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Nr. 2904

 

Gerichtstag des Gondus

 

Audienz beim Herrscher über ein Sternenreich – ein Schiff forscht nach Spionen

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Der wahre Schutzgeist

1. Ein Rendezvous im Leerraum

2. Das ideale Team

3. Die Wunder des Kosmos

4. Das unrühmliche Ende einer Verfolgungsjagd

5. Ein gemütliches Beisammensein

6. Falsche Fährten

7. Die Paladische Welt

8. Der vermaledeite Tracker

9. Endlich: Die Audienz

10. Des Rätsels Lösung

11. Urteile

Epilog: Die Probe aufs Exempel

Leseprobe TERMINUS 1 – Uwe Anton – Zeitspringer

Vorwort

Prolog: Solsystem, Kuipergürtel

1. Solsystem, Kuipergürtel

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden.

Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Perry Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man knüpft sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien.

In dieser Situation bietet das Goldene Reich der Thoogondu Perry Rhodan ein Bündnis an. Der Herrscher dieses Imperiums, der Gondu, lädt den unsterblichen Terraner zu einer Audienz ein, und dabei erlebt Perry Rhodan den GERICHTSTAG DES GONDUS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche darf Gnade walten lassen.

Briony Legh – Die Erste Pilotin der RAS TSCHUBAI ist stolz auf ihren Mann.

Puoshoor – Der designierte Thronfolger des Goldenen Reiches verbirgt sein wahres Selbst offenbar hinter vielen Masken.

Cascard Holonder – Der Kommandant der RAS TSCHUBAI lässt nach Kuckuckseiern suchen.

Immer wieder fliegen wir empor zu den Sternen, hinaus ins Unbekannte.

Warum?

Gewöhnlich antworte ich: Weil wir mehr, immer noch mehr über den Kosmos lernen wollen.

Denn der Kosmos ist da, gnadenlos real, ganz egal, ob wir uns mit ihm befassen oder nicht. Und dort können, das weiß ich aus meiner persönlichen Erfahrung von Jahrtausenden, ungeahnte, schreckliche Gefahren erwachsen. Und Augenblicke perfekter Schönheit.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Die andere Hälfte lautet schlicht und einfach: Weil wir das Abenteuer suchen.

Warum?

Weil wir Terraner sind.

(Private Aufzeichnungen Perry Rhodans; apokryph, jedoch vermutlich verfasst ungefähr zur Zeit der Orpleyd-Krise)

 

 

Prolog

Der wahre Schutzgeist

 

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Kriff Dnotz.

»Wie kommst du darauf?«

»Du wirkst ... irgendwie unrund.«

»Soll das eine Anspielung auf meine Figur sein?«, sagte Briony Legh mit bewusst tiefer Stimme. »He, ich gehe zwar wieder öfter ins Fitnessstudio. Aber ich habe sicher nichts von meinen Rundungen eingebüßt!«

Glucksend strich Kriff zärtlich über ihre eher undefinierte Taille. »Ich liebe deinen Hüftspeck und würde ihn tatsächlich vermissen. Aber darum geht es mir nicht.«

Sie lümmelten im Pneumobett der gemeinsamen Doppelkabine an Bord der RAS TSCHUBAI. Im großvolumigen Holo lief der Abspann eines Raumpiraten-Trivids.

»Sondern?«

»Ich spüre, dass du dir Sorgen machst.«

Briony ergriff den Arm des Mannes, mit dem sie vor Kurzem einen Ehevertrag geschlossen hatte, legte ihn behutsam zur Seite und setzte sich auf. »Wie auch nicht? Die jüngsten Vorfälle in unserem Schiff lassen mich nicht kalt.«

»Schon klar. Ich bin ebenfalls beunruhigt. Zumal Kollegen betroffen waren und sind.«

»Eben.«

»Wir wollten die Freischicht genießen.«

»Haben wir, und werden wir.« Briony ordnete ihr zerzaustes Haar. »Bald wieder. Momentan finde ich keine Ruhe, tut mir sehr leid.«

»Was hindert dich?«

Sie wusste, dass er die Antwort bereits kannte. Kriff half ihr dennoch, ihre Gedanken zu konkretisieren und auszusprechen. »Hätten wir früher bemerken können, dass die Besatzung der RAS TSCHUBAI unterwandert wurde?«

»Durch diese ›Schutzgeister‹, die glauben, sie müssten verhindern, dass von der RAS TSCHUBAI Unheil ausgeht? Ich glaube nicht. Wenn nicht mal ANANSI etwas aufgefallen ist?«

»Hm. – Reich mir bitte das Popcorn rüber!«

Nachdem er die Schüssel auf ihrer Bauchwölbung abgestellt und sie sich bedient hatte, setzte Briony kauend fort: »Gab es irgendwelche Anzeichen, dass Yerrem Karatas zum Attentäter auf das gesamte Schiff hätte werden können?«

»Nein, nicht die geringsten. Ich habe mit ihm immer angenehm stressfrei zusammengearbeitet. Und doch ...«

»Und doch. Genau das meine ich! Wer ist der Nächste, der aus der Reihe tanzt?«

»Tja, wenn ich das wüsste ...«

»Eben. Niemand weiß, ob die Gefahr gebannt ist oder uns nicht noch viel Schlimmeres bevorsteht. Das ist es ja, was mir die Ruhe raubt!«

 

*

 

Briony Legh bekleidete auf dem Omniträger-Fernraumer der SUPERNOVA-Klasse das Amt der Ersten Pilotin.

Damit stand sie im Majorsrang. Auf der dunkelblauen Uniform, die sie im Dienst trug, prangte in einem rautenförmigen Oberarm-Emblem ein silberner Komet.

Kriff Dnotz war »nur« Schutzschirmtechniker. Einfacher Leutnant. Ein goldener Kreisring.

Oft flachsten sie darüber, dass Silber an Bord der TSCHUBAI mehr zählte als Gold ...

Den erwähnten Yerrem Karatas hatte Kriff recht gut gekannt. Sie gehörten zur selben Abteilung: »Triebwerke und Bordmaschinen«.

Karatas hatte versucht, einen der vier Zyklotraf-Ringspeicher und, aufgrund der zu erwartenden, explosiven Folgewirkungen, das gesamte, rund dreieinhalb Kilometer durchmessende Trägerschiff zu zerstören. Sein Attentat war vereitelt worden, zum Glück. Er selbst war dabei umgekommen.

Gleichwohl wirkte der Schock nach. »Wie konnte Yerrem das tun? Was hat ihn dazu getrieben?«, fragte Briony sich und ihren Ehemann.

»Keine Ahnung. Ich hatte niemals den Eindruck, er könnte psychisch instabil sein. Ganz zu schweigen davon, dass er irgendwelche Selbst- oder Totalvernichtungsgelüste gehegt hätte. Er war angenehm im Umgang. Ein guter Kamerad, ein stiller, ruhiger, kontrollierter ...«

»Kontrolliert!«, schnappte Briony Legh das Stichwort auf. »Kontrolliert von wem? Oder von welcher heimlichen oder unheimlichen Macht, die sich sehr wahrscheinlich immer noch an Bord befindet?«

Kriff feixte und hob die schmalen Schultern. »Wenn ich das wüsste ...«

 

*

 

Sie schob ihm die Popcorn-Schüssel wieder zu. »Auf meiner Seite registriere ich mindestens ebenso viele Ungereimtheiten.«

»Ah?«

»Kantweinen, der Dritte Pilot.«

»Major Andris Kantweinen«, sagte Kriff. »Ein bodenständiger, wiewohl ziemlich verschlossener Mann. Man liest es von seiner Mimik ab. Gelegentlich versucht er zu lächeln, aber das scheint ihn mächtig anzustrengen.«

»Der nämliche. Ich schätze ihn sehr als professionellen Kollegen, aber ... Ausgerechnet er kümmert sich um Täller, den jungen Mandaamen, der Entscheidendes zur Aufklärung der Sabotageakte beigetragen hat.«

»Ist doch gut, oder?«

»Im Prinzip schon. Aber wozu haben wir ein ganzes Heer an Psychologen an Bord, inklusive auf den Umgang mit unbekannten Fremdvölkern spezialisierte Fachleute?«

»Die Experten haben nach anfänglicher Kritik befunden, dass beiden die Beziehung guttut. Die Realität hat ihre Theorien überholt.«

»Wenn du mich fragst, ist Kantweinen überfordert. Andris fliegt die TSCHUBAI, wann immer er am Steuer sitzt, sehr sauber, manchmal sogar elegant. Er ist reaktionsschnell und erfahren. Aber das macht ihn noch lange nicht zu einem Xenopsychologen.«

»Weißt du was?«, erwiderte Kriff milde. »Insofern seid ihr zwei euch sehr ähnlich. Auch du kümmerst dich gerne um Dinge, die dich eigentlich nichts angehen.«

»Schweig stille und reich mir das Popcorn!«

»Keines mehr da«, sagte Kriff Dnotz schmatzend. »Unter uns, der wahre Schutzgeist der RAS TSCHUBAI bist du. Selbst in deiner – unserer – Freizeit kommst du nicht los davon, dieses Schiff und seine Bewohner gegen jegliches Unheil wappnen und verteidigen zu wollen.«

Briony musste insgeheim zugeben, dass ihr Gatte einen wunden Punkt getroffen hatte. »Mir liegt nun mal viel daran, unsere Heimat nicht von irgendwelchen feindlichen Agenten beschmutzen und aus dem Gleichgewicht schubsen zu lassen.«

»Mir vielleicht nicht?«

»Okay, du bist unverdächtig. Obwohl, falls du mich an den richtigen Stellen schubsen würdest ...«

Ihr Mann verstand den Wink. Endlich gingen sie doch wieder in den Entspannungs-Modus über.

Freilich konnte Briony Legh nicht verhindern, dass ihr, während sie sich zurücksinken ließ, eine weitere Frage auf der Zunge brannte:

Wie denkt eigentlich Perry Rhodan darüber?

1.

Ein Rendezvous im Leerraum

6. Oktober 1551 NGZ

 

Eine Audienz beim Herrscher des Goldenen Reiches ...

Das Goldene Reich, das Gondunat, hatte der Milchstraße und zuvorderst Perry Rhodan ein Bündnis angeboten, ja geradezu aufgedrängt. Die Motive waren bislang nur verwaschen – falls überhaupt – erkennbar, und die ersten Kontakte zwar freundlich, aber durchaus kompliziert. Dass der Gondu nun eine Einladung, die man nicht ausschlagen konnte, ausgesprochen hatte, wertete Perry Rhodan als Fortschritt. Der Thronfolger selbst fungierte als Führer zu jener Welt, auf der die Audienz stattfinden sollte.

Als Ziel hatte der designierte Thronfolger des Goldenen Reiches das Tizillarsystem genannt, ohne Perry Rhodan dessen Koordinaten mitzuteilen. Bloß einen Treffpunkt hatte Puoshoor vereinbart, rund dreißigtausend Lichtjahre entfernt vom Planeten Thooalon, dem Ort ihres Aufbruchs.

Die RAS TSCHUBAI folgte dem Pentasphärenraumer DAAIDEM, dem Schiff des Ghuogondus Puoshoor. Nicht mehr lange, dann würden sie ihr – erstes? – Zwischenziel erreichen.

Rhodan schlenderte durch die Hauptleitzentrale. Es herrschte keine Hektik.

Selbstverständlich waren sämtliche Missionsstationen besetzt, manche doppelt bis dreifach. Aber die Crewmitglieder erledigten ihre jeweiligen Routinen recht entspannt. Schließlich gab es momentan keine äußere Bedrohung.

Intern, seufzte Rhodan in Gedanken, sieht es anders aus.

Niemand wusste, ob die Schutzgeist-Verschwörung ausgestanden war. Schließlich gab es selbst nach dem vereitelten Sabotageakt weitere Schutzgeister an Bord, deren Identität unbekannt war.

Bemerkenswert bis unerklärlich daran war weiterhin, dass alle bislang bekannten Schutzgeister die RAS TSCHUBAI als Schiff des Grauens bezeichnet hatten und seltsame, falsche Erinnerungen an Gräueltaten an Bord mit sich herumschleppten. Es gab keinerlei Hinweise darauf, wann, wie und aus welchem Motiv heraus jemand den Schutzgeistern diese falschen Erinnerungen eingeflößt hatte.

Letztlich konnte niemand ausschließen, dass der Barong, wie sich der Anführer der Schutzgeister nennen ließ, es schaffte, weitere Helfer zu rekrutieren.

Perry Rhodan ging davon aus, dass die bisher bekannten Schutzgeister manipuliert wurden. Ein Puzzlestück dabei waren die ominösen Holzkästchen, von denen jeder Schutzgeist eines besaß. Aber welche Absicht steckte hinter alldem?

Seit Tagen beschäftigte sich Sichu Dorksteiger, die nicht nur Rhodans Frau, sondern auch die Chefwissenschaftlerin der RAS TSCHUBAI war, mit zwei dieser scheinbar harmlosen Souvenirs. Sichu war aktuell nicht in der Zentrale anwesend. Wahrscheinlich hielt sie sich in einem der Labors auf und versuchte alles nur Mögliche, um die Geheimnisse der beiden Kästchen zu entschlüsseln.

Rhodan widerstand dem Impuls, zur Station der Wissenschaftsabteilung zu gehen und nachzufragen. Wäre Sichu ein Durchbruch gelungen, hätte sie ihn unverzüglich informiert.

Wenigstens, tröstete er sich, konnten Gucky und seine Mitstreiter aus ihrem Gefängnis befreit werden.

Kurz vor dem Abflug in die von Puoshoor vorgegebene Richtung war ein ultrageraffter Hyperfunkspruch eingegangen: »ABOB/F«.

Das bedeutete: »All back on Board. Farye.«

Was Farye und die anderen erlebt hatten, war Rhodan nicht mehr zur Kenntnis gelangt. Puoshoor hatte zum sofortigen Aufbruch gedrängt, ehe der MARS-Kreuzer BJO BREISKOLL zum Mutterschiff hatte zurückkehren können.

Vielleicht sogar besser so ... Auf diese Weise behalten wir einen Trumpf in der Hinterhand.

In der Hauptholokugel blinkte eine Schrift. Sie besagte, dass das Ende der Überlichtetappe unmittelbar bevorstand. In dreißig Sekunden würde die RAS TSCHUBAI in den Normalraum zurückstürzen.

Ohne Eile nahm Perry Rhodan seinen Sitz auf dem Kommandopodest ein.

 

*

 

Die DAAIDEM wartete bereits an den angegebenen Koordinaten. Mitten im Leerraum – kein Sonnensystem oder sonstiges kosmisches Objekt lag in unmittelbarer Nähe.

Puoshoors Schiff gehörte zur größten bekannten Klasse der Pentasphärenraumer. Es bestand aus fünf symmetrisch auf einer Linie angeordneten Kugelsegmenten, die der Reihe nach rund tausend, zweitausend, tausendfünfhundert, zweitausend und wieder tausend Meter durchmaßen. Da an den abgeplatteten Kupplungsbereichen im Schnitt etwa achtzehn Meter verloren gingen, ergab sich eine Gesamtlänge von 7430 Metern.

Ein imposantes und zweifellos mächtiges Schiff. Über die Hülle aus Pedgondit, einem fast blendend weißen Material, zogen sich reichliche goldene Verzierungen: mosaikartige Einlegearbeiten, die wohl von der erfolgreichen Historie des Schiffs künden sollten.

»Funkanfrage!«, rief Oberstleutnant Olwar, der Leiter der Ortungsabteilung, ein Imarter mit typischem, tonnenförmig aufgewölbtem Brustkorb, birkenblattgrüner Haut und violetten Haarlocken.

Perry Rhodan nickte Cascard Holonder zu.

»Aufs Hauptholo!«, befahl der kahlköpfige Ertruser, der die RAS TSCHUBAI seit nunmehr acht Jahren befehligte.

Ein neues Fenster baute sich auf. Es zeigte einen Thoogondu.

Er stellte sich als Kommandant der DAAIDEM vor, verschwieg jedoch seinen Namen. »Der Ghuogondu möchte euch die Ehre eines Besuchs auf eurem Schiff erweisen, um Perry Rhodan, dem Erben des Wanderers, persönlich eine feierliche Einladung zu überbringen.«

»Er ist uns willkommen«, sagte Holonder. »Welches Transportmittel ...« Bevor er den Satz vervollständigen konnte, erlosch das Holo, also auch die Funkverbindung.

»DAAIDEM schleust ein Beiboot aus«, meldete Olwar. »Doppelkugel, in Flugrichtung vorne Durchmesser fünf Meter, dahinter zwanzig Meter, Gesamtlänge vierundzwanzig.«

»Tja, das war wohl eher eine rhetorische Frage«, kommentierte Cascard Holonder trocken.

 

*

 

Das Beiboot schleuste ein und landete in einem Hangar.

Mit dem Besuch einer Abordnung der DAAIDEM, wenn nicht sogar mit Puoshoor selbst, war zu rechnen gewesen. Deshalb hatte Rhodan die Leiterin des Diplomatischen Corps, Fabienne Iukik, vorsorglich beauftragt, ein entsprechendes Zeremoniell zu entwickeln. Es sollte zum Ausdruck bringen, dass man der gondischen, zum Bombast neigenden Lebensweise Reverenz und Respekt erweisen, jedoch nicht damit konkurrieren wollte.

Iukik selbst führte das Empfangskomitee an, das in dem eigens dafür adaptierten Hangar auf Höhe von Hauptdeck 19 Aufstellung nahm. Die Begleitung der überdurchschnittlich großen, ehemaligen terranischen Rekordschwimmerin bestand aus zwei weiteren Protokollbeamten sowie je sechs Raumsoldaten und TARA-Kampfrobotern, die eine Art Ehrengarde bildeten.

Vier Personen entstiegen dem Beiboot der DAAIDEM. Wie Rhodan in der holografischen Übertragung mitverfolgte, befand sich darunter tatsächlich der Sohn des Gondus. Rhodan erkannte ihn auf Anhieb; sie waren einander bereits auf Thooalon begegnet.

»In meiner Funktion als Chefdiplomatin dieses Schiffs«, sagte Fabienne Iukik, »begrüße ich euch herzlich an Bord der RAS TSCHUBAI. Darf ich euch weiter geleiten? Wir haben kurzfristig eine bescheidene Konferenzräumlichkeit improvisiert, die euren Ansprüchen hoffentlich zumindest rudimentär genügen wird.«

Tatsächlich hatten sie und ihr Corps die letzten beiden Flugtage fast ausschließlich damit zugebracht.

»Bitte, bitte, keine Umstände!«, sagte der Thronfolger jovial. »Es handelt sich ja bloß um eine kleine Stippvisite, der guten Form halber. Der Erbe des Wanderers ...?«

»... wird sogleich zu uns stoßen«, antwortete Iukik. »Er freut sich auf das Wiedersehen. – Hier entlang, bitte!«

Das war das Stichwort für Perry Rhodan, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen.

 

*

 

Den Großteil des 19. Hauptdecks nahm das Ogygia-Habitat ein, die 1,8 Kilometer durchmessende Parklandschaft. Vom zentralen See aus schlängelten sich vier Bäche durch die Grünfläche bis zur Peripherie.

An einem davon, unweit des dem DAAIDEM-Beiboot zur Verfügung gestellten Hangars, hatten Fabienne Iukik und ihre Mitarbeiter einen Pavillon errichtet und diesen annähernd im gondischen Stil ausgestaltet. Außerdem hatten sie sich ähnlich üppiger Elemente aus dem terranischen Barock und der vergleichbar opulenten arkonidischen Hochblüte bedient.

Obwohl Rhodan eine deutlich größere Distanz zu überwinden hatte, traf er fast zur selben Zeit ein wie die Delegation der Thoogondu. Dabei half ihm der Slender, ein Spezial-SERUN, den er bei dieser Gelegenheit erneut testete.

Die jüngst entwickelte Kampfmontur erreichte nicht ganz die Leistungswerte eines schweren SERUNS. Sie kam dem dank Miniaturisierung jedoch nahe, ohne dass die Aggregate sichtbar hervortraten. Der kurz S-SR genannte Anzug erschien als schlichte Raumkombi. Er konnte aber auch elegante Abendkleidung emulieren.

»Ghuogondu.« Perry Rhodan breitete die Arme aus und verneigte sich. Er sprach Gondunin, das dominierende Idiom dieser Galaxis, das er sich mittels Hypnoschulung angeeignet hatte. »Meine Kameraden und ich sind aufrichtig geschmeichelt, einen so hohen Gast beherbergen zu dürfen.«

»Kein Grund zur Aufregung! Reine Routinesache«, sagte Puoshoor. »Übrigens, hübsch habt ihr's hier.«

Der Kunsthimmel über dem Habitat simulierte gerade einen Sonnenuntergang, komplett mit Schäfchenwolken in verschiedensten Rotfärbungen. Davor kreiste ein Vogelschwarm, von dem auch Rhodan nicht hätte sagen können, ob er echt oder projiziert war.

Fabienne Iukik lud die Runde ein, an der Tafel Platz zu nehmen. »Sollen wir die Garde wegschicken?«, fragte sie.

»Ach, wie ihr wollt. Mich stören sie nicht. Auch das Gondunat stellt gerne seine Wehrhaftigkeit zur Schau, im Großen wie im Kleinen.«

»Wegtreten!«, befahl Rhodan den Soldaten und ihren robotischen Partnern.

Die Gardesoldaten und Roboter zogen sich zurück. Danach waren sie am Tisch jeweils zu viert, also gleich stark und somit gleichberechtigt. Eine Symbolik, die Puoshoor gewiss nicht entging.

»Dürfen wir euch Erfrischungen servieren lassen?«, bot Iukik an.

»Vielleicht später, danke.« Der Sohn des Garanten wischte sich mit einer müden Geste über das Gesicht. »Ich bin nicht durstig und mehr als satt.«

Was will er damit andeuten?, fragte sich Perry Rhodan.

 

*

 

Die scheinbar lockere Kommunikation verlief trotz der zugeschalteten Translatoren fast zeitverlustfrei flüssig. Dennoch blieb eine stets bedenkenswert große kulturelle Kluft.

Rhodan bildete sich nicht ein, er könnte das Gondunat und die Repräsentanten dieses offenbar sehr alteingesessenen Imperiums bereits vollinhaltlich verstehen. Das würde sich wahrscheinlich schon bald als fataler Fehler herausstellen.

Ja, die Thoogondu waren humanoid. Und ja, ihre Gesellschaftsordnung funktionierte auf eine Weise, die Assoziationen zu Großreichen der terranischen Antike erweckte; sowie zur Frühgeschichte der Arkoniden oder anderer Milchstraßen-Zivilisationen.

Aber solche Parallelen durfte man nicht überbewerten. Vielmehr rief Perry Rhodan sich die Unterschiede ins Bewusstsein.

Beispielsweise formten auf den unbehaarten, weißhäutigen Gesichtern der Thoogondu sichtbar durchschimmernde, blaue Adern vielfältige, individuelle Muster. Die Augen waren groß und sehr dunkel. Sie lagen tief und konnten mittels zweier verschiedener Lider geschlossen werden: einerseits wie bei Terranern und anderen Lemurer-Abkömmlingen, andererseits zusätzlich durch eine horizontal verlaufende, von der Nasenwurzel nach außen gehende Nickhaut.

Noch auffälliger war die Körperpanzerung aus überlappenden, in der groben Grundform sechseckigen, daumennagelgroßen Platten, die sich von der Stirn über den Hinterkopf erstreckte und auch die Außenseiten der Arme bedeckte. Meist gingen die Thoogondu merkwürdig vornüber gebeugt, als wollten sie dem Firmament nur die gepanzerten Hautflächen darbieten.

Waren ihre Vorfahren vielleicht, in grauer Urzeit, einer ständigen Bedrohung »von oben« ausgesetzt gewesen?

Perry Rhodan verbat sich, vorschnell darüber zu spekulieren.

Hinzu kam eine andere, in gewisser Weise »verschobene« optische Wahrnehmung: Thoogondu waren, wie man mittlerweile gelernt hatte, infrarotsichtig. Sie registrierten also Wärmestrahlung in vielfältig abgestufter Intensität.

Dafür endete ihr Farbempfinden bei kürzeren Wellenlängen früher. Gelb und Grün vermochten sie nicht auseinanderzuhalten – sie sahen im Grün bloß noch den Gelbanteil.

Blaue und violette Pigmente erschienen ihnen schwarz, entsprechendes Licht unsichtbar. Deswegen konnten sie bestimmte terranische Schriften oder Symbole nur unter Hinzunahme technischer Hilfsmittel lesen.

Die Lippen waren voll und hellrot, sodass sie wie permanent geschminkt wirkten. Möglicherweise hing das damit zusammen, dass die Thoogondu, zusätzlich zur Lunge, über eine starke Porenatmung Sauerstoff gewannen, durch die mit feinen Kanälchen durchzogenen Knochenplatten hindurch.

Aus diesem Grund blieben Brust und Arme entweder unverhüllt; oder in der Kleidung befanden sich Schlitze oder zwischengenähte luftdurchlässige und somit atmungsaktive Flächen aus Gaze.

Puoshoors Kleidung stellte einen Sonderfall dar. Das war wohl seiner exponierten Stellung geschuldet. Vielschichtig überlappende Stoffbahnen aus jeweils monochromen, kräftigen Farben bedeckten seinen Leib bis zum Nacken. Irgendwo dazwischen mussten sich Öffnungen oder sonstige Lüftungskanäle befinden; aber man sah sie nicht mit freiem Auge.

Insgesamt wirkte der Ghuogondu durch die Vielfalt der Farben, die er am Leib trug, trotz seiner relativ geringen Körpergröße bunt, lebendig, kraftvoll – jedoch keineswegs aufgedonnert oder überladen.

Er trat freundlich und verständnisvoll auf. Dazwischen kehrte Puoshoor aber auch immer wieder einmal die kokette Arroganz einer Autorität heraus, die ihm wohl schon in die Wiege gelegt worden war.

Es versetzte Perry Rhodan einen Stich in die Brust, als er erkannte, an wen er sich erinnert fühlte: an seinen eigenen Sohn, Michael Rhodan, wie er sich in seinem Alter Ego »Roi Danton« gegeben hatte ...

Wo steckte sein Sohn? War er, wie eigentlich die meisten seiner Kinder, verschollen, verloren gegangen, zusammen mit der SOL?

Fragen, die Rhodan immer wieder durch den Kopf gingen. Und die er immer wieder beiseitestieß und verdrängte.

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Illustration: Swen Papenbrock

*

 

»Ich bin gekommen«, sagte Puoshoor, »um die bereits ausgesprochene Einladung offiziell und in direktem Kontakt zu besiegeln. Mein Vater Narashim, der regierende Garant des Gondunats, möchte dir, dem erklärten Erben des Wanderers, eine Audienz gewähren.«

»So weit waren wir bereits vor ein paar Tagen«, entgegnete Perry Rhodan kühl. »Du willst mir gewiss nicht weismachen, dass du dich allein deshalb an Bord der RAS TSCHUBAI bemüht hast.«

Der Thronfolger drehte den Kopf von links nach rechts, streifte seine ihn flankierenden Adjutanten mit einem Blinzeln und sagte: »Nein. Obgleich es die Etikette gebietet. Botschaften des Gondus an im historischen Gefüge vergleichbar einflussreiche Charaktere sollten nach Möglichkeit von Angesicht zu Angesicht überbracht werden.«