Ha3k3ln + Str1ck3n für Geeks

Inhaltsverzeichnis
Ha3k3ln + Str1ck3n für Geeks

Ha3k3ln + Str1ck3n für Geeks

Verena Kuni

Inhalt

Bemerkung vorab

1. Maschen aufnehmen

Disclaimer

Die Super-Socke

Lange Fädchen

Verbindungen

Mit Maschen rechnen

Ran ans Garn

Spezialmaterial für Geeks

2. Häkeln für Geeks

Die Sache mit dem Haken

Die Basics

Der Code

Gib dir die Kugel

Der Magische Ring

Pi mal Daumen

Perfekt

Geek Amigurumi

Amigurumi für alle

Geek Amigurumi Allstars

Pac-Man

Super Mario

Robos

Kult-SciFi & Horror

Cthulhu

Viren, Bakterien und Protozoen

Cyborg Crochet: Innere Organe, Körperflüssigkeiten & Co.

Webcrawler

Amigurumi +

Gehäkelte Geometrie

Kreise ziehen mit der magischen Sechs

Kind Zylinder und Kegel

Mit mehr Ecken

Gehäkelter Buckyball

Das Sechseck

Das Fünfeck

Gehäkelte Gadgets

Hitliste selbst gehäkelter Gadgets

Gehäkelte Gadgets +

Krause Forme(l)n

Hyperbolisches Häkeln

Hyperbolische Ebenen

Pseudosphären

Kleidsame Krausen

Das IFF-Korallenriff

Freestyle

Crumpling Crochet – Freeform Design

Freestyle-Kunst: Das Häkelobjekt

3. Geek Stricken

Am Strick

Basics

Der Code

Maschenproben mit Mehrwert

Pulswärmer

Pulswärmer plus aka Stulpen

Schneller Schalkragen und schnelle Mütze

Warm werden mit höherer Mathematik

Der Möbiusschal

Mogel-Möbiusschal

Echter Möbiusschal

Die Kleinsche Mütze

Kleinsche Mützen-Variante 1: Turban aus einem Stück

Kleinsche Mützen-Variante 2: Nachzählen mit Nadelspiel

Kleinsche Mützen-Variante 3: Möbius x 2 in Flaschenform

Gestrickte Geometrien

Polyeder & Co

Rumkugeln mit dem Nadelspiel

Stricken mit Ecken

Mehr Mannigfaltigkeit(en)

Mathematische Rettungsringe aka Donuts

Torus-Variante I: Von Außen nach Innen nach Außen

Torus-Variante II: Gekrümmter Schlauch

Wollige Wachstumsalgorithmen

Bestrickende Botanik

Binary Bonsais

Maschen für Aquarianer

Gestrickte Gadgets

Die Hitliste gestrickter Geekware

4. Welt am Draht

Kabel unplugged

Stricklieseln für Geeks

Strickliesel & Co Marke Eigenbau

Kabelkanal mit Strickliesel, Strickring und Nadelspiel

Maschen und Elektronik

Basics

Der Code

Kuscheln +

Leuchtende Augen

Hui Pi, das Schlossgespenst der stille Poltergeist

LED-Bunnys, Robos & Co

In Bewegung

Speedy Matilda, die schnelle Wollstaubmaus für Zuhaus

Maschen mit Musik drin

Solar-Oszillatoren für Kuscheltiere

Heiter weitergezwitschert

Bestrickende Gestrickte Boombox

Kopfhörer-Ohrwärmer

Smarte Maschen

Lässig leuchten mit LEDs

Lichterkette für Mützen und Pullis

Maschen zum Blinken bringen

Blinkende Signale für Pullis und Westen

Kommunikationsfreudige Kuriertasche für strickende Geeks

Gestrickte und gehäkelte Sensoren

Auf die Finger: Handschuhe für Geeks

Bestrickendes mit Sensoren

Von gehäkelten Potis zum MIDI aus Granny Squares

5. Mustererkennung

Mustergeneration

Häkelmuster Basics

Mehrfarbig häkeln

Häkelmuster Ton in Ton

Raster-Bilder

Schattenhäkeln mit Space Invaders & Co

Fraktale häkeln

Sierpinski-Dreieckstuch

Strickmuster Basics

Mehrfarbige Muster

Strickmuster Ton in Ton

Gestrickte Muster-Mathematik

Sierpinski-Variationen in Strick

Modulares Muster-Stricken

Optische Täuschungen stricken

Mathematische Muster mit Liesel

Mathematik in Runden

Socken-Mathematik Ton in Ton

Strickmuster mit Geek-Appeal

Mustergeneratoren

Mustergeneratoren-Parade

Muster-Generatoren zur Umsetzung von Grafiken und Fotos

Generatoren zur Erstellung von Rapporten und kompletten Mustern

Generatoren zur Erstellung von Rapporten und Charts mit Notation

Generatoren mit weiteren Funktionen

6. Maschen aus Maschinen

make the machine do the work

Strickmaschinen für Geeks

Lochkarte oder Computer

Hilfreiches zum Thema Heimstrickmaschinen

Strickmaschinen-Know-how

Strickmaschinen-Software

Strickmaschinen-Tutorials

Vom Upgrade zum Hack zum Eigenbau

Mach mehr aus deiner Strickmaschine

News Knitter von Ebru Kurbak und Mahir M. Yavuz

Punch Couture von Ebru Kurbak und Irene Posch

GELSOMINA The Voice Knitting Machine von Magdalena Kohler und Hanna Wiesener

Struckmaschine von Fabienne Blanc und Patrick Rüegg

Wind Knitting Factory von Merel Karhof

Rocking-Knit von Damien Ludi und Colin Peillex

Strickmaschinen-Hacks für Geeks

Durch die Blume: Brother-Hack von Becky Stern und Limor »LadyAda« Fried

Mützen zu Masken mit Mehrwert: Balaclavas von Andrew Salomone

Strick-Hacks für Science Fiction-Fans von Sally Kentfield

Hackerbrausen-Handwärmer und mehr von Fabienne Serriere

Strickmaschinen für Game-Geeks (I): Fanschal für Hardware-Hacker

glitchKnit von Tomofumi Yoshida, So Kanno, Emi Yamamoto und Nukeme

Knitic, die Open Hardware Strickmaschine

Strickmaschinen Marke Eigenbau

Strickmaschinen für Game-Geeks (II): Das Untitled Sock Project

Eigenbau, (nicht nur) als schöne Kunst betrachtet

Eigenbau aus dem Baukasten

7. Netze werken

Strickzirkel und/als Netzwerke

»Not Your Granny’s Craft«

Bestrickende Initiativen: Yarn Bombing, Knit-Ins und revolutionäre Strickzirkel

Yarn Bombing und Guerilla Knitting

Revolutionäre Strickzirkel

Just Do IT: Mit Maschen Marken hacken

Die Nike Petition Blanket von microRevolt

Counterfeit Crochet von Stephanie Syjuco

Virtuelle Maschenware

Bugbear von Freddie Robins

Schalalala von Rüdiger Schlömer

8. Nach dem Abketten

Löcher lieben lernen

Maßnahmen bei Mottenfraß

Mottenlöcher stopfen

Mottenlöcher filzen

Gehäkelte und gestrickte Patches

Mottenlöcher mit Mehrwert

Neues Leben für alte Maschen

Löcher, die bleiben

9. Service

Dank

Abbildungs-Credits

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

GNU Free Documentation License

0. PREAMBLE

1. Applicability and Definitions

2. Verbatim Copying

3. Copying in Quantity

4. Modifications

5. Combining Documents

6. Collections of Documents

7. Aggregation with Independent Works

8. Translation

9. Termination

10. Future Revisions of this License

11. Relicensing

Addendum: How to use this License for your documents

Index

Stichwortverzeichnis

Copyright

Bemerkung vorab

In diesem Buch wird eine Reihe wiederkehrender Formate beziehungsweise Kürzel für verschiedene Kategorien und Arten von Hinweisen verwendet. Die meisten davon dürften selbsterklärend sein. Für alle Fälle noch eine kleine Übersicht zu denen, die erklärungsbedürftig sein könnten:

Kapitel 1. Maschen aufnehmen

In diesem Kapitel:

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Disclaimer

Gerne gebe ich zu: Ich bin kein natural born knitter. Ganz im Gegenteil. Den Handarbeitsunterricht an der Schule habe ich gehasst. Meinen Versuchen, die fragwürdigen Ergebnisse halbherziger Pflichterfüllung als phantasievolle Eigenkreationen jenseits gängiger Muster durchgehen zu lassen, war allenfalls mäßiger Erfolg beschieden. Später habe ich dann doch noch gelernt, bei Bedarf etwas Tragbares zu fabrizieren. An der grundsätzlichen Auffassung, dass Vorsprung durch Technik anders funktioniert, rüttelte das allerdings nicht.

Das sollte sich schlagartig ändern, als ich auf die wunderbare Welt der gehackten Strickmaschinen, auf gehäkelte Mathematik – und auf die Super-Socke stieß ...

Verstrickt nochmal!!! (VK)
Abbildung 1.1 Verstrickt nochmal!!! (VK)

Die Super-Socke

Socken sind eigentlich eine ganz alltägliche Sache. Pragmatisch betrachtet liegt ihre wichtigste Bestimmung darin, als semi-permeable Membran zwischen Fuß und Schuh zu dienen. Soweit Letztere jeweils paarig vorhanden sind, wird dies gemeinhin auch von Socken erwartet.

Einzelne, genauer gesagt: vereinzelte Socken hingegen sind ein bekanntes, aber offenbar nur schwer zu vermeidendes Problem. Dass es auch Nerds und Geeks nicht verschont, belegen bejahrte Webseiten wie jene des Bureau of Missing Socks ebenso wie die wesentlich jüngere Facebook-Präsenz des Museum of Missing Single Socks und zahlreiche weitere Initiativen einschlägiger Widmung.[1]

Allerdings zeugen derartige Initiativen eher von Galgenhumor, als das zu bieten, was man von würdigen Vertretern der Computer- und Netzkultur erwarten würde: eine smarte Lösung für ein komplexes Problem – wie es das geheimnisvolle Verschwinden einzelner Socken zweifelsohne darstellt. Gibt es Schwarze Löcher in Waschmaschinen? Sind sockenzehrende Sandwürmer in meine Schubladen eingezogen? Stockt die Besatzung der Enterprise ihre Bestände durch das Beamen ausgerechnet meiner Socken auf?

Mag sein, dass die wachsende Verzweiflung ob solcher müßigen, weil wenig zielführenden Grübeleien mit dazu beigetragen hat, die Super-Socke auf den Plan zu rufen.

Eine einzelne Socke wohlgemerkt. Natürlich nicht als Ersatz für die notorischen Verluste – wenngleich wir vielleicht bald schon auf einen 3D-Drucker hoffen können, der exakte Reproduktionen verbliebener Restsocken bravourös bewältigt. Und auch nicht als Prototyp für einen im Anschluss herzustellenden Zwilling – tatsächlich gibt es auch Geeks, die selber Sockenpaare stricken, doch dazu später noch mehr.

Sondern vielmehr als veritables Äquivalent zum schwarzen Monolithen aus Stanley Kubricks 2001.[2] Ein Denkmal des Geekdom. Sockenförmig und selbst gestrickt.

Die Eine Super-Socke? (VK)
Abbildung 1.2 Die Eine Super-Socke? (VK)

Nicht mit der Hand und fünf Nadeln. Die Super-Socke wächst in einer selbstgebauten, turmhohen Strickmaschinen-Apparatur, die zugleich als Spiel-Architektur funktioniert. Das Interface für die Steuerung der Strickmaschine besteht aus Strohhalmen, in die hineingepustet wird. Die stärkste Puste bestimmt, in welcher Farbe die Socke in der jeweiligen Ringel-Runde weiter wächst.

Davon abgesehen aber erfüllt sie alle Kriterien einer Inkunabel wahrer Geek-Kultur: Ihre Existenz verdankt sich einer absurden Maschine Marke Eigenbau mit gehackter Engine und selbst geschriebenem Code, die gemeinschaftlich über ein Spiel betrieben wird und dabei ein Objekt produziert, das mit lupenreinem Kultwert brilliert. Und das Allerbeste: Jede Super-Socke ist – ganz automatisch – ein Solitär. Womit denn auch der Vereinzelungsgefahr von vornherein und mit den Mitteln der Logik ein Schnippchen geschlagen wäre. Was will man mehr – außer vielleicht: mehr davon!

Bleibt also eher die Frage: Wie funktioniert sie, die Super-Socken-Strickmaschine? Anders als der Monolith aus 2001 ist sie natürlich keineswegs wie von Zauberhand auf uns gekommen. Bevor wir sie uns genauer anschauen (s. Kapitel 6, „Strickmaschinen für Game-Geeks (II): Das Untitled Sock Project“), machen wir es aber trotzdem erst mal wie Kubricks Affen: Wir stellen das Staunen ein. Und eignen uns ein paar Grundlagen an.

Lange Fädchen

Lange Fädchen sind, anders als es der geschwätzige Volksmund behauptet, keineswegs nur etwas für faule Mädchen. Wer sich für Textiles in der Geek-Kultur interessiert, wird jedenfalls schnell auf diverse Stränge (genau: threads) stoßen, von denen sich einige sogar recht weit in die Geschichte der Computertechnologie zurückverfolgen lassen.

Allem voran sind da natürlich die bekannten Bilder: Das Internet als Netzwerk, das Knoten miteinander verknüpft. Und das World Wide Web wahlweise als Spinnennetz oder als Gewebe, das uns die unterschiedlichsten Dokumente als bunte Oberfläche präsentiert und zugänglich macht.

Spinnennetz? Gewebe? Ja was denn nun?

Tatsächlich werden Spinnennetze von sogenannten Webspinnen (Arachnae) aus einem Seidenfaden gefertigt – allerdings weder geknüpft noch gewebt, sondern geklebt. Für die direkte Verknüpfung zwischen Spinnennetz und Weberei ist die griechische Mythologie verantwortlich: Weil die Weberin Arachne die Göttin Athene im Web-Wettbewerb frech übertrumpfte, wurde sie von dieser in eine Spinne verwandelt.[3]

Spinnennetz (VK)
Abbildung 1.3 Spinnennetz (VK)

In Tim Berners-Lees ersten Entwürfen 1989/1990 wiederum hieß das Web noch Mesh, also Geflecht, Maschenwerk, Netz. Mindestens sprachlich wird an denkbar prominenter Stelle aber auch bei Berners-Lee die Verbindung zur Weberei hergestellt. Der Titel seines gemeinsam mit Mark Fischetti verfassten Buches zur Geschichte und Idee des WWW lautet Weaving the Web.[4]

Netzwerk-Topologie (WMC: Pedro Wightman)
Abbildung 1.4 Netzwerk-Topologie (WMC: Pedro Wightman)

Ob diese Bilder wirklich so gut passen, steht sicher auf einem anderen Blatt – fest steht, dass sie der Netzkultur längst ihren Stempel aufgeprägt haben. Daneben gibt es aber auch – mindestens mittelbar – einen guten Grund für entsprechende Assoziationen, der sich in den historischen Wurzeln unserer Rechner findet.

Verbindungen

Diese Wurzeln reichen bekanntlich unter anderem bis zur Analytical Engine von Charles Babbage und Ada Lovelace zurück, deren Entwurf 1837 datiert. Für ihren Betrieb – wäre er denn je aufgenommen worden – hatte Babbage die Verwendung von Lochkarten vorgesehen, wie sie zu dieser Zeit bereits erfolgreich in der Textilindustrie bei Webstühlen zum Einsatz kamen.

GEEK GOSSIP: Tatsächlich beziehen sich sowohl Ada Lovelace als auch Charles Babbage in ihren Schriften auf die Weberei und die automatisierten Webstühle. Babbage besaß sogar ein in Seide gewebtes Porträt von Joseph-Marie Jacquard, der 1801 den ersten mit Lochkarten gesteuerten Webstuhl vorgestellt hatte.

Bis heute wird daher mit Blick auf die Lochkarten und -streifen, die teilweise noch bis in die 1970er Jahre in den Rechenzentren zum Prozessieren und zur Datenspeicherung verwendet wurden, gern auf die automatisierte Weberei zurückverwiesen. So verfügte auch der erste funktionsfähige Digitalrechner, Konrad Zuses Z 23 von 1941, über einen Lochstreifenleser, um Programme einzuspeisen. Ihren direkten Ursprung haben die Computer-Lochkarten jedoch nicht in jenen Systemen, mit denen die Jacquard- oder andere Webstühle betrieben wurden. Sie gehen auf die Tabelliermaschinen zurück, die Hermann Hollerith für die US-amerikanische Volkszählung 1890 entwickelt hat. Der Faden beziehungsweise das Fädchen vom Webstuhl zum WWW ist also nicht nur lang, sondern stammt – mindestens was einige seiner Fasern betrifft – auch aus derselben Spinnstube, die immer wieder bestrickende Computerlegenden hervorbringt: der naturgemäß assoziationsfreudigen Netzkultur.

Jacquard-Webstuhl mit Lochkarten, Österreich, Ende 19. Jh. – Muzei na Tekstilnata Industria/Nacionalen Politehnicheski Muzei, Sliven/Bulgarien (WMC: Edal Anton Lefterov)
Abbildung 1.5 Jacquard-Webstuhl mit Lochkarten, Österreich, Ende 19. Jh. – Muzei na Tekstilnata Industria/Nacionalen Politehnicheski Muzei, Sliven/Bulgarien (WMC: Edal Anton Lefterov)

Wer sich in dieses Feld weiter vertiefen möchte, kann natürlich im WWW nach Computergeschichte(n) gründeln:

  • An Illustrated Computer History von John Kopplin

    http://www.computersciencelab.com/ComputerHistory/History.htm

    http://www.computersciencelab.com/ComputerHistory/HistoryPt2.htm

  • R|Evolution: The First 2000 Years of Computing beim Computer History Museum

    http://www.computerhistory.org/revolution/

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Oder den Rechner mit Kaminfeuer-Bildschirmschoner im Hintergrund laufen lassen beziehungsweise mal abschalten und sich in gute Bücher (genau: PAPIER!) vertiefen:

  • William Gibson & Bruce Sterling: The Difference Engine. London: Victor Gollancz Ltd., 1990. Deutsche Übersetzung: Die Differenz-Maschine. München: Heyne, 1991 Cyberpunk-Roman zu Babbage.

  • Sadie Plant: zeroes + ones. Digital Women and the New Technoculture. London: Doubleday, 1997. Deutsche Übersetzung: nullen + einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien. Berlin: Berlin-Verlag, 1998 Cyberfeminismus-Klassiker zu Ada Lovelace, Weben und Programmieren.

  • Birgit Schneider: Textiles Prozessieren. Eine Mediengeschichte der Lochkartenweberei. Zürich & Berlin: diaphanes, 2007 Weiterführende medienwissenschaftliche und -geschichtliche Untersuchung.

Ansonsten soll es hier aber ums Häkeln und Stricken gehen – mithin um zwei textile Techniken, die sich sowohl im Produktionsprozess als auch in dessen Ergebnissen wesentlich und wesenhaft von der Weberei unterscheiden (siehe Kasten).

Mit Maschen rechnen

Zwar hat die wunderbare Super-Socken-Strickmaschine selbstredend historische Strickmaschinen unter ihren Ahnen – aber diese sind technisch allenfalls entfernt mit den automatisierten Webstühlen verwandt. Direkte Brücken lassen sich dabei in Sachen Muster- und Bildgeneration schlagen (mehr dazu in Kapitel 5 und Kapitel 6).

Im Übrigen aber sind es andere Stränge, die – wortwörtlich – zählen: Nämlich jene der Informatik und der Mathematik. Sowohl beim Häkeln wie beim Stricken entscheiden Zählen und Zahlen über Genese und Gestalt der Produktion. Das beginnt mit dem einfachen Dreisatz bei der Maschenprobe und setzt sich dann auf verschiedenen Ebenen fort: Zunehmen, Abnehmen, Farb- und andere Muster – alles das ist angewandte Mathematik mit informatischem Bezug; eine Häkel- oder Strickanweisung kann mit Fug und Recht als Algorithmus bezeichnet werden.

Derlei klingt vielleicht erst mal eher nach Mathe? *yeeeek*. Doch einmal ganz abgesehen davon, dass Mathematik aus einer ganzen Reihe von Gründen sehr zu Recht eine feste Größe im Geek-Universum ist – unter anderem als Basis der Informatik, als Inspiration für wunderbares Spielzeug beziehungsweise Geek Gadgets wie den Rubik-Würfel sowie für Kultfilme von Cube bis π[5] und für vieles andere mehr: Geeks sollten sich an den Gedanken gewöhnen, dass im Grunde auch ihrer traditioneller Handarbeit verpflichteten Verwandtschaft Geek Badges of Honour gebühren. Ganz genau: Eben jenen Menschen, von denen man als Kind fies kratzende Pullis mit scheußlichen Mustern oder im schlimmsten Fall sogar, wie Der Mann der Friseuse im gleichnamigen Film[6], selbst gehäkelte Badehosen mit peinlichen Bommeln geschenkt bekam. In unzähligen hässlichen Häkeldeckchen schlummert nämlich schönste mathematische Selbstähnlichkeit.

Häkeldeckchen (WMC: Cgoodwin)
Abbildung 1.6 Häkeldeckchen (WMC: Cgoodwin)

Darüber hinaus gibt es aber auch MathematikerInnen, die zu Nadel(n) und Faden Garn greifen, um Gesetze und Formeln wortwörtlich begreifbar zu machen.

Es ist wahrscheinlich nur eine Koinzidenz, gleichwohl einen Eintrag ins Notizbuch der textilen Geek-Kultur wert: In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre und damit just in der Zeit, da Heimcomputer zunehmende Verbreitung fanden und sich in der Computergrafik das Raster beziehungsweise auf den Bildschirmen die Pixel-Matrix durchgesetzt hatte, erschienen in Fachzeitschriften die ersten Artikel zu Mathematik und Häkeln beziehungsweise Stricken. Nicht viele – und die MathematikerInnen blieben damit weitgehend unter sich.[7]

Wenig wundersam, dass sich das inzwischen geändert hat – worauf nicht nur der American Scientist verweist, der im Frühjahr 2013 Math in Stitches zum Titelthema macht.[8] Das Netz ist voll mit gehäkelter und gestrickter Mathematik, Informatik und Technologie. Was zunächst nach Bonsai-Brokkoli oder nach Rhabarberblättern ausschaut, ist tatsächlich ein wolliger Wachstumsalgorithmus oder ein hyperbolisches Cape. Auf den ersten Blick harmlose Schals und Mützen entpuppen sich als Möbiusbänder und Kleinsche Flaschen. Und gehackte Strickmaschinen spucken Schals mit Game Scores und Pac-Man-Geister-Muster aus, die Hände wärmende Umhüllungen für gut gekühlte Hackerbrause oder eben Super-Socken.

Kurzum: Es geht ganz schön viel und natürlich noch einiges mehr. Erst recht dann, wenn man Handarbeit und Netzkultur auf ihre Weise zu Social Media verknüpft.

Davon handelt dieses Buch.

Und zwar nicht nur theoretisch. Geeks wissen: Theorie ist toll – aber gerade deshalb, weil sie in der Praxis weiterführt. Und dazu einlädt, selbst zu experimentieren. Daher ...

Ran ans Garn

Ist der Knoten der diversen threads entwirrt, kann der nächste Griff nämlich schon den losen Enden des langen Fädchens Garns gelten, die nun bereit für die Verarbeitung sind. Gewöhnlich denkt man dabei zunächst einmal an Wolle oder Baumwolle. Aus gutem Grund: Wenn tragbare Textilien gefertigt werden sollen – und das haben die meisten Menschen, die sich ans Häkeln oder Stricken machen, im Sinn – versprechen diese Materialien in Körpernähe angenehme Kuschligkeit. Mindestens sollten sie das. Dass dennoch immer wieder widerwärtig kratzende Wolle in den Verarbeitungskreislauf gelangt, gehört zu den großen Welträtseln, die wohl auf ewig einer Lösung harren werden.

Merino-Schaf (WMC: Cgoodwin)
Abbildung 1.9 Merino-Schaf (WMC: Cgoodwin)

GUT ZU WISSEN: Weniger rätselhaft ist, warum Wolle überhaupt kratzt. Das hat zum einen mit ihrer Herkunft und zum anderen mit ihrer Verarbeitung zu tun. Kommt die Wolle von Schafen, stehen die Chancen für späteres Kratzen prinzipiell gut. Das kommt von den Schüppchen des Schafhaars, die zudem auch verhornt sein können. Sind die Wollfasern dick und kurz und/oder werden sie nur grob versponnen, können ihre Enden aus dem Garn herausstehen. Wie winzig auch immer diese Enden sein mögen, menschliche Haut findet sie meist reizend. Um derlei zu vermeiden, kann Schafwolle auch chemisch behandelt werden. Pech für Naturfasern liebende Ökos Menschen? Keineswegs. Ganz abgesehen davon, dass es auch tierische Woll-Lieferanten mit schmiegsamen Haaren wie Mohairziegen und Angorakaninchen gibt, steht Baumwolle als pflanzliche Alternative bereit. Schlecht verarbeitet kratzt sie allerdings ebenfalls. Aber auch Kunstfasern können echte Kratztalente sein. Kurzum: Wer ganz sicher gehen will, muss das Garn der Wahl vor dem Kauf durch ausgiebiges Tasten testen.

Schafwolle (VK)
Abbildung 1.10 Schafwolle (VK)

Indessen wird es gerade häkelnden und strickenden Geeks mitnichten immer darum gehen, nach traditionellem Verfahren Bekleidung aus Wolle zu fertigen. Ganz im Gegenteil. Ebenso wie sich mit Wolle alternative Projekte angehen lassen, stehen auch jede Menge anderer Materialien zur Verfügung, wenn man mit Maschenwerk experimentieren will. Daher gleich zu Beginn ein paar Anregungen, was außer gewöhnlichen Garnen noch im Handarbeitskörbchen von Geeks landen kann.

Spezialmaterial für Geeks

Spezialmaterial: Magnetband (VK)
Abbildung 1.11 Spezialmaterial: Magnetband (VK)
  • Magnetband. Ob MC- oder VHS-Tape: Das Geek-Spezialmaterial schlechthin. Allerdings zunehmend schwer zu finden. Flohmärkte und vermüllte Keller von Freunden sind potenziell gute Fundorte.

  • Kabel. WICHTIG ZU WISSEN: Nicht jedes ist geeignet – vorweg die Elastizität testen! Zudem ist im Anschluss an die Verarbeitung eine den ursprünglichen Zwecken entsprechende Nutzung nicht mehr zu empfehlen.

    Spezialmaterial: Draht (VK)
    Abbildung 1.12 Spezialmaterial: Draht (VK)
  • Draht. WICHTIG ZU WISSEN, wie beim Kabel: Nicht jeder ist geeignet – vorweg die Elastizität testen! Anders als Kabel taugen verhäkelte oder verstrickte Drähte durchaus für Bastel-Experimente mit Elektronik. Wenn man sich an die Spielregeln hält.

  • Gummikordel. Ideal für Projekte, bei denen Elastizität gefragt ist – aus Kostengründen empfiehlt sich allerdings ein sparsamer Gebrauch.

  • Paketschnur. Gut & billig – aber: wenn gewachst, nur die weiche! Gebleichte sorgt beim Einsatz entsprechender Techniken zuverlässig für ein traditionelles Häkeldeckchen- beziehungsweise Topflappen-Flair.

  • Wäscheleine. Plastic Chic – kann in der Verarbeitung jedoch ziemlich anstrengend sein.

    Spezialmaterial: Maurerschnur (VK)
    Abbildung 1.13 Spezialmaterial: Maurerschnur (VK)
  • Maurerschnur. Attraktiv und sehr gut zu verarbeiten – aber: nicht ganz billig. Lässt sich dafür jederzeit wieder aufribbeln und neu verarbeiten; ist also auch für Tests mit neuen Techniken ideal. AUFGEMERKT: Größere Objekte werden ziemlich gewichtig.

  • Bast. Leicht und leicht zu verarbeiten. WISSENSWERT: Kunstfaser-Bast ist stabiler und besonders Gartenbast zudem witterungsbeständig, Naturbast ökologisch korrekter, fasert aber aus und kratzt.

    Spezialmaterial: Bast (VK)
    Abbildung 1.14 Spezialmaterial: Bast (VK)
  • Kletterseile. Machen für Großprojekte richtig was her und sind stabil – aber auch extrem kostspielig.

  • Fahrradschlauch. Natürlich nicht fabrikneu! WICHTIG ZU WISSEN: Benötigt Gummipflege und Spezialwerkzeug zur Verarbeitung.

  • Schnürsenkel. Langfristig Vorräte anlegen oder Spenden sammeln – sonst kommt man nicht weit. Endstücke gegebenenfalls abtrennen und mit (Sekunden-)Kleber isolieren.

  • Feinstrumpfhosen. Exemplare, die aufgrund von Laufmaschen oder Zehengucker-Löchern ausgesondert werden, machen als Ready Made (Strick-)Schlauch eine zweite Karriere (s. Kapitel 8, „Gehäkelte und gestrickte Patches“).

  • Stoffband/-streifen. Selbstredend DIY und nach dem Recycling-Prinzip (s. Kapitel 8, „Gehäkelte und gestrickte Patches“), z.B. aus alten T-Shirts. Mühsam in der Herstellung, gut in der Verarbeitung.

  • Plastiktüten. Natürlich ebenfalls als Recycling-Material. WICHTIG ZU WISSEN: Zwar brauchen selbst sogenannte recyclingfähige Plastiktüten sehr lange, bis sie richtig verrotten. Die Farben verbleichen mitunter aber recht schnell – und gesund ist das Ganze wegen der enthaltenen Weichmacher sowieso nicht.

  • Haare. Für filigrane Projekte, aber sehr stabil. Bekommt man von Leia-Lookalikes oder einem befreundeten Headbanger. Ebenfalls geeignet: Mähnen- oder Schweifhaare vom Pferd.

  • *.* Spezialmaterial deiner Wahl. Was getestet und für gut befunden wurde: Gern Bilder mit Maschenprobe für die WWW-Seiten zum Buch einsenden: http://www.underconstruction.cc/mfg!



[1] [WWW] http://www.funbureau.com – http://www.lonelysock.com – http://www.sockloss.com.

[2] [FILM] 2001: A Space Odyssey. Deutscher Titel: 2001: Odyssee im Weltraum (USA/GB/F 1968, R. Stanley Kubrick, B. Stanley Kubrick & Arthur C. Clarke).

[3] Siehe z.B. – als Illustration zur Nacherzählung des Mythos in Ovids Metamorphosen – im [WWW] http://www2.printsanddrawings.hu/search/prints/7661.

[4] [WWW] Tim Berners-Lee: Information Management: A Proposal (1989), http://www.w3.org/History/1989/proposal.html; [PAPIER] Tim Berners-Lee/Mark Fischetti: Weaving the Web. The Original Design and Ultimate Destiny of the World Wide Web by its Inventor. New York: Harper Collins, 1999 (Information Management: A Proposal ebd., S. 211).

[5] FILM: Cube, CAN 1997, R. Vincenzo Natali – π (Deutscher Titel: π – System im Chaos), USA 1998, R. Darren Aronofsky.

[6] FILM: Le mari de la coiffeuse, F 1990, R. Patrice Leconte.

[7] [PAPIER] sarah-marie belcastro & Carolyn Yackel (Making Mathematics with Needlework. Wellesley: A K Peters, 2008) haben die wenigen Titel mühsam recherchiert (Introduction, S. 1 ff u. S. 8).

[8] [PAPIER] American Scientist, 101:2, März-April 2013 – [WWW] http://www.americanscientist.org.