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Herausgegeben von der Europäischen Musikforschungsvereinigung Wien Jahrgang 72 Heft 3 2017 - Achtung Satire!

Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 72/3 | 2017

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Liebe Leserinnen und Leser,

Kurt Tucholskys Ausspruch, dass Satire alles dürfe, ist – bedauerlicherweise – seit jeher mehr Wunsch als Beschreibung der Wirklichkeit gewesen. Gerade da, wo sie ihre politische Stacheln ausfährt, wird auch heute oft genug versucht, ihr die Zähne zu ziehen – man denke nur an die noch immer schwelende »Böhmermann-Affäre« im Nachbarland. Zu den Waffen der Satire gehören Verkürzung und Übertreibung, mit denen sie (mitunter rüde) Klarheit schafft und explosive Wirkungen freisetzen kann. Ihren Spott haben die Mächtigen, Reichen und Schönen allemal gefürchtet. Denn es scheint, als wäre Satire häufig wirkungsmächtiger als andere Formen der Kritik. Lediglich den Hofnarren war es unter Umständen gestattet, Missstände auf humoristische Art beim rechten Namen zu nennen. Im Übrigen galt Satire oft genug als Sakrileg. Dies zog, wie im Fall von Frank Wedekind, empfindliche Strafen nach sich. Andere hielten ihre satirischen Werke daher von vorneherein lieber unter Verschluss – wie Dmitri Schostakowitsch den Antiformalistischen Rajok, der erst 1989, vierzehn Jahre nach seinem Tod, uraufgeführt wurde.

Verhältnismäßig einfacher hatte es die Satire stets, wo sie allgemeinere gesellschaftliche oder auch künstlerische Zusammenhänge aufs Korn nahm. Doch sorgte auch hier z. B. der Krämerspiegel von Richard Strauss – als Abrechnung mit der Musikverlagsbranche – für böses Blut. Dass Satire gerade im Zusammenwirken oder besser: im ironischen Gegeneinander von Text und Musik entsteht, belegt nicht nur dieser Liederzyklus, sondern auch eine ganze Anzahl von Opern – von Florian Leopold Gassmanns L’opera seria über Verdis Falstaff bis hin zu Detlev Glanerts Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Doch auch Musikstücke ohne Worte können durch Kodierung und Kontextualisierung satirisches Potenzial entfalten.

Bemerkenswert und aus heutiger Sicht verwunderlich erscheint die Tatsache, dass ausgerechnet das Kabarett, das wir in seiner gegenwärtigen Form als das Podium für satirische Darstellung kennen, in seiner Anfangszeit eher einen Bogen um diese Art des Humors machte und sich vielmehr der ernsthaften Darbietung von Kunst und Musik verschrieben hatte, wie das Beispiel von Wiens erster Brettlbühne Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin zeigt.

Zusätzlich zu dieser Ausgabe bieten wir Ihnen ein besonderes Highlight: Am 19. Juni, 19 Uhr, präsentiert Maria Goeth, die 2015 mit ihrer Arbeit über Musik und Humor promoviert wurde und nun als Redakteurin des Klassikmagazins Crescendo tätig ist, in den Räumen des Hollitzer Verlags (1080 Wien, Trautsongasse 6/6) ihren mit Musikbeispielen gewürzten Vortrag »Von singenden Laubsaugern und näselnden Sopranistinnen – Wie Komponisten ihre Hörer lachen machen«. Der Eintritt ist für Sie kostenlos; um Anmeldung wird bis zum 16. Juni unter redaktion@oemz.at (weitere Informationen unter www.oemz.at) gebeten.

Wir freuen uns auf Ihr Kommen und wünschen bis dahin eine vergnügliche Lektüre. // Die Redaktion

INHALT

ACHTUNG SATIRE!

Satire in der Musik oder die Kunst der bissigen Gleichzeitigkeit // Maria Goeth

L’opera seria: Ranieri de’ Calzabigis Anleitung, wie man eine Oper nicht verfassen sollte // Konstantin Hirschmann

Musikalisches ABC: Was man beim Anhören der Meister empfinden und sagen soll

Mit gesenktem Sterz – hinterwärts: Richard Strauss als Satiriker im Liederzyklus Krämerspiegel // Hartmut Schick

Tatütata oder Über den ließe sich eine interessante Oper schreiben: Frank Wedekind als Licht und Irrlicht einer satirischen Kultur // Frieder Reininghaus

Der Fluch des Sängers // Hans Veigl

Musikalische Satire im Sozialistischen Realismus: Schostakowitschs Antiformalistischer Rajok // Uta Swora

Le Conservatoire // Eugene-Hippolyte Forest

Angriff auf die Provinzialität // Detlev Glanert im Gespräch mit Fabian Schwinger

Melancholische Opernsatire im Gewand der Chinoiserie? Kurt Schwertsiks Der lange Weg zur Großen Mauer // Peter Tiefengraber

EXTRA

Doblinger Musikhaus Zweihundert // Johannes Prominczel

NEUE MUSIK IM DISKURS

Zwei trojanische Neo-Lipizzanerinnen: Angélica Castelló und Mirela Ivičević // David Wedenig

BERICHTE AUS WIEN

Händels Oreste // Konstantin Hirschmann

Clairs Stummfilm Paris qui dort mit Musik von Yan Maresz // Ralf Beer

Rossinis Elisabetta Regina d’Inghilterra // Frieder Reininghaus

Ur- und Erstaufführungen von Richard Dünser, Thomas Heinisch, Rebecca Saunders und Enno Poppe // Christian Heindl

Catalanis La Wally // Judith Kemp

Wagners Parsifal // Markus Hennerfeind

BERICHTE AUS ÖSTERREICH

Monteverdis Combattimento di Tancredi e Clorinda, Zemlinskys Der Zwerg und Dallapiccolas Der Gefangene in Graz // Ulrike Aringer-Grau

85. Geburtstag von Balduin Sulzer in Linz // Johannes Prominczel

Osterfestival Tirol // Walter Weidringer

Osterfestspiele Salzburg // Natalie Stadler

BERICHTE AUS DEM AUSLAND

Bizets Carmen in Paris, Stauds Die Antilope in Köln, Czernowins Infinite Now und zur Zensur von Fuchs du hast die Gans gestohlen in Limburg // Frieder Reininghaus

REZENSIONEN

Bücher, CDs

DAS ANDERE LEXIKON

»Mit einem mächtigen Ausbruch der Heiterkeit enden!« // Judith Kemp

NEWS

Alles neu macht der Mai

ZU GUTER LETZT

Second Hand-Shops allerorten Die fortschreitende Historisierung des Musiktheaters // Frieder Reininghaus

Vorschau

THEMA

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Jean-Jacques Grandville, Notengemälde, um 1840, abgedruckt in: Karl Storck, Musik und Musiker in Karikatur und Satire, Oldenburg 1910

Satire in der Musik oder die Kunst der bissigen Gleichzeitigkeit

Bedarf es immer eines Textes, um Satire in der Musik zu schaffen? Kann Musik aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades und damit ihres Mangels an konkreten Bedeutungsinhalten nicht nur sehr unbeholfen parodistische Wirkungen generieren? Und was ist Satire überhaupt? Maria Goeth

Die Beantwortung der letzten Frage ersparen sich beinahe alle Musiklexika, indem sie den Begriff »Satire« gar nicht erst behandeln. Eine Ausnahme macht das Österreichische Musiklexikon, das einen längeren Eintrag zu »Satire/satirisch« anbietet, nur um gleich im ersten Satz klarzustellen, dass sich Satire im Grunde genommen gar nicht exakt definieren lässt: »In der Musik fehlt eine genaue gattungsmäßige Bestimmung der Satire zugunsten der durch besondere Kompositionsweisen erzielten satirischen Prägung oder Färbung unterschiedlicher Gattungen; eine strenge Trennung von der Parodie ist nicht immer möglich.«1 Leider hilft auch die Literaturwissenschaft nicht erschöpfend weiter. Satire sei keine Gattung, sondern eine Bezeichnung für »von aggressiv-ironischer Rhetorik geprägte ästhetische Werke«2, für die »abwertende Darstellung von Personen, Ständen, politischen Positionen, sozialen Verhaltensweisen oder Weltanschauungen mit ästhetischen Mitteln«3. Nun, was die beiderseits betonte »ästhetische« Komponente betrifft, sollte Musik ja geradezu prädestiniert sein zur Satirenbildung, ist sie als Kunstgattung doch per se Gegenstand der Lehre vom Schönen.

Komplizierter als mit der Ästhetik verhält es sich mit den von den zitierten Autoren eingeforderten Elementen der Parodie oder Ironie, die ihrerseits eng mit den Sphären des Humors in Verbindung stehen. Dass Musik – auch ohne Text – humoristisch sein kann, dürfte inzwischen einigermaßen unstrittig sein. Ihre Möglichkeiten dazu sind mannigfaltig: Sie reichen vom humoristischen Einzelton wie Haydns vielbeschworenem Paukenschlag – eigentlich einem Tutti-Schlag – in seiner Sinfonie Nr. 94, bis hin zu humoristischen Großwerken wie Mozarts rund zwanzigminütigem Sextett Ein musikalischer Spaß, das diverse gängige Spielfehler von Laienmusikanten parodiert. Musik bietet einen reichhaltigen Fundus an Manipulationsmöglichkeiten zur Humorproduktion, sofern man musikalischen Humor als aktive Strategie von Komponisten versteht, ihre Hörer potenziell zum Lachen zu bringen.

Komische musikalische Effekte

Neben dynamischen Effekten wie bei Haydn erfreuen sich beispielsweise auch folgende – auf einzelne Elemente der Musik bezogene – Methoden musikalischer Humorkonstruktion4 großer Beliebtheit: Was den Rhythmus betrifft, so lässt sich vor allem mittels dessen stolpernder, torkelnder Anlage der Eindruck von Trunkenheit, Unbeholfenheit oder Unvollkommenheit vermitteln, wie etwa im Menuet alla zoppa (Menuett auf hinkende Art) aus Haydns 58. Sinfonie oder der Imitation watschelnder Enten in Emmanuel Chabriers Villanelle des petits canards. Hinsichtlich der Klangfarbe eignen sich insbesondere solche Instrumente oder Spielweisen von Instrumenten für humoristische Wirkungen, die Assoziationen an (minderwertige) außermusikalische Klänge erwecken, etwa an Tierlaute wie Eselsgeschrei, an Störungen der menschlichen Stimme wie Krächzen oder Röcheln oder an Körpergeräusche wie Rülpsen, Husten oder Furzen – etwa auf dem Fagott imitiert. Melodisch können kontextabhängig insbesondere unerwartet große Sprünge und Pausen – letztere zum Beispiel in Lückentextliedern – komisch wirken; auf die Harmonik bezogen sind es geschickt platzierte Dissonanzen. Schließlich kann auch musikalische Form lustig sein, etwa indem einzelne Melodiefloskeln ähnlich einer Schallplatte mit Sprung immer und immer wieder stupide und ohne Weiterentwicklung wiederholt werden, einzelne Töne überlange Dehnung erfahren oder sich bestimmte Formteile in ihren Proportionen mit ihrer Umgebung reiben – wie beispielsweise in Beethovens Bagatelle op. 20 Nr. 7, wo ein »unangemessen« langer Triller ein Drittel des ganzen, nur 27 Takte umfassenden, Stücks einnimmt. Gerade bei solchen Arten von musikalischem Formhumor kann Übertreibung diagnostiziert werden, ein Stilmittel, das vielfach auch als zentral für den Bau von Satire gilt.

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Von der Parodie …

Lässt sich bei solchen Spielarten musikalischen Humors aber bereits von Satire sprechen? Wohl nicht oder nur sehr bedingt, denn wo wäre die geforderte Aggression, wo die humoristisch geschärften Eckzähne? Auch fehlt zur »abwertenden Darstellung« einer Person oder eines (auch abstrakten) Gegenstands die konkrete Zielscheibe, das »Opfer«. Vereint ein Komponist oder Arrangeur nun einen oder mehrere dieser Einzelstrategien und macht sich damit über einen bestimmten Musikstil, eine musikalische Gattung oder ein konkretes Werk her, so entsteht etwas, was man zumindest schon einmal als »musikalische Parodie«5 bezeichnen könnte: Da »bereichert« Spike Jones etwa Rossinis berühmte Wilhelm Tell-Ouvertüre um Geräuschklänge wie Vogelgezwitscher, Hundegebell, Pistolenschüsse und Gurgelgeräusche oder lässt Camille Saint-Saëns in den Schildkröten aus seinem Karneval der Tiere den berühmten Cancan aus Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt in fünffach verlangsamtem Tempo erklingen – jeweils mit klar humoristischer Intention.

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Oft reicht bereits der Kontrast eines bestimmten Werkes mit seinem neu gewirkten »stilistischen Gewand«, um Parodien zu erzeugen. So erklingt im Klavierstück ’s kommt ein Vogel geflogen von Siegfried Ochs das gleichnamige Volkslied im Stile von vierzehn bekannten Komponisten – Bach, Mozart, Chopin, Wagner etc. – oder begibt sich in Franz Schöggls Chorsatz Die launige Forelle Schuberts Kunstlied auf musikalische Reise durch kompositorische Personal-, aber auch durch charakteristische Nationalstile Österreichs, Italiens oder Russlands. Je höher das – subjektiv empfundene – Stilgefälle zwischen Parodieobjekt und neuer Darreichungsform, desto drastischer die Wirkung: So dürfte Hänschen klein im Stile Beethovens plastischer wirken als ein Motiv Mozarts im selben Gewand, da der niedere Stellenwert des Kinderliedes in größerem Kontrast zu der Klangwelt des ehrwürdigen und besonders für seine ernsten Werke gefeierten Komponisten steht.

… zur Satire

Besonders dann, wenn bestimmte Stile, Gattungen oder Werke mit außermusikalischen Bedeutungen verknüpft sind, können deren Parodien bissig und aggressiv wirken, zu Satiren werden. Kirchenmusik ist oft mit der ganzen Sphäre von religiöser Erfüllung bis religiösem Fanatismus aufgeladen, Nationalhymnen illustrieren Nationalstolz bis Nationalwahn und Märsche symbolisieren Kriegseifer und Kriegskatastrophe. Alle drei Arten von Musik sind deshalb für Parodie und Satire beliebt. In Maurizio Kagels Zehn Märschen um den Sieg zu verfehlen torkeln die Soldaten durch permanente Synkopen und Akzentverschiebungen regelrecht übereinander. Kaum besser würde es den Truppen im Armeemarsch 606 aus Hindemiths Minimax ergehen: Hier wird der Marsch nicht nur statt von den üblichen strahlenden Blechblasinstrumenten von einem Streichquartett interpretiert – wobei zu allem Überfluss auch noch ein Ventil der vom Cello repräsentierten Kontrabasstuba »eingefroren« ist –, das Heer purzelt auch noch in permanenten Wechseln zwischen 3/4-, 4/4-, 5/4- und 3/2-Takten übereinander. Im Faschingsschwank aus Wien liefert Robert Schumann nicht nur eine rhythmisch bizarre Version der Marseillaise, sondern spottet auch der Zensur – war das französische Kampflied doch zu dieser Zeit offiziell verboten. Parodien von Kirchenmusik sind vor allem in der Vokalmusik beliebt, dort aber auch vielfach ohne Textbeigabe funktionsfähig, etwa in den Quodlibets der Renaissance, in denen profane Volkslieder mit weihevollen Sakralgesängen überlagert wurden. Manchmal erlangen selbst kurze Motive oder gar Einzelakkorde eine so starke Bedeutung, dass Satirebildung damit möglich wird: Das meistparodierte Vierton-Motiv der jüngeren europäischen Musikgeschichte ist der Anfang von Beethovens 5. Symphonie, seit langem das musikalische Schicksalssymbol schlechthin; der meistparodierte Einzelklang ist Wagners Tristan-Akkord, der grenzenlose Liebe ausdrückt. Insgesamt steht die Musik also in ihrem Reichtum, auch rein instrumental parodistische und satirische Wirkungen erzeugen zu können, den anderen Künsten nicht nach.

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Entlarvung durch Kombination

Doch Musik besitzt auch eine außergewöhnliche Fähigkeit zur Gleichzeitigkeit, über die auf andere Weise nur noch die Bildende Kunst verfügt, indem sie in einem einzelnen Bild viel Heterogenes zu vereinen vermag. Unterschiedliche Melodieschichten lassen sich ohne Störung der Gesamtharmonie übereinanderlegen, wie in besagten Quodlibets. Allein solche Schichtungen heterogenen Materials können satirisch sein, indem etwa ein Friedenslied mit einem Marsch kombiniert wird. Vielleicht besonders interessant sind jedoch Arrangements von Musik mit Text, in denen beide Komponenten für sich genommen noch nicht unbedingt parodistisch sind, sich die satirische Wirkung jedoch im intertextuellen Zusammenspiel entfaltet. Ein Beispiel dafür ist schwarzer Humor, wie er sich in der Gattung des Wienerlieds und etwa bei Georg Kreisler findet: Während die Musik heiter, sorglos, glückselig tänzelt, erzählt der Text von Gewalt, Verbrechen und Mord. Der »Biss« ist also Resultat eines (inhaltlichen) Missverhältnisses zwischen Text und Musik, während (formal, klanglich) beides harmoniert. Eine weitere Variante ist eine Form von Satire, die man als »Entlarvenden Humor« bezeichnen könnte: Im Text aufgestellte Behauptungen werden dabei in der Musik höhnisch widerlegt. Exemplarisch dafür ist etwa die Figur des arroganten, selbstgefälligen Bürgermeisters van Bett in Albert Lortzings Zar und Zimmermann. Immer wieder wird sein Geprotze durch stümperhafte musikalische Wendungen oder einen kläglich ausgedünnten Klang im Orchester konterkariert, wobei in der Arie »O sancta justitia!« ein für ihn unsingbar tiefer Ton – geräuschhaft anzüglich – vom Fagott übernommen werden muss. Ähnlich geht Richard Wagner in seinen Meistersingern mit der Figur des Beckmesser vor: Als dieser am Ende das gestohlene Preislied vortragen will, entstellt er nicht nur versehentlich dessen Text, sondern auch die Musik, die statt in gewichtigem 4/4-Takt in »sehr kurz gestoßenen« Achteln trippelt, unsicher, kleinkariert, unbeholfen. Im Grunde genommen wird in beiden Fällen durch die Musik eine Satire der Bühnenfiguren selbst geschaffen.

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Musik kann also nicht nur ohne Text satirische Wirkung entfalten, sie hat eine ganz besondere Gabe, gerade im Zusammenspiel mit dem Wort wirkmächtig zu werden: In ihrer Gleichzeitigkeit mit dem Text schafft sie den Angriff oder die Übertreibung, aus der funktionsfähige Satire erwächst. //

Die Musik- und Theaterwissenschaftlerin Maria Goeth ist Redakteurin beim Klassikmagazin crescendo. 2015 schloss sie ihre Promotion zum Thema »Musik und Humor« an der LMU München ab.

Anmerkungen

Federico Celestini, »Satire/satirisch«, in: Österreichisches Musiklexikon online, http://www.musiklexikon.ac.at [Stand 15. 3. 2017].

Burkhard Meyer-Sickendiek, »Satire«, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 8, Tübingen, 2007, S. 447.

»Satire«, in: Werner Habicht, Wolf-Dieter Lange [u. a.] (Hg.), Der Literatur Brockhaus, Bd. 3, Mannheim 1988, S. 285.

Für eine umfangreiche und systematische Darstellung von Methoden musikalischer Humorerzeugung siehe Maria Goeth, Musik und Humor. Strategien, Universalien, Grenzen, Hildesheim [u. a.] 2016.

»Parodie« wird hier nicht im musikwissenschaftlichen Sinn als Nachahmungsverfahren allgemein verstanden, sondern als »entweder karikierende oder in kontrastierenden Zusammenhang gestellte Nachahmung eines musikalischen Werkes oder Stils mit der erkennbaren Absicht, durch Verhöhnung des Originals eine komische Wirkung zu erzielen« (Siegfried Dörffeldt, Die musikalische Parodie bei Offenbach, Dissertation, Frankfurt 1954, S. 5).

THEMA

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Szenenbild der Aufführung 2016 in Brüssel, Foto: Clärchen und Matthias Baus

L’opera seria Ranieri de’ Calzabigis Anleitung, wie man eine Oper nicht verfassen sollte

Gassmanns und Calzabigis Opera seria – eine Oper über die Aufführung einer Oper – zählt zu den schärfsten Satiren des Musiktheaters, ist zugleich aber auch ein Lehrstück über die »richtige« Opernform. Konstantin Hirschmann

In Calzabigis und Gassmanns L’opera seria soll die Oper L’Oranzebe aufgeführt werden. Librettist Delirio (übersetzt: »Wahnwitz«) und Komponist Sospiro (»Seufzer«) schmieren einander – von Angesicht zu Angesicht – topfweise Honig um die Bärte, um später ausschließlich Despektierliches über den anderen von sich zu geben. Das Verhältnis der beiden wird weiter strapaziert, als Impresario Fallito (»Bankrotteur«) beginnt, das altmodische Textbuch und die manierierte Partitur zu zerpflücken. Die SängerInnen der Produktion entpuppen sich als eitel, wehleidig und des Lesens kaum mächtig: Die abgehalfterte prima donna Stonatrilla (etwa: »singt den Triller falsch«) zankt sich mit der jüngeren Kollegin Porporina; der Kastrat Ritornello ist mit der Aufgabe überfordert, Verse aus dem Libretto fehlerfrei vorzulesen; Hypochonderin Smorfiosa (»Zimperliese«) beklagt diverse Atemwegserkrankungen, die ihr das Singen verunmöglichen. Gemein ist den GesangsvirtuosInnen freilich, dass sie allesamt unzufrieden mit Text, Musik, Anzahl ihrer Arien, Reihung im Personenverzeichnis, Kostümen etc. sind. Die Probe des Stücks (Akt II) mündet in eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Sängern und Tänzern; die Aufführung von L’Oranzebe (Akt III) wird nach drei Szenen durch lautstarke Unmutsäußerungen des Publikums abgebrochen. Fallito stiehlt sich aus der Verantwortung und mit der Theaterkasse davon.

Reform-Manifest im Komödiengewand

Ranieri de’ Calzabigis und Florian Leopold Gassmanns L’opera seria1 (1769, Wien) bildet den Höhepunkt der sogenannten metamelodrammi des 18. Jahrhunderts, jenes musikdramatischen Genres, welches die satirische Selbstbespiegelung der Kunstform Oper zum Inhalt hat.