Verfügung über die Braugerechtigkeit wurden [in Rostock] in der Regel zur Vorbedingung oder zum beinahe unabdingbaren Kriterium der Zugehörigkeit zum exklusivsten Kreis der städtischen Oberschicht.«16 Bürgermeister und Ratsherren rekrutierten sich in jenen Jahren fast ausschließlich aus der Schicht der Brauherren und Kaufleute. Auch im Gremium der »Hundertmänner« (gegründet 1583) – eine Art Gegengewalt zum Rat – hatten die Brau- und Kaufherren mit 60 Vertretern ihren festen Platz. Darüber hinaus besaß diese Gruppe einen nicht unbedeutenden Einfluss auf das stadtnahe Umland. Die Grundlagen dieser Machtfülle ergaben sich einerseits aus der Tradition, andererseits aus dem realen Reichtum der Brauherren, der sich vor allem im umfangreichen Grundbesitz in und außerhalb der Stadt sowie in der Höhe der zu entrichtenden Steuern ausdrückte.

Die herausragende Stellung der Rostocker Brauer im Gemeinwesen kam auch in der Gestaltung der Wasserversorgung zum Ausdruck. Ihnen wurden Sonderrechte im Hinblick auf die Versorgung mit Brauwasser eingeräumt. Die amtliche Reihenfolge der Wasserlieferung aus öffentlichen Wasserleitungen, die tageweise wechselnde Straßenzüge für die Belieferung bestimmte, legte die Stadtverwaltung im Interesse der Brauherren fest. Was bedeutete, wenn ein Brauherr »das große Brauen hat[te]«, war er vorrangig mit Wasser zu versorgen.

Überhaupt gingen die seit dem späten Mittelalter entstehenden hölzernen Wasserleitungen (Pipen) und der damit verbundene Ausbau der Wasserversorgungsanlagen auch in Rostock auf Initiativen und Bedürfnisse des Brauwesens zurück. Allerdings spielten hier zunächst weniger die Wasserverschmutzung bzw. eine ausreichende Belieferung eine Rolle als vielmehr der Wunsch der Brauer, den hohen Arbeits- und damit Lohnaufwand, der beim üblichen mühsamen Schöpfen aus den offenen Gewässern entstand, zu senken.

In den die Wasserleitungen unterhaltenden Borngesellschaften17 zählten die finanzkräftigen Brauherren zu den bestimmenden Kräften. Sie waren bis ins 17. Jahrhundert hinein die wichtigsten Borninteressenten (Abnehmer). Ihre Brauhäuser befanden sich dann vor allem in der Nähe der Borne bzw. der Entnahmepfosten – so auf dem Mittel- und dem Hopfenmarkt und am Wendländischen Schilde.

Da die meisten Brauherren zum Kaufmannsstand zählten, gehörten sie lange Zeit zu den kaufmännischen Kooperationen. Im Laufe des 16. Jahrhunderts kam es dann zu einer orga nisatorischen Trennung von Kaufmannschaft und Brauern. Letztere bildeten eine eigene Standesorganisation, die (Rostocker) »Brauercompagnie«. Ihre Aufgabe bestand neben anderem darin, die Einhaltung der auch hier sehr strengen Brauregeln zu überwachen und damit Qualitätsstandards zu garantieren. In speziellen »Brauordnungen« – die älteste bekannte in Rostock stammt aus dem Jahre 1563 – regelte die Brauerkompanie u. a. die Menge der Zutaten und die Güte des Bieres. Die Brauordnung von 1657 legte schließlich fest, dass kein Kaufmann, der nicht Mitglied der Kompanie war, Bier brauen durfte.

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Die Bierbrauerei »Carl Mau« in der Wokrenter Straße

Die Zahl der »produzierenden« Brauhäuser in Rostock belief sich Mitte des 16. Jahrhunderts auf 272. Diese Zahl sank bis 1566 auf 247. Um 1600 lag diese bei 250 und 1615 verzeichnete man 241 Braustätten.18 Allein in der Alt- und in der Mittelstadt standen mehr als 200 dieser Bauwerke. Bei rund 800 registrierten Häusern bedeutete dies, dass in der Frühen Neuzeit in beinahe jedem dritten Rostocker Haus gewerblich gebraut worden ist bzw. gebraut werden durfte. Es wundert also nicht, dass der stetig steigende Wasserverbrauch Rostocks seinen Grund in der dauerhaften Konjunktur des Brauhandwerks hatte.

Der Gerstensaft wurde zum Hauptexportgut der Rostocker Wirtschaft. Bereits um 1284 besaß die Stadt einen florierenden Bierhandel in den nördlichen Ostseeraum. Die Koggen, die Rostocks Hafen verließen, hatten seit dem 14. Jahrhundert vor allem Bier geladen. Sie transportierten es nun vorwiegend ins belgische Brügge. Es soll allerdings immer wieder vorgekommen sein, dass dänische Piraten auf ihrer Jagd nach gutem Bier aus Rostock diese Schiffe kaperten.

In den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts soll Gerstensaft aus Rostock 48 Prozent (!) aller Bierlasten der Hanse im Ostseeraum ausgemacht haben. »Bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges verließen jährlich zwischen 1100 und 1900 Lasten (1 Last rund 24 Hektoliter) den Hafen der Stadt in Richtung Helsingör (Dänemark). Hinzu kamen beträchtliche Mengen Hopfen und Malz, die als Rohstoffe ausgeführt wurden.«19 Diesem Zweck dienten am Ende des 16. Jahrhunderts allein 90 in Rostock beheimatete »Bier-Schiffe«, die den Transport in einer Art Liniendienst durchführten. Und damit der Kunde im Norden das Produkt in gewohnter Güte erhalten konnten, prüften Kontrolleure, die »Wraker«, in Stichproben das zu verschiffende Bier.20

Um 1600 erlebte Rostock eine späte wirtschaftliche und kulturelle Blüte. Die Einwohnerzahl lag weit über 10 000. Unbestreitbares kulturellen Zentrum war die Universität (gegründet 1419), die zu den bedeutendsten Hohen Schulen des Protestantismus zählte und Studenten aus zahlreichen deutschen Regionen und Ländern Europas anzog. Seehandel – vor allem über die Ostsee nach Skandinavien – und Brauwesen bestimmten die Wirtschaft. Vom 1618 ausgebrochenen Dreißigjährigen Krieg spürte man in der Stadt einige Jahre kaum etwas. Als dann Dänemark 1623 in den Krieg eintrat, litt zunächst der Rostocker Ostseehandel (Bierexport). Der Niedergang der Hanse hatte indessen bereits begonnen.

1627 griffen die Kampfhandlungen schließlich auf Mecklenburg über. Im Folgejahr standen Wallensteins Armeen vor den Stadtmauern, die bis 1631 belagert wurden. Der Feldherr zwang Rostock seinen Willen auf. Dann kamen die Schweden und nichts wurde besser. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich rasant und nach dem Westfälischen Frieden von 1648 trat keine Besserung ein. Am Ende war Mecklenburg einer der vom Krieg am schwersten getroffenen Landstriche Deutschlands, wüst und menschenleer.

Die Entwicklungen in Rostock stagnierten. Noch im Jahre 1657 hatte sich die weiterhin recht starke Brauerkompanie eine neue Brauordnung gegeben, die festlegte, dass diesem Zusammenschluss zwei Ratsherren als Direktoren und vier Brauer als Deputierte vorstehen mussten. Die Hanse – ihr Handelsnetz war längst zusammengebrochen – löste sich auf dem letzten Hansetag am 29. Mai 1669 im Beisein von Vertretern Rostocks auf.

Die eigentliche Zäsur, die zum endgültigen Niedergang Rostocks für fast zwei Jahrhunderte führte, entsprang indes nicht der »großen Politik«, sondern der Unachtsamkeit eines mit offenem Feuer arbeitenden Handwerkers. Aber dabei soll es sich nicht um einen Brauer, sondern um einen Bäcker gehandelt haben. In einer in der (heutigen östlichen) Altstadt gelegenen Backstube brach am 11. August 1677 ein Feuer aus, das sich in kürzester Zeit zum größten Stadtbrand in der Geschichte Rostocks ausweitete. Erst am nächsten Tag gelang es, die Katastrophe, in deren Folge rund ein Drittel der Bausubstanz und die hölzernen Wasserleitungen vor allem im Norden und Osten der Stadt vernichtet worden waren, unter Kontrolle zu bringen. Die Bevölkerungszahl sank auf 5000 Einwohner. Viele der 700 – anderen Quellen sprechen sogar von 800 – zerstörten Gebäude waren Brauhäuser. Im Ergebnis konnten nur noch 80 ihren Betrieb fortsetzen.21 Dadurch wurde das Brauwesen, das bis dato das Rückgrat der Wirtschaft Rostocks gewesen war, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Dieser Schwund hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Wasserversorgung. Die Borngesellschaften verloren zahlreiche Borninteressenten und damit an finanziellen Mitteln.

Von diesem Unglück erholte sich die Stadt auf sehr lange Zeit nicht mehr. Viele der nun brachliegenden Grundstücke wurden zum Teil erst hundert Jahre später erneut bebaut.

Bis zum Beginn der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert, die in Rostock um 1850 einsetzte, wurde eigentlich nur noch für die Stadt und das Umland gebraut. Der Fernhandel mit Bier war zum Erliegen gekommen. Zeitgleich wandelten sich die Trinkgewohnheiten. Mit den Landknechtsheeren war ein »neues« Rauschgetränk als Alltagsgetränk in den Norden Deutschlands gekommen – der »Branntwein« –, der unverdünnt oder mit Wasser gestreckt getrunken wurde. Bald entwickelte sich auf den Gütern eine muntere Branntwein-Destillation. Sein reger Konsum unter den niederen Ständen bereitete seit der Aufklärung öffentliche Besorgnis.22 Nicht besonders zu erwähnen ist, dass die Qualität des Bieres stark nachgelassen hatte, was die Abkehr vom Gerstensaft zusätzlich beförderte.

Die höheren Stände und Eliten selbst bevorzugten andere Getränke wie »Liqueur« und dann im 18. Jahrhundert zusätzlich Kaffee, Schokolade oder Tee.

Bis um 1800 begann der Spirituosenkonsum des einfachen Volkes Probleme zu verursachen. Die Volksgesundheit und die öffentliche Ordnung galten als gefährdet. Besorgte Gemüter empfahlen »Surrogate«, allen voran Bier. Indes dauerte es noch einige Zeit, bis sich Bier wieder als gängiges Lebens- und Genussmittel etablieren konnte.

Nach der »Franzosen-Zeit« zeichnete sich eine langsame Belebung der mecklenburgischen Wirtschaft ab. Die Städte wuchsen und modernisierten ihre Infrastruktur. Über die Jahre wurden aus Handwerksbetrieben kleine industrielle Unternehmen. Neue Berufe entstanden. Die soziale Zusammensetzung der Stadtbevölkerung änderte sich. Der bisher nur als Tagelöhner vertretene Arbeiterstand hielt mit dem Entstehen von Fabriken Einzug in Mecklenburg; und mit ihm wuchs die Nachfrage nach Bier.

Auf dem Lande war die Aufhebung der Leibeigenschaft 1822 das einschneidende Ereignis. Der Warenaustausch zwischen Stadt und Dorf wurde intensiver. Die nunmehr »freien« Landbewohner wurden schrittweise mobil. Ihre Migration erreichte beträchtliche Zahlen. Begehrt waren die großen Städte wie Hamburg oder Berlin und natürlich Übersee.

Rostock, eine der bedeutenden Handelsstädte an der deutschen Ostseeküste und die größte Stadt (mit 16000 Einwohnern, unter denen kein Jude gelitten wird) in Mecklenburg. [...] Sie ist in 3 Theilen, der Alt-, Neu- und Mittelstadt, im Ganzen gut gebaut, und ihre vielen alterthümlichen Giebelhäuser, mit burg zinnenähnlicher Vorderseite, gewähren einen reinen Eindruck als manche dazwischen gestreute moderne Gebäude. [...] Der Seehafen von Rostock ist zu Warnemünde; aber auch hier können Schiff e von 8–10 Fuß Tiefe einlaufen, größere müssen auf einer unbeschützten Reede ihre Ladung erleichtern, und selbst die Erhaltung dieser geringen Hafentiefe ist für die Stadt mit einem jährl[ich] höchst bedeutenden Aufwande verbunden. Die Stadt ist mit Mauern, Wällen und Gräben umgeben, ohne jedoch eine haltbare Festung zu sein; sie führt mit mehr als 130 eignen Schiff en einen lebhaften Handel, der jedoch nur ein Schattenbild ihrer mercantilistischen Wichtigkeit in den mittlern Jahrh[underten] ist. Auch hat sie mehrere Fabriken, Zuckersiedereien etc. und hält jährl[ich] eine Messe. […]
Brockhaus Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Neunter Band, Leipzig 1827 (siebente Originalauflage) – Stichwort

In Rostock erlebte die Wirtschaft trotz aller Widrigkeiten, die in den Jahren der französischen Besetzung vor allem durch die Kontinentalsperre (1806–1813) fast völlig zum Erliegen gekommen war, nach den siegreich geführten Befreiungskriegen ein – zunächst noch schleppendes – Wachstum und einen Wandel. Die zunehmende wirtschaftliche Einigung Deutschlands machte sich auch hier im Nordosten bemerkbar, obwohl beide Mecklenburg dem 1834 gegründeten Deutschen Zollverein nicht beigetreten waren.

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