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Westend Verlag

Ebook Edition

Stephan Hebel

Sehr geehrter AfD-Wähler,
wählen Sie sich nicht unglücklich!

Ein Brandbrief

Westend Verlag

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-670-5

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2016

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Vom selben Autor außerdem erhältlich
Vorwort
Sehr geehrter AfD-Wähler,
Was will die AfD wirklich?
Sind die Flüchtlinge an allem schuld?
Wer soll das bezahlen?
Globalisierung: Bedrohung oder Auftrag?
Fremd im eigenen Land?
Anmerkungen

Vorwort

Die Idee zu diesem Brief ist am Abend des 4. September 2016 entstanden. Die AfD hatte bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern mit 20,8 Prozent den zweiten Platz erobert, hinter der SPD und noch vor der CDU. Ich hatte hier und da schon über die »Alternative für Deutschland« recherchiert und war immer wieder zu dem Ergebnis gekommen: Diese Partei propagiert nicht nur ein Wirtschafts- und Sozialsystem, über das manche ihrer Fans sich wundern würden, käme es je zur Geltung. Sie hat nicht nur ein Problem mit Bürgerfreiheit und Toleranz für Minderheiten. Vor allem ist ihr Welt- und Gesellschaftsbild im Kern rassistisch, denn es basiert auf ethnischer Homogenität der Nation und einer möglichst weitgehenden Ausgrenzung fremder Menschen und Kulturen.

Aber die Wählerinnen und Wähler? Unter ihnen befinden sich natürlich auch Menschen mit einem geschlossenen rechten bis rechtsextremen Weltbild. Aber alle sind das sicher nicht. Viele teilen die Ziele der AfD nicht, sondern wollen nur gegen die »Etablierten« protestieren.

Ich bin sicher: Dieser Teil der AfD-Wähler ist für demokratische Alternativen zur herrschenden Politik, an der auch ich viel auszusetzen habe, nicht verloren. Und deshalb habe ich an jenem 4. September überlegt, sie in einer Art offenem Brief direkt anzusprechen. Ihnen ein paar Argumente dafür an die Hand zu geben, dass sich am Ende selbst unglücklich wählt, wer der AfD seine Stimme gibt.

Dieser Brief erschien, wesentlich kürzer, zwei Tage nach der Landtagswahl in der Frankfurter Rundschau. Die Reaktionen waren so zahlreich, dass ich mich ermutigt fühlte, ihn in stark ausgebauter Form als Büchlein zu veröffentlichen.

Mein Appell ist also einerseits für diejenigen gedacht, die sich mit dem Gedanken tragen, ihren Protest an die AfD zu verschenken. Es soll aber zugleich allen anderen sachliche Argumente an die Hand geben, um den Parolen der selbsternannten »Alternative« etwas entgegenzusetzen.

Ein kleiner Hinweis dazu: Daran, den Parolen der AfD etwas entgegenzusetzen, arbeitet auch die von Parteien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen getragene Initiative »Aufstehen gegen Rassismus«. Sie hat sich unter anderem vorgenommen, »Stammtischkämpferinnen und -kämpfer« mit Tipps und Argumenten zu versorgen, um sie im täglichen Widerspruch zu stärken. An dieses Projekt geht mein Honorar für die ersten tausend Exemplare dieses Büchleins als Spende. Näheres zu der Initiative finden Sie unter www.aufstehen-gegen-rassismus.de, zum Stammtischprojekt selbst unter www.aufstehen-netzwerk.de.

Ich danke der Frankfurter Rundschau für die freundliche Erlaubnis, meinen Brief für die Veröffentlichung in diesem Büchlein verwenden zu dürfen. Ich danke meiner Frau (und Kollegin) Tanja Kokoska, der ich nicht nur ein glückliches Leben, sondern auch unendlich viel Inspiration und kompetente Beratung verdanke. Und ich danke dem Westend Verlag, der das Projekt ohne Umschweife und in hohem Tempo in Angriff genommen hat. Das gilt wie immer besonders meinem klugen und kundigen Lektor Rüdiger Grünhagen.

Stephan Hebel

Frankfurt am Main, im September 2016

Sehr geehrter AfD-Wähler,

bleiben wir ruhig bei der höflichen Anrede, denn Sie sind keiner von den eingefleischten Rassisten unter den AfD-Wählern, die auf Ausländer und Minderheiten sowieso nur Hass verspüren. Solche Leute sind, befürchte ich, mit einem Brief wie diesem ohnehin nicht zu erreichen, und mit »Sehr geehrter …« hätte ich sie auch nicht angesprochen. Nein, ich gehe mal davon aus, dass Sie die AfD nicht deshalb wählen, weil Sie prinzipiell etwas gegen Ausländer und Flüchtlinge hätten. Ich stelle mir vor, dass Sie zu denjenigen gehören, die man – viel zu pauschal – »Protestwähler« nennt. Übrigens: Falls Sie eine Frau sein sollten, verzeihen Sie bitte die rein männliche Anrede. Ich habe sie gewählt, weil in der Anhängerschaft der AfD Männer doppelt so oft vertreten sind wie Frauen.1

Wie Sie sehen, bin ich überzeugt, dass man den Erfolg der AfD nicht mit billigen Parolen wie »Alles Rassisten!« erklären kann. Sicher machen bei der Partei auch Leute ihr Kreuzchen, die ein verfestigtes rechtsextremes und fremdenfeindliches Weltbild haben. Aber schon an den Wählerwanderungen, von denen die AfD profitiert, lässt sich erkennen: Von den Stimmen der eingefleischten Rechtsextremisten allein könnte sie bei weitem nicht leben. Ganz offensichtlich ernährt sich die »Alternative für Deutschland« von der Unzufriedenheit mit der angeblich »alternativlosen« Politik der etablierten Parteien. Und diese Unzufriedenheit findet sich keineswegs nur unter Rechtsextremisten.

Vielleicht haben Sie ja früher mal die CDU gewählt, vielleicht die SPD oder auch die Linke. Vielleicht hatten Sie das Wählen auch schon aufgegeben, bevor die neue Partei entstand – und geben ihr jetzt aus Protest gegen das alte Parteiensystem Ihre Stimme. Wie auch immer, Sie sind nicht allein: Als am 4. September 2016 in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt wurde, gewann die AfD gut 167 000 Stimmen. Dazu trugen laut Infratest dimap die ehemaligen Wählerinnen und Wähler der etablierten Parteien zusammen 56 000 Stimmen bei: Von der CDU kamen 22 000, von der Linken 16 000 und von der SPD 15 000 Wählerinnen und Wähler. Selbst von den Grünen gewann die AfD noch 3 000 Stimmen. Die NPD verlor 20 000 Wähler an die »Alternative«. Den stärksten Zulauf aber verzeichnete die AfD aus dem Nichtwähler-Lager: Von hier kamen allein 55 000 Stimmen. Der Rest verteilt sich auf die ehemaligen Wähler von Kleinparteien oder auf neu Zugezogene.2

Ganz ähnlich sah es zwei Wochen später in Berlin bei der Wahl des Abgeordnetenhauses aus. Hier kamen 39 000 AfD-Stimmen von der CDU, 24 000 von der SPD und 12 000 von der Linkspartei – das ist mehr als die Hälfte der 21 000 Wählerinnen und Wähler, die die Linke überhaupt an andere Parteien verlor. Auch von den Piraten wanderten 12 000 Stimmen zur »Alternative«, während es von FDP und Grünen nur je 4 000 waren. Aber aus dem Nichtwähler-Lager der vorangegangenen Wahl von 2011 gewann die AfD so viele Stimmen wie von keiner Partei, nämlich 69 000.3