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Heinz-Werner Kubitza

Der Glaubenswahn

Heinz-Werner Kubitza

Der Glaubenswahn

Von den Anfängen des
religiösen Extremismus
im Alten Testament

Tectum

Heinz-Werner Kubitza

Der Glaubenswahn.
Von den Anfängen des religiösen Extremismus im Alten Testament

 

 

© Tectum Verlag Marburg, 2017

ISBN: 978-3-8288-6632-4

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter

der ISBN 978-3-8288-3849-9 im Tectum Verlag erschienen.)

Umschlagabbildung: Der Prophet Elia tötet die Baalspropheten,
Grafissimo |
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Korrektorat: Volker Manz

 

 

 

 

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Jahwe – Gott des Krieges und der Gewalt

Der Gott Jahwe und seine Morde an Fremdvölkern

Jahwes Gewalt gegen das eigene Volk

Jahwe als mitleidloser Zerstörer Jerusalems

Religiöse Phrasen und ein mordender Gott

Die üble Nachbarschaft frommer Sprüche

Gottes Gnade und Gewalt

Die Gründe für Jahwes Gewalttätigkeit

Die Geschichtsmythen des Alten Testaments

Jahwes Götterkollegen El, Baal und Aschera

Israel als polytheistische Gesellschaft

Der Salomonische Tempel

Die Könige Israels und der Polytheismus

Die Jahwe-allein-Bewegung und der Beginn des religiösen Extremismus

Der fanatische Prophet Elia

Jehu als Killer Jahwes

Die Propheten Hosea und Amos

König Josia und die gefälschte Schriftrolle

Der Sieg der radikalen Jahwe-Fanatiker im Exil

Warum ist das Alte Testament so gewalttätig?

Die Geschichtsfälschungen der Deuteronomisten

Die naive Beurteilung von Königen

Der Mythos vom Gottesbund

Die Erfindung des Sabbats und das Passafest

Die genitale Verstümmelung kleiner Jungen

Die Steigerung der Gewalt bei der Jahwe-allein-Bewegung

Fanatische Gläubige und fanatischer Gott

Jahwe als faschistoider Massenmörder?

Eine doppelte Entlastung Jahwes

Göttliche Gewalt als Problem der Theologie

Wie Theologen mit einem gewalttätigen Gott fertigwerden

Die fragwürdigen Eigenschaften Gottes

Jahwe als Ausländerfeind

Die Todesstrafen der Jahwe-allein-Fanatiker

Der eifersüchtige Gott

Der zornige Gott

Jahwes Rachsüchtigkeit

Die Mitleidlosigkeit Jahwes

Jahwes Schadenfreude

Exkurs: Ein persischer König als Messias

Jahwes Maßlosigkeit

Die Eitelkeit Jahwes

Ein Gott jammert

Gottes Unzuverlässigkeit

Gottes schwarze Pädagogik

Die Furcht als Haupteigenschaft der Gläubigen

Gehorsam als höchster Wert für servile Gläubige

Gott prügelt

Gott straft Unschuldige

Jahwe und die Kollektivschuld

Jahwe und die Individualschuld

Gott macht verstockt und straft dann

Gott vergiftet die sozialen Beziehungen

Der alttestamentliche Gott und sexuelle Gewalt

Frauen als minderwertig

Frauen als hochmütige Huren

Jahwe als apokalyptischer Zerstörergott

Der lächerliche Gott

Noch einmal: die Jahwe-allein-Bewegung

Die Propheten als religiöse Extremisten

Propheten als Lügner?

Propheten als Verrückte?

Die absurden Zeichenhandlungen des Propheten Ezechiel

Zeichenhandlungen bei anderen Propheten

Kranker Prophet Jeremia

Vernichtung beim Propheten Ezechiel

Die falschen Prophezeiungen der alttestamentlichen Propheten

Nicht eingetroffene Heilszusagen

Falschprophezeiungen bei Jesaja

Falschprophetie bei Jeremia

Falschprophetie beim Propheten Ezechiel

Messiasweissagungen im Alten Testament?

Alle Jahre wieder: Messiasweissagungen zur Weihnachtszeit

Theologische Illusionen

Das Alte Testament als fragwürdige Weltliteratur

Vom Scheitern eines frommen Plans

Jahwes Faible für Details

Göttliche Banalitäten

Langeweile im Wort Gottes

Erfundene Heilsgeschichten

Gefälschte Zahlen

Kleine Fehler und bewusste Lügen

Gott als Naturwissenschaftler

Urflut und Schöpfung

Gottes weise Gesetze

Blinde Flecke und Unzulänglichkeiten

Die Teilung der Welt in rein und unrein

Krankheit und Behinderung

Der primitive Opferkult des Alten Testaments

Die Opferarten

Opfer als Götterspeise

Kinderopfer im alten Israel

Biblische Opferkritik

Wertvolles im Alten Testament

Die Josephsnovelle

Das Buch Jona

Ester

Religionskritik bei Hiob

Nachwort

Endnoten

Literaturverzeichnis

Häufiger zitierte Titel zum Alten Testament

Weiterführende religionskritische Literatur

Vorwort

Viele Christen haben irgendwann in ihrem Leben eine fromme Idee: Es wäre doch schön, die Bibel einmal von Anfang bis Ende durchzulesen. Immerhin ist es für sie doch das »Wort Gottes«. Bei der Umsetzung dieses Plans erleben sie dann aber nicht selten unangenehme Überraschungen. Denn die so verehrte »Heilige Schrift« zeigt sich widerspenstiger und im Verstehen hinderlicher, als sie dies erwartet hatten. Zudem dürfte bei der Lektüre des Alten Testaments kaum etwas verstörender sein als der Eindruck, dass der alttestamentliche Gott Jahwe so häufig in Kriegshandlungen verstrickt ist. Wo ein vom Neuen Testament herkommendes friedliches (und meist auch kitschiges) Gottesbild bei Christen vorherrscht, wirkt es irritierend, dass das Alte Testament so wenig geeignet ist, die religiöse Wellness zu erzeugen, die der Gläubige von seinen heiligen Schriften doch erwartet. So mancher fromme Vorsatz, das »Wort Gottes« einmal komplett zu lesen, scheitert da schon nach kurzer Zeit nicht nur an sperrigen Geschichten, undurchsichtigen Zusammenhängen oder mangelnden Kenntnissen der Geschichte Israels, sondern auch an den vielen Akten der Gewalt, mit denen der Gläubige nicht gerechnet hat. Warum so viele Kriege? Warum so viel Blut?

Wie soll man das verstehen? In den Predigten der Kirchen war davon doch kaum die Rede? Denn obwohl der kirchliche Rhythmus immer wieder auch alttestamentliche Stellen im Predigtplan hat, ist für den Bibelleser eher das Gefühl der Fremdheit bestimmend, hat er sich erst einmal ohne kirchliche Anleitung in das Dickicht alttestamentlicher Erzähl- und Vorstellungswelten begeben. Und weil die nicht nur gewalthaltigen, sondern oft auch sehr spröden heiligen Texte nicht die erhofften warmen Gedanken heimeliger Erbaulichkeit liefern können, ist nachvollziehbar, dass der Plan einer vollständigen Bibellektüre schon bald wieder aufgegeben wird. Stattdessen beginnt der Gläubige, ohne dass es ihm wohl selbst bewusst wird, im Gotteswort zu springen, und er sucht die Stellen auf, die ihm das religiöse Wohlgefühl liefern können. Dazu eignen sich die in manchen Bibelausgaben bereits fett hervorgehobenen besonders erbaulichen Stellen. Oder die Psalmen, von denen sich viele für eine religiöse Bedürfnisbefriedigung anbieten, weshalb sie auch in den Kirchen sehr beliebt sind.

Doch gerade hier finden sich abseits der ausgetretenen religiösen Pfade auch ausgesprochen unangenehme Psalmen, die der gesunden religiösen Verdauung Probleme bereiten. Es ist ein Glücksspiel, ob man unter den 150 Psalmen gerade einen solchen erwischt (die Chancen stehen bestenfalls 50 : 50), der nicht ebenfalls diese irritierende Nähe zu Gewaltvorstellungen hat. In seiner Verzweiflung eilt der Gläubige weiter, vielleicht zu den Propheten, die ebenfalls in den Kirchen in hohem Ansehen stehen. Doch wenn er Pech hat, gerät er hier in eine Gruppe von Fremdvölkersprüchen, wie sie bei allen Propheten zu finden sind und wo über viele Seiten hinweg den Nachbarstaaten Israels Vernichtung und Untergang prophezeit werden. Vollends verwirrt verlässt der Bibelleser das Alte Testament und flüchtet dorthin, wo die religiöse Erbauung, die ihm doch zusteht, sich am sichersten destillieren lässt: zu Paulus, zu den Evangelien, besonders ins Johannesevangelium. Hier endlich findet die Seele Ruh. Hier kann sie sich erfreuen und erbauen an den altbewährten Sprüchen und der bekannten Strategie, nur das Freundliche an Gott und Bibel zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.

Der Gott des Alten Testaments bleibt damit aber letztlich für die Gläubigen ein unbekannter Gott. Was sie über ihn zu wissen meinen, leiten sie vom Neuen Testament her. Die Kirchen haben es ihnen vorgemacht. Weil Jesus und Paulus als geniale Interpreten des göttlichen Wesens gelten und nach altkirchlicher Dogmatik Jesus ja selbst Teil der unteilbaren Einheit der Dreifaltigkeit ist, kann sich der alttestamentliche Gott anstrengen, wie er will: Im Zweifelsfall wird er nicht ernst genommen, seine Worte werden ignoriert, und dies selbst dann, wenn sie mit dem Anspruch auf ewige Gültigkeit daherkommen. Vom Neuen Testament her wird der alttestamentliche Gott zurechtgestutzt, ja regelrecht liquidiert und der neuen »Offenbarung in Christus« angepasst. Und wenn dem neutestamentlichen Gott dann positive Charakterzüge wie Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zugeschrieben werden, bekommt der alttestamentliche Gott einen Teil davon ab.

Kirchen und Christentum leben davon, dass geschätzt 80 bis 90 Prozent der biblischen Texte faktisch ignoriert und nur ein kleiner Teil und ausgewählte Stellen, ja oft nur einzelne Verse rezipiert werden. Obwohl die Gläubigen und ihre Kirchen stets Gegenteiliges behaupten, findet subjektiv wie objektiv eine heimliche Entmündigung und Abwertung nicht frömmigkeitskompatibler Stellen der sogenannten »Heiligen Schrift« statt. Und dabei bleibt auch der alttestamentliche Gott mit seinen spezifischen Charakterzügen weitgehend auf der Strecke. Er wird zurechtgedeutet und uminterpretiert; »im Lichte des Neuen Testaments neu gesehen«, wird er dabei seinem vermeintlichen Sohn derart angepasst, dass er selbst nicht weiß, wie ihm geschieht.

Fast mag man Mitleid haben mit jenem alttestamentlichen Gott, der von seinen christlichen Kindern zwar verbal geehrt, in Wahrheit aber von ihnen aufs Altenteil gesetzt worden ist. Aber verdient der alttestamentliche Gott unser Mitgefühl? Hierzu ein klares Nein. Nicht alles, was alt ist, ist auch ehrwürdig, und ein positives Andenken sollte nur denjenigen gewährt werden, die dies auch verdient haben. Der alttestamentliche Gott Jahwe jedoch ist in fast keiner Hinsicht eines solches Andenkens würdig. Dies detailliert aufzuzeigen ist Sinn und Hauptabsicht dieses Buches. Gläubige tun recht daran – wenn es ihnen auch meist nicht bewusst ist und sie dies auch nicht zugeben könnten –, sich vom Gott des Alten Testaments verabschiedet und sein gewalttägiges und ethisch fragwürdiges Erscheinungsbild mit neutestamentlichen Vorstellungen domestiziert zu haben. Denn dieser Gott Jahwe vereinigt in sich ein derart hohes Maß an negativen Eigenschaften, Verhaltensweisen, niederen Instinkten und primitiven Rachefantasien, dass er für eine moderne und freiheitliche Gesellschaft, ja auch für eine sich (inzwischen) als modern und tolerant verstehende christliche Religion einfach nicht mehr zu verwenden ist.

Diese dunklen und hässlichen Seiten Gottes aufzuzeigen, den Finger genau auf die wunden Stellen zu legen, über die Gläubige in ihrer »Heiligen Schrift« in der Regel schnell hinweglesen und die in den Kirchen konsequent ignoriert werden – dies soll im Folgenden unternommen werden. Denn immer noch hält sich unter Gläubigen, ja sogar in Teilen der säkularen Gesellschaft hartnäckig die Meinung, das Alte Testament und sein Gott verträten eine werthafte bzw. wertvolle Ethik und seien deshalb wichtig und bewahrenswert.

Nun, bewahrenswert sind die Texte des Alten Testaments auf jeden Fall. Weil sie über einen Zeitraum von fast 1.000 Jahren entstanden sind, sind sie eine wahre Fundgrube für die kritische historische Forschung und im Prinzip viel interessanter als die wesentlich dünnere Bandbreite der neutestamentlichen Texte. Sie sind ein herrliches Explorationsgebiet für noch so manches lustvolle Forscherleben. Aber Kirchen und Gläubigen reicht das ja nicht. Sie sprechen den alten Texten auch noch eine Dignität und Wichtigkeit für unser heutiges Leben zu, für heutiges menschliches Zusammenleben in kleinen wie großen Zusammenhängen. In über 2.000 Jahre alten Texten soll sich eine Ethik spiegeln, die auch für unsere heutige Zeit vorbildlich und wertvoll ist.

Im Prinzip wäre auch dies nicht unmöglich, lassen sich doch in antiken Texten zum Beispiel der Stoiker, bei Seneca oder Marc Aurel, tatsächlich auch heute noch bedenkenswerte und wertvolle Stellen finden. Und natürlich ist nie alles schlecht an einer Sache. Doch aus den alttestamentlichen Texten sprechen eben nicht die Gelassenheit eines Seneca oder die Weitsicht eines Marc Aurel, sondern leider allzu oft die primitiven Rache- und Gewaltfantasien eines orientalischen Gottes und seiner Anhänger. Und dieser fremde und unangenehme Gott hat uns heute, hat selbst seinen christlichen Gläubigen eigentlich nichts mehr zu sagen. Dennoch beharren Kirchen und Gläubige hartnäckig auf der ethischen Relevanz auch des alttestamentlichen Gottes, und fromme Christen werden nicht müde dazu aufzufordern, das eigene Leben und gleich die ganze Gesellschaft an biblischen Grundsätzen auszurichten.

Im Folgenden werden wir die alttestamentlichen Texte aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: aus einer wissenschaftlichen Sicht, die versucht, den Lesern die Erkenntnisse der alttestamentlichen Forschung zu vermitteln, und daneben oft auch aus einer im Prinzip unwissenschaftlichen religiösen Sicht, aus Sicht der Gläubigen. Wir wollen an vielen Stellen die Gläubigen einfach einmal beim Wort nehmen. Ignorieren wir, dass auch der alttestamentliche Gott wie alle Götter ein Geschöpf seiner Gläubigen ist. Tun wir einfach einmal so, als fänden sich im »Wort Gottes« tatsächlich Worte Gottes. Als seien die biblischen Gottesworte mehr als nur Literatur, Erfindungen von Gläubigen und einer des Lesens und Schreibens kundigen Priesterschaft. Tun wir so, als hätten biblische Gottes- und Prophetenworte tatsächlich so etwas wie einen realen Hintergrund. Und indem wir dies tun, fragen wir: Welcher Gott tritt uns dann entgegen? Was erfahren wir über ihn? Was hat er uns zu sagen, was sagt er über sich?

Im Folgenden werden deshalb viele Stellen aus dem Alten Testament zitiert, was fromme Seelen zunächst freuen könnte. Doch es werden eben genau solche Worte sein, die Christen sonst so gerne überlesen. Für Gläubige wird dieses Buch eine schwere Kost, denn die dunklen Seiten ihres Gottes werden ungeschminkt aufgezeigt. Gott wird geschildert als Schürer und Anstifter von Gewalt und Vernichtung, als Mörder an fremden Völkern und ebenso am eigenen Volk. Wir werden einen Gott kennenlernen mit unverhohlenem Blutdurst, einen Brandstifter, launisch, unberechenbar, einen Verursacher von Krieg, Krankheit und Hunger. Einen Vergifter sozialer Beziehungen, einen notorischen Ausländerfeind und Verfechter von Intoleranz als Tugendmodell. Wir werden Jahwes niedere Instinkte kennenlernen, seinen Zorn und seine Wut, seine Mitleidlosigkeit und Schadenfreude, seine Eitelkeit und Launenhaftigkeit, sein Großmachtdenken wie auch seine Provinzialität. Und alles wird durch Bibelzitate1 illustriert und belegt werden. Die Leser brauchen wahrlich starke Nerven, denn es wird über weite Strecken ein Waten in Blut und Gewalt sein, und zwar besonders da, wo Gott selbst zu reden vorgibt. Für Kinder nicht geeignet und eine Anfechtung für Gläubige, die das alles, was hier beschrieben wird, lieber nicht so genau wissen wollen und lieber wieder die Flucht in die religiösen Wellnesszonen antreten werden. Doch wer durchhält, der versteht den alttestamentlichen Gott und auch heutige Gläubige vielleicht besser.

Das vorliegende Buch »Der Glaubenswahn«, das sich schwerpunktmäßig mit dem alttestamentlichen Gott beschäftigt (Gott Vater), ist der Abschluss einer »Wahn-Trilogie« in drei Bänden.2 Im Buch »Der Jesuswahn«3 war der neutestamentliche Gott bzw. der zu einem Gott hochgeglaubte Mensch Jesus von Nazareth (Gott Sohn) das Thema. Wer bemängelt, dass das Neue Testament in den vorliegenden Ausführungen kaum erwähnt wird, sei auf dieses Buch verwiesen. Was die Kirchen und Theologen immer wieder findig und fantasievoll aus dem alt- und neutestamentlichen Gott gemacht haben und immer noch machen, wurde im Buch »Der Dogmenwahn« (Gott Heiliger Geist) beschrieben.4

Das vorliegende Buch erscheint im Lutherjahr 2017. Die protestantischen Kirchen werden es nicht versäumen, halb kritisch auch auf die negativen Seiten des sogenannten Reformators einzugehen, etwa auf seinen Judenhass und seine zweifelhafte Rolle in den Bauernkriegen. Daneben aber werden sie die »bleibenden Verdienste« rühmen, die mit ihm angeblich verbunden sind. Und darunter wird als einer der ersten Punkte die Neuentdeckung der Bibel sein. Es waren ja Luther und seine Nachfolger, die die biblischen Schriften zum Mittelpunkt des religiösen »Denkens« machten – was dann bisweilen zu einer regelrechten Bibelvergötzung geführt hat, die bei heutigen evangelikalen und pietistischen Gruppen noch virulent ist.

Es wird die Frage zu stellen sein, ob die Bibel es wirklich wert war, so hoch gestellt worden zu sein. Ob sie ihre ethische Erhöhung und Wertschätzung wirklich verdient hat. Oder ob sie stattdessen nicht eher mitgeholfen hat, dass absurde religiöse Vorstellungen und fragwürdige Werte, die längst auf den Müllhaufen der Geschichte gehören, wieder salonfähig geworden sind. Was uns Luther mit der Wiederentdeckung der Bibel hinterlassen hat – auch das will dieses Buch zeigen – war kein Segen, sondern ein Übel. Wie auch die sogenannte »Reformation« ein Übel war, nämlich ein nach hoffnungsvollen Aufbrüchen in Renaissance und Humanismus erfolgter Rückfall in mittelalterliche Scholastik und religiöse Rechthaberei – mit all den negativen Begleiterscheinungen einer Spaltung Europas und mit Religionskriegen bis hin zum Dreißigjährigen Krieg. Selbst ernannte Propheten werden von ihren Gläubigen gerne bejubelt, haben der Welt aber selten gutgetan.

Jahwe – Gott des
Krieges und der Gewalt

»Jahwe ist ein Kriegsmann, Jahwe ist sein Name!« (Ex 15,3) Das sogenannte Moselied, wo sich diese Zeile findet, geht zwar nicht auf Mose zurück, dennoch ist man sich in der Forschung einig, dass es sich um sehr altes Überlieferungsgut handelt. Besungen wird die bekannte wundersame Rettung Israels vor den Ägyptern am Schilfmeer. Doch Jahwe ein Kriegsmann? Heutigen Christen ist dieser Gedanke fremd. Dennoch hat offenbar das frühe Israel seinen Gott »zunächst und am eindrücklichsten im kriegerischen Handeln Jahwes sinnenfällig zu erleben geglaubt. Daher besang man sie [die kriegerische Macht Jahwes] in den älteren Liedern (Ex 15,21; Ri 5) und legte Jahwe entsprechende Attribute bei: ein Kriegsheld, gewaltig und hoch erhaben, furchtbar und herrlich in Heiligkeit, machtvoll und ein Wundertäter.«5 So der Alttestamentler Georg Fohrer. Auch sein Kollege Rainer Albertz bestätigt wie viele andere die »enge Verquickung Jahwes mit dem Krieg«. Dies sei »der Ort, an dem in dieser Zeit das Handeln Jahwes am direktesten erfahren wurde; sie werden regelrecht Jahwekriege genannt (1 Sam 18,17; 25,28; vgl. Num 21,14).«6 Dem entspricht auch die Bezeichnung des Volks Isra-El, was übersetzt heißt »Gott streitet« bzw. »El streitet«. Das Volk Israel bekennt sich also schon in seinem Namen zu seinem streitenden Gott, seinem Kriegsgott.7 Und offenbar existierte sogar einst ein Buch der »Kriege des Herrn« (Num 21,14).

Was von diesem Gott erwartet wurde, war klar: »Eine Zuflucht ist der alte Gott, und unten hat er mit ewigen Armen den Feind vor dir vertrieben und gesprochen: Vernichte!« (Dt 33,27) Jahwe ist es, von dem berichtet wird: »Ross und Reiter hat er ins Meer geschleudert« (Ex 15,1+21), und den man rühmt: »Wer ist der König der Herrlichkeit? Jahwe, der Starke und Held, Jahwe, der Held im Kampf […]. Wer ist der Herr der Herrlichkeit? Der Jahwe der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit.« (Ps 24,8+10) Und wo Christen gerne »himmlische Heerscharen« sehen möchten, handelt es sich hier wie anderswo um höchst irdische Streitscharen. Jahwe wird an solchen Stellen eindeutig als Kriegsgott beschrieben.

Jahwe ist es, der sich »mit Krieg, mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm, mit großen und furchtbaren Taten« zeigt (Dt 4,34). Das Volk soll gewiss sein: »Wenn du in den Krieg ziehst gegen deine Feinde […] Jahwe, dein Gott, ist mit dir.« (Dt 20,1) Noch deutlicher: »Denn Jahwe, euer Gott, zieht mit euch, um für euch mit euren Feinden zu kämpfen.« (Dt 20,4) In seiner Abschiedsrede nach der Eroberung Kanaans stellt Josua klar, dass es nicht das Volk war, das die Siege errungen hat: »Denn Jahwe, euer Gott, er hat für euch gekämpft« (Jos 23,3), er hat die anderen Völker »ausgerottet«. Und für die Zukunft gilt: »Jahwe, eurer Gott, er wird sie vor auch verjagen und vor euch vertreiben, und ihr werdet das Land in Besitz nehmen.« (Jos 23,5)

Dass der alttestamentliche Gott (auch) ein Kriegsgott war, diesen Gedanken müssen friedensbewegte Gläubige erst einmal akzeptieren und verarbeiten. Doch militärische Begrifflichkeit findet sich zuhauf, wenn man nur darauf achtet. Mose errichtet einen Altar und nennt Jahwe »mein Feldzeichen« (Ex 17,15). Die Israeliten werden beim Exodus von Jahwe höchstselbst als »meine Heerscharen« bezeichnet (Ex 7,4), sie werden wie Krieger gemustert (Num 1), die wehrfähigen Männer versammeln sich unter Feldzeichen (Num 2,2). Der ganze Exodus geschieht quasi in Kampfaufstellung mit Jahwe als Oberbefehlshaber, der in Wolke und Feuersäule voranzieht. Und Israel weiß: »Der Herr, euer Gott, der vor euch zieht, er wird für euch kämpfen« (Dt 1,30).

Auch in anderen Zusammenhängen begegnen militärische Bilder, die höchst real gemeint sind. Im legendären Kampf Davids gegen Goliath beleidigt Goliath »die Schlachtreihen[!] des lebendigen Gottes« (1 Sam 17,26). Und David seinerseits kommt zu Goliath »mit dem Namen Jahwes der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels« (1 Sam 17,45) – Jahwe, ein Gott der Schlachtreihen. Früher schon war David von Saul aufgefordert worden: »Führe die Kriege des Herrn« (1 Sam 18,17). Der Prophet Jeremia kann Jahwe als Kriegsgott gegen Babel rühmen: »Ein Hammer bist du [Jahwe] mir, Waffen für den Krieg. Und mit dir zerschlage ich Völker, und mit dir vernichte ich Königreiche. Und mit dir zerschlage ich das Pferd und seinen Reiter […]. Und mit dir zerschlage ich Mann und Frau, und mit dir zerschlage ich Alt und Jung […]. Und mit dir zerschlage ich den Hirt und seine Herde.« (Jer 51,20+23) Jahwe ist ein Gott, der die Vernichtung des Feindes gewährleistet.

Sogar im vermeintlich friedlichen Symbol des Regenbogens aus der Sintflutgeschichte finden sich militärische Anklänge. Nach der Vernichtung der Menschheit und der Tierwelt spricht Jahwe: »Meinen Bogen stelle ich in die Wolken. Der soll ein Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde sein.« (Gen 9,13) Der Alttestamentler Gerhard von Rad meinte dazu in seinem Kommentar zum Buch Genesis: »Das hebräische Wort, das wir mit Regenbogen übersetzen, bedeutet sonst im Alten Testament den Kriegsbogen […]. Gott zeigt der Welt, dass er seinen Bogen beiseitegestellt hat [also wieder friedlich geworden ist].«8 Man liest diese Geschichte anders, wenn man diesen Hintergrund kennt.

Götter, die für ihre Völker in den Krieg ziehen, gab es in der Antike viele. Parallelen sind vor allem aus dem Zweistromland bekannt. Grimmige Kriegsgötter sind heute für Gläubige Ausdruck primitiven Aberglaubens. Eben deshalb hätten sie dies dem eigenen Gott Jahwe niemals zugetraut und sind verwirrt. Wie soll man das erklären, wie Jahwe entschuldigen? Handelte es sich um Jugendsünden? War er »noch jung und brauchte das Geld«? Doch auch in relativ späten Texten werden Jahwes Qualitäten als Kriegsgott noch gelobt: »Gepriesen sei Jahwe, mein Fels, der meine Hände den Kampf lehrt und meine Finger den Krieg.« (Ps 144,1) Die Vorstellung eines Krieg führenden Jahwe ist im Alten Testament fast durchgängig präsent. Wenn man das Alte Testament einmal ohne dogmatische Scheuklappen liest, findet man Hunderte von Stellen, wo Jahwe mit Krieg droht, als Kriegsgott kämpft, zum Krieg anstachelt oder an massiver Gewalt beteiligt ist. Doch in den Predigten der Kirchen hört man davon nichts. Das Alte Testament konterkariert das meist sehr kitschige Gerede vom guten und liebenden Gott. Die Christen haben den alttestamentlichen Gott de facto liquidiert.

Die Hoffnungen Israels ruhen auf dem Kriegsgott Jahwe: »Mit Gott werden wir Machttaten vollbringen, er ist es, der unsere Feinde zertritt.« (Ps 60,14) Gott soll die Feinde »zu Dünger für den Acker« machen (Ps 83,11). Jahwe gibt Kraft für den Krieg: »Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.« Evangelikale Kreise haben aus diesem Vers von Ps 18 ein munteres Lobpreislied gemacht: »Mit meinem Gott kann ich Wälle zerschlagen, mit meinem Gott über Wälle springen.« Sie sind sich gar nicht bewusst, dass sie hier eigentlich ein Kriegslied singen. In frommer Einfalt halten sie das reale Geschehen für eine Metapher, so wie sie sonst gerne Metaphern für reales Geschehen halten. Der Sinn wird umgebogen, obwohl Ps 18 noch viel deutlicher wird: »Gott ist es […], der meine Hände den Kampf lehrt, dass meine Arme den ehernen Bogen spannen […]. Ich verfolge meine Feinde und hole sie ein, kehre nicht um, bis ich sie vernichtet habe. Ich schlage sie nieder, und sie können sich nicht mehr erheben.« (Ps 18,38–39a) »Du hast mich zum Kampf mit Kraft gegürtet, du zwingst unter mich in die Knie, die sich gegen mich erheben. Den Nacken meiner Feinde gibst du mir preis, und die mich hassen, vernichte ich. Sie schreien, doch da ist kein Retter, zu Jahwe [d. h., sie schreien zu Jahwe um Hilfe!], doch er erhört sie nicht. Ich zerreibe sie wie Staub vor dem Wind, wie Unrat schütte ich sie auf die Gassen […]. Jahwe lebt. Gepriesen ist mein Fels […] der Gott, der mir Rache gewährt.« (Ps 18,38–48)

Der fromme Wille der gläubigen Psalmbeter ist gewalttätig, sie halten sich nicht lange auf mit modernen Gefühlsduseleien wie Barmherzigkeit oder dem Willen zur Überzeugung anderer Menschen. Unverblümt wird Gott mitgeteilt, was man von ihm erwartet: »Deine Hand wird alle deine Feinde treffen […]. Wie einen Ofen lässt Du sie glühen […]. In seinem Zorn wird er sie verschlingen, und das Feuer wird sie verzehren. Ihr Geschlecht wirst du von der Erde vertilgen und ihre Nachkommen aus der Gemeinschaft der Menschen […]. Denn du schlägst sie in die Flucht, mit deinem Bogen zielst du auf ihr Gesicht.« (Ps 21,9–13) Und auch hier ist wieder kein Regenbogen gemeint. Unmissverständlich heißt es in Ex 15,6: »Deine Rechte, Jahwe, herrlich in Kraft, deine Rechte, Jahwe, zerschmettert den Feind.«

Zerschmettern und zerschlagen, töten und vernichten: Christen müssen hinzulernen. Sie werden mit Eigenschaften ihres Gottes konfrontiert, die für sie schwer zu begreifen sind. Wie will man da zu einem Gott der Liebe kommen, wenn die Bibel selbst so oft einen ganz anderen Gott präsentiert?

Doch Gott ist nicht nur eine Art »Schirmherr« des Krieges. Nein, er selbst kämpft mit. Wiederholt wird Jahwe im Alten Testament als Krieger geschildert, sogar bei dem bei Frommen so beliebten Deuterojesaja: »Jahwe zieht aus wie ein Held, wie ein Kriegsmann weckt er die Kampfeslust, stimmt den Schlachtruf an, stößt das Feldgeschrei aus, gegen seine Feinde erweist er sich als Held.« (Jes 42,13)

Für militärische Siege zeichnet Jahwe höchstpersönlich verantwortlich. Die Israeliten sollen sich ja nicht rühmen, sie hätten die Feinde alleine umgebracht. Um dies deutlich zu machen, kommt es in Ri 7 zu einer Heeresreduktion. Beim Sieg des »Richters« Gideon über die Midianiter werden 32.000 Krieger in zwei Schritten auf nur noch 300 (Leonidas lässt grüßen!) reduziert. Damit will Gott klarmachen: »Israel soll sich nicht gegen mich rühmen können und sagen: Meine eigene Hand hat mir geholfen« (Ri 7,7). Dies sagen fromme Christen heute noch gerne; sie freilich meinen damit alles Positive, was ihnen im Leben so wiederfährt. Aber in diesem Fall hilft ihr Gott bei der Vernichtung, denn Jahwe tötet in dieser Geschichte 120.000 Männer (Ri 8,10), und offenbar noch weitere 15.000, die zunächst fliehen konnten. Das hätten die Israeliten in der Tat schwerlich alleine schaffen können. In die Schlacht ziehen die Männer mit dem Ruf »Das Schwert für Jahwe und Gideon!« (Ri 7,20).9 Ganz nebenbei wird also auch ein kleiner Massenmord geschildert. Viele weitere werden noch folgen.

Friedensbewegte Christen zitieren gerne das Wort vom Umschmieden der Schwerter zu Pflugscharen (Mi 4,3). Dabei wird gerne übersehen – denn das passt wieder nicht ins friedliche Gottesbild –, dass an anderer Stelle auch zum Umschmieden von Pflugscharen in Schwerter aufgefordert wird (Jo 4,10). Und Jahwe selbst nimmt für sich in Anspruch, überhaupt erst ermöglicht zu haben, dass Schwerter für den Krieg zur Verfügung stehen: »Siehe, ich selbst habe den Schmied geschaffen, der das Kohlenfeuer anfacht und eine Waffe hervorbringt zu ihrem Zweck. Und ich selbst habe den Zerstörer geschaffen, damit er Verderben bringt.« (Jes 54,16) Jahwe also gewissermaßen ein Schutzheiliger der Waffenschmiede? Das Alte Testament ist voller Überraschungen. Da kann man fromme Christen schon verstehen, wenn sie aufgescheucht die Flucht ins Neue Testament antreten. Die kriegerischen Seiten Jahwes im Alten Testament aber werden uns begleiten bis in dessen jüngste Texte hinein. »Jahwe ist ein Kriegsmann, Jahwe ist sein Name!«

Der Gott Jahwe und seine Morde an Fremdvölkern

Während viele Christen heute durchaus aufrichtig für eine friedliche Welt und eine Zurückdrängung von Gewalt eintreten, hätte der Gott des Alten Testaments so etwas wie Feindesliebe oder auch nur friedliche Koexistenz noch als romantisches Geschwätz abgetan. Der Segen, den dieser Gott versprach, zeigte sich doch gerade in blutigen Kriegen, in der Vernichtung der Feinde und der Aneignung von deren Land und Besitz. Im Erzählduktus der Bibel bedeutet die sogenannte Landnahme der Israeliten, wie sie besonders im Josuabuch erzählt wird, einen Vernichtungsfeldzug gegen die rechtmäßigen Besitzer des Landes Kanaan und seine Nachbarn.10 Gemäß Völkerrecht (das es damals freilich noch nicht gab) waren es Eroberungskriege, die hier von Israel berichtet werden.

Doch halt: Hatte nicht Gott dem Abraham schon dieses Land »verheißen«? Gläubige neigen dazu, sich von solchen nachträglichen Erklärungen beschwichtigen zu lassen. Doch die Erzväter, an die die Landverheißungen ergangen sein sollen, sind ebenso wie die Landverheißungen selbst vermutlich rein legendär. Es spricht historisch viel dafür, dass es weder einen Abraham noch einen Isaak, noch einen Jakob als historische Personen je gegeben hat. Allerdings gab es Erzählkränze, die sich an fiktive Erzvätergestalten anlehnten und mit ihnen in Verbindung gebracht wurden. Aber alles verschwindet in einer legendären und halbmythischen Vergangenheit. Historisch ist nichts greifbar. Dennoch dient die alttestamentliche Propaganda von der Verheißung des gelobten Landes sogar heute noch beispielsweise ultraorthodoxen Juden dazu, Gebietsansprüche gegenüber den Palästinensern zu rechtfertigen. Im Alten Testament wird die Frage nach der Gerechtigkeit solcher Angriffs- und Vernichtungskriege gar nicht erst gestellt. Denn Gott selbst hat ja alles so befohlen, und er kämpft auch selbst mit.

Wie ein solcher Krieg aussieht, dazu gibt Dt 20 Auskunft. Israel soll zunächst Frieden anbieten. Wenn eine Stadt sich sogleich ergibt, soll sie »Frondienst leisten und dir Untertan sein« (Dt 20,11). Will sie sich aber, was ja mehr als verständlich ist, nicht den eindringenden Eroberern unterwerfen, »dann sollst du sie belagern. Und Jahwe, dein Gott, wird sie in deine Hand geben, und alles, was darin männlich ist, sollst du mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Nur die Frauen und Kinder und das Vieh und alles, was sich in der Stadt an Beute findet, darfst du als Plündergut für dich behalten« (Dt 20,12–14). Für antike Ohren mag dies noch relativ normal geklungen haben. Doch diese Regelung gilt nur für Völker, die vom israelitischen Siedlungsgebiet weit entfernt sind. Für die Völker Kanaans aber, die unmittelbaren Nachbarn Israels, gilt: »Doch in den Städten dieser Völker […] sollst du nichts am Leben lassen, was Atem hat, sondern du sollst sie der Vernichtung weihen« (Dt 20,16–17).11

Es geht in den Jahwekriegen, den heiligen Kriegen des alttestamentlichen Gottes, eben nicht nur um Eroberung. Es sind Vernichtungsfeldzüge. Die Bevölkerung, auch die wehrlosen Frauen, Kinder und Alten sollen physisch vernichtet werden. Sie werden dem Bann unterzogen, der Vernichtungsweihe. Die Texte verstehen dies so, dass, indem alles getötet und vernichtet wird, Israel nichts für sich behält, sondern gleichsam alle Kriegsbeute Jahwe übereignet wird. Er ist der eigentliche Profiteur der Kriege und Massaker an der wehrlosen Bevölkerung. Schon während der Wüstenwanderung verspricht Israel seinem Gott als Dank die völlige Vernichtung des Feindes: »Da legte Israel Jahwe ein Gelübde ab und sprach: Wenn du dieses Volk [hier das Volk von Arad] in meine Hände gibst, werde ich ihre Städte der Vernichtung weihen. Und Jahwe hörte auf die Stimme Israels und gab die Kanaaniter preis, und Israel vernichtete sie und ihre Städte.« (Num 21,2–3) Man muss sich diese perverse Vernichtungslogik einmal klarmachen: Weil Jahwe den Sieg gibt, wird er mit der Vernichtung der Bevölkerung belohnt. Und Jahwe ist keineswegs entsetzt über die Grausamkeit, sondern nimmt die Massaker als Zeichen des Dankes gerne an.

Im Kampf gegen Sichon und die Amoriter heißt es: »Aber Jahwe, unser Gott, gab ihn uns preis, und wir schlugen ihn und seine Söhne und sein ganzes Volk. Und damals eroberten wir all seine Städte und weihten jede Stadt der Vernichtung, die Männer, die Frauen und die Kinder, niemanden ließen wir überleben. Nur das Vieh behielten wir für uns als Beute und das Raubgut aus den Städten.« (Dt 2,33–35)12 Über den König Og von Baschan liest man: »Und wir schlugen ihn und ließen niemanden von ihm überleben […]. Und wir weihten sie der Vernichtung […] jede Stadt, die Männer, die Frauen und die Kinder.« (Dt 3,3–6)

Vor dem »Einzug« ins »gelobte Land« gibt es eine regelrechte Ermahnung zur Vernichtung anderer Völker. Vorbereitet werden die Israeliten auf »sieben Völker, die größer und stärker sind als du, und wenn Jahwe, dein Gott, sie dir preisgibt und du sie schlägst, sollst du sie der Vernichtung weihen. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und sie nicht verschonen.« (Dt 7,1–2) Für diese Vernichtungstaten soll Israel dann sogar »gesegnet« sein mit Nachkommenschaft, fruchtbaren Äckern und Viehbestand. »Und du wirst alle Völker vertilgen, die Jahwe, dein Gott, dir preisgibt. Du sollst sie nicht schonen und ihren Göttern nicht dienen.« (Dt 7,14–16) Keine Gnade kennt dieser Jahwe mit den Besiegten, und er verfolgt noch diejenigen, die fliehen, mit perverser Lust: »Und auch die Hornissen wird Jahwe, dein Gott, auf sie loslassen, bis auch die vernichtet sind, die übriggeblieben sind und sich vor dir versteckt halten. Du sollst keine Angst vor ihnen haben, denn Jahwe, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein großer und furchtbarer Gott.« (Dt 7,20–21) Zumindest das Wort »furchtbar« trifft die Sache ziemlich gut.

Josua, der Nachfolger des Mose, wird zum Volkshelden, weil nach biblischer Erzählung er es war, unter dem die einheimische Bevölkerung ausgerottet wurde. Das Alte Testament rühmt seine Taten, die heute einen Kriegsverbrecherprozess rechtfertigen würden, in den höchsten Tönen. Er erobert die Städte Jericho und Ai13 und weitere Städte, so Makkeda: »Er weihte die Stadt und alles Lebendige in ihr der Vernichtung, niemanden ließ er am Leben.« (Jos 10,28) Libna: »Und er schlug sie und alles Lebende in ihr mit der Schärfe des Schwerts, niemanden ließ er überleben.« (Jos 10,30) Laschisch: »Und er schlug die Stadt und alles Lebende in ihr mit der Schärfe des Schwerts.« (Jos 10,32) Geser: dito. Eglon: »Und an jenem Tag weihten sie alles Lebende in ihr der Vernichtung.« (Jos 10,35) Chebron: »Niemanden ließ er überleben […] und weihte die Stadt und alles Lebende in ihr der Vernichtung.« (Jos 10,37) Debir: »Und alles Lebendige, das darin war, weihten sie der Vernichtung, niemanden ließ er überleben.« (Jos 10,39) Um noch mehr Menschen töten zu können, betet Josua sogar zu Gott, auf dass er die Sonne stillstehen lassen möge (es also länger hell bleibe). Und was macht Jahwe? Er erfüllt ihm diesen Wunsch gern: »Und die Sonne blieb am Himmel stehen und beeilte sich nicht unterzugehen, fast einen ganzen Tag lang.« (Jos 10,12-13) Und auch sonst ist Gott gerne behilflich beim Morden. Im gleichen Kapitel Jos 10, als es gegen eine Koalition von fünf Königen geht, bleibt Jahwe nicht untätig. Der Herr ließ »große Steine vom Himmel auf sie [die Feinde] fallen bis nach Aseka, und sie starben. Durch die Hagelsteine starben mehr, als die Israeliten mit dem Schwert umbrachten.« (Jos 10,11)

Alle diese Geschichten werden gänzlich ohne Rücksicht auf moderne Wertmaßstäbe wie Menschenrechte und Vermeidung von Grausamkeit erzählt. Christen, die immer wieder behaupten, dass sich in der Bibel eine bewahrenswerte Ethik findet, wissen, wenn man solche wie viele andere Stellen betrachtet, nicht, wovon sie reden. Denn diese biblischen Geschichten werden in der Bibel nicht nur nicht ethisch hinterfragt und problematisiert. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Kriege der Frühzeit schildern geradezu ein Idealbild des Krieges, rühmen den Krieg, zeigen, wie er idealerweise sein soll.

In reinster Form findet sich dieser heilige Jahwekrieg im Kampf gegen die Midianiter Num 31. Dieser ideale Krieg findet auf Anweisung Jahwes statt. Es gibt einen Priester als Heerführer. Beim Gegner gibt es unglaublich viele Tote, während es keinerlei Verluste aufseiten Israels gibt. Nach dem Kampf wird der Bann vollzogen, also die kriegsgefangenen Frauen, Männer und Kinder getötet. Die (aus heutiger Sicht) Mörder unterziehen sich anschließend einer Sühnehandlung, die jedoch nicht dazu dient, moralische Schuld abzuwaschen, sondern dem Umstand geschuldet ist, dass man mit Blut in Berührung gekommen ist, was (wie bei einer Menstruation) immer Unreinheit bedeutet. Anschließend wird noch eine Steuer für Jahwe entrichtet und dem Heiligtum werden Gaben dargebracht. So ändern sich die Zeiten: Während heutige Christen das Ideal einer friedlichen Welt propagieren, bestand für zumindest einen einflussreichen Teil der alttestamentlichen Überlieferung das Ideal in genau solch einem nach allen Regeln des Gotteskrieges durchgeführten blutrünstigen und exterminatorischen Feldzug.

Dies wird deutlicher, wenn beispielsweise gegen die heilige Pflicht zum Morden verstoßen wurde. Die Bibel bringt hierzu zwei anschauliche Beispiele. In 1 Sam 15 wird König Saul übel getadelt, weil er den Bann an den Amalekitern nicht vollständig vollzogen hat. Jahwe hatte ihm über Samuel doch ausdrücklich aufgetragen: »Nun geh und schlage Amalek. Und alles, was ihm [Jahwe] gehört, sollt ihr der Vernichtung weihen, und nichts sollst du verschonen, sondern du sollst Mann und Frau, Kind und Säugling [!], Rind und Schaf, Kamel und Esel töten.« (1 Sam 15,3) Saul bringt daraufhin zwar die Menschen einschließlich der Kinder und Säuglinge um, verschont aber die besten Schafe und Rinder. Das trägt ihm eine schwere Rüge durch Samuel ein, der ihm mit Recht vorwirft, den Vernichtungsbefehl nicht vollständig ausgeführt zu haben. Saul versucht sich damit herauszureden, er habe die besten Tiere Gott opfern wollen. Aber Samuel meint: »Sieh, Gehorsam ist besser als Schlachtopfer.« (1 Sam 15,22) Hätte Saul die Säuglinge am Leben gelassen (weil er vielleicht selbst Kinder mochte), wäre das Scheltwort Samuels wohl ähnlich deutlich ausgefallen.

Interessant ist an den Worten »Gehorsam ist besser als Schlacht(opfer)«, dass es zu den vielzitierten Worten des Alten Testaments gehört und darüber auch häufig in den Kirchen gepredigt, und zwar positiv gepredigt wird. Der Tenor ist dann: Es komme auf Gehorsam gegenüber Gott an, rituelle Dinge (wie Opfer) spielten eine untergeordnete Rolle. Der Kontext, in dem diese Worte sich finden, wird dabei in der Regel komplett verschwiegen. Dies ist nicht nur an dieser Stelle so. Wir werden noch sehen, dass vermeintlich »gute Regeln« sich in unmittelbarer Nähe von völlig inhumanen Bestimmungen finden. Über die einen wird erbaulich gepredigt, bei den anderen aber tut man so, als gäbe es sie nicht.

Auch die Rolle Samuels erfährt diese Behandlung. Für den Bibelleser ist er eine positiv besetzte Figur, der fast der Rang eines Propheten zukommt. Als treuer Diener Jahwes begegnet auch er häufig in Sonntagspredigten. Ständig ermahnt er dazu, sich an das Wort Gottes zu halten, erfüllt brav die Vorgaben Jahwes, salbt Könige und setzt sie wieder ab. Er ist eine Art Aufseher über den göttlichen Willen und seine Erfüllung. So etwas kommt bei den Gläubigen gut an. Dass der göttliche Wille hier Vernichtung und Mord an Unschuldigen und Hilflosen bedeutet, realisieren Gläubige in der Regel nicht.

Nicht nur die besten Schafe und Rinder hatte Saul verschont, sondern ebenso den gefangenen König der Amalekiter. Der fromme Mahner Samuel schlägt ihn eigenhändig in Stücke »vor dem Herrn«. (1 Sam 15,33)14 Und noch aus dem Totenreich heraus, als Saul bei einer Totenbeschwörerin Kontakt zum toten Samuel aufnimmt, macht dieser religiöse Fanatiker Saul schwere Vorwürfe, »weil du nicht auf die Stimme Jahwes gehört hast und seinen glühenden Zorn an Amalek nicht vollstreckt hast.« (1 Sam 28,18)

Die zweite Geschichte eines von Gott zwar befohlenen, aber nicht vollzogenen Vernichtungsbanns findet sich bei König Achab (Ahab, 871–852 v. Chr.) in 1 Kön 20. Achab war offenbar ein vergleichsweise fortschrittlicher und toleranter Herrscher, jedenfalls wenn man die Zeitumstände berücksichtigt. Er unterhielt besonders freundschaftliche Kontakte zu den Phöniziern. Doch bei Jahwe und seinem Propheten Elia – auch dieser wie Samuel ein religiöser Fanatiker und Glaubensheld gleichermaßen – ist er schlecht angesehen, denn er hat sich erlaubt, eine Ausländerin zu heiraten. Und das geht für den notorischen Ausländerfeind Jahwe15 gar nicht. Achabs Frau Isebel hat in Samaria, der Hauptstadt des Nordreichs Israel, einen Baal-Tempel bauen lassen. So etwas war durchaus üblich in einer polytheistischen Umgebung. Heiligtümer dienten dabei oft nicht nur einem Gott, sondern waren auch offen für die Verehrung anderer Götter. Mit dem Sieg des Polytheismus ist diese Toleranz leider verloren gegangen. Das Alte Testament aber macht König Achab zu einem der schlimmsten Könige überhaupt.

Dennoch kann man noch erkennen, dass sein Ansehen einst besser war. Als König Achab gegen die Aramäer kämpft, vollzieht er den Bann nicht, sondern schließt stattdessen lieber Frieden mit dem Feind. Der schon geflüchtete König der Aramäer ergibt sich und fleht um Gnade. Und König Achab zeigt sich mehr als großzügig: »Er lebt noch? Er ist mein Bruder!«, und lässt ihn in seinem Wagen mitfahren. Dann erstattet er ihm sogar einige Städte zurück, die Achabs Vater ihm einst abgenommen hatte, schließt einen Bund (wohl eine Art Wirtschaftsvertrag) mit ihm und lässt ihn in Frieden ziehen (1 Kön 20,32–34). Der fromme Leser ist erstaunt und hocherfreut. Ist hier etwa so etwas wie Feindesliebe im Sinne Jesu verwirklicht worden?16

Doch wer ist unzufrieden? Wieder einmal Jahwe, der darauf pocht, dass er die Vernichtungsweihe doch eindeutig befohlen hat. Freundlichkeit war fehl am Platz, Achab hätte den Aramäerkönig töten müssen. Der Prophet Elia liest Achab die Leviten: »So spricht Jahwe: Weil du den Mann aus der Hand gegeben hast, der mir zur Vernichtung geweiht war, haftest du mit deinem Leben für sein Leben, und dein Volk für sein Volk.« (1 Kön 20,42) König Achab aber ist »missmutig und wütend«, sicher auch über solch göttliche oder zumindest prophetische Borniertheit. Man kann noch erkennen, dass diese Geschichte einst positiv ausging und wohl die Großzügigkeit Achabs rühmen sollte. Spätere Redaktoren17 aber haben dann mehr schlecht als recht einen negativen Schluss angehängt.

Achab hat menschlich gehandelt, aber damit gegen den Willen Jahwes verstoßen. Abraham, der bereit ist, seinen Sohn auf göttlichen Befehl zu töten (Gen 22), war gehorsam, hat aber aus heutiger Sicht unmenschlich gehandelt. Weil in beiden Fällen die Deutung des Geschehens im Alten Testament gleich mitgeliefert wird (Achab schlecht, Abraham hingegen gut), sind Gläubige geneigt, gar nicht mehr selbst über das gerade Gelesene nachzudenken. Sie loben Abraham, der beinahe zum Kindermörder geworden ist, und verdammen den »Menschenfreund« Achab, ganz wie sie auch sonst geneigt sind, biblische moralische Wertungen unhinterfragt zu übernehmen.

Hier liegt eine zentrale Gefahr des Alten Testaments und heiliger Schriften überhaupt. Gläubige neigen dazu, moralisch äußerst fragwürdige Gestalten zu religiösen Helden hochzujubeln. Und das Alte Testament ist voller solcher Gestalten. Der Gläubige, der sich der »Heiligen Schrift anvertraut«, toleriert und akzeptiert dann unbewusst selbst die Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten, die erzählt werden. Eine kritische Auseinandersetzung über die Frage, ob diese Texte denn wirklich eine Moral mit Vorbildfunktion haben, findet nicht mehr statt. Stattdessen werden fragwürdige Werte vermittelt, in diesem Fall ein (Kadaver)Gehorsam. »Gehorsam ist besser als Opfer«, wir hörten es bereits. Doch ist er das wirklich? Wäre nicht Ungehorsam geboten, wenn ein Gott Verbrechen und Unmenschliches befiehlt? Darf ein Gott sich alles erlauben? Doch solche Gewissensfragen kennt das Alte Testament nicht, es kennt nicht mal das Wort »Gewissen«. Im Alten Testament sind in der Beziehung zu Gott, so kann man es an vielen Stellen lesen, Furcht und Gehorsam die angemessene Haltung.

Auch eine andere Geschichte schärft Gehorsam als höchste Tugend ein. Man muss Gott gehorchen, auch wenn er Unsinniges zu befehlen scheint. Vorgestellt ist eine Gruppe von Prophetenjüngern: »Auf das Wort Jahwes hin aber sprach einer von den Jüngern der Propheten zu seinem Gefährten: Schlag mich! Dieser aber weigerte sich, ihn zu schlagen. Da sprach er zu ihm: Weil du nicht auf die Stimme Jahwes gehört hast, sieh, deshalb wird ein Löwe dich erschlagen, wenn du fortgegangen bist von mir. Und er ging fort von ihm, und der Löwe fand ihn und erschlug ihn.« (1 Kön 20,35–36) Diese etwas sperrige Geschichte erzählt von einem Gott, der den sinnlosen Befehl erteilt, einen anderen grundlos zu schlagen. Und die Weigerung, einen anderen grundlos zu schlagen, wird mit dem Tode bestraft. Gehorsam steht höher als Denken und Moral. Es ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass die Bibel eine Umwertung der Werte vornimmt bzw. Werte vorlebt und fordert, die heute eher Unwerte sind. Aus ethischer Sicht fasst man die Bibel besser mit spitzen Fingern an.

Auch Mose legt starken Wert auf Gehorsam. Im Krieg gegen die Midianiter – Kriegsgrund ist lediglich die angebliche Verführung der Israeliten zu Fremdkulten durch midianitische bzw. moabitische Frauen – erhält Mose den Befehl: »Nimm Rache für die Israeliten an den Midianitern.« Es soll Moses Abschiedskrieg werden, sein Nachfolger ist schon bestimmt, und so tut Mose gehorsam, was er kann, um »die Rache Jahwes an Midian zu vollstrecken.« (Num 31,3) »Und sie führten Krieg gegen Midian, wie Jahwe es Mose geboten hatte, und töteten alle Knaben und Männer.« (Num 31,7)18 Nachdem alle Städte und alle Zeltlager des Feindes verbrannt sind, muss Mose leider feststellen, dass die ausländischen Frauen gegen seinen Befehl immer noch am Leben sind. »Und Mose sprach zu ihnen: Habt ihr etwa alle Frauen am Leben gelassen? Gerade sie brachten doch […] die Israeliten dazu, von Jahwe abzufallen.« (Num 31,15) Also befiehlt Mose, auch er für die Gläubigen ein religiöser Held, vielleicht ihr größter: »So tötet nun alle Knaben, und tötet jede Frau, die mit einem Mann verkehrt hat. Alle Mädchen aber, die noch nicht mit einem Mann verkehrt haben, lasst für euch am Leben.« (Num 31,17–18) So geht diese Geschichte doch noch »gut« aus, denn Mose hat seinen Auftrag ja erfüllt. Modere moralische Bedenken stellt der Text deswegen nicht an. Im Gegenteil: Im Sinne des Textes bestand die Unmoral ja gerade darin, die ausländischen Frauen nicht zu töten. Das Töten ist hier eine Art Gottesdienst, Nicht-Töten ist dagegen Sünde. Solche Geschichten sollten eigentlich die Koordinatensysteme moderner Gläubiger etwas ins Wanken bringen. Doch das tun sie offenbar nicht.

Diese Legende – denn es handelt sich um eine Legende gänzlich ohne historischen Anhalt – geht weiter mit heftigen Übertreibungen. Erbeutet werden 72.000 Rinder und 61.000 Esel. Die Zahl der »erbeuteten Jungfrauen« wird mit 32.000 angegeben. Geht man dann von geschätzt 60.000 Ehefrauen aus (die ja getötet worden sind), muss man mindestens 300.000 Kinder annehmen, von denen 150.000 Knaben waren, die Mose ebenfalls auf Geheiß Jahwes hat umbringen lassen.19 Kein Kirchgänger dürfte wohl jemals eine Predigt darüber gehört haben, dass Gott 150.000 Kinder und deren 60.000 Mütter hat umbringen lassen. Und die Väter natürlich ohnehin.