Mila Summers

Zum Küssen verführt

Über das Buch:

Niklas ist Junggeselle und denkt gar nicht daran, etwas an seinem Leben zu verändern. Über die Waschlappen in seinem Freundeskreis, die nun Väter geworden sind und unter der Fuchtel ihrer Ehefrauen stehen, macht er sich nur lustig. Als ihn eine Wette für eine Woche an die vier Frauen seiner Kumpels bindet, glaubt er noch, die Zügel fest in der Hand zu halten.

Frisch getrennt macht sich Phoebe, die Leadsängerin einer Band, an die Côte d’Azur auf. Dort soll sie in einem Luxushotel französische Chansons zum Besten geben. Nur dumm, dass sie die Sprache gar nicht beherrscht. Wie gut, dass der Gast mit den vier Frauen im Schlepptau ihr tatkräftig unter die Arme greift – und auch vor ihrem Herzen nicht haltmacht. Aber ist Niklas wirklich ein Traummann?

 

Über die Autorin:

Mila Summers, geboren 1984, lebt mit ihrem Mann und der kleinen Tochter in Würzburg. Sie studierte Europäische Ethnologie, Geschichte und Öffentliches Recht. Nach einer plötzlichen Eingebung in der Schwangerschaft schreibt sie nun humorvolle Liebesromane mit Happy End und erfreut sich am regen Austausch mit ihren LeserInnen.

Zum Küssen verführt ist der fünfte Band der Kurzromanserie, die in Chicago spielt.

Bisher erschienen:

Küss mich wach (Band 1 der Tales of Chicago)

Vom Glück geküsst (Band 2 der Tales of Chicago)

Ein Frosch zum Küssen (Band 3 der Tales of Chicago)

Küsse in luftiger Höhe (Band 4 der Tales of Chicago)

Zum Küssen verführt (Band 5 der Tales of Chicago)

 

Weitere Bücher der Autorin:

Manhattan Love Stories

Irresponsible Desire (Band 1)

Irrepressible Desire (Band 2)

 

Vielleicht klappt es ja morgen. Liebe in (wahlweise Hamburg, Leipzig, Wien oder Würzburg)

Rettung für die Liebe (Band 4 der Sieben Sommersünden, ein Projekt mit sechs weiteren Autorinnen und Autoren)

Schneegestöber (Charitybuch für die Stiftung Bärenherz in Wiesbaden)

      

Alle Teile sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Allerdings gibt es ein Wiedersehen mit den Protagonisten der vorhergehenden Bücher.

 

 

 

 

 

MILA

SUMMERS

 

Zum Küssen verführt

Kurzroman

Band 5

 

Tales of Chicago


 










 


Deutsche Erstauflage August 2016

Copyright © Mila Summers

Lektorat: Dorothea Kenneweg

Korrektorat: SW Korrekturen e.U.

Covergestaltung: Nadine Kapp

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, bedürfen der Einwilligung der Autorin.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

mila.summers@outlook.de

Inhaltsverzeichnis

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

Danksagung

Weitere Bücher der Autorin

Verlagsbuch bei Lago – Liebe in deiner Stadt

Kapitel 1

 

Jeder Teenie wünscht sich ein Leben als Rockstar. Ausschweifende Partys, die Nacht zum Tag machen und am nächsten Morgen bis in die Puppen schlafen. Aber was es heißt, ständig auf Tour zu sein, einen nächtlichen Auftritt nach dem anderen zu absolvieren, darüber redet irgendwie keiner.

Wieder mal war eine Beziehung an meinem unsteten Lebenswandel gescheitert. Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte: Daran war nicht zu rütteln.

Das Wasser des Hudson Rivers lag ruhig vor mir. Nur die Ausläufer der Fähre, die gerade eben an der Anlegestelle am Battery Park angekommen war, erzeugten ein paar kleine Wellen.

Das rege Treiben zur Rushhour war bereits abgeebbt. Nur wenige Passagiere stiegen auf das Schiff, das sie nach Hause bringen würde. Außer ein paar handzahmen Eichhörnchen war kaum mehr eine Menschenseele zu sehen.

»Yeah, Mann, der Beat ist gut. Jetzt noch Phoebes Stimme drüber und mir geht einer ab.«

Männer. Meine sieben Bandkollegen saßen voller Eifer bei einer gemütlichen Jamsession hinter mir auf der Wiese, während ich den Finger immer tiefer in die Wunde grub und mir alte Bilder auf dem Laptop ansah.

Bilder, auf denen die letzten Monate in Farbe gebannt waren. Schöne, sonnige Momente, auf denen mein Freund – pardon, Exfreund – und ich mit der Kamera um die Wette lachten.

Einzelne Tränen liefen mir über die Wange. Viele dieser Aufnahmen waren Zeugnis unserer wenigen Treffen, die dann so intensiv wie sonst kaum etwas in meinem Leben gewesen waren.

»Hey, Phoebe, komm zu uns rüber! Trübsal kannst du auch morgen blasen. Wir haben dir einen echt fetten Text gebastelt.«

Ich will nicht sagen, dass meine Bandkollegen gefühlskalte Arschlöcher wären. Nein, das war auch in keiner Weise der passende Ausdruck für sie. Nur so viel: Manchmal hätte ich mir wirklich etwas mehr weiblichen Beistand gewünscht. Jemanden, der verstand, wenn es einem scheiße ging, und der einen einfach mal in die Arme nahm, ohne über den Liebeskummer, den man ganz offensichtlich hatte, hinwegzusehen.

»Mir ist nicht nach Musik«, antwortete ich schließlich wahrheitsgetreu, während ich den Blick nicht von der Diashow meines Fotoprogramms lösen konnte.

Dabei bohrte sich der Finger bei jedem einzelnen dieser Beweismaterialien aus besseren Zeiten immer tiefer in meine Wunde. Selbstkasteiung war nicht meine Art, aber mit Ben hätte ich mir durchaus eine Zukunft vorstellen können. Etwas Längerfristiges, das mich vielleicht sogar dazu bewogen hätte, mit dem ewigen Reisen aufzuhören, sesshaft zu werden und endlich irgendwo anzukommen.

»Was?«

»Du hast mich schon ganz richtig verstanden, Christopher. Mir ist jetzt nicht nach jammen zumute.« Warum war ich überhaupt mit in den Park gegangen? Was hatte ich mir nur davon versprochen, vor unserer Abreise ausgerechnet den Ort noch ein letztes Mal aufzusuchen, an dem mich Ben eiskalt abserviert hatte?

Vielleicht wollte ich es einfach nicht wahrhaben?

»Phoebe, jetzt hab dich nicht so. Der Typ war ein absoluter Langweiler.« Nun meldete sich auch noch Eugene zu Wort.

Sonnenuntergang am Pier 17. Was für eine traumhaft schöne Kulisse. Ben hatte ein Selfie von uns beiden gemacht, auf dem er lediglich unsere Nasen eingefangen hatte. Ich musste schmunzeln, obwohl mir zum Heulen zumute war.

»Phoebe, jetzt komm doch! Wir haben den Groove gerade so schön raus. Kannst du es nicht hören? Nur fünf Minuten. Danach kannst du dich wieder deinem Herzschmerz hingeben. Die Sonne geht doch gleich unter. Dann sehen wir hier nichts mehr. Komm schon!«

Da plötzlich erschien auf meinem Display ein Foto, das mir auf den ersten Blick nicht bekannt vorkam. Bei rund zweihundert Bildern konnte man sich sicher nicht an jedes einzelne erinnern. Noch zudem, da ich mir erst vor einigen Tagen ein paar der Fotos von Bens Handy auf den Laptop gezogen hatte.

Ich unterbrach die Diashow und vergrößerte die Aufnahme.

»Dieser Mistkerl!«, schrie ich auf, als ich mir ganz sicher war: Die Frau auf dem Foto, die Ben ganz fest in seine Arme zog und so innig küsste, als gäbe es kein Morgen, war definitiv nicht ich.

Wütend starrte ich noch einen Augenblick länger auf das Puzzleteil, das mir plötzlich Gewissheit verschaffte und das Warum? in meinem Kopf einem Darum! weichen ließ. Die vollbusige Blondine war wohl der Grund für Bens überstürzte Trennung und seine Bekundung, dass es nicht an mir liegen würde.

Ryan schlich sich leise wie ein Schatten an mich ran und verkündete mit Grabesstimme: »Der Typ war eh nicht der Richtige für dich. Ich weiß beim besten Willen nicht, was du an dem Kerl fandest.«

»Weißt du was? Ich auch nicht!«

Ich sprang auf, schnappte den Laptop mit den Fotos und warf ihn mit Schwung in den Fluss. Natürlich hätte ich die Bilder mit Ben darauf einfach löschen können. Meine impulsive Herangehensweise war vielleicht nicht unbedingt gut durchdacht.

Doch in diesem Moment wollte ich alles, was ich mit ihm verband, einfach nur loswerden. Schließlich war das Teil ein Geschenk von ihm gewesen, damit wir während meiner Abwesenheit via Skype face to face telefonieren konnten.

»Okay, Leute. Lasst uns Musik machen!«


Kapitel 2

 

 

»Hey Jungs, wer möchte noch eine Runde Tequila mit mir trinken? Ich bin heute so in Tequila-Laune. Niklas, wie schaut’s aus?«

Gekonnt gelassen schwenkte ich das Glas in meiner Hand. Der bernsteinfarbene Single Malt darin schimmerte unnatürlich grell, angestrahlt durch die Abendsonne über dem Lake Michigan. Der große, hagere Barkeeper hinter der Strandbar hatte heute allerhand zu tun. Schließlich hatten die Jungs in meinem Schlepptau einiges nachzuholen.

Mitch feierte das erste Mal seit einer Ewigkeit ausgelassen mit uns und hatte eigens dafür die Location an dem weißen Sandstrand, nebst Barkeeper, angemietet. Seit seine Kinder und die Kinder seiner Kumpels auf der Welt waren, war kaum mehr Zeit für diese ungezwungenen Herrenabende gewesen, bei denen man einen über den Durst trank und am nächsten Tag die Quittung dafür kassierte.

Was für ein Jammer, dass mein Cousin, mit dem ich früher auf jeder Party für gute Stimmung gesorgt hatte, den Bund fürs Leben hatte eingehen müssen, anstatt weiterhin dieses sorglose Leben mit mir zu teilen, das ich nach wie vor nicht gewillt war aufzugeben.

Mitch legte seinen Arm schwer auf meine Schultern und zog mich dabei fast vom Hocker. Er schien den Alkohol nicht mehr so gut zu vertragen wie früher, schwankte unnachgiebig zu allen Seiten und krallte sich schließlich am Tresen fest.

»Lass gut sein, Mitch. Ich denke, es ist genug für heute«, stimmte ich vernünftige Töne an. Wie konnte es nur so weit kommen, dass ich meinem älteren Cousin sagen musste, wo seine Grenzen lagen? Sonst war es doch immer umgekehrt gewesen: Ich fand nie das rechte Maß, während er immer alles im Griff hatte. Verkehrte Welt!

»Pah, ich kann mindestens noch fünf Tequila. Wenn nicht sogar sechs.« Abermaliges heftiges Schwanken setzte ein und ließ mich an die stürmische Überfahrt von Key West nach Kuba von vor einigen Wochen denken, bei der ich mein Innerstes nicht nur einmal nach außen gekehrt hatte.

»Hey, ihr beiden, was ist denn jetzt mit der nächsten Runde?«, fragte Brian, Mitchs Kollege aus der Kanzlei, über den Tresen hinweg.

Auch er schien bereits jenseits von Gut und Böse zu sein. Sein gläserner, unkoordinierter Blick sprach Bände.

Herrgott, diese Kerle waren alle total verweichlicht. Wenn ich mir die vier jämmerlichen Gestalten so ansah, dann war ich überzeugter denn je von meiner These: Die Ehe macht aus einem gestandenen Mann ein hilfloses Baby. Das würde mir nie passieren.

Da verbrachte ich lieber zwei Monate im brasilianischen Dschungel, nur bewaffnet mit einer Machete, um mich gegen die Raubtiere zu verteidigen. Welche Mittel standen den vier domestizierten Exemplaren meiner Art schon zur Verfügung, um sich gegen ihre Herrchen zu erheben, die sich ihre Ehefrauen schimpften?

»Mist, verdammter! Ich habe ganz vergessen, den Windeleimer zu leeren. Wenn Miranda das morgen sieht, blüht mir eine gewaltige Standpauke.«

Betretene Stille setzte ein, als Noah sein Whiskeyglas laut scheppernd auf dem kleinen Tisch vor sich abstellte.

»Komm schon, Noah, das ist doch jetzt nicht dein Ernst, oder?« Ich versuchte die beklemmende Stimmung aufzuheitern, während ich lächelnd in die Runde blickte und mir Zuspruch von den anderen Männern erhoffte. Fehlanzeige.

Anstatt mir beizupflichten, senkten Mitch, Brian und Liam lieber kollektiv den Kopf. Die gestandenen Herren, die in ihrem Berufsleben jede noch so furchteinflößende Situation mit Bravour meisterten, standen vor mir wie begossene Pudel, die man vergessen hatte zu föhnen.

»Hey, Leute, ist gerade jemand gestorben? Ihr steht da, als würde die Welt untergehen. Hallo? Noah hat nur vergessen, diesen beschissenen Eimer auszuleeren. Was soll denn schon Schlimmes passieren?«

Der zischende Laut, der daraufhin die Runde machte, erinnerte mich irgendwie an Tante Heathers Teekessel. Der klang genau so, wenn man ihn auf dem Herd vergessen hatte und er bedrohlich nahe davorstand, zu explodieren.

»Niklas, das verstehst du nicht.« Mitch hing noch immer an mir wie ein nasser Sandsack, der im Begriff war, im nächsten Moment einfach umzufallen. Unbeholfen versuchte er mir auf die Schulter zu klopfen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Wenn du verheiratet wärst und Kinder hättest, wüsstest du, dass es Dinge gibt, die ein Vater unbedingt erledigen sollte, wenn seine Frau, die Mutter seiner Kinder, ihn darum bittet. Vor allem, wenn sie seit Monaten keine Nacht mehr durchgeschlafen hat und ihr zuckendes Augenlid dich jeden Tag daran erinnert, mit was für einer tickenden Zeitbombe du zusammenlebst.«

Ehrfürchtiges Raunen ging durch die Runde. Das verhaltene Nicken der umstehenden Waschlappen, die ich einst als gestandene Männer kennenlernen durfte, und ihr betretener Blick ließen mich an meinem Entschluss, nie eine Frau zu ehelichen, festhalten.

Noah rettete als Feuerwehrmann unter Einsatz seines Lebens Menschen, die in Not geraten waren. Mitch und Brian verteidigten ihre Mandanten vor Gericht, wenn es sein musste, bis aufs Blut und Liam war ein knallharter Geschäftsmann. Was war nur aus ihnen geworden?

»Also mir wird das nie passieren. Eine Frau wird aus mir keinen willenlosen Zombie machen.« Ich verschränkte siegessicher die Arme vor der Brust, Mitch kam dabei bedrohlich ins Wanken und schlug nun beide Hände fest auf den Tresen.

Der Barkeeper, der aufgrund der plötzlichen Auftragsknappheit zur Untätigkeit verdammt war, schien sich prächtig über unseren Wortwechsel zu amüsieren.

»Also, isch freu misch schon auf den Tag, wenn disch eine Frau rumkriegt. Hicks.«

Liams Zeigefinger deutete während seiner lallenden Rede vermutlich in meine Richtung. So genau war das wegen seiner unkoordinierten Bewegungen leider nicht auszumachen.

»Das wird nie passieren«, presste ich zwischen meinen fest zusammengekniffenen Lippen hindurch, während sich meine Hände zu Fäusten ballten.

Mitch fing plötzlich schallend zu lachen an. »Niklas, irgendwann kommt auch für dich mal der Tag, an dem du sehen wirst, wie das Leben wirklich funktioniert.« Etwas ernster setzte er noch hinzu: »Du kannst nicht ewig deinen Rucksack packen und einfach abhauen, wenn dir hier alles zu viel wird oder du einfach keine Lust mehr hast, deinem Job an der Tankstelle, im Schnellrestaurant oder als Barista nachzugehen. Werd endlich erwachsen!«

Wie ich diesen Spruch hasste.

»Bist wohl neidisch auf mein sorgloses Leben. Hm?« Ich funkelte Mitch böse an, und hätte mich Brian nicht zurückgehalten, dann wäre dieser sicher nicht so glimpflich davongekommen. Das war mein wunder Punkt. Mitch wusste das.

»Also, ich sehe das ja so: Wenn einer die Frau fürs Leben findet, gut. Wenn nicht, dann nicht. Tequila?«, meldete sich der schlaksige Mann hinter dem Tresen unerwartet zu Wort. Trotz des wenig tiefgründigen Inhalts war seine Message bei mir angekommen. Während er seinen Kaugummi von einer Seite zur anderen schob, wedelte er vielsagend mit der Flasche in seiner Hand.

»Also, was ist jetzt? Tequila für alle?«, rief Liam, nahezu ohne zu lallen.

Mitch stand noch immer reglos da, während er mir tief in die Augen sah. Wir beide wussten nur zu genau, was mich davon abhielt, erwachsen zu werden, Verantwortung zu übernehmen.

»Ich weiß, dass dir die Sache von damals noch immer nachhängt. Aber du konntest doch nichts dafür, du …«

»Du weißt gar nichts. Lass mich mit den alten Kamellen in Ruhe!«, zischte ich ihn wutschnaubend an. Ich hatte große Mühe, mich zurückzuhalten. Bei diesem Thema sah ich rot. Darüber wollte ich weder mit Mitch noch mit sonst jemandem reden.

Brian kam mit drei randvoll gefüllten Gläsern auf uns zu. Der Inhalt hatte sich bereits weitestgehend auf dem Sand unter uns ergossen.

»Heute schauen wir nur nach vorne. Was meinst du?«

Mitch hatte gut reden. Wie sollte ich denn in eine Zukunft blicken, wenn mich die Schatten der Vergangenheit einfach nicht loslassen wollten?

Während Brian nun auch noch den Rest zielsicher im Sand verschüttete, klarte sich sein Gesicht plötzlich auf. »Niklas, du solltest mal sehen, wie das so ist als verheirateter Mann.«

»Ich denke nicht, dass …« Mitch erhob das Wort, um dem, was nun kommen würde, Einhalt zu gebieten. Umsonst.

»Nein, nein. Jungs, kommt mal schnell rüber!«, schrie Brian euphorisch. Liam und Noah reckten ihre tief über den Tresen gebeugten Köpfe in unsere Richtung. Es war ihnen deutlich anzusehen, dass schnell für sie heute sicher keine Option mehr war.

»Was gibt’s?«, meldete sich Liam schließlich zu Wort, als sie die wenigen Meter nach einer gefühlten Ewigkeit endlich überwunden hatten.

Die beiden standen bei uns, als wären wir nicht am Strand, sondern auf hoher See mitten in einen heftigen Seegang geraten.

»Unsere Frauen wollen doch gemeinsam verreisen«, begann Brian schließlich, von seiner Idee zu erzählen.

»Erinnere mich nicht daran!« Mitch legte sich theatralisch die Hand auf die Stirn, während Liam versuchte, ihm aufmunternd auf den Rücken zu klopfen, ihn dabei verfehlte und mit dem Gesicht voraus im Sand landete.

Mitch reichte ihm die Hand, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Erfolglos. Auch er sah sich wenige Sekunden später dicht neben seinem Kumpel auf dem Boden wieder.

»Coole Sache. Setzen wir uns doch alle hin. Ist doch viel gemütlicher, als zu stehen.« Verschwörerisch blickte Brian sich in der Runde um, senkte sich langsam in die Hocke und fiel dabei beinahe vornüber.

»Spuck schon aus, was du zu sagen hast. Mir reicht es jetzt echt mit euch. Ich kann meine Zeit durchaus besser nutzen, als mit euch Spinnern abzuhängen.«

»Ach ja? Im Dschungel von Papua-Neuguinea vielleicht? Einsam und allein unter Affen? Geh doch! Das sind doch die Einzigen, die deine Gegenwart noch ertragen.« Mitchs ungewohnt feindselige Worte waren sicher dem Alkohol geschuldet, dennoch trafen sie mich bis ins Mark. Noch nie hatte er so klar zu verstehen gegeben, was er von mir hielt.

Bisher hatte er mein Vagabundendasein gegenüber der Verwandtschaft, insbesondere Tante Heather, immer verteidigt. Dabei hatte ich oft diese Sehnsucht in seinen Augen gesehen, die von seinem eigenen Fernweh zeugte.

Entweder hatte ich mir das nur eingebildet oder Mitch hatte seine Meinung von Grund auf geändert. Zähneknirschend musste ich daran denken, dass sicher sein neues Spießerdasein als Ehemann und Vater ihn dazu bewog, so zu reden.

»Jetzt beruhigen wir uns erst mal wieder. Mann, ihr führt euch ja schlimmer auf, als wenn Drew ihre Tage hat. Wir sind doch Männer und keine Memmen.«

»Wusstet ihr, dass sich der männliche Hormonhaushalt dem der Frau anpasst? Es gibt durchaus Studien, die belegen, dass Männer auch ihre Periode haben. Ich bin mir nicht ganz sicher, wo ich es gelesen habe, aber …«

Liams Gesülze bereitete mir arge Kopfschmerzen. Wenn ich auch nur noch einen Moment länger dazu verdammt war, dieses absolut hirnrissige Gerede zu ertragen, drohte mir der Kragen zu platzen. 21, 22, 23 … Immer noch keinen Deut besser.

»Brian, sag, was du zu sagen hast. Dann hau ich ab und ihr seht mich so schnell nicht wieder.« Das war sicher die beste Lösung, da ich bereits im Begriff war, die Kontrolle über mich zu verlieren.

»Och, du hast ja nur Angst, dass du es nicht schaffst. Vielleicht sollte ich doch lieber nicht …«

»Was soll ich schaffen? Raus jetzt mit der Sprache! Was ist es?« Nun hatte er mich doch neugierig gemacht.

»Ich wette, dass du es nicht schaffst … hicks … eine Woche mit unseren vier Frauen zu verbringen.«

»Das ist ja lächerlich.«

»Wenn du eine Woche mit unseren Frauen überstehst, bekommst du fünftausend Dollar von uns und darfst uns bis an dein Lebensende damit aufziehen, was für Memmen wir in deinen Augen doch sind. Also, Deal?«

Ich war bereits im Begriff, aufzustehen und das Weite zu suchen, als ich die Summe in meinem Geiste ganz deutlich in Neonfarben an einem einarmigen Banditen vor mir sehen konnte. Jackpot! Womöglich war das die Chance, auf die ich gewartet hatte, um mir endlich den Flug für meinen nächsten Trip nach Südamerika leisten zu können.

»Also, fünftausend Dollar sind ’ne Menge Holz. Wie teilen wir das denn durch vier und überhaupt, was haben wir denn davon?«

Liam, der harte Geschäftsmann, schien im Suff wirklich gar nichts mehr auf die Reihe zu bringen. Blieb nur zu hoffen, dass er morgen keine wichtigen Termine hatte. In seinem jetzigen Zustand war er definitiv nicht zurechnungsfähig.

»Liam, Niklas könnte ein bisschen aufpassen, dass unsere Frauen keinen Blödsinn anstellen. Meine Kreditkarte hat in den letzten Monaten ganz schön geglüht. Außerdem fände ich es gut, zu wissen, was die vier alleine treiben. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie ohne uns unterwegs sind. Ihr kennt doch den Spruch: Wehe, wenn sie losgelassen!«

Liam begann herzhaft zu lachen. »Niklas wird es nie und nimmer gelingen, eine Woche mit unseren Prachtweibern auszuhalten. Der wird schon nach zwei Tagen darum betteln, dass wir ihm ein Ticket nach Hause schicken.« Schallendes Gelächter setzte ein.

Mein Blut kochte, während ich in die überheblich dreinblickenden Gesichter starrte. Reihum saßen sie alle da auf dem beschissenen Pseudo-Südseestrand mit der Chicagoer Skyline im Rücken und machten sich über mich lustig.

Doch Moment mal: »Was meinst du mit Ticket nach Hause

Brian lachte süffisant auf. »Na, von mir aus kannst du auch über den Atlantik schwimmen.« Das kehlige Lachen der anderen Schnapsdrosseln fügte sich nahtlos ein, während es mir langsam dämmerte.

»Nur über meine Leiche! Ich fahre nie und nimmer mit diesen vier göttlichen Plagen in den Urlaub. Da könnt ihr euch auf den Kopf stellen. Das mache ich nicht.«

»Zehntausend amerikanische Dollar. Das ist aber mein allerletztes Angebot«, hörte ich Brian laut und deutlich sagen.

»Hey, bist du verrückt! Hast du im Lotto gewonnen oder warum willst du dem Kerl das Geld so in den Rachen schmeißen?« Liam war offensichtlich doch noch bei klarem Verstand.

»Ich will dem Wichtigtuer hier mal eine Lektion erteilen. Wenn ihr nicht wollt, dann übernehme ich auch allein die Summe. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass er es nicht einmal im Urlaub mit den vier Frauen aushalten wird.«

»Ich bin gerne mit meinem Anteil dabei. Nach der Sache mit den Anschlägen in Europa würde ich mich besser fühlen, wenn die Mädels begleitet würden. Irgendwie wäre mir wohler dabei«, erwiderte Noah sichtlich besorgt.

»Stacy lässt in letzter Zeit so komische Sprüche los. Außerdem hat sie sich ein neues Parfüm gekauft und einen Termin im Spa vereinbart. Das gefällt mir nicht. Besser, Niklas hat ein Auge auf sie.«

Langsam, aber sicher begann ich einzuknicken. Das war für mich eine Stange Geld, an die ich auf legalem Wege so schnell nicht rankommen würde. Für die vier Jungs war es hingegen ein Klacks. Die zahlten das sicher aus der Portokasse.

Allein um mir die nächste Reise finanzieren zu können, würde ich zwei Monate meines Lebens damit vergeuden müssen, übellaunigen Geschäftsmännern einen laktosefreien Sojacappuccino mit extra viel Schaum zu kredenzen. Beim Gedanken daran lief mir ein Schauer über den Rücken.

Nun war guter Rat echt teuer. Welche Horrorszenarien mit den vier Damen waren denn denkbar? Was störte mich überhaupt an Stacy, Drew, Emily und Miranda?

Im Grunde mochte ich die Ladys echt gerne. Bevor sie zu den Übermamas mutiert waren, die jedem Staubkorn schon bei der Entstehung den Kampf ansagten, waren sie eigentlich ganz okay gewesen.

Dennoch gab es ein paar Dinge, die mich auf die Palme brachten: ständige Bevormundung (hier war Stacy ein besonders hartnäckiger Fall), der Zickenterror (Emily und Miranda kabbelten sich für meine Verhältnisse eine Spur zu oft um Nichtigkeiten) und dieses nörgelige Getue von Drew ließen mich nun nervös innehalten.

»Was ist mit den Kindern?«, fragte ich schließlich aus einem Reflex heraus, während ich mir auf die Unterlippe biss.

»Die bleiben hier.« Brian funkelte mich schelmisch an, während er mir die Hand hinstreckte. »Was ist jetzt? Deal?«

Ich hielt für einen Moment die Luft an, meine Gedanken konnte ich auf die Schnelle nicht sortieren, dafür herrschte ein viel zu großes Durcheinander in meinem Kopf. Der Alkohol in meinem Körper und die Tatsache, dass ich es diesen Waschlappen, die doch glaubten, so viel besser zu sein als ich, mal so richtig zeigen wollte, ließen mich schließlich einschlagen.

»Abgemacht. Wann geht es los?«

Kapitel 3

 

 

Mit dem schlimmsten Kater meines Lebens erwachte ich an diesem sonnigen Freitagmorgen. Der Tag war im Gegensatz zu mir noch taufrisch. Was hatte mich bitte dazu bewogen, um sechs Uhr dreißig die Augen aufzuschlagen?

Oh, da war er wieder: dieser schrillende Gleichklang meines Weckers, der mich davon überzeugen wollte, endlich aufzustehen. Besser wäre es. Schließlich hing mein Job davon ab, dass ich pünktlich zur Schicht erschien.

Ernie war ein gutmütiger alter Mann. Allerdings wäre der Besitzer des Franchise-Kaffeeladens unweit des Millenium Parks sicher nicht begeistert, wenn ich mich in ein und derselben Woche bereits zum zweiten Mal verspäten würde.

Während mein Geist guten Willen bekundete, verweigerte mein Körper nachhaltig und erfolgversprechend die Zusammenarbeit.

»Alter, sorg endlich dafür, dass dieses beschissene Ding aufhört zu klingeln! Ich hab ein Mädchen bei mir.« Der scheppernde Laut, den das vehemente Klopfen meines Mitbewohners Julian an meiner Tür verursachte, zusätzlich zu dem schrillen Geräusch gleich neben meinem Ohr, trieb mich beinahe in den Wahnsinn.

Mein Kopf stand kurz davor, zu platzen. Wie würde Onkel Simeon jetzt sagen: Der letzte Schnaps war schlecht. Oder es war neben den fünfzehn anderen (womöglich waren es auch mehr, so genau konnte ich irgendwann nicht mehr zählen) vielleicht einfach einer zu viel gewesen. Wer weiß?

Mit fest zusammengekniffenen Augen tastete ich auf gut Glück nach meinem Wecker, schaffte es sogar, ihn auszustellen, und drehte mich schließlich genüsslich auf die andere Seite.

Doch Julian war nicht so leicht abzuwimmeln. »Schau zu, dass du deinen Hintern endlich aus den Federn kriegst. Du schuldest mir noch zwei Monatsmieten.« Ja, er war wirklich die Güte in Person, nie herrisch oder zickig. Nein, vielleicht eine Spur zu dominant für meine Verhältnisse, aber im Grunde ein guter Kerl. Also, bestimmt ganz tief in seinem Herzen. Manchmal.

Womöglich auch nicht. Was machte ich mir da eigentlich für Gedanken? »Verpiss dich, Julian! Ich habe heute die Spätschicht«, log ich, in der Hoffnung, ihn endlich von meiner Zimmertür wegzulocken.

»Willst du mich eigentlich verarschen? Dein Dienstplan hängt im Gang gleich neben der Kommode. Außerdem sind wir Kollegen. Hast du das durch deinen Vollrausch heute Nacht vergessen? Komm endlich in die Pötte! Von deinem Reiseblog kannst du die Miete nicht zahlen.«

Nein, das hatte ich natürlich nicht. Die Wahrheit war viel naheliegender: Ich war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, während in meinem Schädel eine ganze Armada tosender Footballfans gegen meine Schläfen hämmerte.