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Vorwort

Als mein Freund Leon und ich über sein neues Buchprojekt sprachen, wie man Paaren dazu verhelfen könne, mehr Spaß beim gemeinsamen Segeln zu finden, gefiel mir das Thema sehr.

Denn nicht alle haben das große Glück wie ich. Meine Frau Ros ist wohl nicht so wie die meisten Frauen. Ros wollte nämlich nichts anderes im Leben als Abenteuer. Und als ich mit ihr vor vielen, vielen Jahrzehnten über ein gemeinsames Segelleben sprach, sah sie sofort die Möglichkeit, genau das umzusetzen. Bis heute ist ihr Wunsch nach Abenteuern unverändert lebendig geblieben. Ich musste nicht irgendwelche Überzeugungsarbeiten leisten, um sie zum Segeln zu bekommen. Sogar Stürme, aufgewühlte See und 40 Jahre zusammen auf den Weltmeeren haben nichts daran ändern können. Ich glaube, es war reines Glück, dass wir uns damals, 1969, an den Ufern des Hamble River neben einem im Schlamm liegenden kleinen Segelschiff gefunden haben.

Gern würde ich vielen anderen Paaren ein ähnliches Glück schenken, wie Ros und ich es beim gemeinsamen Segeln erleben. Ich wünsche deshalb allen Lesern, dass sie einen für sich individuellen Weg finden können, um diese Leidenschaft zu teilen.

Tom Cunliffe, 2016,
www.tomcunliffe.com

Inhalt

Vorwort

Einführung

Skipper und Crew

Der Skipper als Coach

Die guten Absichten des Führer-Skippers

Verstehen, was der Skipper will

Die vier Rollen der Crew

Gemeinsam zum Skipper heranwachsen

Respekt und Vertrauen

Von den Profis lernen: CRM

Im Konsens reden – der Skipper entscheidet

Man muss nicht segeln können

Der Schritt von Land auf See

Das Dilemma

Das Segelvirus

Die fünf Grundbedürfnisse

Umgang mit dem Segelvirus: Schnittmengenbildung

Die Schnittmenge: Als Paar Gemeinsamkeit herstellen

Die Segelmodi

Wünsche und Beweggründe

Das Puzzle der Schnittmenge

Die Interessen des anderen

Paarsegeln – Männer und Frauen

Erwartungen prägen unser Handeln

Behauptete Unterschiede beim Segeln

Clipper Round The World Race

Persönlichkeitsdimension und Segeln

Segeln als Katalysator

Gelegenheit zum Gespräch schaffen

Kommunikation bestimmt das Leben – auch beim Segeln

Das Vier-Seiten-Modell der Kommunikation

Kommunikationsfähigkeit trainieren

Erfolg ist eine Frage der Perspektive

Segelausbildung: Ist das notwendig – und wenn ja, für wen?

Auf die Denkweise kommt es an

Segeln kann dynamisches Denken fördern

Das Wesentliche prüfen

Der Segelschein

Vorteil: Beide können segeln

Segelkurse für Frauen

Das Lernumfeld

Segelkurse als Paar besuchen

Seekrankheit & Angst

Seekrankheit

Gewöhnung an das Leben an Bord

Zentrale Auslöser der Seekrankheit

Gibt es Geschlechterunterschiede bei Seekrankheit?

Vertrauen

Traumatisierung

Mit der Angst umgehen

Die langsame Steigerung

Wie groß ist das Risiko?

Das Geschehen verstehen und voraussehen

Mit dem Restrisiko umgehen

Stimmung an Bord

Ein Zuhause für zwei: das Boot, seine Ausrüstung und das Segelrevier

Der Psychopath und sein Luxusschiff

Den Partner einbeziehen

LED-Lichter machen das Boot schneller

Wollen nur schwedische Frauen soziale, sichere, schicke und smarte Schiffe?

Frischwasser

Heizung und Strom

Bekleidung

Sicherheitsausrüstung

Not- und Sicherheitsausrüstung

Segelreviere

Man muss nicht unbedingt segeln

Nachwort

Einführung

Gemeinsam Spaß am Segeln haben, so sollte es doch sein, und so ist es ja auch oft. Wir freuen uns stets, wenn ein Mann und eine Frau als Paar genau der Leidenschaft mit viel Freude nachgehen, die wir so sehr lieben: das Segeln.

Dass die gemeinsame Freude am Segeln aber auch getrübt sein kann, bekomme ich immer häufiger zu hören, bietet dieses Thema doch oft Gesprächsstoff während meiner Segelkurse sowie Diskussionsbedarf nach meinen Vorträgen. Zudem erhalte ich zunehmend mehr E-Mails von verzweifelten Ehemännern, die mir in etwa schreiben: »Meine Frau will leider nicht mit mir segeln. Leon, kannst du das bitte ändern!«

Es ist doch spannend, dass gemeinsames Segeln bei vielen Paaren extrem gut zu funktionieren scheint und für beide eine große Bereicherung ist, während es bei anderen Paaren eine Menge an Konfliktpotenzial hervorruft und in der Folge von zumindest einem der beiden Partner als unangenehm erlebt wird, sodass dieser das Segeln aufgibt. Diese deutliche Diskrepanz im Erleben von Paaren hat uns interessiert und ist der Anlass, dass wir uns mit dieser Thematik näher beschäftigt haben: Eine Psychologin und ein Segler haben sich getroffen und gefunden und dieses Buch aus beiden Blickwinkeln gemeinsam geschrieben.

Wir begeben uns also in die Schnittmenge des Segelns und der Psychologie. Sie besteht sowohl aus vielfältigen Beobachtungen aus den eigenen 40-jährigen und mittlerweile mehr als 50 000 Seemeilen umfassenden Segelerfahrungen auf eigenen Schiffen von Leon einerseits als auch aus dem Wissen von Gaby, die 20 Jahre lang in ihrer verhaltenstherapeutischen Praxis wie auch als Klinikpsychologin viele Männer und Frauen durch Lebenskrisen begleitet hat. Gaby segelt erst seit wenigen Jahren und kann daher ein eigenes Lied davon singen, wie es ist, mit einem begeisterten Segler – nämlich Leon – zusammengekommen zu sein.

So haben wir Studien und Bücher gelesen, aber vor allem mit vielen Seglern – Männern, Frauen und Paaren – gesprochen, die uns ihre ganz persönlichen Geschichten erzählten. Einige dieser Beiträge stellen wir in diesem Buch vor, um unterschiedliche Perspektiven im Umgang mit der Paaraktivität »Segeln« aufzuzeigen und damit Anregung zum Nachdenken oder einfach nur zum amüsierten Schmunzeln zu geben.

Manche Beiträge stammen von Segeltrainingsgästen in meinem Royal Yachting Association (RYA) Sail Training Centre. Die RYA bietet mit 2500 Segelschulen in 44 Ländern die größte internationale und weltweit anerkannte Ausbildung. 22 000 Lehrer bilden jährlich 155 000 Schüler jeden Alters aus. Warum ist die RYA international so populär und bedeutungsvoll in diesem Zusammenhang? Weil sie genau an einem der sensibelsten Punkte des Paarsegelns ansetzt: Statt der in Deutschland eher theorielastigen Ausbildung wird bei der RYA mit extrem hohem Praxisbezug der souveräne, höfliche und respektvolle Umgang mit der Crew gelehrt. Ist der Yachtmaster-Kandidat beispielsweise allzu theoretisch, detailliert und in seinem Auftreten dominant, zeigt dies dem Prüfer, dass er zwar die Bücher studiert hat, aber als Yachtmaster noch zu unerfahren und unsicher ist. Obwohl er alles kann und bestens theoretisch bewandert ist, kann er durch die Prüfung durchfallen.

Andere Beiträge stammen von Seglern, die wir auf internationalen Messen, Vorträgen und durch das Internet gewonnen haben. Es kamen Erfahrungsberichte aus aller Welt bei uns an. Besonders im Ausland scheint man sich mit dem Thema schon länger beschäftigt zu haben. Die Beiträge wurden von uns sortiert und kategorisiert, um mehrere Aspekte des Paarsegelns zu beleuchten. Eine jeweils für den entsprechenden Aspekt repräsentative Geschichte haben wir dann für das Buch ausgewählt.

Unser Buch ist kein Ratgeber, sondern eine Zusammenstellung der Erfahrungen unterschiedlicher Menschen. Fazit: Muss ein Paar unbedingt segeln, um glücklich zu werden? Nein! Auf gar keinen Fall! Der Enthusiasmus, der durch die Zeilen hinweg immer wieder durchscheint, ist unser eigener. Wir haben jeder für sich und jeder auf seine Weise das Segeln für uns entdeckt. Wir sind beide vom Segelvirus angesteckt, obwohl wir es unterschiedlich angehen und nicht nur dieselben Aspekte lieben. Wir möchten aber unsere Begeisterung weitergeben, denn wir wissen, dass es viele Paare gibt, in denen nur einer der Partner vom Segeln begeistert ist. Ihnen wollen wir mit diesem Buch helfen und erklären, was das Segeln bedeuten kann und warum so viele Menschen von diesem Lebensstil begeistert sind. Aber auch Probleme werden wir anschneiden, und viele Geschichten handeln davon, wie man negative Situationen meistern kann.

In einem gesonderten Kapitel widmen wir uns ausgiebig dem psychologischen Hintergrund, warum gerade das Segeln wichtige Grundbedürfnisse befriedigen kann. Auf manche mag das Kapitel vielleicht etwas zu akademisch wirken, denn es verstecken sich komplexe psychologische Mechanismen hinter der Segelbegeisterung. Trotzdem möchten wir allen Interessierten Gelegenheit geben, die Hintergründe besser zu verstehen, warum einige Menschen vom Segeln so angetan sind, dass sie gar nicht mehr davon loskommen.

Viele Nichtsegler haben uns kopfschüttelnd gefragt, warum das Segeln für uns so wichtig ist, und finden mit Recht, dass man das Glück, das wir beim Segeln erleben, auch bei vielen anderen Sportarten oder Freizeitbeschäftigungen finden kann. Beim aktiven Sport werden unter anderem große Mengen an Endorphinen (sogenannten Glückshormonen) und Adrenalin ausgeschüttet sowie körpereigene Morphine freigesetzt, die Schmerzen herunterregulieren und Glückszustände auslösen. So können Rennfahren, Fallschirmspringen, Bergklettern, Reiten oder auch Joggen zu einem »Kick« führen und einen Glückszustand auslösen, genau wie das Regattasegeln sicherlich für viele der Nonplusultra-Sport ist.

Unser eigener Weg führte über das Fahrtensegeln, das mehr mit der Seefahrt als dem Segelsport gemeinsam hat. Nirgends sonst können wir intensiver zu uns selbst finden und in einen ursprünglichen, an die Natur gebundenen Zustand kommen, um dadurch unserem Alltag zu entfliehen. Die See passt sicherlich nicht zu jedem. Auch muss niemand so enthusiastisch vom Segeln ergriffen werden wie wir. Man kann ja auch sonstige schöne Erlebnisse beim Segeln entdecken, und was für manche herablassend als »halbherziges Mitmachen« angesehen wird, ist für andere ein angenehmes Reisen als Passagier. Als Passagier mitzusegeln, ist absolut keine unbequeme oder zu verachtende Rolle an Bord, wie einige Geschichten zeigen werden.

Dieses Buch soll das Interesse am Segeln wecken oder beim bereits begeisterten Segler Aspekte bewusst machen, die hilfreich sein können, sich selbst besser zu verstehen. Wer mit dem Segelvirus noch nicht infiziert ist, wird anhand von Studienergebnissen, Geschichten und Theorien den Partner besser verstehen können.

Es ist sicherlich keine Überraschung, dass auch wir kein Patentrezept für Glück beim Paarsegeln haben – und das ist auch gut so. Zeigt es doch, dass die Paaraktivität »Segeln« so individuell ist und bleiben soll wie das Leben im Allgemeinen. Somit bietet dieses Buch auch keine Anleitung, wie man seinen Partner möglichst schnell auf ein Boot bekommt und es schafft, ihn dort zu halten. Zweifellos ist gemeinsames mehrtägiges Segeln aktiv gelebte Partnerschaft auf engstem Raum und möglicherweise sogar unter unbequemen Bedingungen, welche die Partnerschaft sogar auf eine Zerreißprobe stellen können. Der Lohn für die zusammen bewältigten Strapazen kann allerdings unvergleichlich erfüllend und bereichernd sein. Tief empfundenes Glück, welches ein Paar auf besondere Art innig miteinander verbindet, macht verständlich, dass sich nicht wenige Menschen sehnlichst wünschen, diese Erfahrung gemeinsam mit ihrem geliebten Lebenspartner zu teilen.

All denjenigen, die diesen Traum ebenfalls hegen, bisher aber noch keinen geeigneten eigenen Weg gefunden haben, sollen die von uns vorgestellten Erfahrungsberichte Mut machen und zu eigenen kreativen Ideen verhelfen. Obwohl die meisten Menschen danach streben, die Realität zu erfassen, um zu verstehen, wie die Welt in ihren Zusammenhängen funktioniert, ist objektive Erkenntnis nicht möglich, solange menschliche Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse beteiligt sind. Besitzt der Mensch doch eine durch seine Sinnesorgane vorgegebene und damit begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit, die sich zudem individuell unterscheidet. Hinzu kommt, dass unser Gehirn Reize selektiv wahrnimmt, also nur ein kleiner Ausschnitt an vorhandener Information überhaupt bewusst wahrgenommen, verarbeitet und interpretiert wird. Welche Informationen das sind, ist von Mensch zu Mensch ebenfalls unterschiedlich. Des Weiteren geschieht die Interpretation der wahrgenommenen Reize vor dem Erfahrungshintergrund eines jeden Einzelnen und seiner persönlichen Lebenserfahrung.

Unsere Wahrnehmung entspricht somit keiner exakten Abbildung der Realität. Vielmehr werden unsere Wahrnehmung sowie die Bewertung unserer Erfahrungen von Prozessen bestimmt, die sich in hochkomplexen Verarbeitungsprozessen im Gehirn abspielen. Das erklärt, wie ein und dasselbe von verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich erlebt werden kann. Es kann daher immer nur eine subjektive Wirklichkeit für jeden Menschen geben. Mit anderen Worten: Jeder muss seinen eigenen Weg finden!

Dies gilt selbstverständlich auch für die in unserem Buch getroffenen Aussagen. Wir möchten dabei der Unterschiedlichkeit von Personen und ihrem Umgang mit der Herausforderung, als Paar gemeinsam zu segeln, Raum geben. Es ist uns ein Anliegen, Anregungen und Ideen zu liefern – und sei es nur für guten Gesprächsstoff –, wie man sich als Paar diesem überaus vielschichtigen Hobby annähern, den Partner und sich selbst dabei besser kennenlernen und verstehen kann und damit an gemeinsam erlebter Lebensfreude und -qualität gewinnt.

Wir wurden mehrfach gewarnt, den Tanz auf der Messerspitze nicht aufzunehmen, denn die Abgründe seien tief, und man könne auf beiden Seiten herabfallen: sowohl wenn man aus einer Landratte einen Yachtie machen will – insbesondere wenn es sich um den eigenen Partner handelt –, als auch wenn man stereotype Aussagen trifft, beispielsweise um Männer und Frauen pointiert darzustellen. Wir möchten daher unseren tiefen Dank all denjenigen aussprechen, die mit ihren eigenen Geschichten und Gedanken mutig zu diesem Buch beigetragen haben.

Dank dieser Beiträge illustriert das Buch, wie verschieden man den Wunsch angehen kann, mit seinem Partner die Segelleidenschaft zu teilen. Dabei ist auffallend, dass uns überwiegend Beiträge der Konstellation »Mann = Skipper. Frau = Crew« erreicht haben. Wir hätten uns gewünscht, auch mehrere Beiträge mit umgekehrter Rollenverteilung zu erhalten. Doch vielleicht spiegelt dies schon einen wesentlichen Aspekt des Themas wider?

Skipper und Crew

AIs wir vor nicht allzu langer Zeit in dem kleinen Hafen von Ystad an der Südküste Schwedens lagen, beobachteten wir, wie ein Schiff unter holländischer Flagge spätabends in der hellen Sommernacht von offener See kommend langsam das Hafenbecken ansteuerte. Der Mann kam gerade aus dem Niedergang, während die Frau die schon langsame Fahrt auf fast null drosselte, um sich umzuschauen. Es war deutlich, dass die beiden hier noch nie gewesen waren, denn sie lagen lange im Hafenbecken still, mit dem Heck zum Wind gedreht, während die Frau die Stege mit der Beschreibung im Hafenhandbuch verglich, das sie in der Hand hielt. Dann wurden ganz leise, für uns nicht verständliche Worte gewechselt, und ein Nicken bestätigte einen Plan. In den Blicken des Paares, die wir bald deutlich erkennen konnten, lagen Ruhe, Freude, Gelassenheit, totale Kontrolle und gegenseitiger Respekt. Wir dachten: Hier stimmt die Kommunikation!

Der Mann, der um die 50 Jahre alt sein mochte, ging langsam an Deck, und wir verfolgten, wie ruhig und ohne Worte er die bereitgelegten Taue und Fender anbrachte, während die elegant aussehende Frau langsam das Schiff drehte und ganz behutsam, wie mit einem Dickschiff, unter voller Kontrolle galant gleich hinter uns am Steg breitseits anlegte. Worte wurden zwischen dem Paar dabei nicht gewechselt, geschweige denn Befehle erteilt. Es war offensichtlich, dass der Mann von der Mitte des Schiffes mit seiner Springleine an Land steigen wollte, um sie dann nach achtern an einer Klampe an Land zu belegen, während seine Frau vorsichtig in die Spring eindampfte, bis die Leine gespannt war. Dabei behielt sie den Vorwärtsgang eingelegt und stellte das Ruder so, dass das Schiff parallel zum Steg blieb, verließ dann das Steuer und reichte ihrem an Land wartenden Mann die Leinen. Das Boot blieb derweil bewegungslos liegen, wurde von achtern durch die Mittspring gehalten, während der langsam laufende Propeller es nach vorn hielt.

»Das war nicht das erste Mal«, murmelte ich Gaby zu und wurde neugierig, was das denn für ein erfahrenes Paar sein musste, das so perfekt eingespielt war.

Sie sind bestimmt seit Jahrzehnten zusammen unterwegs, dachte ich, und davor wahrscheinlich bereits als Kinder mit ihren Eltern gesegelt, denn sie hatten die Hafenmanöver in Fleisch und Blut. Später sah ich sie eine klassische Öllampe aus Messing an den Baum hängen, die das Cockpit in einem wunderbar warmen Licht gedämpft ausleuchtete. Eine Flasche Wein wurde mit einem lautstarken Plopp entkorkt, wonach sie sich ins Cockpit setzten und heiter miteinander zu plaudern begannen.

Wie bekamen die das so toll hin? Wir wurden neugierig und gingen frech zu dem Paar hinüber, um mehr herauszufinden. Wir beglückwünschten die beiden zu ihrem Manöver und stellten ein paar Fragen, da wir ja Material für unser Buch sammelten. Als wir ihre Antworten hörten, staunten wir nicht schlecht. Nein, sie segelten noch nicht lange zusammen. Klaas, aus Holland, und Antje aus Düsseldorf waren erst vor ein paar Jahren zusammengekommen. Klaas, der sein Schiff schon lange hatte und es wie seinen Augenstern hegte, ließ uns über das shipshape aufgeräumte Boot staunen, Antje erzählte fröhlich, dass sie – bevor sie Klaas kennengelernt hatte – noch nie auf einem Schiff gewesen sei und alles von Klaas gelernt habe. Er würde sie nie kritisieren, stets positiv verstärken und sie Fehler machen lassen. Sie schielte verliebt zu ihrem Skipper, der ohne Worte glücklich und zufrieden strahlte. Man konnte sehen, wie stolz er auf seine Partnerin war.

Antje fuhr gesprächig mit ihrem rheinländischen Akzent fort: »Eigentlich war ich recht nervös, als ich eben angelegt habe. Hat man das nicht gemerkt? Da bin ich aber froh! Ich bin ja noch nie in diesem Hafen gewesen, und die Informationen im Hafenführer stimmen gar nicht mit den Stegen überein!«

Da hatte sie recht, denn der ganze Hafen von Ystad war erst vor Kurzem völlig umgebaut worden.

Nach einer kurzen Pause fing sie an, von ihrem Klaas zu schwärmen: »Klaas ist so ein netter, ruhiger Mensch! Ich habe ihn vor ein paar Jahren auf einer Fortbildung kennengelernt, und damals konnte ich kaum einen Baum im Wald von einem Mast unterscheiden. Ich dachte, Kiel sei eine Stadt in Norddeutschland, und Kielwasser müsse daher die Ostsee sein, wenn nicht ein dort gebrannter Schnaps.« Sie lachte und machte mit ihrer unbekümmerten heiteren Art dem Ruf der fröhlichen Rheinländer alle Ehre. Doch dann fuhr sie mit ernster Stimme fort: »Klaas vertraut mir voll, was manchmal etwas zu weit führt, finde ich. Ich hätte es lieber, wenn er die schwierigen Manöver selbst fahren würde, aber er steht mir zumindest immer zur Seite, wenn ich meine Fehler mache – und er schimpft nie. Er behauptet stattdessen, dass er noch viel schlimmere Fehler in seinem Leben gemacht habe, damals, als er selbst mit dem Segeln angefangen hat. Dass er sich daran überhaupt noch erinnern kann! Es ist ja schon einige Jahrzehnte her. Eigentlich glaube ich ihm überhaupt nichts, wenn er von seinen eigenen Fehlern spricht, denn er scheint mit dem Meer seelenverwandt zu sein.«

Klaas ergänzte souverän, dass die Schrammen von damals für ihn viel schlimmer gewesen seien, denn er habe kein Geld für Reparaturen gehabt. Jetzt läge sein Schiff regelmäßig in einer Werft im Winterlager, denn er wolle in seinem Alter lieber zügig zum Segeln gehen, als Boote zu reparieren. Antje lächelte ihn an. Sie war hübsch zurechtgemacht und geschminkt und sah absolut nicht aus wie eine typisch salzige Bootsfrau. Ihre Funktionsklamotten bestanden dem nordischen Klima entsprechend aus modernsten Materialien von renommierten Markenherstellern samt atmungsaktiven eleganten Bootsstiefeln aus Leder mit Herkunft aus Irland. Irgendwie passte dieses Outfit gar nicht zu dem alten, klassischen Schiff, auf dem eher eine Öllampe ihr Zuhause findet. Antje strahlte und sah glücklich aus, ob mehr wegen des Segelns oder wegen Klaas war nicht zu erkennen. Doch zumindest schien ihr das neue Leben zu gefallen, denn sie erwähnte, dass sie jeden Urlaub und die meisten Wochenenden auf dem Schiff verbrachten. Es sei besonders herrlich im Herbst, wenn der Sturm draußen pfeife, beide unten in der warmen Kajüte bei gemütlicher Beleuchtung, wunderschöner Musik und nach einem guten Essen noch mit Muse ein Buch lesen würden und sie mit ihrem geliebten Klaas in aller Ruhe reden könne, der ihr gern zuzuhören schien.

Wer ist hier eigentlich der Skipper? Warum funktioniert alles auf einigen Booten ausgezeichnet und auf anderen nicht? Könnte die Antwort auch im Agieren des Skippers zu finden sein? Wie sollte ein guter Skipper sein, damit er seine Herzensdame mit an Bord bekommt?

Wir erinnerten uns an ein anderes Anlegemanöver, welches wir einige Jahre zuvor in einem Hafen an der deutschen Ostseeküste beobachteten und das uns schließlich sogar unsere Antenne am Heck gekostet hatte. Wir saßen damals gemütlich im Cockpit, als ein größeres Schiff mit recht hoher Geschwindigkeit in den Hafen lief. Mann am Ruder, Frau an Deck. Dabei eilte die Frau auf Deck hektisch umher und hantierte unsicher mit den Fendern. Sie versuchte, möglichst schnell einen Fenderknoten hinzubekommen, denn ihr Mann wollte anscheinend so rasch wie möglich in eine freie Box, bevor ein anderer sie nehmen konnte. Der Bugstrahler kündigte laut eine Schiffsdrehung an, und der Rückwärtsgang gab die Vollbremsung. Der Mann rief der Frau Befehle zu, die vor allem bewirken sollten, dass sie sich beeilte, während ich rasch einen Fender zwischen ihr Boot und das Heck meines Bootes hielt. Der Wind hatte bereits die Kontrolle über ihren Bug übernommen, während die Geschwindigkeit aus dem Boot genommen war. So driftete das Schiff, dem Bugstrahler zum Trotz, in einer rasanten Drehbewegung auf mein armes Boot zu. Ich tat alles mir Mögliche, um behilflich zu sein, aber es war schon zu spät: Der vorbeirauschende Bugkorb mit hervorstehendem Anker riss meine Heckantenne mit.

Offensichtlich irritiert fuhr der Kapitän in die Box, während die Frau mit verdrießlicher Miene und voller Schuldgefühle zu mir schaute. Einige Minuten später kam der Mann auf unser Boot, entschuldigte sich vielmals und gab uns hundert Euro mit der Erklärung: »Es tut mir sehr leid, was da gerade passiert ist, aber wissen Sie, ich habe eine neue Frau!«

Er lächelte – seiner Skipper-Rolle zum Trotz – unsicher und suchte mit seinen Blicken Verständnis. Es war deutlich: Es war sein Schiff, er war der Skipper, er konnte alles. Er war sozusagen Einhandsegler, er machte keine Fehler.

Da wurde sehr deutlich: Effektiv gemeinsam als Crew auf einem Boot zusammenzuarbeiten, stellt eine große Herausforderung dar. Wie soll man als guter Skipper agieren, um seinen Partner so einzusetzen und anzuweisen, dass man als Team ein gemeinsames Ziel erfolgreich erreichen kann?

Ich weiß noch, wie bei einem meiner Vorträge über »Segeln als Paar« auf einer der großen Bootsmessen ein älterer Herr mit einer Seemannsmütze, die ihn besonders erfahren und »salzig« aussehen ließ, auf mich zukam. Er war der Skipper auf seinem Schiff, daran gab es keinen Zweifel.

Unvermittelt sprach er mich an: »Also, Herr Schulz, Sie mit Ihrer Schmusepädagogik! Damit kommen Sie nicht weit, das funktioniert überhaupt nicht! Ich muss das einmal sagen: Ich segle schon seit 60 Jahren mit meiner Frau, und das geht ganz einfach: Sie macht, was ich sage, und wir haben überhaupt keine Probleme. Außerdem geht das überhaupt nicht, Frauen, die nicht mit der Seefahrt seit Kindesbeinen aufgewachsen sind, je in eine Bootsfrau zu verwandeln. Frauen müssen sich schon als Kind ans Segeln gewöhnt haben. Aber wie viele Frauen von der Sorte gibt es? Fast keine! Mein Segelklub, in dem ich schon seit Jahrzehnten Mitglied bin, hat es schon oft versucht mit so Frauensegelkursen. Aber wissen Sie was? Da kommen keine Frauen! Die wollen nicht! Denn das Meer ist nichts für die weichen Frauen von heute! Warum verschwenden Sie so viel Energie damit zu versuchen, Frauen zum Segeln zu bringen? Das ist doch ein Männersport! Da soll die Frau erst einmal rausgehen bei Windstärke neun oder zehn. Das ist nichts für die … Das ist nass, kalt und elendig. Da soll man den Frauen gar nichts vormachen, so wie Sie es tun, von wegen das ist nett und bei Sonnenschein und so … Also, ich halte von Ihrem Vortrag gar nichts!«

Das waren klare Worte. Ich antwortete ehrlich, dass es mich aufrichtig freue, dass sie als Paar so gut zurechtkämen. Denn ein funktionierendes System soll man nicht stören. Einige Frauen finden es vielleicht sogar gut, keine Verantwortung übernehmen zu müssen und alles in die erfahrenen Hände ihres Skippers zu legen. Es liegt mir fern, etwas abzuwerten, was gut zu funktionieren scheint, auch wenn ich mir sicher bin, dass nicht alle Frauen so geduldig sind und immer nur das tun wollen, was ihre Männer ihnen vorgeben.

Höflichkeit und Freundlichkeit im Umgang miteinander gehören zu den oft geäußerten grundlegenden Wünschen vieler Frauen. Grundsätzlich sollten insbesondere Befehle und Anweisungen an Bord höflich formuliert werden. Wenn die Zeit nicht einmal dafür ausreicht, hat der Skipper die Situation wohl nicht mehr ganz unter Kontrolle, was sich zeigt, indem er kurze, harsche Befehle gibt.

Es soll allerdings auch Paare geben, die diese geforderte Höflichkeit während eines nicht ganz geglückten Hafenmanövers auf die Spitze treiben: »Liebling, ich glaube, du bist gerade in das schwimmende Tau dort gefahren?« – »Oh, Schatz, das tut mir nun aber leid. Ja, der Motor ist auch plötzlich stehengeblieben! Was soll ich nur tun?« – »Ach, meine Liebste, das ist nicht so schlimm. Es ist ja nicht deine Schuld! Versuch einfach, mit dem Ruder auf die Pier dort zuzuhalten. Geht das? Ich halte dann die Fender dazwischen und springe an Land. Glücklicherweise haben wir ja nicht so viel Wind. Könntest du mir bitte das Tau dort reichen?« – »Aber klar doch, das tu’ ich gern, mein Schatz. Du bist ja so lieb. Dafür koche ich dann was Tolles heute Abend, ja?« – »Ja, und ich tauche währenddessen und versuche, mit dem Messer den Propeller freizuschneiden. Ach, ich liebe dich so! Und du bist wirklich toll am Ruder!«

Der Skipper als Coach

Es gibt so viele Führungsstile wie Skipper, wobei einige Modelle vielleicht Erfolg versprechender sind als andere. Die RYA propagiert vor allem einen Führungsstil, der sich ermutigend und teambildend auswirkt. Ziel ist, dass die gesamte Crew demselben Ziel durch gegenseitige Unterstützung sowie durch positive Verstärkung zuarbeitet und bei allen Manövern aktiv und mit Spaß mitwirkt.

RYA: Auszug aus dem Yachtmaster-Curriculum (G158)

Ein guter Skipper führt die Crew und kommuniziert mit ihr. Er stellt sicher, dass seine Crew das Geschehen versteht, und hört ihr auch gut zu, wenn sie dem Skipper etwas zu sagen hat. Ein Skipper ruft nicht einfach eine Reihe Befehle aus, die die Crew in einem unsicheren Durcheinander zurücklässt. Ruhig zum Ausdruck gebrachte Kompetenz führt zum Vertrauen der Crew, sich sicher zu fühlen, dass der Skipper die richtigen Entscheidungen trifft. Die Kommunikationsfähigkeit des Skippers ist ein wesentlicher Teil der Yachtmaster-Prüfung.

Ähnlich wie ein Coach seinen Sportlern Teamgeist vermittelt, ist es beim Segeln wichtig, sämtliche Personen an Bord einzubeziehen und entsprechend ihren Fähigkeiten einzusetzen. Es geht darum, die Mitsegler zu motivieren, ohne autoritär zu wirken und sie zu verängstigen. Freude und Enthusiasmus sollen vermittelt werden. Gute Coachs reden übrigens in der Wir-Form, denn sie fühlen sich mitten ins Geschehnis involviert, statt sich selbst als Führer an der Spitze zu sehen. Ein motivierender Skipper steht auch nicht ständig am Ruder oder sitzt ewig in der Navi-Ecke, um das Schiff von dort zu führen, sondern sieht eine persönliche Freude darin, wenn sich die Crew mit Eigeninitiative und Lernbegierde entwickeln möchte und Eigenverantwortung übernimmt. Ebenso hilft es wenig, einen Schuldigen für ein Missgeschick zu suchen, um ihm die alleinige Verantwortung in die Schuhe zu schieben. Stattdessen analysieren gute Skipper ein Problem anschließend gemeinsam mit der Crew und streben dabei hilfreiche Lösungsstrategien für den zukünftigen Umgang mit diesen oder ähnlichen Schwierigkeiten an. Oftmals ist hierbei kreativer Einfallsreichtum gefragt, wenn beispielsweise Klebeband und Stahldraht eingesetzt werden, um die verrücktesten Reparaturen notdürftig durchzuführen, bis Zugang zu einer besseren Möglichkeit gegeben ist. Anstatt ausschließlich Wissen und Kompetenzen zu vermitteln, soll die Crew zu aktiver Problemlösung aufgefordert werden. Was zudem den wunderbaren Nebeneffekt hat, dass der Skipper nicht alles im Alleingang lösen muss.

Eine konstruktive Grundhaltung – besonders wenn die Crew noch sehr mit ihren mangelhaften Fähigkeiten zu kämpfen hat – ist dabei für den Skipper-Coach, sich immer wieder selbst an seine unerfahrenen Zeiten und eigenen Schwierigkeiten und Fehlleistungen zu erinnern. Ein guter Coach erkennt die Fähigkeiten, das Potenzial sowie die Grenzen jedes einzelnen Mitglieds seiner Crew. Entsprechend versucht er, jeden nach dessen Möglichkeiten und persönlichen Zielen individuell zu fördern und einzusetzen.

Die guten Absichten des Führer-Skippers

Den richtigen Führungsstil als Skipper zu finden, kann sehr schwierig sein. Die Absicht des eigenen Handelns als Skipper und die daraus resultierende Wirkung auf die Crew passen nicht immer harmonisch zusammen. Oftmals haben Skipper die beste Intension, agieren oder drücken sich dann aber so ungeschickt aus, dass alles unglücklicherweise völlig anders bei der Crew ankommt als beabsichtigt.

Wenn ein Skipper beispielsweise versucht, klar verständliche Anweisungen zu geben, kann es stattdessen bei der Crew so ankommen, als hätte sich der nette Skipper unvermittelt in den bösen Captain Bligh verwandelt, sobald er das Deck seines Schiffes betreten hat. Obwohl der grundsätzlich liebe Ehe-Skipper in bester Absicht die Seefahrertradition hochhalten möchte, also sein Schiff auf eine klare Weise führen will, wie es vor ihm schon die vielen Kapitäne der alten Rahsegler getan haben, kann es sein, dass er von seiner Crew völlig missverstanden wird. Nicht selten werden klare Anweisungen als Unfreundlichkeit, Dominanzgebaren oder Anschreien aufgefasst, obwohl der Skipper nur mit etwas lauterer Stimme den Motor und den Wind übertönen wollte, die Totallänge seines Bootes mit der Länge eines Rahseglers verwechselt hat und verständlich und deutlich zu erklären versuchte, wie das Manöver zu fahren ist, damit alle »Mann« in der Besatzung es verstehen.

Versucht der liebe Skipper andererseits, motivierend zu wirken, kann dies beispielsweise als »ungeduldig« aufgefasst werden. Und wenn er sich einer bestimmten Aufgabe mit voller Konzentration widmet, kann dies als »engstirnig« und »einseitig« von der Crew interpretiert werden.

Sogar wenn der Skipper nach dem Anlegen hilfsbereit zu seiner Crew aufs Vordeck läuft, um beim Festmachen der Leinen zu helfen, kann diese Hilfestellung falsch ankommen. Die nette Geste führt nämlich leicht dazu, dass sich die Crew kritisiert fühlt, demotivierende Schuldgefühle für ihre »Dummheit und Fehler« entwickelt oder sich sogar gemobbt vorkommt: Diesem Skipper kann man nichts recht machen! Denn dummerweise hat die unwissende Crew den Knoten rechtsrum gelegt, obwohl man ihn besser hätte linksrum legen sollen, erklärt der pädagogisch übermotivierte Lehrer-Skipper und belehrt seine Crew fachmännisch über kleine, mehr oder weniger bedeutungsvolle Fehler und entfernt auch noch schnell selbst den gerade gemachten Knoten, um ihn richtigrum auf den Poller zu legen. Währenddessen steht der Gescholtene passiv da und denkt: Ich bekomme nicht einmal den einfachsten Knoten zustande, ich bin segeltechnisch völlig unbegabt. Und überhaupt: Das nächste Mal kann er selbst seinen blöden Knoten machen!

Ein anderer, ebenfalls als wenig hilfreich erlebter Verhaltensstil eines Skippers ist, viele Nicht-Botschaften zu senden. So kann ein Skipper seine Crew nach dem Anlegen etwa auf folgende Weise über das gerade geglückte Manöver informieren: »Was ein Glück, dass wir heute keinen Starkwind von der Seite hatten und keine Strömung, dann wären wir vielleicht abgetrieben und in die Pier gekracht, aber ich habe es ja gut hinbekommen. Doch wenn der Motor ausgefallen wäre, hätte alles passieren können. Zum Glück habe ich den Motor erst kürzlich selbst gewartet. Also: Alles in Ordnung! Es kann nichts passieren.« Hier ist es nützlich zu wissen, dass unser Gehirn Nicht-Botschaften nicht gut versteht, das heißt, es wird gerade erst die Vorstellung im Gehirn generiert, die dann als nicht zutreffend aufgefasst werden soll. Positive Formulierungen sind hier bei Weitem zielführender. Klar, dass die oben genannten Aussagen primär Angst bei der Crew auslösen können, besonders wenn diese noch unerfahren ist. Insbesondere, da es auf einem gut ausgestatteten Boot zusätzlich viele weitere Hinweise dafür zu geben scheint, dass das Segeln grundsätzlich eine gefährliche Angelegenheit sein könnte. Wofür sollten sonst überall an Bord gut sichtbar die unterschiedlichsten Notfallsysteme angebracht sein: Mann-über-Bord-System, Notsender, EPIRB, Notlenzpumpe, Leckpfropfen, Feuerlöscher?

Möglicherweise bezweifelt die Crew zudem, dass die ganze Notausrüstung auch so funktioniert wie gedacht. Und denkt darüber nach, wer sie bedienen kann … Eine unerfahrene und daher eher ängstliche Crew hat oftmals keine Vorstellung, wie das alles funktioniert, und ist so abgeschreckt, dass das Bestreben schwindet, den Umgang mit diesen lebensrettenden Systemen zu verstehen und zu erlernen.

Verstehen, was der Skipper will

Manchmal besteht das Problem auch darin, dass die Crew den Skipper nicht richtig versteht. Und sei der Skipper sogar der eigene Partner.

Fulvia aus Italien bringt es deutlich auf den Punkt: Es habe Jahre gedauert, bis sie begriff, was ihr Ehemann als Skipper von ihr auf dem Boot erwartete.

Fulvia, Italien, der merkwürdige Fall meines Dr. Jekyll und Mr. Hyde: »An Bord wurde mein Mann ungeduldig und änderte seine Persönlichkeit.«

Meine ersten Segelerfahrungen machte ich in den frühen Jahren dieses Jahrhunderts, als Franco und ich anfingen, Segelboote während unserer Sommerferien zu chartern und die Schönheit des Mittelmeeres zu erkunden. Franco ist seit seiner Kindheit gesegelt, und wir hatten auch meistens ein oder zwei Paare an Bord, von denen die Herren etwas Segelerfahrung hatten. Das Leben war einfach und bequem: Die Männer waren für das Schiff zuständig, die Frauen für das Kochen, Saubermachen und Sonnenbaden. Die anspruchsvollsten Arbeiten, die wir Frauen manchmal zu verrichten hatten: die Fender aufzuhängen, wenn wir in die Häfen einliefen … Aus diesem Grund bin ich heute noch eine Spezialistin im Anbringen von Fendern.

Zu dieser Zeit waren der Unterschied zwischen Fock und Genua, Schoten und Fallen und die Lage des stehenden und laufenden Gutes ein großer Wirrwarr für mich. Zur Not konnte ich mir die Farben der Schnüre einprägen und einen Sommer lang merken, aber dann war alles wieder vergessen. Für mich war das kein wesentliches Wissen, sondern zählte eher unter wertlose Informationen.

Als Franco und ich unser erstes gemeinsames Boot kauften, begann die Transformation meines geliebten Mannes: An Land war er immer charmant, etwas sportlich und sehr sexy, der beste Lebensgefährte, den ich mir vorstellen konnte. Aber sobald er unser Boot enterte, begann die Veränderung, und sobald wir die offene See erreichten, war die Transformation vollendet. Er wurde zum gemeinen Kerl: von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde in einem Augenblick. Plötzlich musste ich die Wenden fahren, das Segel reffen, die Lazy Lines checken und den Bug in den Wind drehen! Fock? Groß? Bug? Und warum schrie er immer? Warum konnte er nicht, wie sonst auch, nett und freundlich mit mir reden? Und natürlich konnte er doch nicht von mir verlangen, dass ich mir von einem Sommer zum nächsten all die lustigen Namen gemerkt hatte, die Seeleute gebrauchen, statt normale Begriffe zu verwenden. Und was meinte er mit den Positionen der Schoten und der Falle? Sie sahen sowieso alle gleich aus für mich, höchstens gab es einen kleinen Unterschied in der verblichenen Schattierung der Taue. Außerdem: All dies war doch sowieso Männersache, meine Rolle die einer Geisha, und darin war ich gut! Hatte er sich das nicht immer gewünscht?

2008 kauften wir eine HR40. Zu der Zeit waren mir einige Manöver schon etwas geläufiger, aber das Boot flößte mir immer noch Angst ein, denn es schien einen eigenen Willen zu haben und war nicht einfach zu zähmen. Franco ließ mich manchmal allein an Deck, und ich kann mich heute noch daran erinnern, wie mich die Panik jedes Mal ergriff, sobald ich am Horizont in weiter Entfernung ein Schiff entdeckte. Ein Zusammenstoß schien mir unvermeidlich zu sein, sobald wir uns in Sichtweite befanden, während Kapitän Franco alles andere als in Sichtweite war. Warum musste er sich gerade jetzt rasieren? Das machte er mit Absicht. Männer sind doch alle gemeine Schweine und lassen ihre Frauen im Stich, wenn es brenzlig wird. Blöde Männer!

Erst Jahre später verstand ich, was er damals von mir wollte. Männer und Frauen kommunizieren, wenn überhaupt, doch sehr unterschiedlich. Du kannst als Frau die perfekte Geisha an Land sein, aber an Bord gelten andere Regeln. Franco vergaß die weiche, nette, hübsche, süße Frau, auf die er einmal abgefahren war. Auf einem Schiff wünschte er sich einen Kumpel, mit dem er seine Segelerfahrung in allen Nuancen teilen kann. Und ich meine dabei nicht nur die Schönheit eines Sonnenunterganges, sondern das ganze Handling des Bootes – und das dazu noch bei jedem Wetter. Vielleicht sollten die Priester die Texte der Eheschließung bei Seglerpaaren anpassen: »Möchtest du, Fulvia, diesen Mann Franco zu deinem Ehemann nehmen und mit ihm bei schlechtem wie bei gutem Wetter segeln und alle Manöver mit ihm zusammen fahren, auch wenn er dich dabei anschreien wird?«

Was mein Mann alles von mir wollte! Ich sollte regelmäßig die Sicherheitsausrüstung warten. Vor dem Ablegen sollte ich einen Prä-Check machen. Mir war nie bewusst, was alles zum Segeln gehört und sonst irgendwie von irgendwem gemacht wurde – nur nicht von mir: Wassercheck, Ölcheck, Keilriemencheck, Bilgencheck, Leckcheck, Kühlwassercheck, Auspuffcheck … Eine perfekte Frau an Bord muss natürlich wissen, wie man einen Kurs auf der Seekarte einzeichnet, das GPS richtig abliest und programmiert, das Wetter einschätzt und immer wieder und unermüdlich alle Wettervorhersagen abhört, ob aus dem VHF, dem Radio oder vom Nachbarschiff. Um es zusammenzufassen: Segeln ist plötzlich harte Arbeit, und ein Mann erwartet von seiner Partnerin, die Mühen mit ihm auf allen Ebenen zu teilen. Denn: Er möchte sich auch mal entspannen und den Sonnenuntergang genießen können. Das war mir in den ersten Jahren gar nicht bewusst gewesen. Ich dachte, er wolle immer alles selbst machen, denn er konnte ja alles besser als ich.

Ich begreife heute immer noch nicht, warum ich so lange gebraucht habe zu verstehen, was er von mir wollte. Und allen Frauen verrate ich: Es macht viel mehr Spaß, ein Schiff zu führen, als nur faul in der Sonne rumzuliegen. Mich seglerisch auszubilden, hat mir einen riesigen Schwung gegeben.

Die vier Rollen der Crew

Fulvia hat durch ihre Seglerausbildung sowie viel Eigeninitiative den Sprung vom Passagier zur Co-Skipperin und schließlich zur Skipperin geschafft. Auf diesem Weg kann eine Crew sehr unterschiedliche Rollen annehmen, die sich gern in vier Gruppen gliedern lässt:

1. Co-Skipper

2. Kompetente Crew

3. Befehlsempfänger (inkompetente Crew)

4. Passagier

1. Co-Skipper

Beim Co-Skipper sind beide Partner auf annähernd gleichem Niveau. Oft hat jeder sein Spezialgebiet an Bord, doch können beide sämtliche Manöver fahren. Vorteil: Fällt der eine aus, kann der andere das Schiff sicher in den Hafen bringen. Möglicherweise wechseln sich beide ab, das Schiff zu führen und als Skipper zu agieren. Oder sie sind ein so eingespieltes Team, dass man als Beobachter kaum erkennen kann, wer hier eigentlich der Skipper ist. Charakteristisch ist, dass sie bei einander Rat holen und alle Fragen gemeinsam angehen und lösen. Sie respektieren das Können des anderen und sind sich bewusst, dass grundsätzlich unterschiedliche Entscheidungen möglich sind, die alle ähnlich effektiv zum Ziel führen können.

Der gegenseitige Respekt sowie das spätere gemeinsame Reflektieren der (eigenen) Manöver, die vielleicht nicht ganz exakt nach Plan liefen, liefern eine gute Möglichkeit, seinen Partner auf dem Weg zur Rolle des Co-Skippers zu unterstützen. Auch ein Skipper macht nämlich Fehler, und dieses Wissen gibt dem angehenden Co-Skipper Mut, vieles selbst auszuprobieren.

2. Kompetente Crew

Bei der kompetenten Crew ist die Rollenverteilung viel klarer: Der/die eine ist der Skipper, der/die andere(n) ist/sind die Crew – und seien sie noch so erfahren. Der Skipper gibt klare und eindeutige Anweisungen, die Crew versteht sie genau und kann sie perfekt ausführen.

Ohne als Crew Verantwortung übernehmen zu müssen, kann die Rollenverteilung hier sehr gut funktionieren, denn nicht jeder möchte Entscheidungen selbst treffen müssen, sondern erfreut sich lieber daran, dass die Manöver perfekt gelingen. Ideal ist allerdings, wenn die Crew so kompetent ist, dass sie im Notfall das Schiff sicher in den Hafen zurückbringen kann.

3. Befehlsempfänger (inkompetente Crew)

Der Befehlsempfänger repräsentiert eine inkompetente Crew, die versucht, alles richtig zu machen, dabei aber schon Schwierigkeiten hat, die Anweisungen des Skippers genau zu verstehen und auszuführen. Hierbei fehlen der Überblick über die Gesamtsituation sowie das Verständnis von Sinn und Absicht der Anweisungen. Obwohl die tapfere Crew ihr Bestes versucht, gelingt eine adäquate Umsetzung oftmals nicht.

Entsprechend irritiert und nervös kann der Skipper auf seine überforderte Crew reagieren, denn er bekommt nicht die Unterstützung, die er braucht. Hier ist die Kompetenz des Skippers gefragt, der Erfahrung und dem Können der Crew angepasste, verständliche Anweisungen zu geben. Eine lediglich lautstark erhobene Stimme verstärkt die Unsicherheit der Crew nur zusätzlich, ist deshalb wenig hilfreich und schafft zudem eine unangenehme Atmosphäre.

Dennoch ist die Konstellation »erfahrener Skipper und inkompetente Crew« nicht ungewöhnlich, jede Segelschule arbeitet auf diesem Niveau. Vielmehr liegt es in der Motivation sowie in der Hand beider Seiten, dass Neulinge sich adäquat unterstützt und gut angeleitet in Richtung »kompetente Crew« entwickeln können und nicht aus Angst vor Kritik oder eigenen Fehlern in der ewigen Rolle des Passagiers verharren.

4. Passagier

Wird die Rolle des Passagiers nicht aus Angst, sondern bewusst unter hedonistischen Aspekten gewählt, kann dies eine sehr angenehme Position sein. An einen Passagier werden keine Erwartungen gestellt. Er/sie wird von einem kompetenten Skipper über die Weltmeere geschippert und muss selbst nicht viel mehr machen, als an Bord zu sein.

In einem Paarverhältnis ist der Skipper hier praktisch ein Einhandsegler, die Crew hingegen passiver – hoffentlich erfreuter – Begleiter. Eine nicht zu verachtende Rolle! Ähnlich wie auf einem Kreuzfahrtschiff kann man den Tag in der Sonne an Deck verbringen und dem Skipper von Zeit zu Zeit einen Kaffee reichen.

Obwohl diese Rollenaufteilung ihren Charme hat, bleibt doch zu bedenken, dass dies (insbesondere wenn sich nur zwei Personen an Bord befinden) eine relevante Beeinträchtigung für die Sicherheit zur Folge haben kann. Was ist, wenn dem Skipper ein Unglück widerfährt? Meistens geht alles gut, zumal es ja auch eine Vielzahl von Einhandseglern gibt, die ohne jegliche Unterstützung zurechtkommen müssen. Zudem ziehen es einige Skipper vor, einen Passagier dabeizuhaben, um nicht völlig allein segeln zu müssen.

Folgende Begebenheit kann hier immer wieder verblüffen wie amüsieren: Ein älteres Ehepaar im Crinan Canal in Schottland wirkte so erfahren wie glücklich. Man sah ihnen an, dass sie schon lange gemeinsam an Bord lebten und segelten.

Als ein Segelboot langsam heranfuhr und der Deckhand der Frau vertrauensvoll die Leine reichte und sie bat, diese an ihrem Schiff festzumachen, antwortete diese schüchtern: »Oh, ich segle immer mit meinem Mann, und er ist für das Segeln und für die Knoten zuständig. Ich kann mir die nämlich nicht merken! Warte, ich hole meinen Mann. Harry? Kommst du bitte mal, um einen Knoten zu machen?«