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Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 72/1 | 2017

Erscheinungsweise: zweimonatlich

Medieninhaberin: Europäische Musikforschungsvereinigung Wien (EMV)

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Verlag: Hollitzer Verlag | Trautsongasse 6/6 | A-1080 Wien

© 2017 Hollitzer Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Die Redaktion hat sich bemüht, alle Inhaber von Text- und Bildrechten ausfindig zu machen. Zur Abgeltung allfälliger Ansprüche ersuchen wir um Kontaktaufnahme.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

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Liebe Leserinnen und Leser,

2017 steht landesweit im Zeichen des 300. Geburtstags der »Magna Mater Austriae« Maria Theresia, und so nehmen auch wir dieses Jubiläum zum Anlass, einen bisher nur wenig untersuchten Aspekt ihrer Person und Regentschaft genauer zu beleuchten: ihre Bedeutung für die zeitgenössische Kultur – im Besonderen für Literatur, Kunst und Musik, die Werner Telesko in seinem eröffnenden Beitrag skizziert. Die Monarchin war musiksinnig und für die Musikgeschichte Österreichs nicht ganz unwichtig. Selbstverständlich wurde sie in ihrer Funktion als Hals und Haupt des Hauses Habsburg standesgemäß mit Hofmusik versorgt. »Sie selbst sang in ihrer Jugend wie ein Engel und spielte das Clavier sehr gut«, hielt der Journalist Chr. F. D. Schubart als Zeuge vom Hörensagen fest. Auch in späteren Jahren fand die Regentin unter der Last der Regierungsgeschäfte ausreichend Zeit für kulturelle Events und Lustbarkeiten, wie Elisabeth Hilscher konstatiert: »Theaterbesuche, Bälle und Redouten, Komödien, Schlitten- und Lustfahrten auf das Land […] zeigen das Bild einer lebenslustigen jungen Frau, die den ›plaisiers‹ keineswegs abgeneigt war«. Das Singen und Klavierspielen überließ sie nun allerdings gut geschultem Personal.

Der Thementeil dieses Heftes flankiert die »Mutter« des Vielvölkerstaats mit weiteren Regentinnen, die stärker noch als die Jubilarin mit der Musikgeschichte verknüpft sind und deren Geschicke zum Teil wesentlich mitlenkten. Dies gilt ganz besonders für Kristina von Schweden (1626–1654), Fördererin und Entdeckerin zahlreicher Komponisten. Eher als Muse und Projektionsfläche fungierte hingegen die preußische Königin Luise (1776–1810). Den europäischen Aspekt unterstreicht ein Porträt des bedeutenden Musikwettbewerbs Koningin Elisabethwedstrijd, der auf Elisabeth von Belgien (1876–1965) zurückgeht.

Einen Kontrapunkt zu diesem ziemlich feudalen Thementeil bildet Bernd Feuchtners Essay zum Verhältnis von Hanns Eisler und Dmitri Schostakowitsch: zwei Kommunisten und Komponisten mit begrenzter politischer Übereinstimmung und ästhetisch weit divergierenden Konzepten.

Umfragen bei der Leserschaft der ÖMZ in den vergangenen Jahren ergab in mancherlei Hinsicht klare Voten: Fast alle LeserInnen sprachen sich für mehr und größere Bilder, eine lesbarere Schrift und kürzere Texte aus. Mit neuem und modernerem Layout haben wir versucht, diesen Wünschen Rechnung zu tragen.

Und so wünschen wir Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Heftes und der nachfolgenden Ausgaben in diesem Jahr, die ein vielfältiges Themenspektrum abdecken: Folgen Sie mit uns den Spuren wandernder Musiktruppen (Heft 2), amüsieren Sie sich über musikalische Satire (Heft 3), tauchen Sie ein in das Rauschen bewegter Bilder und Klänge (Heft 4). Und schauen Sie doch auch einmal auf unserer neuen Webseite oemz.at vorbei: Auch hier hat sich einiges geändert. // Die Redaktion

INHALT

FRAUEN MACHT MUSIK MARIA THERESIA ZUM 300. GEBURTSTAG

Maria Theresia – die Magna Mater Austriae? Skizzen zur Kulturpolitik der Regentin // Werner Telesko

Auf der Höhe der Zeit Chr. F. D. Schubart über das Musikleben am Habsburger Hof

Maria Theresia und die Musik // Elisabeth Theresia Hilscher

Maria T. gewidmet … // Johanna Stacher und Johannes Prominczel

Pallas des Nordens am Tiberufer Christina von Schweden in Rom // Silke Leopold

Muse und Projektionsfläche der Dichter und Komponisten Königin Luise von Preußen // Ulrike Nemson

Der Traum einer Fürstin und die Kontinuität eines Pilotprojekts Der Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel // Erna Metdepenninghen

KONTRAPUNKT

Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl Dmitri Schostakowitsch und Hanns Eisler // Bernd Feuchtner

EXTRA

Ein Leben in Bildern Arnold Schönberg und die Fotografie // Judith Kemp

Ticken wir wirklich schneller? Vor fünfzig Jahren entdeckte Nicholas Temperley die Aufzeichnungen des Dirigenten George Smart // Sigfried Schibli

Philip Glass achtzig // Frieder Reininghaus

NACHRUF

Heinrich Schiff // Irene Suchy

RESPONSE

Vollsaitiges Körperinstrument und Liebesblume Die Viola d’amore in der Literatur // Siljarosa Schletterer

FOKUS WISSENSCHAFT

Früher Notendruck in deutschsprachigen Ländern // Moritz Kelber

BERICHTE WIEN MODERN

Ein Festival unter neuer Leitung // Judith Kemp, Ralf Beer, Lena Dražić

AUS ÖSTERREICH

Dialoge »Grenzen« in Salzburg // Lisa Köstner

Hospital des sirene Operntheaters in Wien // Christian Heindl

Verdis Falstaff und Konzert des 1. Frauen-Kammerorchesters von Österreich in Wien // Frieder Reininghaus

Kálmáns Zirkusprinzessin und Mozarts Don Giovanni in Wien // Johannes Prominczel

Ullmanns Kaiser von Atlantis in Wien // David Wedenig

AUS DEM AUSLAND

Alfanos Sakuntala in Catania // Johannes Streicher

Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg // Marcus Stäbler

Flüchtlings- und Anti-Terror-Opern europaweit // Frieder Reininghaus

REZENSIONEN

Bücher, CDs

DAS ANDERE LEXIKON

La Casa de Austria // Stefan Schmidl

POESILIE

Un ballo con maschera oder Beobachtungen einer Platzanweiserin // Anna-Lena Wende

NEWS

Reimerei

ZU GUTER LETZT

Die schwierige Kunst zu erben // Frieder Reininghaus

Vorschau

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Ausschnitt aus Martin van Meytens, Maria Theresia (1759), Akademie der Künste, Wien/wikimedia.org

Maria Theresia – die Magna Mater Austriae?

Skizzen zur Kulturpolitik der Regentin

Maria Theresia (1717–1780) gehört ohne Zweifel zu den markantesten Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte. Ihre Funktion als erste habsburgische Regentin und Verteidigerin der durch die Hochzeit mit Franz Stephan (1736) neubegründeten Dynastie Habsburg-Lothringen wirft zugleich Fragen ihrer Bedeutung für die zeitgenössische Kultur – im Besonderen Literatur, Kunst und Musik – auf. Werner Telesko

Maria Theresias Bedeutung für die Kultur ist ein Problemkomplex, der angesichts der schillernden politischen Funktion der Herrscherin, die zudem als Königin von Ungarn (1741) und Böhmen (1743) amtierte, bisher weniger beleuchtet wurde als die Fragen der staatlichen Reformpolitik und der Erziehung ihrer Kinder.

Hinsichtlich der kulturellen Entwicklung der Habsburgermonarchie ist grundsätzlich eine Intensivierung kultureller Produktion in ihrer europäischen Verflechtung zu beobachten. Neben der dominierenden Frankophilie existierten enge Beziehungen zu den vor allem als Verlagszentren aktiven freien Reichsstädten im Süden des Heiligen Römischen Reiches (hier vor allem Augsburg und Nürnberg). Multipolarität – im personellen (durch die Vielzahl der Akteure) wie örtlichen Sinn – kann somit als wichtiges kulturelles Kennzeichen dieser Epoche bezeichnet werden.

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Mit Glucks Orfeo ed Euridice sollte Wien den Rang einer »Welthauptstadt der Musik« gewinnen. Bild: adwmainz.de

Die deutsche und italienische Musiktradition wurde Maria Theresia durch Johann Adolph Hasse, ihren Musiklehrer, vermittelt. Dieser verstand sich exzellent auf die Vertonung italienischer Opernlibretti, insbesondere des bekannten Hofdichters Pietro Metastasio. Hasse steht in der Musikgeschichte allerdings im Schatten eines anderen Komponisten, der von den Habsburgern engagiert wurde und dessen Name fast gleichnishaft für die Zeit Maria Theresias steht – Christoph Willibald Gluck. Der auch in Paris tätige Gluck war bestrebt, das Musikdrama zu reformieren, dürfte dabei aber nicht die erhoffte Resonanz bei Maria Theresia gefunden haben. Als Fixpunkt ist freilich die Wiener Uraufführung seines Hauptwerks Orfeo ed Euridice im Jahr 1762 zu konstatieren. Damit sollte Wien letztlich den Rang einer Welthauptstadt der Musik gewinnen, welcher der habsburgischen Metropole allerdings für andere Bereiche kultureller Produktion nicht zugesprochen werden kann.

Antike und Moderne

Die beachtliche Flexibilität und Spannweite der visuellen Repräsentation Maria Theresias zeigt sich daran, dass neben innovativen Momenten ebenso Elemente der Traditionsbindung existieren, die auf frühere Epochen habsburgischer Kunstpatronanz zurückverweisen. Besondere Bedeutung besitzt hier die auffällige Rezeption der Göttin Pallas Athene, deren charakteristische Doppelnatur als Jungfrau und Kriegsgöttin in zahlreichen druckgrafischen Erzeugnissen zum Anlass genommen wurde, um eine letztlich für jedermann anschauliche Verbindung zur weiblichen Herrscherin Maria Theresia herzustellen. Ein Interesse an der eigenen Vergangenheit manifestiert sich institutionell in der Neugründung und -ordnung von Archiven (1756 das »Archiv der Ungarischen Kammer« in Budapest zum Zweck der Dokumentation des königlichen Besitzrechtes in Budapest sowie 1749 das »Geheime Hausarchiv«). Dazu kommt eine literarische Produktion, die eine zunehmende Beschäftigung mit der Historie der habsburgischen Territorien signalisiert. Hier sind besonders Marquard Herrgotts im Jahr 1750 begonnene Monumenta Augustae Domus Austriacae zu nennen, die auf der Basis der reichen kulturellen Zeugnisse der Vergangenheit im Dienst des Nachweises der genealogischen Verbindung der Häuser Habsburg und Lothringen stehen.

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Titelseite von Christoph Gottlieb Richters Lebensgeschichte Maria Theresias, erster Band (1743).

Ebenso unterhielt Maria Theresia Beziehungen zu Schriftstellern ganz anderer Ausrichtung, wie etwa zum berühmten deutschen Schriftsteller und Theoretiker Johann Christoph Gottsched, war aber zugleich bestrebt, den heimischen Buchmarkt möglichst genau zu kontrollieren, was durch Zolllisten belegt werden kann, welche die importierten Bücher penibel auflisten.

Es nimmt daher nicht wunder, wenn ein Großteil der – bisher kaum ansatzweise wissenschaftlich erfassten – literarischen Produktion auf die Panegyrik Maria Theresias ausgerichtet ist. Dabei ist auffällig, dass entsprechende Werke bereits sehr früh erschienen: Christoph Gottlieb Richter etwa bezeichnete in seiner Lebens- und Staatsgeschichte der allerdurchlauchtigsten großmächtigsten Fürstin und Frau Maria Theresia etc. (Nürnberg 21743/1747) diese als eine »Heldin«, die angeblich männliche Tugenden besitze. In entsprechenden Kleinschriften wurden somit die Grundlagen gelegt, die in der Verherrlichung der Regentin anlässlich ihres Ablebens kulminieren sollten. So kommt im Rahmen der auf Maria Theresia gehaltenen Trauerrede des Propstes des Stiftes von St. Florian (OÖ.), Franz Freindallers, der Funktion der Herrscherin als »Mutter« eine zentrale Funktion zu, wenn es hier höchst affirmativ heißt: »Der glänzendste Titel einer Monarchinn [sic!] ist – Mutter.« Damit wird nur die logische Summe einer jahrzehntelangen Konjunktur dieses Begriffs gezogen, war doch ihre Funktion als Mutter gleichsam ein Garant für das Weiterbestehen der Dynastie und den strategisch motivierten »Export« ihres Nachwuchses an europäische Fürstenhöfe. Die Verherrlichung Maria Theresias und die Realpolitik stehen hier in einem gleichsam direkten Verhältnis. Diese Feststellung gilt auch für Hauptwerke der bildenden Kunst, da bereits ein Blick auf den berühmten Prunksarkophag Franz Stephans und Maria Theresias in der Wiener Kapuzinergruft, ein Werk Balthasar Ferdinand Molls (1754), zeigt, in welcher komplexen Weise die Hoffnung auf das Weiterleben nach dem Tod mit der Wiedergabe von Ereignissen aus dem Leben des Kaiserpaares verschränkt wird. Ein dezidiert synkretistischer Ansatz kommt in diesem herausragenden Werk besonders durch eine raffinierte Verschränkung christlicher und mythologischer Anleihen zum Ausdruck.

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Erstmals 1741 geprägt und gleichsam bis heute in Umlauf: der Maria Theresien-Taler. Wert der Nachprägung: ca. € 22,45.

Ikonographie

Wie kaum bei einem anderen habsburgischen Herrscher erfolgte während der Regentschaft Maria Theresias eine gezielte Verbreitung ihrer Porträts und ihrer Devise. Die in den Abrechnungen der Hofkammerzahlamtsakten, mit der Auflistung der auf kaiserlichen Befehl hergestellten Geschenke, bevorzugten Gattungen sind mit Edelsteinen geschmückte Preziosen, konkret Münzen und Medaillen, Pektorale, Gnadenpfennige und -ketten, Tabatieren, Ringe, Büchsen und Dosen. In der Regel wurden diese kostbaren Objekte an einen beachtlichen Radius an Empfängern von Inhabern hoher Hofämter über Diplomaten, Musiker, Rektoren bis hin zu Privatpersonen verschenkt. Diesem Aspekt der Porträtkultur ist die Notwendigkeit der bildlichen Propagierung der Herrschaftsakte und herausragender Ereignisse der jüngeren und jüngsten »Tagespolitik« an die Seite zu stellen. Somit kommt der »Bildreportage« in der Epoche Maria Theresias eine vollkommen neue Funktion zu. Dieser prominent vertretenen Bildgattung entsprechen die mehrteiligen Zeremonienbilder von Martin van Meytens d. J. und seiner Schule, die im Dienst detaillierter Dokumentation stehen und einen hohen Grad an »Nahsichtigkeit« aufweisen. Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allerorten zu beobachtende Ausdifferenzierung der Vielfalt von Kunstgattungen hatte letztlich eine arbeitsteilige Spezialisierung zur Folge, welche die Basis schuf, bestimmte Medien für eine möglichst treffsichere Visualisierung bestimmter Inhalte heranzuziehen. //

Werner Telesko ist Direktor des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

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Bildreportage im 18. Jahrhundert: Martin van Meytens d. J. (1695–1770) malte 1763 die Hofgesellschaft in den Redoutensälen der Hofburg. Bild: Kunsthistorisches Museum Wien/wikimedia.org

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Evaristo Baschenis (1617–1677), Stillleben (o. J.)/wikimedia.org

Auf der Höhe der Zeit

Chr. F. D. Schubart über das Musikleben am Habsburger Hof

Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791), Komponist, Musiker und Schriftsteller, rühmt als »Zeitzeuge« das Musikleben am Habsburger Hof und insbesondere die Musikalität Maria Theresias.

»Nach dem dreyßigjährigen Kriege erholten sich mit langsamen Athemzügen die schönen Künste und Wissenschaften wieder, am schnellsten aber die Tonkunst. Am Hofe des Kaisers Maximilian wurde sie mit dem größten Eifer getrieben. Der Kaiser selbst spielte die Violin nach damaligen Zeiten sehr gut, und übernahm auch manchmal in den Messen eine Singparthie. Von dieser Zeit an war es gleichsam unter der kaiserlichen Familie erblich, sich durch Tonkunst hervorzuthun. Unter Prinzen sowohl als unter Prinzessinnen des österreichischen Hauses gab es große Kenner, Schätzer und Beförderer der Musik. Leopold hatte zwar keinen großen Geschmack, er hielt aber doch ein Orchester über hundert Personen stark. Joseph I. regierte leider in vielem Betracht auch in Hinsicht auf Musik viel zu kurz. Er spielte nicht nur selbst verschiedene Instrumente meisterhaft, sondern verschrieb auch große Musiker aus Italien oder schickte Deutsche dahin, um sich zu bilden. Keine seiner Provinzen, vielleicht keine in ganz Deutschland, that es Böhmen in der Musik zuvor. Man legte daselbst sogar auf den Dörfern Singschulen an und betrieb sonderlich die blasenden Instrumente mit solchem Eifer, daß die Böhmen hierin bis auf diese Stunde nicht nur Welschland, sondern sogar das übrige Deutschland übertreffen. […]

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Christian Friedrich Daniel Schubart auf einem Stich von Ernest Morace nach einem Porträt von August Friedrich Oelenhainz, 1791. Bild: wikimedia.org

Unter Carl VI. stieg die Musik zu einer Höhe empor, auf der man sie in Deutschland noch nicht sah. Er unterhielt hundert Sänger und Sängerinnen und über drey hundert Instrumentisten. […] Im Jahre 1724 [recte: 1723] wurde zu Prag unter freyem Himmel eine Oper aufgeführt, dergleichen bisher keine in der Welt noch gesehen worden. Der Sänger und Instrumentisten waren über tausend Menschen. Vier Capellmeister standen auf Anhöhen und lenkten den Musiksturm. Über fünfzig große Flügel accompagnierten, und Virtuosen ließen sich da hören von allen Orten und Enden Europens. Die große Idee wurde auch trotz ihres gigantischen Entwurfs vollkommen gut ausgeführt; allein, von der Kostbarkeit zu schweigen denn die Aufführung dieser Oper kostete dem Kaiser 300.000 fl. [Florin = Gulden] So konnte der Erfolg nicht groß seyn, weil die musikalischen Maschinen zu sehr zusammengesetzt waren und welscher, deutscher und böhmischer Vortrag einander durchkreuzten. Diese ungeheure Oper fand auch nachher, gewiß aus erstgedachten Gründen, keinen Nachfolger oder Nachahmer. […]

Besonders blühte zu den Zeiten Carls die Kirchenmusik in den kaiserlichen Staaten, vornehmlich zu Wien in einem sehr hohen Grade. In allen Kirchen wurden die vortrefflichsten Messen aufgeführt, und man hörte auch da und dort einen ausgezeichneten Organisten. Franzberger und Buxtehude waren damals die Zauberer auf diesem Instrumente. Auch hatte Kaiser Carl einige Geiger von großem Geschmacke, der Choralgesang war vortrefflich besetzt, mit einem Wort, die deutsche Musik machte zuerst unter Carl VI. Epoche. Seit der Zeit hat Wien die italiänische Fessel ganz und gar abgeschüttelt und sich im Kirchen-, Theatral-, mimischen, Kammer- und Volksstil eine Eigentümlichkeit errungen, welche der Ausländer mit stillem Neide bewundert. Gründlichkeit ohne Pedanterey, Anmuth im Ganzen, noch mehr in einzelnen Teilen, immer lachendes Colorit, großes Verständnis der blasenden Instrumente, vielleicht etwas zu viel komisches Salz sind die Charaktere der Wienerschule.

Unter der unsterblichen Maria Theresia stieg die Musik in Wien beinahe noch höher. Sie selbst sang in ihrer Jugend wie ein Engel und spielte das Clavier sehr gut. [Georg Christoph] Wagenseil war ihr Lehrmeister. Dieser Mann war zu seiner Zeit einer der ersten Clavier-Virtuosen; er verstand die Natur dieses Instruments sehr gut. Seine Sonaten und Concerte setzen beide Fäuste in rasche Bewegung; sein Fingersatz ist der Natur so ziemlich angemessen; doch reicht er bei weitem nicht an den Bachischen. Er selbst spielte mit ungemeinem Ausdruck und arbeitete eine Fuge aus dem Stegreif mit vieler Gründlichkeit aus.

Maria Theresia begünstigte das welsche Theater ihrem Gemahl [Franz Stephan von Lothringen] zuliebe sosehr, daß darunter die Originalität des Wiener Geschmacks etwas noth litt, doch benutzten die großen Meister auch diesen Uebelstand, um den heilsamen Zweck dadurch zu erreichen, mit [dieser italienischen] Tonkunst die rauhen Ecken der Deutschen abzuglätten. [Johann Adolf] Hasse war damals der deutsche Orpheus. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Italien verewigte durch lauten Beyfall das Andenken dieses großen Mannes. Er vereinigte die Zartheit und Anmut des welschen Gesanges mit der Gründlichkeit des deutschen Satzes; studierte seinen Dichter mit mehr als gewöhnlichem Tiefsinn; liebte die Einfalt; gab den Instrumenten wenig zu tun, um dem Sang aufzuhelfen; war einfach in seinen Modulationen und äußerst rein in seinen Harmonien. Seine melodischen Gänge sind ganz neu, oft höchst frappant. Seine Einbildungskraft war sehr reich und ließ sich durch eine große Anzahl von Opern, in Deutschland und Welschland verfertiget, durch so viele Messen und Kammerstücke nicht erschöpfen. Alle Höfe schätzten diesen Mann und überhäuften ihn mit Geschenken. Friedrich der Große bot ihm oft seine Dienste an, die er aber aus Liebe zum sächsischen, damals königl. pohlnischen Hofe ausschlug. […] Zu gleicher Zeit wurde auch in Wien die Tanzmusik fast auf den äußersten Gipfel gebracht.«

Schubarts Text, der teilweise auf mündlicher Überlieferung und Ondits beruht, findet sich in den Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, die in den Jahren der Isolationshaft auf dem Hohenasperg (1777–87) entstanden, also ohne Zugriff auf eine Fachbibliothek oder die Möglichkeit, durch Korrespondenz mit Kollegen ergänzende Informationen einzuholen. Auch von daher rühren mancherlei Ungenauigkeiten, Irrtümer und Übertreibungen – am offensichtlichsten hinsichtlich des Opern-Air-Spektakels auf dem Prager Hradschin 1723, bei dem im Zuge der Krönung Karls VI. zum König von Böhmen anlässlich des Geburtstags der Kaiserin Elisabeth Christine die Festa teatrale Costanza e Fortezza von Johann Joseph Fux über die Bühne ging – mit prominenter Sänger-Besetzung und Verstärkung des von Antonio Caldara geleiteten Orchesters u. a. durch Silvius Leopold Weiss, Carl Heinrich Graun und Johann Joachim Quantz. Die Ideensammlung wurde, unzulänglich redigiert, posthum 1806 in Wien von Schubarts Sohn herausgegeben (hier: Auszüge aus S. 74–79). // Die Redaktion

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Johann Gottfried Haid, Ebenbild der Maria Theresia und des Franz von Lothringen mit Familie, Wien 1760/wikimedia.org

Maria Theresia und die Musik