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Inhaltsverzeichnis

Einführung - Auf den Schultern von Riesen?

Kapitel 1 - Die Geheimnisse von Stonehenge

Kapitel 2 - Der griechische Computer

Kapitel 3 - Die Erfindung des Kalenders

Kapitel 4 - Die Erde bewegt sich

Kapitel 5 - Vom holländischen Fernrohr zum Hubble-Weltraumteleskop

Kapitel 6 - Planetensucher

Kapitel 7 - Der Planet, der nie einer war

Kapitel 8 - Flammendes Inferno

Kapitel 9 - Die Schmelztiegel des Universums

Kapitel 10 - Sternendämmerung

Kapitel 11 - Schwarze Löcher

Kapitel 12 - Am Anfang

Kapitel 13 - Die dunkle Seite

Kapitel 14 - Kometengeschichten

Kapitel 15 - Einschlag

Kapitel 16 - Gibt es Leben auf dem Mars?

Kapitel 17 - Neue Welten

Kapitel 18 - Sind wir allein?

Autoren & Übersetzer

Impressum

Einführung - Auf den Schultern von Riesen?

 

»Wenn ich weiter geblickt habe als andere, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe«, schrieb Sir Isaac Newton am 5. Februar 1675 an seinen Kollegen Robert Hooke. Genau das kann man auch über die Entdeckung des Universums sagen – und es gilt seit den Anfängen, als man die Erde noch für eine Scheibe hielt, bis zu unseren heutigen Errungenschaften wie dem Hubble-Weltraumteleskop und der Urknalltheorie. Große Männer haben diesen Weg bereitet, denen eine tiefe Einsicht gegeben war und die zudem den unbedingten Willen hatten, unsere Sicht auf den Kosmos zu verändern – man denke nur an Kopernikus’ Idee, dass die Erde sich um die Sonne dreht, an Galileo und sein Teleskop, an Isaac Newtons Gravitationsgesetz oder an Einstein und sein schwindelerregendes Konzept des Urknalls und der Schwarzen Löcher.

 

Aber: So ist es in Wahrheit gar nicht gewesen.

 

Wie wir in diesem Buch zeigen wollen, sind die meisten Mythen in der Astronomie eben genau das: Mythen. Galileo hat das Teleskop nicht erfunden, und er war auch nicht der Erste, der damit in den Himmel blickte. Einstein hat weder Schwarze Löcher noch den Urknall vorausgesagt (er glaubte an keine dieser Ideen), vielmehr entstanden diese Konzepte in den Köpfen einiger wieder in Vergessenheit geratener Denker; die Vorstellung von schwarzen Löchern sogar schon fast 100 Jahre vor Einsteins Geburt. Und Kopernikus’ Theorie von der Sonne, um die die Planeten kreisen, wäre nie veröffentlicht geworden, wäre da nicht sein fanatischer Schüler Rheticus gewesen.

Der Dichter Alexander Pope schrieb:

Natur und der Natur Gesetze lagen in dunkler Nacht;

Gott sprach: Es werde Newton! Und sie strahlten voll Pracht.

 

Aber auch die Newtonschen Gesetze wären niemals bekannt geworden, wenn nicht sein Mitstreiter Edmond Halley dafür gesorgt hätte. Halley, der heute vor allem für seinen Kometen weltbekannt ist, schulden wir also besonders dafür Dank dafür, dass er seinen älteren Kollegen Newton dazu überredete, die Principia zu veröffentlichen.

Und dann sind da noch die vielen unbekannten Helden – und Heldinnen. Wir haben eingangs absichtlich die Formulierung Große Männer benutzt. In Wahrheit wurden jedoch viele wichtige Errungenschaften von Frauen erzielt, die – nicht zuletzt wegen ihres Geschlechts – oft noch eher übersehen wurden als ihre männlichen Kollegen.

Im 20. Jahrhundert etwa wies eine junge Frau aus der englischen Provinz – Cecilia Payne-Gaposchkin – nach, dass der größte Teil des sichtbaren Universums aus Wasserstoff besteht. Trotzdem wurde ihr ein Abschluss der Universität Cambridge aufgrund ihres Geschlechts verwehrt. Vera Rubin entdeckte als Erste die Dunkle Materie, die die Bewegungen der Galaxien lenkt, doch auch sie wurde auf internationalen Konferenzen nur belächelt. Jocelyn Bell Burnells unermüdliche Forschung in den 1960er-Jahren deckte die Existenz von Pulsaren auf, doch bei der Verleihung der Nobelpreise wurde sie übergangen, stattdessen wurden diese ihren älteren männlichen Kollegen zugesprochen. Und obwohl Caroline Herschel einen lange währenden Rekord in der Entdeckung neuer Kometen aufgestellt hat, blieb sie immer im Schatten ihres Bruders William, dem 1781 als Erstem die Beobachtung eines bislang unbekannten Planeten gelang: Uranus.

William Herschel war von Hause aus Musiker – und seine Entdeckung des Uranus ist ein Paradebeispiel für jene zahlreichen wichtigen Durchbrüche in der Erforschung des Weltalls, die nicht von professionellen Astronomen, sondern von Amateuren geschafft wurden; Menschen, die den Himmel zu ihrem eigenen Vergnügen studieren. Schon vor tausend Jahren entwickelte der persische Dichter Omar Chayyam einen genaueren Kalender als irgendjemand vor oder nach ihm. Ein Apotheker namens Heinrich Schwabe stellte im 19. Jahrhundert fest, dass die dunklen Flecken auf der Sonne im Rhythmus von elf Jahren kommen und gehen. Und in den vergangenen Jahrzehnten entdeckte ein Computertechniker von seinem Hinterhof aus mehr explodierende Sterne als irgendjemand sonst in der Geschichte; ein Lehrer legte die Grundlagen der Radioastronomie; und ein Sanitärtechniker hat den bisher besten Beweis für Leben auf dem Mars gefunden.

Und dann sind da noch die Rebellen – große Astronomen, die vom Establishment ignoriert wurden, weil sie nicht ins Bild passten. Der Schweizer Forscher Fritz Zwicky etwa, in Kalifornien ein Außenseiter, der seine Kollegen als Bastarde beschimpfte, brachte die Astronomen als Erster auf die Spur der dunklen Materie und der dunklen Energie, von der die Wissenschaftler heutzutage annehmen, dass sie für die Vergangenheit und die Zukunft unseres Universums entscheidend sind.

Der schroffe Fred Hoyle aus Yorkshire ist heute vor allem dafür bekannt, dass er ein alternatives Modell zur Urknalltheorie aufstellte – die sogenannte Steady-State-Theorie (Gleichgewichtstheorie) –, das allerdings im Laufe der Zeit widerlegt wurde. Doch Hoyle und sein Team sind auch für eine der spannendsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts verantwortlich: Sie wiesen nach, dass Sterne sozusagen natürliche Alchemisten sind. Diese kosmischen Schmelztiegel verwandeln Wasserstoff, das einfachste aller Elemente, in Kohlenstoff, Sauerstoff und Eisen – und sogar in Gold.

 

In diesem Buch wollen wir außerdem neue Erkenntnisse vorstellen, die althergebrachte Wahrheiten ins Wanken bringen könnten. So hat sich herausgestellt, dass die antike Stätte von Stonehenge nicht etwa zur Feier der Sommersonnenwende errichtet wurde – wie es die modernen Druiden noch immer feiern –, sondern waren stattdessen dem Sonnenuntergang während der Wintersonnenwende gewidmet. Und ein korrodierter Klumpen Metall, im Jahr 1900 am Grund des Mittelmeers gefunden, stellt den Beweis dafür dar, dass die Griechen nicht nur große Denker waren, sondern dass sie bereits den ersten Computer der Menschheitsgeschichte gebaut haben. Mit seiner Hilfe konnten sie mit erstaunlicher Präzision die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Planeten und sogar Finsternisse vorhersagen.

Außerdem möchten wir einen Einblick in die kontroversen Diskussionen geben, die unter Astronomen geführt werden. War es richtig, Pluto den Status als Planet abzuerkennen? Wäre es schlimm – oder hätte es vielleicht sogar Vorteile –, wenn ein Asteroid die Erde treffen und fast alles Leben auslöschen würde? Und waren die Sternenforscher vielleicht auf dem Holzweg, als sie sich bei der Suche nach außerirdischem Leben auf die Radioteleskope verließen? Vielleicht funktioniert E.T.s Telefon mit Laser, oder mit Partikeln, die schneller sind als das Licht?

Wir möchten uns aber auch den großen kosmischen Abenteuer unserer Zeit widmen – etwa der nervenzerreißenden Geschichte der Rosetta-Sonde und ihres kleinen Landers Philae, die versuchten, auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko Proben zu nehmen, um so der Entstehung des Lebens auf die Spur zu kommen.

 

Und schließlich folgen wir der Spur jener Wissenschaftler, die sich auf die Suche nach einer zweiten Erde gemacht und bis jetzt über 3.000 extrasolare Planeten in den Tiefen des Weltalls entdeckt haben.

 

Unsere Reise zu diesen zum Teil noch nicht erzählten Geschichten beginnt mit den Anfängen der Astronomie. Von da aus bewegen wir uns zu unseren Nachbarplaneten, unserer Sonne und den Sternen. Wir erforschen die großen Mysterien des Universums und wenden uns zuletzt der Frage zu: Gibt es Leben in den Weiten des Alls?

Wir möchten Sie einladen, mit uns die zahllosen Menschen kennen und schätzen zu lernen, die sich an die Aufgabe gemacht haben, die Rätsel des Universums zu lösen. Vielleicht denken Sie dann an sie, wenn Sie das nächste Mal staunend auf neue Fotos vom Hubble-Weltraumteleskop blicken – oder, noch besser, hinauf zum nächtlichen Sternenhimmel.

 

Heather Couper und Nigel Henbest

 

PS: Noch ein Geheimnis, das wir Ihnen verraten möchten: Das eingangs erwähnte Zitat sollte man nicht allzu wörtlich nehmen. Wenn Newton von den Schultern der Riesen spricht, war dies vermutlich vor allem als Seitenhieb auf seinen Dauerrivalen Robert Hooke gedacht, der in seinen späten Jahren einen gewaltigen Buckel bekommen hatte.

Kapitel 1 - Die Geheimnisse von Stonehenge

 

In den dunklen Stunden vor dem Morgengrauen scheinen sich die Sterne direkt über Stonehenge zu versammeln, und die Steinbögen, die uns umgeben, wirken wie ein gewaltiges Planetarium. Wir liegen ausgestreckt auf dem zentralen Altarstein, fast ein bisschen wie urtümliche Opfergaben, und versuchen, die klassischen Sternbilder über uns zu identifizieren. Die Sterne des mächtigen Helden Herkules stehen da oben seinem ewigen Feind, dem himmlischen Drachen, gegenüber, der seine Rauchringe in Richtung des Polarsterns schickt.

Es ist der Morgen des 21. Juni 1984, und wir sind hier, um einer Wiederaufführung der wohl ältesten und heiligsten astronomischen Zeremonie der Welt beizuwohnen: Dem Sonnenaufgang in Stonehenge, am Mittsommertag. Mit einer stillen mystischen Bewunderung des Weltraums hat das hier allerdings wenig zu tun. In der Nähe brennen Lagerfeuer, an denen die Teilnehmer die ganze Nacht hindurch vor behelfsmäßigen Zelten feiern; tiefe Trommelrhythmen sind zu hören, und der Geruch von gegrilltem Essen und exotischem Rauchwerk dringt in unsere Nasen.

Der Morgen graut, der Himmel wird heller. Ein melancholischer Gesang erklingt. Feierlich schreitet eine Gruppe von weiß gekleideten Personen in die Mitte der uralten Steine. Die Druiden blicken durch das Portal vor uns, hinter dem man, außerhalb des heiligen Kreises, die Silhouette des Heel-Steins erkennen kann. Im Moment des Sonnenaufgangs steigern sich ihre Gesänge ins Ekstatische. Leider lässt sich der magische Moment in diesem Jahr lediglich an den Digitaluhren der Druiden ablesen: Es ist diesig, und der berühmte Anblick, wie die aufgehende Sonne über dem Heel-Stein schwebt, ist uns nicht vergönnt. Das hält die Hippies aus dem provisorischen Camp jedoch nicht davon ab, die Stätte massenhaft zu besuchen. Mittsommerverrückte aller Glaubensrichtungen verteilen sich über die Steine, klettern auf die Spitzen der Bögen und taufen ihre Babys am Heel-Stein.

Aber sind wir überhaupt zum richtigen Zeitpunkt hier? Glaubt man einer immer größer werdenden Gruppe von Experten, dann wurde Stonehenge nicht zur Feier der Sommersonnenwende gebaut. Vielmehr haben neue Beweise gezeigt, dass das großartige Steinbauwerk ein Tempel war, der der Sonne am entgegengesetzten Ende des Jahreskreislaufs gewidmet war, nämlich im Dezember. Damit wird den vielen Kontroversen, die über das Mysterium Stonehenge über die Jahrhunderte hinweg geführt worden sind, eine weitere hinzugefügt. Zumindest können sich alle auf eine Tatsache einigen: Das monumentale Bauwerk steht in Verbindung mit der Sonne.

Um dem Geheimnis von Stonehenge auf die Spur zu kommen, müssen wir weit zurückblicken, bis weit ins Altertum hinein. Die massiven Steine wurden errichtet, lange bevor es schriftliche Aufzeichnungen gab. Es existieren jedoch eindeutige Hinweise in den Reiseberichten der griechischen und römischen Gelehrten, die von einer traditionellen Verehrung des Sonnengottes – sie nennen ihn Apollo – auf einer Insel im hohen Norden erzählen. Der Historiker Diodor von Sizilien schrieb in der Zeit um 60 bis 30 v. Chr.: »Es gibt auf dieser Insel sowohl einen prachtvollen Bereich des Apollo als auch einen bemerkenswerten Tempel, der reich geschmückt ist mit Weihgaben und eine runde Form aufweist.« Kann dieser runde Tempel des Sonnengottes auf einer Insel im hohen Norden denn etwas anderes sein als der berühmte Steinkreis von Stonehenge?

Stonehenge blieb für lange Zeit mysteriös und rätselhaft, bis sich die Könige von England im 17. Jahrhundert persönlich dieser Sache annahmen. Jakob I. kam auf seiner offiziellen Reise durch Wiltshire 1620 nach Stonehenge und beauftragte den großen Architekten Inigo Jones – der zuvor den palladianischen Baustil aus Italien eingeführt hatte – damit, das Monument zu erforschen. Der war, wie er es in seinem Text Stone-heng: Restored festhielt, davon überzeugt, dass die ursprüngliche Form eine klassische war und Stonehenge folglich von den Römern erbaut worden sein musste.

Dreißig Jahre später besuchte Karl II. die Stätte aus einem anderen Grund: Nachdem sein Vater Karl I. im englischen Bürgerkrieg enthauptet worden war, versuchte Karl II., die Krone in seinen Besitz zu bringen. Er hatte gerade die Schlacht von Worcester verloren, trotzdem war es ihm gelungen, heimlich zur Südküste zu fliehen, um ein Schiff nach Frankreich zu nehmen. Auf dem Weg dahin verbrachte er einen Tag in Stonehenge. Sein Schreiber hielt fest, dass der ungeduldige Karl wieder und wieder die Steine vermaß, um sich die Zeit zu vertreiben. Sein Interesse war geweckt, und nachdem Karl in den 1660er-Jahren auf den Thron zurückgekehrt war, beauftragte er eine Reihe von Gelehrten, das Rätsel von Stonehenge zu lösen. Der Chronist Samuel Pepys vermerkte, die Steine seien »so wunderbar, wie es die Geschichten über sie behaupten, und in jedem Fall die Reise wert. Weiß Gott, was ihr Zweck war!«

Sein Kollege John Aubrey gab sich mit reiner Bewunderung nicht zufrieden. Aubrey, ein führender Altertumsforscher, bemerkte, dass sich die meisten Steinkreise auf den britischen Inseln im äußersten Norden und Westen befanden – also in Regionen, in die die Römer und andere Eroberer, etwa die Dänen und die Sachsen, nie vorgedrungen waren. Sie mussten also von einem viel älteren, einheimischen Volk errichtet worden sein. So weit, so gut.

 

Die römischen Geschichtsschreiber hatten die Priesterkaste des antiken Britannien als Druiden bezeichnet. Aubrey hielt sie für Wilde und beschrieb sie als »wahrscheinlich zwei oder drei Grade weniger wild als die Amerikaner«. Trotz seiner abfälligen Meinung über ihren Charakter war er jedoch davon überzeugt, dass die Druiden Stonehenge gebaut haben mussten. Diese Idee hält sich bis heute hartnäckig. Doch leider ist sie komplett falsch. Der römische Naturkundler Plinius spricht davon, dass die Druiden ihre heiligen Riten vor allem in Eichenwäldern vollzogen; es findet sich also keine Erwähnung von Steinkreisen. Und wir wissen heute, dass Stonehenge bereits etwa zwei Jahrtausende alt war, als die Druiden, wie Plinius es ausdrückt, »vielerlei Gesänge murmelten und andächtig beteten«.

Aubrey hatte zwar die Druiden in die Geschichte von Stonehenge eingeführt, doch es war ein neuzeitlicher Druide, der die Theorie aufbrachte, dass die vorzeitliche Priesterschaft die Steine errichtet hatte, um den Sonnenaufgang am Mittsommertag zu beobachten – wieder so eine zweifelhafte Idee, die ihren Schatten über die gesamte weitere Geschichte von Stonehenge werfen sollte.

Der Antiquar William Stukeley war im 18. Jahrhundert so besessen von der Begeisterung für Druiden, dass er sich selbst Chyndonax, der Druide nannte. Trotzdem hatte er an vielen Dingen ein seriöses Interesse: von Münzen bis zur Poesie, von der Musik bis zur Wissenschaft interessierte ihn alles. Einmal sezierte er in London gar einen toten Elefanten; das arme Tier, das öffentlich zur Schau gestellt wurde, war kurz zuvor an den »großen Mengen Bier, die die Zuschauer ihm immer wieder verabreichten«, verstorben.

Stukeley nahm in Stonehenge gründliche Messungen vor und fand dabei etwas Ungewöhnliches heraus, nämlich über die Richtung der »Haupt- oder Grundlinie von Stonehenge, die vom Eingang über die Mitte des Tempels bis zum Altarstein verläuft«. Schaue man über diese Linie, so könne man »die Absicht der Gründer von Stonehenge erkennen, die darin lag, den Eingang im Nordosten zu platzieren, also fast genau an dem Punkt, an dem die Sonne zur Sommersonnenwende aufgeht«. 1740 veröffentlichte Stukeley seine Erkenntnisse in dem Buch Stonehenge: A Temple Restor’d to the British Druids. Zu Mittsommer, so behauptete er darin, hielten die Druiden ihre »wichtigsten religiösen Treffen oder Feste ab, mit Opfern, öffentlichen Spielen und Ähnlichem«. Seither sind Stonehenge und der Mittsommer untrennbar miteinander verbunden.

 

Das markante Steinbauwerk steht überhaupt in engem Zusammenhang mit einigen der bemerkenswertesten Denker, die Großbritannien hervorgebracht hat. In Viktorianischer Zeit gesellte sich der außergewöhnliche Norman Lockyer zu ihnen.

Lockyer war Beamter im Kriegsamt. Aber er interessierte sich für vieles: Zu seinen Freunden zählten unter anderem der königliche Dichter Alfred Lord Tennyson sowie die Künstler des Präraffaelismus. Als ihm ein Nachbar ein Teleskop auslieh, begann er, die Sonne zu erforschen. 1868 entdeckte er, dass die gewaltigen Protuberanzen über der Sonnenoberfläche in einem bestimmten Gelbton leuchteten, der offenbar von keinem Element auf der Erde produziert werde. Lockyer folgerte, dass dieses Licht von einem bisher noch unbekannten Element ausgehen müsse, und nannte es – nach dem griechischen Sonnengott Helios – Helium (uns heute natürlich allzu gut bekannt als das Gas, mit dem wir unsere Luftballons füllen).

Ohne eine offizielle wissenschaftliche Karriere gemacht zu haben, wurde Lockyer zum weltweit ersten Professor für Astrophysik. In dem leidenschaftlichen Bemühen, der Öffentlichkeit wissenschaftliche Themen zugänglich zu machen, gründete er die Zeitschrift Nature und trieb den Bau des Science Museum in London voran. Und seinem Interesse am Sport, dem er sich in seinen wenigen Momenten der Freizeit widmete, verdankt sich die Tatsache, dass er Mitautor des Buches The Rules of Golf wurde.

Als Lockyer antike Tempel in Griechenland besuchte, fragte er sich, warum sie in bestimmte Richtungen erbaut worden waren, und ob das vielleicht mit der Sonne zusammenhängen könnte. In Ägypten bewunderte er den großen Tempel von Karnak: »Ohne jeden Zweifel die stattlichste Ruine der Welt«, schrieb er. Er erkannte, dass die Hauptachse nach Nordwesten zum Tal der Könige hin ausgerichtet war – also genau dorthin, wo die Sonne am Mittsommertag unterging. Nach seiner Rückkehr nach England zog es ihn zum dortigen Sonnentempel. Seine Berechnungen zeigten, dass man, im Zentrum von Stonehenge stehend, die Sonne zu Mittsommer genau über dem außenliegenden Heel-Stein aufgehen sehen konnte. »So gewiss, wie der Tempel von Karnak zum Sonnenuntergang zu Mittsommer ausgerichtet war«, dozierte Lockyer, »zeigt der Tempel von Stonehenge fast genau zum Sonnenaufgang am selben Tag.«

Die Sommersonnenwende und die Druiden wurden vollends miteinander verknüpft, als sich 1905 Hunderte von Mitgliedern des Ancient Order of Druids (in Wahrheit eine 1781 gegründete Geheimgesellschaft) an diesem Tag in Stonehenge erstmals zu einer Masseninitiation zusammenfanden – eine Tradition, die bis heute besteht.

 

Doch 1965 geriet diese lieb gewordene Sicht auf Stonehenge als Sonnentempel deutlich ins Wanken. Es wurde die These aufgestellt, dass die Steine als ausgeklügeltes Observatorium errichtet worden waren, mit dem man nicht nur den Lauf der Sonne, sondern auch den des Mondes beobachten konnte. Sie schienen zudem als eine Art Rechenmaschine zu funktionieren, die dazu diente, die gefürchtetsten aller Himmelserscheinungen vorauszusagen: Sonnen- und Mondfinsternisse.

Zumindest behauptete dies der in Bosten forschende britische Wissenschaftler Gerald Hawkins in seinem Buch Stonehenge Decoded. Er setzte für seine astronomischen Untersuchungen den kürzlich erfundenen Computer ein, und er beschloss, dessen fantastische Rechenleistung zu nutzen, um das Rätsel Stonehenge ein für alle Mal zu lösen.

Hawkins beschrieb seinen Lesern seine bis dato noch recht unbekannte Maschine. Der IBM 7090 bestand »aus etwa zwanzig Einheiten – hohen Schränken voller Rechen- und Aufnahmegeräte, viele davon mit je zwei sichtbaren Magnetbandrollen. Er verbraucht ungefähr 45.000 Voltampere Strom, das sind etwa 70 PS.« Ein kurzer Vergleich: Die heutigen Smartphones sind einige Tausend Mal leistungsfähiger als dieses Ungetüm!

Hawkins hatte den Gedanken, dass die vorzeitlichen Astronomen nicht nur die Sonne, sondern auch den Mond verfolgten, wenn er an bestimmten Tagen auf- oder unterging. Vielleicht wurden die Steine dazu genutzt, diese himmlischen Vorgänge zu beobachten? Auf der Basis einer genauen Karte der Gegend programmierte Hawkins seinen IBM darauf, die Richtungen der Achsen zu errechnen, die die unzähligen Steine (und Löcher, wo ehemals Steine gestanden hatten) miteinander verbanden. Und der Computer gab ihm recht: In der Tat wiesen all diese Elemente auf bestimmte Punkte am Horizont hin, an denen die Sonne und der Mond zu wichtigen Jahreszeitpunkten auf- und untergingen.

»Diese erstaunlichen Zahlen ließen mich nicht mehr los«, erinnert sich Hawkins. »Es konnte kein Zufall sein.« Es gibt eine mathematische Formel, mit der sich errechnen lässt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Steine rein zufällig so stehen, aber, wie Hawkins zugibt – »wäre es furchtbar, das auszurechnen, also ließ ich es die Maschine machen«.

Pflichtgemäß spuckte der IBM-Computer die Zahlen aus: Die Wahrscheinlichkeit eines Zufalls lag bei eins zu zehntausend. Hawkins kam zu dem Schluss, dass Stonehenge als Observatorium gebaut worden sein musste.

Aber das war noch nicht alles. Die großen Steine sind von einem mysteriösen Ring aus Vertiefungen umgeben. Diese wurden in den 1920er-Jahren untersucht und katalogisiert und zu Ehren von John Aubrey, der bei seinen Forschungen bereits fünf dieser Löcher entdeckt hatte, Aubrey-Löcher genannt. Hawkins wies per Computer nach, dass die Erbauer kleine Steine in diesen Löchern aufstellen und bewegen konnten, um Finsternisse vorauszusagen. Stonehenge war anscheinend auch ein Computer!

Hawkins war begeistert. Stonehenge war offenbar zur »Freude des Menschen, des denkenden Tieres« errichtet worden. Hawkins sah seine Schöpfer in einer Linie mit »den Erbauern des Parthenon, der gotischen Kathedralen und des ersten Raumschiffs, das zum Mars fliegen wird«.

Der Gedanke, dass ein moderner Computer bewiesen hatte, dass Stonehenge ein steinzeitlicher Computer war, sorgte in den 1960er-Jahren für Aufsehen. Hawkins’ Buch Stonehenge Decoded verkaufte sich rasant. Andere Wissenschaftler spannen die Geschichte weiter. Alexander Thom, ein schottischer Ingenieur im Ruhestand, untersuchte Steinkreise im ganzen Land und sah in ihnen überall komplexe Observatorien. Schließlich griff sogar Fred Doyle, der größte Astronom des Jahrhunderts, die Theorie vom Stonehenge-Computer auf.

Die Archäologen, die Stonehenge bereits ihr ganzes Leben gewidmet hatten, waren aber alles andere als überzeugt. Einer sagte über Hawkins’ Buch, es sei »tendenziös, arrogant, schludrig und wenig überzeugend«. Doch was sollte man den Ergebnissen eines Computers entgegensetzen? Die besten Chancen dazu hatte Clive Ruggles; er war Astronom, Mathematiker und Computerexperte. Noch während seines Studiums reiste er nach Schottland, um Thoms Theorie der Steinkreise zu überprüfen (an diese Reise können wir uns noch sehr gut erinnern, da wir, zusammen mit unserem großem Hauszelt, damals daran teilnehmen durften). Ruggles wurde später zu einem professionellen Archäologen und konnte seine vielfältigen Interessen kombinieren, als er zum weltweit ersten Professor für Archäoastronomie an der Universität von Leicester wurde. Er erforschte vorzeitliche astronomische Stätten auf der ganzen Welt, von Hawaii bis nach Afrika.

Ruggles untersuchte die Daten von Stonehenge genauer und stellte fest, dass es in Hawkins’ Berechnungen grundlegende Probleme gab. Das größte lag darin, dass Hawkins sich für seine Untersuchung nur fünfzig Fälle ausgesucht hatte, in denen die Steine jeweils auf einer Linie liegen, obwohl es insgesamt 111 verschiedene Möglichkeiten gibt, in dem gewaltigen Steinlabyrinth zwei Steine durch eine Linie zu verbinden. Die Chance, dass eine solche Linie zufällig genau einen wichtigen Punkt am Himmel anzeigt, liegt also bei Weitem höher als die von Hawkins postulierten eins zu zehntausend. »Wenn man diese Berechnungsfehler korrigiert, wird das zufällige Auftreten einer solchen Linie sehr wahrscheinlich«, fasst Ruggles zusammen. »Mit anderen Worten: Die Position der Mehrzahl der Steine hat nichts mit astronomischen Ausrichtungen zu tun.«

Ein weiteres Problem liegt darin, dass Stonehenge – anders als Hawkins’ IBM-Computer – nicht auf einmal gebaut worden war. Der Bau und einige anschließende Umbauten zogen sich über 1.000 Jahre hinweg, Stonehenge kann also nicht das Werk eines genialen Einzelnen sein. Einige der Steine, die Hawkins in seine Berechnungen einbezogen hatte, standen nicht zeitgleich mit den anderen; manchmal waren auch zwischenzeitlich Steine im Weg gewesen. Am problematischsten für seine Theorie war, dass die Aubrey-Löcher gegraben – und wieder zugeschüttet – worden waren, lange bevor der Haupt-Steinkreis gestanden hatte. Der angebliche Sternencomputer war also bereits wieder zerstört, bevor seine jungsteinzeitlichen Erbauer das dazugehörige Observatorium überhaupt errichtet hatten!

Nun besteht kein Zweifel daran, dass der IBM-Computer einen guten Job gemacht hatte. Jedoch war seine Auswertung der Daten falsch programmiert. Ein Computer-Geek würde sagen: »Unsinn rein, Unsinn raus.« Heute ist die Theorie des steinzeitlichen Computers vom Tisch. Es war ein spannender Gedanke, doch hielt er der Überprüfung nicht stand.

Ruggles kommt zu dem Schluss, dass Stonehenge ein riesiger Tempel war und ein wichtiger zeremonieller Ort, zu dem einige der Megalithen sogar extra aus Wales herangeschafft wurden. »Durch diesen Bau«, so Ruggles, »bei dem Steine aus ungewöhnlichen Orten zusammengebracht wurden, wurde Stonehenge zu einer zentralen Stätte.« Und auch wenn sich die frühen Astronomen ebenfalls für den Mond interessiert haben, so lag ihr Hauptinteresse, davon ist Ruggles überzeugt, auf der Sonne. »Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Ausrichtung zur Sonnenwende der Grund für die große Bedeutung dieses Tempels ist. Aber es gibt gute Gründe anzunehmen, dass es dabei vor allem um den Sonnenuntergang zu Mittwinter ging«, sagt er.

Hawkins hat mit seinem Augenmerk auf die Ausrichtung der Steine eine wahre Büchse der Pandora geöffnet. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Sommersonnenwende immer wieder große Beachtung geschenkt wird. Nun mag es stimmen, dass man – wie wir es 1984 getan haben – den Sonnenaufgang im Juni über dem Heel-Stein sehen kann, aber es funktioniert auch umgekehrt: Stellt man sich zur Wintersonnenwende vor den Heel-Stein, so sieht man die Sonne genau im Zentrum von Stonehenge untergehen.

 

Warum also blieb der Mittsommertag so sehr verknüpft mit der Geschichte von Stonehenge? Das liegt vor allem an William Stukeley. Er erklärte 1740, der Eingang von Stonehenge zeige im Juni zum Sonnenaufgang. Sobald der Zug also erst mal in diese Richtung fuhr, sprangen alle blind auf – bis hin zu den Druiden der Gegenwart. Schaut man sich aber die Aufzeichnungen Stukeleys noch einmal genauer an, dann begann er seine Beschreibung der Hauptachse von Stonehenge wie folgt: »Sie reicht vom Eingang über die Mitte des Tempels bis zum Altarstein« – also genau in Richtung des winterlichen Sonnenuntergangs!

Warum also änderte er seine Meinung? Das werden wir – wie so vieles bei dieser Anlage – wohl niemals erfahren. Aber es gibt da eine Tatsache, die uns den entscheidenden Tipp geben könnte: Stukeley war nicht nur ein selbst ernannter Druide, er war auch Freimaurer. Bis heute ist die Himmelsrichtung Osten für die Mitglieder dieser Loge von großer Bedeutung. 200 Jahre nach Stukeley schrieb der Freimaurer Harry LeRoy Haywood in seinem Buch Symbolical Masonry: »Wenn es ein Symbol gibt, das in den Ritualen unserer blauen Loge wieder und wieder auftaucht, gleich einem Refrain in einem Musikstück, dann ist es der Osten … der Flammende Stern scheint dort … es ist die Grenze, der Zweck, das ultimative Ziel, auf das das ganze Handwerk hinstrebt.«

Von besonderer Bedeutung ist dabei der Sonnenaufgang am Mittsommertag. Er wird von den Freimaurern am christlichen Johannistag gefeiert, am 24. Juni (nach astronomischer Berechnung hat sich der Tag allerdings auf den 21. Juni verschoben – der frühe Kalender war etwas ungenau, wie wir in Kapitel 3 noch sehen werden). Die erste Großloge dieser Geheimgesellschaft traf sich jedenfalls am Johannistag 1717 – nur wenige Jahre vor Stukeleys Erforschung von Stonehenge. Es scheint also kein Wunder, dass Stukeley nur in Richtung des Sonnenaufgangs schaute und den Sonnenuntergang am Mittwintertag vernachlässigte – für die Freimaurer war der Westen seit jeher die Richtung des Todes. Haywood drückte es so aus: »Nach Westen gehen zuletzt alle Menschen, Männer wie Maurer, in den schönen, zärtlichen Westen, und legen sich hin in den Schlaf, von dem sie nicht mehr aufstehen.«

Auch der Wissenschaftler Norman Lockyer war, durch die Gottesdienste in christlichen Kirchen, ebenfalls auf den Osten fokussiert: »In England sind alle östlichen Kirchenfenster immer in jene Richtung ausgerichtet, in der am Namenstag ihres Schutzheiligen die Sonne aufgeht; in den Kirchen Johannes des Täufers ist das demnach ziemlich genau nach Nordosten.«

 

Und doch gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass unsere steinzeitlichen Vorfahren das genauso handhabten. Denn es finden sich mindestens zwei große Grabmale auf den Britischen Inseln, die definitiv zur Sonnenwende hin ausgerichtet sind, und bei denen kein Zweifel darüber besteht, um welche Jahreszeit es sich dabei handelt.

Zu dem ersten gibt es folgende Geschichte: Es war am frühen Morgen, ein Tag im Jahre 1967. Der irische Archäologe Michael O’Kelly hockte tief im Inneren des großen steinzeitlichen Hügelgrabs im Boyne-Tal, nördlich von Dublin. Er hatte eine Vermutung. Und dann passierte das Erstaunliche: Ein heller Strahl der aufgehenden Sonne schien plötzlich direkt durch den langen Gang bis ins Zentrum des dunklen Grabs. »Ich war vollkommen baff«, erinnerte sich O’Kelly. »Die Lichtreflektion am Boden war so hell, dass ich sechs Meter über mir die Decke sehen konnte.« Es war die Wintersonnenwende – die einzige Zeit im Jahr, in der die Sonne bis ins Grab von Newgrange hineinscheint.

Auf den Orkneyinseln im Norden Schottlands gibt es eine zweite, vergleichbare Stätte: Maes Howe. Auch in diese Megalithanlage scheint die Sonne – diesmal zu Sonnenuntergang – durch den Gang bis ins Innere. Und auch hier nur zur Wintersonnenwende.

 

Leider können wir nicht wissen, was in den Köpfen der Steinzeitmenschen vorging – doch auch in anderen Teilen der Welt gibt es vergleichbare Bauten, etwa im Chaco-Canyon in New Mexico. Die Ruinen gewaltiger Gebäude sind dort über das gesamte Tal verteilt – Unterkünfte für weit mehr Menschen, als in der unfruchtbaren Wüste überhaupt leben konnten. Viele dieser Strukturen zeigen genau in Richtung der Sonne, entweder zu Mittsommer oder zu Mittwinter. Nur: Welche von beiden war gemeint? Wie in Stonehenge sind auch hier die Steine stumm. Im Chaco-Canyon jedoch leben bis heute die Nachfahren der Erbauer auf den umliegenden Hochebenen. Jede Pueblo-Siedlung hat ihren eigenen Sonnenhäuptling, dessen Aufgabe es ist, den Verlauf der Sonne über das ganze Jahr zu verfolgen. Und im Mittelpunkt des Sonnenjahrs steht die Wintersonnenwende.

»Viele der Pueblo-Feste drehen sich um den Mittwintertag«, erklärt uns unser lokaler Führer G. B. Cornucopia, »dann müssen nämlich die notwendigen Zeremonien durchgeführt werden, damit die Sonne wieder am Himmel emporsteigt und ein neuer Jahreszyklus beginnt.« Das klingt plausibel. Den ganzen Herbst über sinkt die Sonne immer weiter herab und die Tage werden kürzer. Das erzeugt eine urzeitliche Angst, dass der lebensspendende Feuerball gänzlich verschwinden könnte. Cornucopia erzählt, dass die großen Häuser, die heute nur noch Ruinen sind, als Herbergen für die vielen Menschen gebaut worden waren, die aus dem gesamten amerikanischen Südwesten zusammenfanden, um hier das Mittwinterfest zu feiern.

Neue Funde belegen, dass Stonehenge im steinzeitlichen England eine ganz ähnliche Rolle gespielt haben muss – auch hier kamen viele Menschen im Winter zusammen, um zu feiern. Der Archäologe Mike Parker Pearson hat nicht nur Stonehenge, sondern auch umliegende Steinzeitstätten und auch die sie umgebende Landschaft untersucht. Sein Team hat die Überreste großer Siedlungen bei Durrington Walls entdeckt, im Tal unterhalb von Stonehenge. »Das ist das größte jungsteinzeitliche Dorf, das in ganz Großbritannien gefunden wurde«, sagt Pearson, »und sehr wahrscheinlich wohnten hier die Erbauer von Stonehenge.« Und auch dort wurden große Feste abgehalten. Pearsons Team hat die Überbleibsel gewaltiger Festessen freigelegt: Die Knochen von Kühen und Schweinen, zerbrochene Töpfe, in manchen noch Reste von Eintopf. Die Tiere wurden von weit hergebracht – einige aus Devon oder Cornwall, manche vielleicht sogar aus Schottland.

Wie der Chaco-Canyon war auch Stonehenge ein Anziehungspunkt für Besucher aus dem ganzen Land. Und die Knochen belegen, dass die Menschen sich »in der wilden Stadt nahe Stonehenge, wo dessen Erbauer feierten« – wie es eine Zeitung formulierte – jedes Jahr zur gleichen Jahreszeit zusammenfanden. Die Zähne der Schweine ließen eindeutig erkennen, dass die große Mehrzahl dieser Tiere im Alter von neun Monaten geschlachtet wurde. Da Schweine ihre Ferkel normalerweise im Frühjahr bekommen, legt das den Schluss nahe, dass die Menschen hier, so Pearson, im Winter zusammenkamen, am wahrscheinlichsten zur Wintersonnenwende.

Pearson erklärt in seinem Buch Stonehenge auch, warum dieses nationale Heiligtum ausgerechnet hier erbaut worden war. Hinter dem Heel-Stein fand sein Team etwas Seltsames: Eingeritzt in den steinigen Untergrund unterhalb einer dünnen Erdschicht war eine Reihe von parallelen Furchen, die auf natürliche Weise während der letzten Eiszeit entstanden waren, also Jahrtausende vor dem Bau von Stonehenge. »Hierin liegt der Grund, warum Stonehenge da ist, wo es ist«, begeistert sich Pearson. Denn diese periglazialen Linien weisen genau in die Richtung des Sonnenuntergangs am 21. Dezember. »Für die Menschen der Jungsteinzeit war dies der Ort, an dem der Untergang der Sonne am Boden markiert war; der Ort, an dem Himmel und Erde zusammentrafen.« Dieser Ort war so wichtig, dass die Menschen die Mühen auf sich nahmen, die gewaltigen Steine aus großer Entfernung hierherzubringen – und sie am Ende dieser natürlichen Sonnenlandebahn aufzustellen. »Dort errichteten sie einen abgeschlossenen Kreis«, sagt Parker, »der in seiner Gestalt natürlich die runde Form von Sonne und Mond widerspiegelt.«

Die Theorie, dass sich die Menschen hier zur Wintersonnenwende zusammengefunden haben, um die sichere Wiederkehr der Sonne zu erbitten, ist die neueste – und zugleich die wissenschaftlich am besten abgesicherte – in einer langen Reihe von Theorien, die aufgestellt wurden, um diesen großartigen Ort zu erklären. Über den Verlauf der Jahrhunderte spiegelte die jeweilige Erklärung auch den vorherrschenden Zeitgeist wider: Römischer Tempel, Opferstätte der Druiden, Kathedrale der Sonne, komplexes Observatorium, steinzeitlicher Computer – und nun also eine Kultstätte, durch die die Rückkehr der sonnigen, fruchtbaren Tage sichergestellt werden sollte. Stonehenge wirkt zuweilen wie ein Rorschachtest für die Sorgen und Vorstellungen des jeweiligen Zeitalters. Die führende britische Archäologin Jacquetta Hawkes formulierte das ganz vortrefflich: »Jede Zeit hat das Stonehenge, das sie verdient – oder sich wünscht.«

 

Momentan sieht es stark danach aus, als sei Stonehenge also wirklich ein Sonnentempel gewesen, nur eben nicht zu der Jahreszeit, zu der die meisten dort feiern. Könnten wir heute also die Erfahrung unserer steinzeitlichen Vorfahren noch einmal erleben, dann wäre es keine beschauliche Feier in einer warmen Sommernacht. Stattdessen stünden wir dort frierend an einem Winternachmittag, um uns herum die vereisten Felder, während die Sonne langsam untergeht. Aber wer weiß, vielleicht wäre dann immerhin das Wetter besser.

Kapitel 2 - Der griechische Computer

 

Man kann es nicht anders sagen: Die Reichtümer im Archäologischen Nationalmuseum in Athen sind einfach überwältigend. Eine Galerie reiht sich an die nächste, alle sind voller einzigartiger Statuen, Grabmäler und Schmuckstücke, eine der bedeutendsten Zivilisationen der Menschheit zeigt sich hier in all ihren Facetten.

Es kann also leicht passieren, dass man einen Schaukasten mit einem korrodierten Rad aus Bronze übersieht, nicht größer als eine Untertasse, daneben einige kleinere Klumpen zerbrochenen Metalls. Und doch ist der Mechanismus von Antikythera das wertvollste Stück im gesamten Museum. Er ist über 2.000 Jahre alt – und der erste funktionierende Computer der Welt.

Er wurde, genau wie die aktuellsten Rechenmaschinen der NASA, gebaut, um die Bewegungen der Himmelskörper voraussagen zu können. Der bekannte Wissenschaftsautor Arthur C. Clarke schreibt: »Der Mechanismus von Antikythera befindet sich auf einem Niveau, welches unsere modernen Technologien erst im 18. Jahrhundert erreichten; demnach muss man ihn als eine der großartigsten mechanischen Erfindungen aller Zeiten ansehen.«

Er wurde in einem antiken Schiffswrack vor der Insel Antikythera gefunden – und er hat gründlich mit der traditionellen Vorstellung aufgeräumt, dass die alten Griechen zwar großartige Denker, aber leider in praktischen Dingen zu nichts zu gebrauchen gewesen seien.

Man denke nur an den Vater der Geometrie, den frühen Philosophen Thales. Eines Nachts – es war um 600 v. Chr. –, als er auf dem Nachhauseweg über die Rätsel des Weltalls sinnierte, fiel er in einen Graben. Eine alte Frau half ihm heraus mit den Worten: »Wie kannst du erwarten, irgendetwas über die Sterne da oben zu verstehen, wenn du noch nicht mal die Erde unter deinen Füßen kennst?« Immerhin, seine Grübelei brachte dennoch ein Ergebnis: Thales realisierte, dass die Sonne, der Mond und die Planeten nicht etwa Götter waren, die da über den Himmel wanderten, sondern unbelebte Objekte. Und als Himmelskörper mussten sie den Naturgesetzen unterliegen.

Andere Kulturen jener Zeit waren da noch nicht so weit: Die Ägypter verbrachten ganze Nächte mit Ritualen, um den Sonnengott dazu zu bewegen, sich am Morgen wieder aus dem Bett zu erheben. Und auch die Astronomen von Babylon verfolgten die Bewegungen der Planetengötter am Himmel, um voraussagen zu können, was diese Götter als Nächstes für sie im Sinn hatten.

Auf Thales folgte Pythagoras, der in Süditalien eine geheime Schule gründete. Seine Schüler mussten allem weltlichen Besitz abschwören und ernährten sich zudem rein vegetarisch. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war auch, dass Pythagoras seine weiblichen und männlichen Schüler gleichberechtigt behandelte. Der berühmte Satz des Pythagoras ist nur eines der vielen Beispiele seiner Faszination für Zahlen. Pythagoras fand Zahlen in allem – selbst in dem Ton, der erklang, wenn der Schmied auf seinen Amboss schlug. Pythagoras stellte fest, dass der Ton immer tiefer wurde, je größer der Amboss war. Von dieser Entdeckung inspiriert, führte er die Harmonielehre ein, auf der etwa auch die Saitenlängen in unseren heutigen Klavieren beruhen.

Wenn schon irdische Geräte solch schöne Musik erzeugen konnten, dann mussten, davon war Pythagoras überzeugt, die Himmelskörper noch viel besser klingen. Der Mond, die Sonne und die Planeten bewegen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten über den Himmel, folglich müssen sie, so seine Überlegung, in unterschiedlichen Tonhöhen singen. Diesen himmlischen Chor nannte er Sphärenharmonie. Nur leider sei der Mensch nicht dazu in der Lage, diese Klänge wahrzunehmen – eine Idee, die sich über Jahrhunderte hielt. Selbst Shakespeare nahm darauf in Der Kaufmann von Venedig Bezug:

 

Auch nicht der kleinste Kreis, den du da siehst,

Der nicht im Schwunge wie ein Engel singt,

Zum Chor der hellgeaugten Cherubim.

So voller Harmonie sind ewge Geister:

Nur wir, weil dies hinfällge Kleid von Staub

Uns grob umhüllt, wir können sie nicht hören.

 

Für die griechischen Wissenschaftler war aber ein anderer Gedanke noch viel interessanter: Nämlich die Vorstellung, dass jeder Planet auf einer Sphäre, einer dünnen, transparenten Schale, um die Erde transportiert werde. Die Schalen für die einzelnen Planeten sowie für Sonne und Mond waren wie die Schalen einer Zwiebel ineinander geschachtelt. Der Mond war am nächsten, und der Saturn, der sich am langsamsten bewegte, war am weitesten weg.

Es gab da nur ein Problem: Die Planeten waren ein wenig eigensinnig. Zumeist bewegten sie sich im Laufe der Monate von Westen nach Osten über den Himmel. Doch manchmal änderten sie die Richtung und wanderten nach Westen. Den alten Griechen fiel eine komplizierte Lösung ein: Jeder Planet sollte an vier nahe beieinanderliegenden Sphären befestigt sein, die an den Polen miteinander verbunden waren und in verschiedene Richtungen rotierten. Und schon war die himmlische Harmonie wiederhergestellt!

Diese Vorstellung des Universums wurde 350 v. Chr. durch den größten aller Wissenschaftler endgültig festgeschrieben: Aristoteles. Seine Schule befand sich in einem Garten in Athen, genannt Lykeion (Lyzeum). Er war neben vielem anderem der erste seriöse Biologe der Welt – auch wenn er dabei manchmal danebenlag. So glaubte er zum Beispiel, dass Frauen weniger Zähne haben als Männer. Aber obwohl er zweimal verheiratet war, kam er offenbar nie auf die Idee, eine seiner Frauen zu bitten, einmal den Mund zu öffnen, auf dass er ihre Zähne zählen könne.

Doch auch das Universum faszinierte ihn und er hob die Theorie der Himmelssphären auf die nächste Stufe. Um die Bewegungen aller Gestirne ausreichend beschreiben zu können, errechnete er insgesamt 55 Schalen, alle eng beieinanderliegend und sich in unterschiedlichen Richtungen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegend. Wenn diese jetzt wirklich noch eine Melodie gesungen hätten, wäre es vermutlich eher eine Kakophonie gewesen.

Es stand jedoch eine Revolution bevor, die diese gemütlich schaukelnden Sphären und mit ihnen das ganze Universum durcheinanderwirbeln sollte. Diese Revolution ging von einem der Schüler Aristoteles’ aus – allerdings war er kein Wissenschaftler und auch kein Philosoph, sondern Soldat: Alexander der Große.

Alexander stammte, wie Aristoteles, aus Mazedonien. Der junge Heißsporn wandte sich schnell vom Studium der Philosophie ab und stattdessen der Kriegskunst zu. Er hatte ein klares Ziel: Die Eroberung der Welt. Bereits im Alter von 32 Jahren hatte er das geschafft. Alexanders Reich erstreckte sich von Griechenland ums Mittelmeer herum bis nach Ägypten und über den Mittleren Osten bis nach Indien. Er hatte eigentlich auch vor, China zu erobern, doch seine Soldaten wollten nach Hause und rebellierten. Alexander der Große starb auf dem Heimweg.

Alexander räumte mit der hochmütigen Vorstellung auf, dass die Griechen besser wären als die sogenannten Barbaren – die übrigens so bezeichnet wurden, weil die Griechen der Meinung waren, andere Sprachen klängen wie das Blöken von Schafen. Als er im Osten die dortige Kultur und Wissenschaft entdeckte, stellte er fest, dass sie, wenn auch andersartig, genauso fortschrittlich war wie die seines Heimatlandes.

Alexander betonte: »Ich unterscheide nicht unter den Menschen, so wie es die Engstirnigen tun … Für mich ist jeder tugendhafte Ausländer ein Grieche, und jeder dumme Grieche ist schlimmer als ein Barbar.«

In diesem aufklärerischen Klima fand ein großer Austausch von Wissen zwischen den Ländern statt. Die wissenschaftlichen Vorstellungen von Thales und Pythagoras wurden um eine ganze Reihe von genauen Messungen der Planetenbewegungen bereichert, die die Babylonier vorgenommen hatten. Schon seit über einem Jahrtausend beobachteten sie die Gestirne; nicht zuletzt aus astrologischen Gründen. Für sie war es unerlässlich, die Bewegungen der Planetengötter genau zu verfolgen, denn deren Positionen beeinflussten auch ihr Leben hier unten auf der Erde. Waren die Konstellationen ungünstig, konnte es zu Überschwemmungen von Tigris und Euphrat kommen; Volksaufstände drohten und die Ernten konnten verderben.

Daher verfolgten die Babylonier die Positionen der Planeten genauer als irgendjemand zuvor. Sie hielten nach regelmäßigen Mustern Ausschau und konnten auf diese Weise aus den Beobachtungen eines Jahres Voraussagen für das folgende Jahr treffen. Das klang dann etwa so: »Ist Nabu (Merkur) bei Sonnenuntergang mit Nergal (Mars) sichtbar, wird es Regen und Flut geben. Wenn Marduk (Jupiter) zu Anfang des Jahres erscheint, wird das Getreide gedeihen.«

Diese Voraussagen erforderten aber genaue Berechnungen, daher entwickelten die Babylonier eine neuartige Form der Arithmetik. Während wir in Zehnerschritten zählen (zehn, zwanzig, dreißig usw.), zählten die Babylonier damals in Sechzigerschritten. Sie unterteilten einen Kreis in 360 Grad, dann jedes Grad in 60 Minuten und jede Minute in 60 Sekunden. Diese Minuten und Sekunden bezogen sich zwar auf Winkelgrade, doch dieselbe Zählweise wurde genutzt, um eine Stunde in 60 Minuten und 3.600 Sekunden zu unterteilen – also genau die Einteilung, die wir noch heute benutzen.

Es mag sich ungewöhnlich anhören, doch diese Zählweise war äußerst genau – und die Babylonier konnten sehr präzise vorhersagen, wo die Planeten stehen würden. Für die Griechen brachte das allerdings ein Problem mit sich: Die verschachtelten Sphären des Aristoteles passten nicht zu dieser Denkweise. Was sollten sie also tun?

 

Nun, es scheint, als ob genau dies der Teil der Geschichte ist, der neu geschrieben werden muss – und zwar wegen des Mechanismus von Antikythera. Hätten wir dieses Buch vor einigen Jahren geschrieben, hätten wir von einem sehr klugen Astronomen erzählt: Hipparchos, der auf der Insel Rhodos lebte, hatte die Lösung für das Problem gefunden. Um 150 v. Chr. herum erstellte er die erste präzise Karte der 850 hellsten Sterne. Dabei stellte er fest, dass die Erdachse langsam hin- und herschwingt – folglich ist der Stern, der für Hipparchos den Norden markierte, nicht der gleiche Polarstern wie für uns heute. In Bezug auf die Planeten verwarf Hipparchos die Himmelssphären vollständig und kam – so dachte man zumindest bisher – auf eine vollkommen neue Idee. Die Geschichtsschreiber sprachen von ihr als herausragendem Beispiel einer rein auf mathematischer Berechnung basierender Errungenschaft – sozusagen ein einzigartiger Fall von griechischem Geektum.

Man denke nur an den Planeten Mars. Hipparchos sagte, seine Umlaufbahn sei im Grunde ein gewaltiger Kreis um die Erde. Jedoch befinde sich der Planet selbst nicht auf diesem Kreis; vielmehr sei er am Rande eines kleineren Kreises befestigt – dem sogenannten Epizykel –, der wiederum auf dem größeren Kreis entlangwandert. Man kann sich dies vorstellen wie auf einem Jahrmarktkarussell. Auf bestimmten Modellen sitzt man in einem Wagen, der sich beständig um sich selbst dreht (wie Hipparchos’ Epizykel), dabei zugleich jedoch in einem großen Kreis um die Mittelachse des Karussells kreist. Der Anlagenbediener in der Mitte sieht den Besucher nun manchmal vorwärts, manchmal rückwärts fahren – genau so, wie wir den Planeten Mars über den Himmel wandern sehen. Hipparchos’ neue Ideen wurden später komplett von einem anderen einflussreichen Intellektuellen übernommen und verfeinert – Claudius Ptolemäus. Die Folge war, dass dieses geniale Modell als ptolemäisches Weltbild für die nächsten 1.400 Jahre unangefochten das Denken der Menschen beherrschte – bis Nikolaus Kopernikus die Sonne ins Zentrum rückte (wir werden das in Kapitel 4 wieder aufgreifen).

 

Die Zeitbombe, die dieses stimmige Bild der Geschichte zum Einsturz bringen könnte, tauchte – im wörtlichen Sinne – im Jahre 1900 auf. In der Nähe der Insel Antikythera waren Taucher in der Tiefe auf der Suche nach wertvollen Schwämmen. Doch sie fanden etwas viel Wertvolleres. »Da unten ist ein Haufen nackter Frauen!«, rief Elias Stadiatos, als er nach seinem Tauchgang wieder an die Oberfläche kam. Sein Kapitän schaute selbst nach und kam mit dem Arm einer Bronzestatue wieder nach oben. Die Taucher waren auf ein altes Schiffswrack voller unglaublicher Schätze gestoßen. Es gab Statuen von Menschen und Pferden aus Bronze und Marmor, dazu große Vorräte an Wein und Schmuck. Wahrscheinlich von den Römern in Kleinasien erbeutet, befand sich diese wertvolle Fracht auf dem Weg nach Italien, als sie gegen 70 v. Chr. sank.

Mechanismus von Antikythera