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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Nachwort

Mango-Avocado-Salat mit Hähnchen

Apfelstrudel

1

Melissa bemerkte den Elefanten erst, als er wenige Meter vor ihr die Sandstraße überquerte. Erschrocken trat sie aufs Bremspedal. Nur weil sie die Gurte angelegt hatten, prallten Dave und sie nicht gegen die Frontscheibe. Sie stützten sich am Armaturenbrett ab und beobachteten staunend, wie der Bulle zwischen einigen Sträuchern verschwand, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

»Wow!«, flüsterte Melissa. Ihr Pferdeschwanz wippte noch von der heftigen Bewegung. »So einen mächtigen Bullen hab ich lange nicht mehr gesehen.«

»Das war Mabu«, erwiderte Dave. Er trug einen Cowboyhut und Cowboystiefel und hatte lediglich seine Jeans gegen leichte Khakihosen getauscht. »Hast du die Narbe an seinem linken Ohr gesehen? Die hat ihm ein Wilderer vor ein paar Monaten zugefügt. Er konnte entkommen und ist seitdem nicht besonders gut auf Menschen zu sprechen. Ein riesiger Bursche, was?«

Melissa fuhr langsam weiter, nicht ohne einen wachsamen Blick auf die Akazien zu werfen, zwischen denen Mabu verschwunden war. Nur langsam kehrte die Farbe in ihr leicht gebräuntes Gesicht mit den Sommersprossen über der Nase zurück. Sie war erst seit ein paar Tagen wieder in Afrika. Vor einem Jahr hatte sie ein mehrwöchiges Praktikum in der Seronera African Lodge und dem Mokama Wildlife Sanctuary, einer Tierstation, absolviert. Damals schon hatte sie sich geschworen, nach Beendigung ihrer Ausbildung in die Serengeti zurückzukehren. Jetzt arbeitete sie als Assistant Manager für beide Betriebe.

»Sie haben die Wilderer noch immer nicht im Griff?«, fragte sie, während sie über die schmale Sandstraße zur Tierstation zurückkehrten. »Was ich im Internet und in Zeitungen darüber gelesen habe, klang ziemlich dramatisch.«

»Ist es auch«, antwortete Dave ungewöhnlich ernst. »Die Wilderer werden immer dreister. Gegen die waren unsere Banditen in Texas brav wie College-Kids. Sie ballern mit Schnellfeuergewehren auf Elefanten und Nashörner und sind längst mit ihrer Beute verschwunden, wenn die Ranger kommen.«

»Ich denke, die Ranger sind jetzt bestens ausgerüstet.«

»Nicht so gut wie die Wilderer. Die haben sogar Hubschrauber und schaffen ihre Beute direkt nach Mombasa oder Daressalam. Und von dort wird sie nach Vietnam und China verschifft. Das funktioniert wie bei der Mafia. Sie bestechen Regierungsbeamte und Leute beim Zoll, und wenn einer nicht spurt, gibt’s eine Kugel. Der größte Drahtzieher in dem ganzen Spiel wird der Elfenbeinkönig genannt. Niemand weiß, wer sich hinter dem Namen versteckt. Keiner hat ihn bisher gesehen. Angeblich soll er Chinese sein.«

»Eine Schande, sich auf diese Weise an den Tieren zu vergreifen.«

»Wenn sie so weitermachen, gibt’s bald keine Elefanten und keine Nashörner mehr. Und das alles nur, weil sie in China auf Elfenbeinkunst stehen und Nashornpulver die Potenz fördern soll. Nun ja, zumindest in Asien.«

Melissa fuhr langsamer als vorher, auch wenn die Straße jetzt durch offene Steppe führte und sie vor Überraschungen sicher waren. Vor Elefanten hatte sie immer großen Respekt gehabt, und Mabu war ein besonders stattlicher Bulle, noch eindrucksvoller als der Elefant, der vor einem Jahr einen Scheinangriff auf sie gestartet hatte. In einem Zoo betrachtete man Elefanten aus sicherer Entfernung, meist zahme Tiere, die sich kaum bewegten. Etwas ganz anderes war es, einem Elefanten in freier Wildbahn zu begegnen. Mabu war wie ein Riese vor ihnen aufgetaucht und hatte einen langen Schatten geworfen.

Ob er erkannt hatte, dass sie keine Wilderer waren und ihm nicht in die Quere kommen wollten? Spürte er, wenn sich ihm Zweibeiner in feindlicher Absicht näherten? Sah er die Schnellfeuergewehre? Elefanten waren kluge Tiere mit einem starken Erinnerungsvermögen. Melissa war sicher, dass er den Wilderer, der ihn angeschossen hatte, wiedererkennen würde. Ein Einzelgänger wie er konnte sehr aggressiv werden, nicht nur während der Paarungszeit.

Sie schüttelte den Gedanken ab und versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren. Unter den Rädern ihres Landrovers wallte Staub empor. Der Motor heulte bei jedem Schlagloch auf. Die kleine Regenzeit lag noch nicht lange zurück, und die Sandstraße war holprig und wies teilweise tiefe Löcher auf. Sie kehrten von einer Inspektionsfahrt zurück, bei der sie nach verletzten Jungtieren Ausschau gehalten hatten, die sie auf der Tierstation wieder gesund gepflegt hätten. Dr. Jonas Wilburn war ein erstklassiger Tierarzt und hatte erstklassige Helfer: seine Frau Mandisa, eine Massai, die Pflegerin Kimberly, den afrikanischen Helfer Kopano und Dave Mason, der neben Melissa saß, ein zwei Jahre älterer Cowboy aus Fort Worth, Texas, der normalerweise immer gute Laune hatte.

Melissa ließ ihren Blick über die Savanne schweifen. Die Sonne stand bereits weit im Westen, und lange Schatten überzogen das Land. So einladend die Serengeti in der leuchtenden Sonne aussah, so düster und unheimlich wirkte sie in der Dämmerung. Als ob sich die bösen Geister, an die manche Massai noch immer glaubten, erst bei Sonnenuntergang aus ihrem Reich hervorwagen würden, um dem Tod dabei zu helfen, seine Ernte einzubringen.

Wie zur Bestätigung erklangen plötzlich Schüsse. Weit entfernt und nur zu hören, wenn man alle anderen Geräusche ausschloss, und doch so nahe, dass Melissa erneut auf die Bremse trat und den Landrover in einer dichten Staubwolke zum Stehen brachte. Sie ließen beide die Seitenfenster runter und lauschten.

Ein Stakkato von dumpfen Lauten, beinahe so schnell, als würden sie von einem Maschinengewehr abgefeuert, und vielleicht genauso tödlich, zog als mehrfaches Echo über die Savanne. Sie griffen beide nach ihren Feldstechern und stiegen aus, nicht ohne sich zu vergewissern, dass sich keine Raubkatze in der Nähe befand, und blickten angestrengt in die Ferne. Nach wenigen Minuten erschien ein dunkler Schatten am Himmel, ein Hubschrauber, wie sie vermuteten. Er landete im dunklen Schatten einer Akazie und stieg nur wenige Minuten später wieder auf und verschwand in der Abenddämmerung.

»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Dave.

Sie stiegen in den Landrover und fuhren querfeldein in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren. Die Lichtkegel der Scheinwerfer wischten über das kniehohe Gras. Die Sonne war gerade dabei, vollkommen hinter dem Horizont zu verschwinden, und wie überall in diesen Breiten setzte sofort die Dunkelheit ein. Sie hatten zu viel Zeit beim Wechseln eines Reifens verbracht und waren spät dran. Normalerweise mieden sie die Dunkelheit.

Während der Fahrt informierte Dave die Wilderer-Einheit der Ranger und Dr. Wilburn in der Tierstation. Er hatte sein Gewehr zwischen den Beinen stehen, für den Fall, dass noch Wilderer in der Nähe waren oder sie ein angeschossener Elefant angriff. Doch die Wilderer waren sicher alle in den Hubschrauber gestiegen, und lebende Tiere ließen sie nur selten zurück. Melissa ahnte, was sie erwartete. Entsprechend übel war ihre Stimmung, als sie die Akazie erreichten.

Sie hielten an und blieben eine Weile sitzen, bevor sie ausstiegen. Zögernd näherten sie sich den Kadavern von sechs Elefanten, die reglos wie Felsen im Gras lagen. Einige Geier hockten bereits in den nahen Bäumen. Nur widerwillig flogen sie davon, als Dave sie vertrieb. Eine Hyäne, die sich den toten Tieren ebenfalls genähert hatte, rannte lachend davon. Insekten schwirrten über den blutigen Wunden der toten Tiere und verhöhnten sie mit ihrem Summen. Vier erwachsene Elefantenkühe und zwei Junge. Den erwachsenen Tieren fehlten die Stoßzähne.

Melissa blickte betroffen auf die toten Elefanten. Einen Augenblick war sie unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, so sehr erschütterte sie der Anblick. Im Fernsehen und im Internet hatte sie solche Bilder schon gesehen, aber es war etwas vollkommen anderes, sie in der Realität zu erleben. Dies waren keine Antilopen, die hungrigen Löwen zum Opfer gefallen waren, dies waren sinnlos abgeschlachtete Tiere, die man nur wegen ihrer Stoßzähne auf grausame Weise getötet und ihres »weißen Goldes« beraubt hatte. Ein Tod, der nicht zum Kreislauf des Lebens gehörte wie die Opfer von Raubtieren.

»Abgesägt«, sagte Dave. Auch er wirkte betroffen, obwohl er diesen Anblick nicht zum ersten Mal erleben musste. Er hielt sein Gewehr in beiden Händen. Eigentlich durften Zivilisten gar keine Waffe tragen, aber seitdem die Wilderer so aktiv waren, bestand Dr. Wilburn darauf, dass in jedem Landrover eine Waffe lag. »Und das alles nur, weil sich ein paar Asiaten für Elfenbeinfiguren begeistern. Aus Holz oder Metall wären die genauso schön.«

Melissa hatte sich wieder gefangen und beugte sich über einen der toten Elefanten. Ohne seine Stoßzähne wirkte er unvollkommen, wie eine Statue, der wichtige Teile fehlten. In den Wunden, die ihm die Geier und Hyänen zugefügt hatten, war das Blut geronnen. Seine Augen waren leer. Die Elefantenkuh, im Leben von unbändiger Kraft beseelt, wirkte im Tod nur noch schwach und bemitleidenswert. Sie war vor einem übermächtigen Feind in die Knie gegangen und hatte auch den Kampf um ihre Jungen verloren. Obwohl sie noch keine Stoßzähne trugen, hatten die Wilderer auch die Jungtiere getötet, aus Mordlust oder weil sie einfach nur Ruhe vor ihnen haben wollten.

»Solange die Wilderei so viel Geld einbringt, hören diese Verbrecher sicher nicht auf. Warum haben sie diesen Elfenbeinkönig nicht längst festgenommen? Angeblich soll er doch öfter vor Ort sein und nach dem Rechten sehen. Und wenn er wirklich Chinese ist, kann das doch nicht so schwer sein.«

»Wenn wichtige Regierungsleute von ihm bestochen werden, ist es fast unmöglich, ihn zu schnappen. Die werden den Teufel tun und sich um ihre Einnahmequelle bringen. Außerdem sind mittlerweile sehr viele Chinesen hierzulande unterwegs. Die haben viel Geld und können sich einen teuren Safari-Urlaub leisten. Habt ihr in der Lodge nicht auch gerade einen?«

»Mister Wei? Ein Mann um die fünfzig, der Chef einer Supermarktkette, soviel ich weiß. Vermutlich einer von diesen unverbesserlichen Geschäftsleuten, die mit ihren Assistentinnen in den Urlaub fahren und es dort krachen lassen. Aber ansonsten harmlos. Nein, wenn er der Elfenbeinkönig wäre, müsste man ihm den Oscar als bester Schauspieler des Jahres geben.«

Aus der Ferne drang das Brummen eines Motors zu ihnen herüber. Der Landrover der Wilderer-Einheit oder Task Force, wie man neuerdings sagte. Von der US-Armee ausgebildete Ranger, die seit einigen Jahren gegen die Wilderer im Einsatz waren und hofften, sich auf lange Sicht gegen sie durchzusetzen. Noch fehlte es der Einheit vor allem an der nötigen Ausrüstung.

Sie winkten den Fahrer mit ihren Taschenlampen heran und erkannten vier Ranger in grünen Uniformen und Schlapphüten. Ihr Anführer, ein kräftiger Schwarzer mit kantigem Gesicht und strengem Blick, hatte ein amerikanisches Schnellfeuergewehr über der rechten Schulter hängen. »Commander Timothy Gayoye«, stellte er sich vor. »Sie kommen vom Wildlife Refuge

»Melissa Baxter und Dave Mason«, stellte Dave sie vor. In knappen Worten schilderte er dem Ranger, was geschehen war. »Nach den Schüssen dauerte es nur ein paar Minuten, bis sie von einem Helikopter abgeholt wurden.«

»Ein schwarzer Chopper?«

»Es wurde schon dunkel, aber so sah es aus.«

»Das waren Shetani und seine Männer. Er heißt eigentlich Bonifacius Atumani, aber wir nennen ihn Shetani. Das heißt ›Teufel‹ auf Kisuaeli. Wir sind ihm schon seit einiger Zeit auf den Fersen. Er ist der einzige Wilderer mit einem Hubschrauber. Wir glauben, dass ihn der Elfenbeinkönig höchstpersönlich ausrüstet. Er hat wohl einen Narren an dem Teufel gefressen.«

»Hat Shetani auf Mabu geschossen?«

»Mabu?« Der Ranger zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Haben Sie ihn gesehen? Ein prächtiger Bursche, nicht wahr?« Ein flüchtiges Lächeln zog über sein Gesicht. »Ja, Miss, wir sind ziemlich sicher, dass er es war. Ehrlich gesagt, hätte ich keine Träne vergossen, wenn Mabu ihn erwischt hätte.«

»Und an Shetani kommt man nicht ran?«, fragte Melissa.

»Wenn wir mehr Manpower und bessere Ausrüstung hätten, vielleicht«, antwortete der Ranger.

Seine Männer suchten mit ihren Taschenlampen nach Spuren, sammelten Kugeln und Patronenhülsen ein und füllten Gewebeproben der getöteten Elefanten in Plastikbeutel. Laboranten der Regierung würden die DNA der Tiere bestimmen und den Behörden helfen, die Täter und ihre Beute aufzuspüren.

»Ich will nicht meckern. Während der letzten Monate hat sich einiges verbessert. Die Regierung tut, was sie kann, die Polizei stellt uns Männer zur Verfügung, und wir haben schon einige Wilderer festgenommen. Leider alles nur kleine Fische. Sie sind besser ausgebildet als manche unserer Männer. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis sie auch bessere Waffen bekommen. Die russischen Kalaschnikows streuen schlimmer als Salzstreuer, aber ich glaube, das gefällt ihnen sogar. Mit schlechten Gewehren trifft man ungenauer, die Tiere erleiden größere Schmerzen, und das Blutbad wird größer. Sehen Sie sich die Wunden an. Die Tiere haben stark gelitten.«

»Commander!«, rief einer seiner Männer. »Wir haben Spuren gefunden. Sieht so aus, als hätte es eines der Jungen geschafft, sich davonzuschleichen.«

»Oder sie hatten es zu eilig.«

»Das mit dem Jungtier ist unser Job«, sagte Dave. »Ich habe Doktor Wilburn bereits informiert. Er muss jeden Augenblick hier sein. Falls tatsächlich eines der Kälber überlebt hat, bringen wir es ins Refuge und kümmern uns um den Kleinen.«

»Oder die Kleine«, ergänzte Melissa.

Sie folgten dem Ranger, der seine Taschenlampe auf die Spuren gerichtet hielt, und stapften durch das hohe Steppengras. Bei jedem Schritt raschelte das trockene Gras unter ihren Stiefeln. Die Zikaden zirpten, die stetige Begleitmusik der abendlichen Steppe. Nicht allzu weit von ihnen entfernt brüllte ein Löwe und erinnerte sie daran, dass sie nicht allein in der Serengeti waren. Es war unwahrscheinlich, dass sie ein Löwe oder eine andere Raubkatze angriff, aber hier draußen konnte man nicht vorsichtig genug sein. Mit wachen Augen musterten Melissa, Dave und die Ranger ihre nächtliche Umgebung.

Melissa entdeckte den Elefanten zuerst. Ein junger Bulle, ungefähr zwölf Monate alt, der sichtlich unter Schock zu stehen schien und nervös den Kopf bewegte. Er hatte die Ohren abgeklappt und trompetete laut, als er die Zweibeiner erblickte, ein sichtbares Zeichen dafür, wie sehr ihn die Schießerei in Panik versetzt hatte. Sicher hatte er seine Mutter sterben sehen.

»Ganz ruhig, mein Lieber!«, redete Dave auf ihn ein. »Wir bringen dich in Sicherheit. Bei uns in Mokama wird es dir an nichts fehlen, das verspreche ich. Und wer weiß? Vielleicht dauert es gar nicht lange, bis wir dich wieder in die Freiheit entlassen dürfen. Doktor Wilburn wird gleich hier sein, okay?«

»Sie machen das gut. Sie kommen aus Texas?«, fragte der Ranger.

»Fort Worth«, antwortete Dave. »Sind Sie auch Amerikaner?«

»Zur Hälfte. Mein Vater kommt aus Tansania, meine Mutter ist in Boston aufgewachsen. Wir sind vor sieben Jahren nach Tansania gekommen, und ich bin inzwischen froh, dass mich meine Eltern mitgenommen haben, sonst säße ich jetzt wahrscheinlich in einem langweiligen Büro. Ich brauche frische Luft bei der Arbeit.«

Dave lachte. »Ein waschechter Yankee in Afrika.«

»Aber ein Guter!«

Das unruhige Brummen eines Motors kündigte die Ankunft von Doktor Wilburn an. Mit ihm kam Kimberly, die rothaarige Engländerin. Sie arbeitete ähnlich lange wie Dave im Wildlife Refuge und hatte bei der Aufzucht von Hatari geholfen, einem jungen Elefanten, den sie inzwischen in die Freiheit entlassen hatten. Sie kannte sich besser mit Elefanten aus als viele Ranger.

»Commander«, begrüßte Doktor Wilburn den Anführer der Ranger. Die beiden kannten sich. »Melissa … Dave. Wie hat der Kleine das überlebt?«

»Glückssache. Vielleicht hatte er sich versteckt, oder Shetani und seine Männer hatten keine Zeit mehr, sich mit ihm abzugeben. Was wollen sie auch mit dem Kleinen? Der hat noch keine Zähne und bringt ihnen keinen Dollar.«

»Könnte sein, dass sie uns gesehen haben«, sagte Dave. »Es wurde schon dunkel, und die Scheinwerfer kann man kilometerweit sehen.« Er blickte auf den jungen Elefanten, der immer noch nervös war und sich wohl nicht so schnell beruhigen würde. »Kriegen wir den Kleinen wieder hin, Doktor?«

»Wir werden sehen. Hol das Betäubungsgewehr, Kimberly!«

Die Engländerin, sonst immer für einen lustigen Spruch gut, war genauso entsetzt wie alle anderen und lief los.

»Sie brauchen uns sicher nicht mehr, Doktor«, sagte der Commander und bedeutete dem anderen Ranger, mit ihm zu kommen. »Viel Glück mit dem kleinen Rambo!« Sie begleiteten Kimberly zum Kleinlaster, stiegen in ihren Landrover und fuhren in die Nacht davon.

Melissa und Dave redeten beruhigend auf den jungen Elefanten ein, während Kimberly mit dem Kleinlaster zurückkam, ihn mit eingeschalteten Scheinwerfern stehen ließ und Doktor Wilburn das Betäubungsgewehr reichte. Der Elefant war nicht verletzt, hatte Wilburn inzwischen herausgefunden. »Äußerlich jedenfalls«, bemerkte er.

Sie alle wussten, dass Elefanten intelligent, aber auch besonders empfindlich waren und unter dem Verlust eines verwandten Tieres oder anderem seelischen Schmerz wie ein Mensch litten.

Inzwischen war der Mond aufgegangen, und sein Licht zeichnete die Konturen des Elefanten in die Dunkelheit. Doktor Wilburn spannte einen Betäubungspfeil auf das Gewehr und traf das Junge an einer empfindlichen Stelle, die ihn nur für ein paar Sekunden schwanken und dann zu Boden fallen ließ.

»Fahr mit dem Laster dicht an ihn ran!«, rief Doktor Wilburn.

Mit vereinten Kräften hoben sie das betäubte Tier auf die Ladefläche. Sie legten eine bunte Wolldecke über seinen schwachen Körper, und der Doktor blieb neben ihm sitzen, um ihn unterwegs im Auge behalten zu können. Sie alle wussten, dass die ersten Stunden eines verwaisten oder verletzten Tieres unter ihrer Obhut die gefährlichsten waren und über seine Zukunft entschieden. Auch wenn er äußerlich unverletzt schien, war seine Lage noch kritisch.

»Und wie nennen wir das Baby?«, fragte Kimberly, als sie in den Wagen stieg. Sie öffnete das Fahrerfenster und deutete mit dem Daumen nach hinten.

Doktor Wilburn stützte sich auf die offene Beifahrertür. Trotz der ernsten Lage, in der sie sich befanden, gelang ihm ein Lächeln. »Normalerweise geben wir den Tieren ja keinen Namen, aber bei Elefanten mache ich gern mal eine Ausnahme. Die bleiben länger bei uns als die meisten anderen Tiere. Außerdem hat der Kleine schon einen Namen … Rambo.«

»Rambo? Wie in dem Film mit Sylvester Stallone?«

»Rambo wie ein verstörter kleiner Elefant, der seinen Schmerz hoffentlich bald überwindet und dann wieder ausgelassen durch das Savannengras marschiert.«

»Hast du das gehört, Rambo?«, rief Kimberly nach hinten.

2

Über eine breite Sandstraße, die an einigen der umzäunten Gehege vorbeiführte, erreichten Melissa und Dave die Tierstation. Sie hielten hinter dem Kleinlaster des Doktors vor dem Haupthaus. Die ehemalige Lodge war von einigen kuppelförmigen Hütten umgeben, in denen die Angestellten wohnten.

Kopano und einige andere Afrikaner warteten bereits im trüben Licht der wenigen Lampen und halfen ihnen, den kleinen Elefanten in eines der Gehege zu schaffen, die lediglich durch einen hüfthohen und sehr stabilen Holzzaun geschützt waren. Doktor Wilburn untersuchte seinen Patienten erneut, diesmal genauer und eingehender und schloss ihn an einen Tropf, der eine weitere Dehydrierung verhindern sollte. Unter einer Austrocknung litten die meisten Elefanten, wenn sie nach Mokama kamen. Kopano schob eine Decke unter den Kopf des immer noch bewusstlosen Tieres und wiegte besorgt den Kopf.

»Das wird schwer, Doktor«, sagte er mit seinem unnachahmlichen Akzent, der so gar nicht zu seinem ansonsten perfekten Englisch passte. Er streichelte den noch stark behaarten Kopf von Rambo. »Ich hoffe nur, er ist stärker als die Kleine, die wir vor zwei Monaten hatten. Erinnern Sie sich an Kewa?«

Der Doktor nickte. »Sie kam nicht über den Tod ihrer Mutter hinweg. ›Tod durch Kummer‹ hätte ich eigentlich in den Akten vermerken sollen. Nicht der erste Fall dieser Art, aber ich werde mich wohl nie daran gewöhnen.« Er stellte den Tropf ein und stand auf. »Kümmerst du dich um den kleinen Rambo?«

»Rambo?« Kopano zeigte seine blütenweißen Zähne. »Na, das sind ja schöne Aussichten. Da werde ich mich mit ihm wohl anstrengen müssen. Mit dem Namen ist er bestimmt ein echter Draufgänger, eh?«

Melissa beobachtete zum wiederholten Male, wie einfühlsam Kopano mit Tieren umging. Er war der geborene Tierpfleger, ein Naturtalent. Doktor Wilburn hatte ihn in Südafrika kennengelernt, wo beide schon im Krüger National Park zusammengearbeitet hatten, und ihn überzeugt, mit ihm mitzugehen. Ein hochgewachsener Schwarzer, ein Angehöriger des Xhosa-Stammes, der sich vor allem im Raum Kapstadt angesiedelt hatte. Schon als Kind hatte er in einem Wildlife Sanctuary ausgeholfen und dabei besondere Geschicklichkeit im Umgang mit Tieren bewiesen.

»Lasst Kopano in Ruhe arbeiten«, sagte Doktor Wilburn. »Rambo braucht jetzt vor allem Ruhe, da wären wir nur im Weg.« Er war bereits zum Haus unterwegs. »Ich hoffe, die anderen haben noch was vom Abendessen für uns übrig gelassen. Soweit ich weiß, gibt es heute Fleisch mit gekochten Bananen.«

Im Haus hatte Doktor Wilburns Frau Mandisa bereits den Tisch gedeckt. Auch an diesem Abend trug die Massai wieder einen ihrer roten Hausanzüge, ihr dunkles Haar hatte sie hochgebunden. Sie war eine schöne und vor allem elegante Frau, die schon mehrere Zeitschriften und Kataloge zieren würde, wenn sie das Angebot einer großen Werbeagentur in London angenommen hätte. Doch sie blieb lieber bei ihrem Mann, führte den Haushalt und erledigte die Buchhaltung.

Sie küsste den Doktor und begrüßte Melissa, Kimberly und Dave. »Da habt ihr aber Glück«, sagte sie scherzhaft, »ein paar Minuten später, und ich hätte den Rest ins Gefrierfach geschoben.« Sie brachte die Platten mit dem Fleisch und den Bananen und eine Schüssel mit buntem Salat. Ihre Miene verfinsterte sich, als ihr Mann von dem jungen Elefanten berichtete. »Es wird höchste Zeit, dass man diesen Wilderern das Handwerk legt. Wenn es den Rangern nicht gelingt, sie festzunehmen, gibt es bald keine Elefanten mehr.«

»Ich weiß«, erwiderte ihr Mann, »aber die Ranger haben es nicht leicht. Ich habe mit Commander Gayoye gesprochen. Sie brauchen eine bessere Ausrüstung, wenn sie den Wilderern das Handwerk legen wollen. Flugzeuge und Hubschrauber, um die Verbrecher aus der Luft beobachten und ausfindig machen zu können, vielleicht sogar Drohnen, wie sie die Amerikaner einsetzen. Bessere Gewehre und stärkere Spezialeinheiten. Ich bin der Letzte, der sich einen Krieg in der Serengeti wünscht, aber du hast natürlich recht: Wenn wir dem Treiben nicht Einhalt gebieten, werden die Elefanten bald aussterben.«

Melissa aß von den frittierten Bananen, eine Spezialität, die sie inzwischen zu schätzen wusste. »Ich hab gelesen, in Tansania hätten die Wilderer in den letzten fünf Jahren über siebzigtausend Elefanten abgeschlachtet. Unfassbar, diese Zahl. Meine Mutter hat mir sogar davon abgeraten, diese Stelle anzunehmen. Sie hätte eine Doku über Wilderer in Afrika gesehen, und es gäbe friedlichere Plätze auf der Welt. Ich habe ihr gesagt, dass man Afrika nicht allein lassen darf. Wenn ich dabei helfen kann, die Schönheit der Natur zu bewahren und den Urlaubern in der Lodge zu zeigen, wie wunderschön und interessant Afrika gerade hier in der Serengeti ist, bin ich schon zufrieden.« Sie merkte, dass die anderen aufmerksam zugehört hatten. »Zu hochtrabend?«

»Nein«, sagte Doktor Wilburn, »wir haben doch alle Verwandte, Freunde und Bekannte, die uns für verrückt halten. Die nicht glauben wollen, dass bei unseren Jobs auch Idealismus eine große Rolle spielt. Von den Leuten, die uns beschimpfen, ganz zu schweigen. Sie nennen uns Gutmenschen, als wäre es etwas Schlimmes, sich für Natur und Tiere einzusetzen, und sie rümpfen verächtlich die Nase, weil wir so einen Wirbel wegen ein paar Löwen und Elefanten machen. Sie haben keine Ahnung, dass an unserem Einsatz nicht nur das Überleben der wilden Tiere hängt. Das Gleichgewicht der Natur wäre in Gefahr, und es gäbe keinen Tourismus mehr, der diesem Land viel Geld bringt. Du tust das Richtige, Melissa, und wir sind froh, dass du hier bist.«

Tatsächlich hatte ihre Mutter versucht, sie davon abzubringen, nach Afrika zu gehen. »Warum kommst du nicht nach Frankfurt zurück und arbeitest für die Uni?«, hatte sie gefragt, und Melissas Antwort war gewesen:

»Weil ich mich in Afrika verliebt habe.«

Ihrem Vater, der schon seit einigen Jahren von ihrer Mutter geschieden war und als Pilot für British Airways flog, war es egal. »Bist du denn sicher, dass du dich nur in Afrika verliebt hast?«, wollte ihre Mutter wissen. »Wie hieß noch dieser Massai, von dem du mir erzählt hast?«

»Sonyanga.« Warum hatte sie ihn damals bloß erwähnt?

Sonyanga hatte während ihres letzten Aufenthalts als Guide für die Seronera African Lodge gearbeitet, ein stolzer und sehr gebildeter junger Mann in ihrem Alter, der sie tief beeindruckt hatte. Nicht nur, weil er gut aussah. Er gab sich nicht für billige Folklore-Darbietungen her wie einige andere Massai und wollte den Urlaubern die Kultur seines Volkes auf ernsthafte Weise vermitteln. Vielleicht hatte sie sich damals tatsächlich in ihn verliebt, obwohl doch jeder wusste, dass aus Beziehungen zwischen Massai und Europäern selten etwas wurde. Eine mädchenhafte Schwärmerei, redete sie sich ein, von einem stattlichen Krieger wie Sonyanga wäre jede Frau angetan. Nach ihrer Ankunft hatte sie erfahren, dass er inzwischen für die Regierung arbeitete. »Sonyanga ist auf einer Tagung in Kenia«, hatte man ihr gesagt, »er kommt nicht vor nächster Woche zurück.«

Nach dem Essen ging Doktor Wilburn noch einmal zu seinem vierbeinigen Patienten. Melissa und Mandisa begleiteten ihn. Kopano und Rambo lagen dicht nebeneinander auf mehreren Matten, wie zwei gute Freunde, die beschlossen hatten, einander niemals im Stich zu lassen. Der Pfleger hatte eine gemusterte Wolldecke über den Rücken des Elefanten gelegt, die ihm das behütete Gefühl ersetzen sollte, das er empfand, wenn seine Mutter dicht neben ihm stand. Ein Trick, der sich auf den meisten Tierstationen bewährt hatte.

Kopano blinzelte in den Lichtschein der Taschenlampe. »Alles okay«, gab er Entwarnung. »Rambo war ein wenig unruhig, als die Betäubung nachließ, aber er war wohl zu müde, um rumzutoben. Ich hab ihn in den Schlaf gesungen.«

»Unser Elefantenflüsterer«, lobte ihn der Doktor. Er untersuchte Rambo noch einmal, bat Kopano, auch weiterhin gut auf ihn aufzupassen, und wandte sich an seine Frau und Melissa. »Morgen bringen wir ihn zu unseren anderen Sorgenkindern. In Gesellschaft ist der Schmerz nicht ganz so schlimm.«

Melissa folgte ihm und Mandisa ins Haus. »Und ich werde mich morgen mal wieder in der Lodge sehen lassen. Dieser Pendelverkehr ist echt anstrengend.«

Als Assistant Manager war sie eine Art Bindeglied zwischen der Lodge und der Tierstation. »Verbindungsoffizier« nannten manche sie scherzhaft. Bei den Gästen und in der Küche der Lodge, im Mokama Wildlife Sanctuary bei den verwundeten oder verwaisten Tieren und manchmal auch auf den Safaris war sie gefragt. Ein Traumjob, der nur zustande gekommen war, weil Gordon Brentwood, der millionenschwere Besitzer der Lodge, die Tierstation dazugekauft hatte.

»Wie wär’s mit Vanilleeis und Schlagsahne?«, fragte Mandisa.

»Genau das, was ich jetzt brauche«, antwortete Melissa.

Melissa hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und war todmüde, wollte aber nicht auf ein Ritual verzichten, das sie sich während ihres Praktikums angewöhnt hatte. Jeden Abend vor dem Schlafengehen trat sie noch einmal in die Dunkelheit hinaus und blickte zu den Sternen empor. So nahe am Äquator waren sie besonders gut zu erkennen, vorausgesetzt, die Regenzeit war vorüber und es hingen keine Wolken am Himmel. Ein Anblick, der sie jedes Mal verzauberte und ihr klarmachte, wie winzig dir Erde doch war. Wie funkelnde Diamanten leuchteten die Sterne vor dem tiefschwarzen Hintergrund, begleitet von einem beinahe vollen Mond, der in ihrer Gegenwart erblasste.

»Jetzt sag mir nicht, dass du an Sonyanga denkst«, sagte Kimberly.

Melissa hatte die Engländerin gar nicht kommen gehört und drehte sich erstaunt nach ihr um. Ihr Dialekt erinnerte sie an einen Fußballspieler des FC Liverpool. Melissa hatte eine Menge übrig für Fußball, sehr zum Erstaunen vieler Männer, die sie eher mit Büchern und Tierfilmen in Verbindung brachten. Als ob man sich nicht für beides begeistern könnte. »Wie kommst du denn darauf?«

»Letztes Jahr bist du auf ihn geflogen. Und er auf dich.«

»Nur ein bisschen.« Sie errötete gegen ihren Willen. »Das würde doch sowieso nicht klappen. Seit er für die Regierung arbeitet, schon gar nicht mehr. Er hängt den ganzen Tag in Arusha oder Daressalam rum, und ich bin hier in der Serengeti und hab ebenfalls jede Menge Arbeit am Hals. Wie soll das bitte gehen?« Sie lächelte schwach. »Du hast doch nicht etwa Angst, dass ich ihn dir wegnehme. Du hattest ein ganzes Jahr Zeit, ihn dir zu schnappen.«

»Ich hab’s versucht, das kannst du mir glauben, und ich habe dich öfter verflucht, als dir lieb sein kann. Er sprach nur von dir, die ganze verdammte Zeit sprach er nur von dir.« Jetzt klang sie tatsächlich wie ein Fußballer. »Ich sag’s nur ungern, aber er hat einen Narren an dir gefressen. Der liebt dich.«

»Unsinn! Das bildest du dir ein.«

»Wenn ich’s dir doch sage. Erst vor drei Wochen, als er zum letzten Mal hier war, hat er von dir gesprochen. Wann du kämst? Was dein neuer Job wäre? Dass er sich freuen würde, dich wiederzusehen. Der will was von dir.«

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Melissa. »Und selbst wenn … eine Beziehung ist das Letzte, was ich gerade brauche. Ich muss erst mal wieder Fuß fassen und mich einarbeiten. Und dann die Wilderer. Über mangelnde Arbeit werden wir in den kommenden Wochen nicht zu klagen haben. Die Urlauber sollen auf keinen Fall erfahren, dass auch in unserer Nähe gewildert wird. Auf der einen Seite wollen wir ehrlich sein und den Leuten sagen, was wir für Probleme in der Serengeti haben, aber wenn sie wüssten, wie nahe uns die Wilderer manchmal sind, würden viele sofort abreisen. Ein Drahtseilakt.«

Am Tor der Tierstation, ungefähr einen Kilometer vom Haupthaus entfernt, tauchten Scheinwerfer aus der Dunkelheit auf. Ein Geländewagen näherte sich mit leisem Motor. Ein brandneuer Landrover mit dem Gorilla-Logo der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt. Professor Bernhard Grzimek, der ehemalige Direktor des Frankfurter Zoos, hatte sie vor über fünfzig Jahren gegründet. Durch seinen Dokumentarfilm »Serengeti darf nicht sterben« wurde die Welt auf die vielfältige Natur in Tansania aufmerksam. Seit einigen Jahren arbeitete seine Gesellschaft, kurz »Frankfurt« genannt, mit den Rangern zusammen.

»Hey, das ist Jules«, sagte Kimberly. Ihr Gesicht hellte sich auf. »Jules Durand, der neue Mitarbeiter von Frankfurt.«

»Lass mich raten: Du bist hoffnungslos in ihn verliebt.«

»Ich wäre jedenfalls nicht abgeneigt«, erwiderte Kimberly. »Er ist ein schmucker Junge. Mitte zwanzig, wundervolle braune Augen und eine Stimme wie ein Schmuse-Moderator. Du weißt ja, was sie über die Franzosen sagen: Niemand verstünde mehr von Frauen als sie. Aber, nun ja …«

»Was?«

»Ich will nicht darüber reden.«

»Er wollte nichts von dir.«

»Wir hatten so was wie ein Date. Wir sind ein bisschen rumgefahren, haben die Sterne angeguckt und, na, du weißt schon, aber … ich bin nicht für dieses französische Gesäusel zu haben. Bei uns in Liverpool sind wir graderaus. Wir reden nicht stundenlang herum, bevor wir zur Sache kommen.«

»So kenne ich dich ja gar nicht.«

»Aber zu dir würde er passen. Du stehst doch auf Romantik, oder liege ich da falsch? Es muss ja nicht gleich was Ernstes sein. Pass auf, der gefällt dir.«

Der Landrover war inzwischen herangefahren, und der Franzose stieg aus. »Salut, Kimberly«, rief er schon von Weitem. Er sah tatsächlich blendend aus, wirkte sportlich und durchtrainiert wie ein Zehnkämpfer und trug seine Khakihosen und sein dunkelgrünes Poloshirt wie einen Maßanzug. Sein Gesicht war leicht gebräunt. »Und Sie sind sicher Melissa aus Allemagne.«

»Aus Frankfurt«, betonte sie. »Melissa Baxter.«

»Jules Durand«, stellte er sich vor. »Ich hab schon einiges über Sie gehört, aber ich wusste nicht, dass Sie so hübsch sind.«

Eine ziemlich lahme Anmache, dachte sie, speziell für einen Franzosen.

»Sie müssen mich unbedingt mal besuchen kommen. Unser Hauptquartier liegt praktisch um die Ecke, das wissen Sie ja. Mein Chef will sowieso, dass wir enger mit der Lodge und der Tierstation zusammenarbeiten. Mit der Tierstation klappt es schon ganz gut.«

»Einigermaßen«, schwächte Kimberly ab.

»Sobald ich Luft habe«, erwiderte Melissa.